Perspektive

Zum Folterreport der CIA:

Die USA und ihr Legitimitätsproblem

Die bevorstehende Veröffentlichung eines längst überfälligen Untersuchungsberichts des Senats zum Folterprogramm der Central Intelligence Agency hat die Obama-Regierung in eine tiefe Krise geworfen. Die herrschende Klasse sorgt sich um das Image des amerikanischen Staates, denn die ständige Ausweitung des Unterdrückungsapparats – von der CIA über die NSA bis zu den örtlichen Polizeikräften – wird immer deutlicher als illegitim betrachtet. Nun fürchtet man die internationalen und innenpolitischen Folgen der Veröffentlichung eines Berichts, der systematisches kriminelles Verhalten auf höchster Ebene entlarvt.

Am Freitag wurde bekannt, dass Außenminister John Kerry den höchst außergewöhnlichen Schritt unternahm, die Demokratische Senatorin Dianne Feinstein direkt zu kontaktieren und sie dringend aufzufordern, „in Erwägung zu ziehen“, die Veröffentlichung des Berichts noch weiter hinauszuschieben. Feinstein, eine Senatorin aus Kalifornien, ist Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats, dem die Erstellung des Berichts oblag. Wie Jen Psaki, die Sprecherin des Außenministeriums, erklärte, habe Kerry die Initative ergriffen, „weil in der Welt viel los sei und er sicher sein wolle, dass die Folgen für die Außenpolitik in der Frage des Timings angemessen berücksichtigt werden“.

Die Problematik für die imperialistische Außenpolitik der USA ist offensichtlich. Die Regierung der Vereinigten Staaten nimmt sich das Recht heraus, jedes Land der Welt im Namen der Verteidigung der „Menschenrechte“ zu überfallen, zu bombardieren und „Menschenrechtsinterventionen“ und „Regimewechsel“ durchzuführen. Derweil sind hohe militärische, zivile und geheimdienstliche Beamte desselben Landes in die gröbsten Menschenrechtsverletzungen verwickelt und haben sich zusätzlich an der Verschwörung beteiligt, diese Verbrechen zu vertuschen. Und niemand wird zur Verantwortung gezogen.

Genauso besorgniserregend sind für die herrschende Klasse allerdings die innenpolitischen Konsequenzen des Berichts. Der Staatsapparat, der in den Augen der großen Mehrheit der Bevölkerung jetzt schon ein sehr schlecht dasteht, würde noch stärker entlarvt.

Was die Folter-Bilanz der CIA und die Untersuchungen darüber betrifft, so ist es Aneinanderreihung immer neuer Verbrechen. Das CIA-Folterprogramm begann 2002. Höchste Beamte der Bush-Regierung waren direkt darin verwickelt. Es war offenbar noch brutaler als bisher schon zugegeben. „Das war richtige Folter“, sagte eine vertrauliche Quelle dem Telegraph Anfang des Jahres. Sie nannte die Methoden „mittelalterlich“. Selbstverständlich ist Folter illegal und verstößt gegen internationales Recht und gegen die amerikanische Verfassung.

Aber der Senatsbericht befasst sich nicht nur mit der Folter selbst. Er dokumentiert auch die systematischen und kriminellen Bemühungen der CIA in den folgenden Jahren, das Programm zu verschleiern. Im November 2005 zerstörte die CIA zum Beispiel Videobänder, die sie von Foltersitzungen in einem geheimen „schwarzen Loch“ in Thailand angefertigt hatte. (Entsprechend ihrer Doktrin, „nach vorne zu schauen, nicht nach hinten“, lehnte es die Obama-Regierung ab, die CIA-Mitarbeiter, die an der Zerstörung dieser wichtigen Beweisstücke beteiligt waren, zur Rechenschaft zu ziehen.)

Die Untersuchung des Senatsausschusses begann 2009 und wurde im Dezember 2012 beendet. Kerrys Telefonat ist nur der jüngste Schritt in einer ganzen Reihe von Versuchen der Obama-Regierung und der CIA, die Veröffentlichung des Berichts zu sabotieren. Anfang des Jahres enthüllte Feinstein, dass die CIA sich in die Computer der Mitarbeiter des Senatsausschusses gehackt und versucht hatte, Beweise für Verbrechen der CIA zu löschen. Anschließend löschte die CIA weitere Dateien, um Beweise eines elektronischen Einbruchs in die Untersuchungsdokumente der Kongressaufsicht zu vernichten.

Möglicherweise hofft die Obama-Regierung, die Freigabe des Berichts so lange hinauszuzögern, bis die Republikanische Partei im Kongress das Sagen hat, weil es dann leichter wäre, die Sache völlig zu begraben. Aber unabhängig davon beabsichtigt der Senatsausschuss sowieso nicht, die ganzen 6.200 Seiten des Berichts zu veröffentlichen, sondern lediglich eine etwa 500 Seiten kurze „Zusammenfassung“. Der CIA wurde erlaubt, Passagen zu schwärze, und das soll nach Medienberichten circa fünfzehn Prozent des Textes betreffen.

Auch wenn Feinstein sich immer wieder als Kritikerin des CIA-Programms geriert, so sind sie und die übrigen Demokraten im Kongress genauso Komplizen des Programms wie die Republikaner. In einer Meinungskolumne in der Washington Post vom Freitag wies Jose A. Rodriguez Jr., der CIA-Mitarbeiter, der 2005 für die Vernichtung der Folter-Videos verantwortlich war, darauf hin, dass „Führer der Geheimdienstausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus beider Parteien von 2002 bis 2009 mehr als vierzig Mal über das Programm auf dem Laufenden gehalten wurden“. Rodriguez fügte hinzu: „Die Abgeordnete Nancy Pelosi (Demokratin aus Kalifornien) versuchte zu leugnen, dass ihr 2002 mitgeteilt wurde, Häftlinge seien dem Waterboarding unterzogen worden. Das ist schlicht nicht wahr. Ich war selbst dabei, als sie informiert wurde.“

Bei allen taktischen Differenzen, die zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse existieren mögen, weisen die Schärfe der gegenseitigen Anwürfe und Kerrys ungewöhnlicher Anruf darauf hin, dass sich hinter den Kulissen eine panische Stimmung ausbreitet. International und innenpolitisch sind die Mythen des amerikanischen Staates in den Augen von Millionen nicht mehr haltbar.

Es gibt eine enge Beziehung zwischen krimineller Politik im Ausland und im Inland. Der so genannte „Krieg gegen den Terror“ und militärische Aggression im Ausland sind mit der Unterdrückung innerhalb der Vereinigten Staaten eng verknüpft. Die WSWS hat darauf hingewiesen, dass der Aufbau der Infrastruktur eines Polizeistaats durch die amerikanische herrschende Klasse die Vorbereitung auf die unvermeidliche Konfrontation mit der Arbeiterklasse ist. Das ist der Hintergrund der beispiellosen Ausspähung der eigenen Bevölkerung, des Angriffs auf demokratische Rechte, der Missachtung von Legalität und Verfassung durch die CIA, der Militärisierung der Polizei und die ununterbrochenen Angriffe der Polizei auf Arbeiterjugendliche.

Während hinter den Kulissen der Konflikt über den CIA-Folterbericht schwelt, wird das ganze Land seit Wochen von Protesten erschüttert, die sich gegen zahlreiche Fälle richten, bei denen Polizisten für schwere Verbrechen nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Das betrifft besonders die Polizeimorde an Eric Garner in New York und an Michael Brown in Ferguson, Missouri. Die Arbeiterklasse beginnt, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.

Sowenig hohe Staatsbeamte Konsequenzen zu fürchten haben, wenn sie im Ausland Folter und Mord begehen, sowenig müssen einfache Polizisten Konsequenzen befürchten, die im Inland Morde begehen. Und natürlich brauchen auch Finanzaristokraten sich nicht vor den Folgen zu fürchten, wenn sie durch illegale und spekulative Investments 2008 die gesamte Wirtschaft in Grund und Boden gefahren haben. Gleichzeitig halten Kriegsverbrecher noch immer hohe Posten in der Regierung, Killer-Cops gehen in bezahlten Urlaub oder in eine komfortable Rente, und Milliarden schwere Finanzkriminelle werden mit kostenlosem Geld aus den öffentlichen Bailouts gestopft.

Es entsteht das Bild eines politischen und sozialen Systems, das im Wesentlichen einer kriminellen Verschwörung gleichkommt, deren Ziel darin besteht, die Bevölkerung einzuschüchtern und auszuplündern. Ob Demokraten, Republikaner oder weitere politische Hilfstruppen der herrschenden Klasse – alle sind beteiligt. Unter diesen Bedingungen ist die „Wiederherstellung der Legitimation“ für herrschende Kreise von allerhöchster Bedeutung. Am Donnerstag mobilisierte Obama eine heftige Dosis Identitätspolitik, um die grundlegenden Klassenfragen zu verdecken. Er sprach über die „Stärkung des Bandes“ zwischen den „Ordnungshütern“ und den „Minderheiten“ im Land und über „die Wiederherstellung gleicher Werte“.

Er sagte: „Ich bin als Präsident der Vereinigten Staaten absolut entschlossen, sicherzustellen, dass in unserem Land jedermann daran glaubt, dass wir alle vor dem Gesetz gleich sind.“ Er betonte, die Polizei könne „ihre Aufgabe nur dann effektiv erfüllen“, wenn „jedermann Vertrauen in das System setzt“.

Im Gegenteil: Arbeiter in den Vereinigten Staaten und weltweit müssen genau die Schlussfolgerung ziehen, vor der es Obama und dem ganzen politischen Establishment am meisten graut, nämlich dass das System das eigentliche Problem ist. So verdient auch der Versuch, diesen oder jenen kriminellen Aspekt zu “reformieren”, nicht das geringste Vertrauen, denn das gesamte gesellschaftliche System schließt gleichzeitig die Reihen, um die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung anzugreifen.

Um den Kampf dagegen aufzunehmen, muss sich die Arbeiterklasse sozialistischen Zielen zuwenden, d.h., sie muss das veraltete System des Weltkapitalismus stürzen, das die wirkliche Ursache für soziale Ungleichheit, Krieg, Gewalt und den Zerfall demokratischer Herrschaftsverhältnisse ist.

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