Kolumne der New York Times fordert Abschaffung der amerikanischen Halbzeitwahl

Am Montag, einen Tag vor der Halbzeitwahl, erschien in der New York Times eine Kolumne, die die zutiefst undemokratische Perspektive entlarvt, die in der amerikanischen herrschenden Klasse vorherrscht. Die Kolumne mit dem Titel "schafft die Halbzeitwahl ab" argumentiert, in Jahren, in denen keine Präsidentschaftswahl stattfindet sollte auch keine landesweite Wahl zum Repräsentantenhaus und dem Senat mehr stattfinden.

Die Autoren, David Schanzer, Professor für Öffentlichkeitspolitik an der Duke University in North Carolina, und Jay Sullivan, ein Student der Duke University, schlagen vor, die Halbzeitwahl durch eine Verfassungsänderung abzuschaffen, durch die die Amtszeit von Abgeordneten von zwei auf vier Jahre verlängert und die Amtszeit von US-Senatoren von sechs auf vier Jahre verkürzt würde. Daher würden die landesweiten Wahlen statt alle zwei alle vier Jahre stattfinden.

Schanzer ist nicht irgendein Hochschulprofessor. Seine Berufslaufbahn umfasst zwei Jahre (von 2003 - 2005) als Stabschef der Demokraten im Ausschuss für Heimatschutz des Repräsentantenhauses, eine kurze Zeit als Legislativdirektor für die Demokratische Senatorin Jean Carnaham von 2001-2002, zwei Jahre (1996-1998) als Berater des damaligen Senators und heutigen Vizepräsidenten Joseph Biden und zwei Jahre (1994-1996) als Berater des Republikanischen Senators William Cohen, der später unter Bill Clinton Verteidigungsminister wurde. Ein Posten als Sonderberater im Pentagon (1998-2001) und zwei Jahre als Staatsanwalt im Justizministerium gehören ebenfalls zu seinen Positionen in der Exekutive der USA.

Derzeit ist er nicht nur fest angestellter Professor der Duke University und Gastprofessor der University of North Carolina in Chapel Hill, sondern auch Direktor des Triangle-Center on Terrorism and Homeland Security (Direktor für Strategie und Perspektive am Institute of Homeland Security Solutions), was er in seiner Internetbiografie als "Forschungskonsortium zwischen Duke, UNC Chapel Hill und RTI International" beschreibt, das sich auf "angewandte Sozialwissenschaft zur Stärkung der nationalen Sicherheit und des Heimatschutzes" konzentriert.

Schanzer vertritt den nationalen Sicherheitsflügel der Demokraten und wurde auf die höchsten Ebenen des Militär- und Geheimdienstapparates befördert. Er betreibt auch einen Blog auf der liberal-demokratischen Webseite Huffington Post. Seine antidemokratischen Ansichten zeigen, dass eine größere Schicht des begüterten Kleinbürgertums in und um die Demokratische Partei sich auf dem Weg ins Lager der Reaktion befindet.

Die Argumente die Schanzer anführt, sind weder originell noch neu. Derartige Argumente werden seit mehr als einem Jahrhundert von rechten, autoritären Gegnern der parlamentarischen Demokratie vorgebracht. Sie lassen sich in der Behauptung zusammenfassen, die Halbzeitwahl würde die Macht des Staatsoberhauptes, d.h. des Präsidenten, stören und schwächen, und sei außerdem noch teuer. Er beschränkt sich zwar auf Kritik an der Halbzeitwahl, allerdings könnte er mit der gleichen Argumentation auch fordern, Wahlen an sich abzuschaffen.

Die Kolumne beginnt mit der Klage, die Wahl am Donnerstag werde "fast sicher weitere Spaltungen zwischen den Parteien schüren, den politischen Stillstand verstärken und das Regieren unserer komplexen Nation noch schwieriger machen." Hier wiederholen die Autoren den offiziellen Mythos, das amerikanische politische System leide an hemmungslosen Auseinandersetzungen zwischen den Demokraten und den Republikanern. Hinter der sorgfältig aufrecht erhaltenen Fassade des "Stillstandes" arbeiten die beiden Parteien jedoch gemeinsam daran, den Kriegs- und Sparkurs der herrschenden Klasse umzusetzen und demokratische Rechte auszuhöhlen.

Um sein Argument zu stützen, erwähnt Schanzer die hohe Wahlenthaltung und die Rolle von "undurchsichtigen 'Super-PACs [politischen Aktionskomitees],'" die "über eine Milliarde Dollar ausgegeben haben, um mehr als zwei Millionen Werbespots zur Beeinflussung der Wahl zu senden ". Weiter erklärt er, die Mitglieder des Repräsentantenhauses hätten "im Wahljahr bis zu 70 Prozent ihrer Zeit damit verbracht, Geld aufzutreiben."

Er schlägt keineswegs vor, die Bestechung durch Wahlkampfspenden der Wirtschaft zu verbieten. Auch geht es ihm nicht darum zu zeigen, dass die Herrschaft der Finanzaristokratie über das politische System etwas mit der Wut der Bevölkerung zu tun haben könnte. Stattdessen erklärt er, die Bevölkerung solle noch weniger Gelegenheit haben, ihren Willen auszudrücken.

Zwar räumt er ein, dass Wahlen zum Repräsentantenhaus alle zwei Jahre sinnvoll gewesen seien, als die Gründungsväter sie in der amerikanischen Verfassung festschrieben, erklärt aber, die Entstehung von sozialen Netzwerken, dem Internet und ganztägig aktiven Nachrichtensendern habe die Halbzeitwahl unnötig gemacht, weil "wir nicht alle zwei Jahre eine Wahl brauchen, um den gewählten Volksvertretern die Wünsche der Wähler klarzumachen."

Mit anderen Worten, das Problem mit dem amerikanischen politischen System sei nur, dass die Ansichten und Wünsche der Menschen nicht bis zu den Politikern durchdringen. Und das in einem Land, in dem eine Umfrage nach der anderen zeigt, dass die Bevölkerung Krieg, Austerität und staatliche Überwachung mit großer Mehrheit ablehnt, dies aber keine Auswirkungen auf die Politik hat, weder auf die der Regierung noch die der beiden Parteien des Großkapitals! Auf den Wahlsieg Obamas, den er durch seine Versprechen errungen hatte, Kriege im Ausland zu beenden und die unsoziale und undemokratische Innenpolitik Bushs rückgängig zu machen, folgte eine Fortsetzung und Verschärfung der gleichen Politik.

Die revolutionären Denker und Politiker, die die amerikanische Republik gegründet haben, haben sehr bewusst darauf bestanden, dass die Wahlen zum Repräsentantenhaus, das sie für das demokratischste Organ der Regierung hielten, und von dem sie hofften, dass seine Abhängigkeit vom Willen der Bevölkerung es zum Bollwerk gegen Despotismus des Präsidenten machen würde, alle zwei Jahre stattfinden. James Madison schrieb in Artikel Nummer 52 der Federalist Papers über das Repräsentantenhaus:

"Da es für die Freiheit unabdinglich ist, dass die Regierung allgemein die gleichen Interessen haben sollte wie die Bevölkerung, ist es besonders wichtig, dass der Arm unter ihr unmittelbar vom Volk abhängig ist und seine enge Sympathie genießt. Häufige Wahlen sind zweifelsohne die einzige Politik, mit der diese Abhängigkeit und Sympathie effektiv gesichert werden kann."

Schanzer will das Gegenteil davon. Zum Kern seines Arguments kommend, schreibt er: "Die wichtigste Folge der Halbzeitwahl in der modernen Zeit ist es, den Präsidenten zu schwächen... weniger als zwei Jahre nach seiner Amtseinführung hindert die Halbzeitwahl den Präsidenten daran, seine Agenda durchzusetzen."

Der Antiterror- und Heimatschutzexperte Schanzer will eine imperiale Präsidentschaft, die bei der Durchsetzung ihrer Agenda nicht durch teure Ablenkungen wie beispielsweise Kongresswahlen gestört wird. Der Charakter der Agenda, die Schanzer unterstützt, zeigt sich in seiner Behauptung, diese Verfassungsänderung würde dem Kongress auch "die Möglichkeit geben, langfristige Herausforderungen zu überdenken, vor denen die Nation steht – wie Sozialausgaben..."

Wenn nicht alle zwei Jahre Wahlen stattfänden, könnten der Präsident und der Kongress sich daran machen, Social Security, Medicare und Medicaid auszuschlachten – Programme, die viele Millionen Arbeiter vor der Armut bewahren. Die herrschende Klasse Amerikas braucht einen starken, autoritären Staat, um ihre soziale Konterrevolution gegen den Widerstand der Arbeiterklasse durchzusetzen. Das ist der wahre Inhalt von Schanzers "bescheidenem Vorschlag."

Schanzer hatte schon in früheren Schriften seine Verachtung für demokratische Rechte geäußert. Am 16. Mai 2013 verteidigte er in einem Blogeintrag auf der Huffington Post die Obama-Regierung wegen ihrer Beschlagnahmung der Telefondaten von Associated Press-Reportern. In dem Eintrag mit dem Titel "Nicht vergessen: wer vertrauliche Informationen veröffentlicht, ist ein Verbrecher" verurteilte er "unverantwortliche Medien“, die es der Regierung nicht erlauben, ihre Artikel zu zensieren. Auch "Pseudojournalisten und Medienvoyeure wie Julian Assange" verortet er in dieser Kategorie.

Er klagte, während die Medien vertrauliche Quellen für Regierungsgeheimnisse als "Whistleblower" bezeichnen, "gibt es für diese Individuen ein anderes Wort: Verbrecher“, und nannte als Beispiel Bradley Manning.

Wer die Medien beobachtet, dürfte nicht überrascht sein, dass die New York Times solch reaktionären Schund veröffentlicht. Die Times hat, genau wie das gesamte politische und mediale Establishment, den Aufbau der Infrastruktur eines Polizeistaates in den USA unterstützt. Von der massiven Überwachung der Bevölkerung durch die Regierung bis hin zu den Militär- und Polizeiaktionen in Boston im Jahr 2013 und in Ferguson, Missouri im August dieses Jahres haben die offiziellen Medien ihr Bestes gegeben, um die Vorbereitungen für eine Diktatur möglichst zu verbergen und zu rechtfertigen, wenn sie sich nicht mehr verbergen ließen.

Hinter der Auflösung der amerikanischen Demokratie und der Ausbreitung faschistischer Ansichten innerhalb der Wirtschaftselite und des Staats steckt das immense Anwachsen sozialer Ungleichheit. Wahlen in den USA sind zu zunehmend leeren und undemokratischen Ritualen geworden, da Amerika eine Plutokratie ist und beide Parteien ihr dienen.

Die Formen der politischen Herrschaft gleichen immer offener der sozialen und wirtschaftlichen Realität. Kolumnen wie die von Schanzer sollten der Arbeiterklasse eine ernste Warnung sein. Die demokratischen Rechte werden in großem Stil angegriffen. Sie können nur durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse und im Widerstand gegen das ganze politische Establishment und das kapitalistische System, dem es dient, verteidigt werden.

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