Nach Polizeimord in Ferguson: ISO fordert "schwarze Agenda"

Die Ereignisse in Ferguson, Missouri - die Ermordung des achtzehnjährigen Michael Brown durch die Polizei, die Demonstrationen als Reaktion auf seine Ermordung, die de-facto-Verhängung des Kriegsrechtes, die Unterstützung von Politikern und Medien für die Polizei - haben den angespannten Zustand der Klassenbeziehungen in Amerika enthüllt. Sie haben außerdem enthüllt, wie die herrschende Elite Polizeistaatsmethoden einsetzt, um Widerstand der Bevölkerung gegen ihre Kriegs- und Austeritätspolitik zu unterdrücken. Darüber hinaus haben sie die Aufmerksamkeit auf die enorme Klassenspaltung zwischen afroamerikanischen Arbeitern und der schwarzen Elite gelenkt, die mit der Demokratischen Partei verbündet ist.

Die pseudolinken Organisationen aus dem Umfeld der Demokratischen Partei, wie die International Socialist Organization (ISO) betonten in dieser Situation ihre Identitätspolitik noch stärker und schufen ethnische Spaltungen in der Arbeiterklasse. Diese Organisationen, deren soziale Basis in den privilegierteren Sektionen des Kleinbürgertums liegt, versuchen die Entwicklung von Klassenbewusstsein und das Entstehen einer politisch unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern.

Dave Zirin schrieb auf der Webseite der ISO, Socialist Worker, über die Ereignisse in Ferguson. In dem Artikel mit dem Titel "Rassismus ist schuld am Tod von Mike Brown" griff Zirin den ehemaligen Basketballstar Kareem Abdul Jabbar an, der in einer Kolumne erklärt hatte, der entscheidende Faktor bei den Ereignissen in Ferguson sei nicht Hautfarbe, sondern Armut gewesen. Zirin erklärte, wer solche Ansichten hege, habe "seinen Kompass verloren."

Zirin betonte: "Michael Brown wurde von der Polizei erschossen, weil er schwarz war. Wenn er weiß gewesen wäre, wäre er mit Sicherheit nicht gestorben, egal wie arm er war." (Die WSWS hat sich hier dazu geäußert.)

Zirins Kommentar war ein Vorgeschmack auf die ekelhafte Eulogie, die Reverend Al Sharpton bei Michael Browns Beerdigung hielt. Sharpton, der eng mit der Obama-Regierung zusammenarbeitet, verbrachte einen Großteil seiner Rede damit, die Einwohner von Ferguson dafür zu rügen, sich gewalttätig zu verhalten und "Unruhe zu verbreiten." Er verurteilte afroamerikanische Arbeiter, die nicht den "Erfolg" reicher Schwarzer wie ihm feiern, und stattdessen "in ihrem Ghetto sitzen und sich selbst bemitleiden."

Sharptons Rede verdeutlichte die immense soziale Kluft zwischen der offiziellen Führung der "Bürgerrechtsbewegung" und der großen Mehrheit der afroamerikanischen Bevölkerung. Immer mehr Arbeiter und Jugendliche, auch Afroamerikaner, haben für Figuren wie Sharpton und Jesse Jackson nur noch wohlverdiente Verachtung übrig. Das geht einher mit einer breiten Desillusionierung mit dem gesamten politischen Establishment und schließt auch Obama als ersten afroamerikanischen Präsidenten mit ein.

Die Diskreditierung von Scharlatanen wie Sharpton und der Identitätspolitik, die sie verbreiten, ist ein wichtiger Aspekt des Anwachsens von politischen Bewusstseins: immer mehr Arbeiter beginnen zu erkennen, dass die Wurzeln der Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, im bestehenden wirtschaftlichen und politischen System liegen.

Die ISO reagiert auf diese Entwicklungen, indem sie eine Politik fordert, die noch mehr auf Hautfarbe basiert; dies fasst sie in der Forderung zusammen, führende afroamerikanische Persönlichkeiten sollten eine "schwarze Agenda" haben.

Besonders bemerkenswert sind die jüngsten Kolumnen von Zirin und ISO-Mitglied Keeanga Yamahtta Taylor, die regelmäßig für den Socialist Worker schreibt und auf Identitätspolitik spezialisiert ist.

Zirin schrieb nach seinem ersten vernichtenden Urteil über Abdul-Jabbar einen noch rassistischeren Artikel. "Das weiße Amerika erlebt keine Armut, Polizeigewalt oder institutionalisierten Rassismus, weder in Ferguson noch sonst wo“, beklagte er sich am 28. August unter der Überschrift "Stellen wir uns den Tatsachen über Ferguson". "Wenn die weiße Mehrheit nachts schlafen kann, weil sie glaubt, Michael Brown sei aufgrund seiner individuellen Entscheidungen gestorben, müssen sie sich nicht mit dem Rassismus als einem lebenden, atmenden Virus auseinandersetzen, der bekämpft, in Quarantäne gesteckt und zerstört werden muss."

In seinen Verleumdungen gegen das "weiße Amerika," eine Einteilung, die außer der ISO noch der Ku Klux Klan und andere weiße rassistische Organisationen verwenden, kommt eine Politik zum Vorschein, deren Logik auf blutige spalterische und nationalistische Konflikte hinausläuft, wie man sie aufgrund des Fehlens einer revolutionären sozialistischen Führung zunehmend im Nahen Osten, in Afrika und Asien erleben kann.

Zirins Behauptung, den weißen Arbeitern wäre Polizeigewalt gleichgültig, wird dadurch widerlegt, dass die Mehrheit der Opfer von Polizeimorden in Amerika weiß ist.

In dem Artikel "Was spaltet das schwarze Amerika?" vom 27. August beklagt Keeanga-Yamahtta Taylor die "veralteten Einstellungen und politischen Ziele schwarzer politischer Führer" wie Sharpton. Taylor beklagt, dass Obama, Sharpton, etc. die "die Hautfarbe überwindende", "farbenblinde" Perspektive akzeptiert haben, und dass ihnen… eine "ausdrücklich schwarze Agenda" fehle.

Was ist diese "ausdrücklich schwarze Agenda?" Sie hat eindeutig nichts mit Sozialismus zu tun. Die ISO vermeidet es in ihren Artikeln über Ferguson sorgfältig, zum Widerstand gegen das kapitalistische System aufzurufen. Sie fordert nur beschränkte reformistische Maßnahmen, die von der Demokratischen Partei umgesetzt werden sollen, die in dieser Richtung unter Druck gesetzt werden müsse.

Taylor äußert sich nicht über den konkreten Inhalt der von ihr gewünschten "schwarzen Agenda". Da sie diese jedoch als Kritik an Befürwortern der bestehenden, auf Hautfarbe und Geschlecht basierenden Politik von "Affirmative Action" wie Sharpton, Jackson und Obama fordert, dürfte es sich dabei um etwas noch rassistischeres handeln. Man kann nur mutmaßen, dass sie eine Politik fordert, die Weiße offen als rassistische Feinde der Schwarzen darstellt.

In ihrem Artikel kritisiert sie Sharpton, weil er sich in seiner Gedenkrede für Michael Brown abfällig über afroamerikanische Einwohner von Ferguson äußert. Was, wenn er stattdessen dem "weißen Amerika" die Schuld an Browns Ermordung gegeben hätte? Hätte das besser zu ihrer "schwarzen Agenda" gepasst?

Das alles ist vereinbar mit weiterer Unterstützung für die Demokratische Partei. Taylor macht ein paar kritische Eingeständnisse über Sharpton und die Demokratische Partei. Sie gibt zu, dass die Demokratische Partei "in vielen amerikanischen Städten die Privatisierung öffentlicher Leistungen und die andauernden Angriffe auf Staatsausgaben anführt."

Diese Kritik ist jedoch nur von taktischem Charakter, geäußert vom Standpunkt einer Beraterin der Demokraten, nicht von dem einer prinzipientreuen Gegnerin. Taylor zitiert den Kommentar des Demokratischen Abgeordneten Elijah Cummings aus Maryland, der außerdem Vorsitzender des Congressional Black Caucus ist und erklärte, die Wahl 2014 sei "sehr, sehr wichtig." Taylor antwortet: "Wählen ist nicht unwichtig, aber die Vorstellung, dass wir die Krise, die in Ferguson ausgebrochen ist, und die in jeder anderen amerikanischen Stadt auszubrechen droht, durch eine Wahl abwenden können, ist entweder naiv oder fadenscheinig." (Hervorhebung hinzugefügt).

Taylor meint natürlich, es ist "nicht unwichtig“, die Demokraten zu wählen. Allerdings sei mehr notwendig, um einen Ausweg aus der "Krise zu finden, die in Ferguson ausgebrochen ist, und die in jeder anderen amerikanischen Stadt auszubrechen droht" - das heißt, es ist mehr notwendig, um den Ausbruch von Klassenkonflikten in den USA zu unterdrücken. Das ist das eigentliche Ziel des "schwarzen Agenda": die Ablenkung der Klassenwut auf Rassenfragen, um so das kapitalistische System zu retten.

Die ISO ist ein Anhängsel der Demokraten. Sie begrüßte Obamas Wahlsieg 2008 wegen seiner Hautfarbe als "Kandidaten des Wandels." Taylor erklärte Obamas Präsidentschaft im Jahr 2009 in einem Artikel zum Beginn einer neuen Ära und einem "willkommenen Wandel." Was Sharpton, Jackson und den Rest der "schwarzen Führung" angeht, so hat die ISO mit ihnen, als Teil der Demokratischen Partei und ihrer Peripherie eng zusammengearbeitet.

Die arbeiterfeindliche Politik der ISO beruht auf der privilegierten Klassenposition derjenigen, die sie vertritt: eine Schicht von Akademikern, Gewerkschaftsbürokraten und wirtschaftlichen und finanziellen Profiteuren der Politik der "Affirmative Action." Sie beraten Personen wie Sharpton und Jackson in der Frage, wie es sich verhindern lässt, dass die Arbeiterklasse mit den Demokraten bricht. Im Gegenzug unterstützen diese diverse Lifstyle- und Identitätsthemen, die in der oberen Schicht des Kleinbürgertums populär sind.

An der amerikanischen Arbeiterklasse ist die Erfahrung mit der Identitätspolitik der letzten 40 Jahre jedoch nichts spurlos vorübergezogen. Vor allem die Erfahrungen mit der Obama-Regierung wird sie nicht so schnell vergessen.

Die Arbeiter in den USA - Weiße, Schwarze, Asiaten, Latinos, Ureinwohner oder Einwanderer - und die Arbeiter der ganzen Welt haben eine gemeinsame Bindung, die stärker und objektiver ist als die ethnischen und nationalen Fragen, mit denen man sie spalten will. Sie sind Teil der gleichen sozialen Klasse, deren grundlegende Interessen nur durch einen gemeinsamen Kampf für den Sozialismus und gegen das kapitalistische System und alle seine politischen Vertreter und pseudolinken Unterstützer verteidigt werden können.

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