Vor einhundert Jahren: Zapata und Villa nehmen Mexiko-Stadt ein

Vor einhundert Jahren, am 4. Dezember 1914, kam es zu einem persönlichen Treffen zwischen Francisco “Pancho” Villa und Emiliano Zapata in Xochimilco, einem Bezirk von Mexiko-Stadt. Die beiden führten zwei Bauernarmeen an, die die Hauptstadt eingenommen hatten und bereit schienen, die Kontrolle über das gesamte Land zu übernehmen.

Zwei Tage später saßen die beiden Befehlshaber nebeneinander im Präsidentenstuhl des Nationalpalasts, nachdem sie vom Palastbalkon aus die Siegesfeier Zehntausender Soldaten verfolgt hatten, die die beiden Bauernarmeen der mexikanischen Revolution bildeten.

Die mexikanische Revolution war auf ihrem Höhepunkt angelangt. Doch nur Monate später befanden sich beide Bauernarmeen vollständig auf dem Rückzug, nachdem sie die Hauptstadt an das Militär der liberalen Bourgeoisie verloren hatten. Sechs Jahre später wurde Zapata gehängt. Villa zog sich von der Politik zurück; dennoch ließ ihn der mexikanische Staat 1923 ermorden.

Die revolutionäre Massenerhebung, die Mexiko vor einem Jahrhundert erfasste, ist in den gesellschaftlichen Beziehungen in Mexiko immer noch sehr präsent. Die Arbeiter, Jugendlichen und unterdrückten Massen Mexikos erinnern sich der Revolution als eines Aufstands der Massen gegen ein brutales Regime, das an der Spitze einer zutiefst ungleichen Gesellschaft stand, in welcher die sozialen und demokratischen Rechte der Bevölkerung immer wieder mit Füßen getreten wurden.

Heute stehen dieselben Missstände in der Kritik, die vor einhundert Jahren dem despotischen Regime von Porfirio Diaz angelastet wurden. Wie schon 1914, so dominieren auch 2014 weitverbreitete Armut, wachsende soziale Ungleichheit und ständige staatliche Gewalt sämtliche Aspekte des kulturellen und politischen Lebens in Mexiko.

Das Verschwinden von 43 angehenden Lehrern (Normalistas) im südlichen Bundesstaat Guerrero, für das die Polizei die Verantwortung trägt, die dabei mit einer Drogenbande zusammengearbeitet und auf Anweisung der Regierung Guerreros gehandelt hat, hat den Charakter des gesamten mexikanischen politischen Establishments sowie die enorme soziale Ungleichheit enthüllt, für die es verantwortlich ist.

Proteste gegen das Verschwinden der 43 Lehramtsstudenten am 1. Dezember

Die Bevölkerung lastet allen bürgerlichen Parteien Mexikos die Verantwortung für das Massaker an den Normalistas an, auch der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) von Präsident Enrique Peña Nieto, der rechten oppositionellen Nationalen Aktionspartei (PAN) und der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), die, obwohl sie zu den linken Parteien gezählt wird, direkt mit dem Auftrag zur Entführung zu tun hat. Auch die neue Bewegung für Nationale Erneuerung (MORENA) des ehemaligen PRD-Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador ist nicht unschuldig an dem Massaker. Tatsächlich gibt es Fotos, die belegen, dass López Obrador den Bürgermeister von Iguala, der der PRD angehört und die Verschleppungen befohlen hatte, persönlich kennt.

Die massive Empörung, die das Massaker an den Normalistas bei mexikanischen Arbeitern und Jugendlichen ausgelöst hat, zeigt, dass die objektiven Bedingungen für eine erneute soziale Explosion herangereift sind. Vieles deutet darauf hin, dass Mexiko bald wieder eine Revolution bevorsteht.

Das Erbe der mexikanischen Revolution durchdringt alle Aspekte des politischen Lebens Mexikos. Daher können die mexikanischen Arbeiter ihren Kampf für soziale Gleichheit und demokratische Rechte nur gewinnen, wenn sie die gesellschaftlichen Kräfte verstehen, deren politische und militärische Konfrontationen in Erfolge wie Misserfolge der Revolution mündeten.

Die jüngste Entscheidung des mexikanischen Präsidenten Peña Nieto, die Staatsfeierlichkeiten zum 20. November abzusagen - der Tag, der offiziell den Beginn der Revolution im Jahr 1910 markiert -, unterstreicht, wie wichtig es ist, die politischen Lehren aus der mexikanischen Revolution zu klären.

Nietos Entscheidung zum Trotz strömten Hunderttausende Arbeiter und Jugendliche auf den Zocalo-Platz in Mexiko-Stadt. Sie feierten die Revolution und stellten das politische Establishment für das Massaker an den 43 Normalistas an den Pranger. Die Eltern eines verschwundenen Studenten sagten zu der versammelten Menge: „Heute, am 20. November, begehen wir den 104. Jahrestag des Beginns der mexikanischen Revolution. Wenn man uns davon abhalten will, dann deshalb, weil die regierende Klasse unsere Verfassung zu ihrem eigenen Nutzen und zur Rechtfertigung ihres Handelns verstümmelt hat.“

Für die mexikanische Bourgeoisie, die heute an der Spitze einer der ungleichsten und verarmtesten Gesellschaften der Welt steht, ist das Erbe der Revolution ein Ärgernis, und die Erinnerung daran rührt an alte Wunden. Die Zugeständnisse, die die Bourgeoisie nach einem Jahrzehnt revolutionärer Kämpfe gemacht hatte, werden seit Jahrzehnten ausgehöhlt. Dieser Prozess nahm an seinem Beginn in den 1980er Jahren unter Präsident Miguel de la Madrid, besonders intensive Formen an. Die Errungenschaften der Revolution werden heute immer mehr beschnitten: Rechte Reformen greifen das Bildungssystem an, und die staatliche Ölgesellschaft PEMEX soll privatisiert werden.

Trotz der Zugeständnisse, die die mexikanischen Massen in mehr als einem Jahrzehnt Bürgerkrieg errangen, wurden die Hoffnungen der Arbeiter und Bauern, die Gleichheit und Land anstrebten, von den bürgerlichen Konstitutionalisten, die während der Revolution die Zügel der Macht in der Hand behalten konnten, niemals erfüllt. Obwohl sie Massen in Bewegung setzte, war die mexikanische Revolution eine bürgerliche Revolution, die die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse nach dem Bürgerkrieg unangetastet ließ.

Die Niederlagen, die die Armeen von Pancho Villa und Emiliano Zapata im Anschluss an das Treffen in Xochimilco vom Dezember 1914 einstecken mussten, sowie die Unfähigkeit der Arbeiterklasse, in der Revolution als unabhängige politische Kraft aufzutreten, müssen sorgfältig untersucht werden. Dabei dürfen einzelne Individuen, wie mutig sie auch gewesen sein mögen, nicht zu Idolen erhoben werden.

Der Imperialismus und der Sturz des Porfiriats

Das Jahr 1914 bezeichnete einen Wendepunkt der Weltgeschichte. Ab Mitte des Jahres konnten die Spannungen, die sich in Jahrzehnten rasanter kapitalistischer Entwicklung aufgestaut hatten, durch die politische Form des Nationalstaates nicht länger im Zaum gehalten werden.

Die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 setzte eine Folge von Ereignissen in Gang, die in den vierjährigen imperialistischen Krieg mündeten. Zu dem Zeitpunkt, als Zapata und Villa in Xochimilco ihr Treffen abhielten, hatte der Weltkrieg bereits Millionen Opfer gefordert und die Zahl stieg stetig an.

Als der Krieg die andere Seite des Atlantiks erreichte, führten dieselben Widersprüche in der Weltwirtschaft, die zum bewaffneten Konflikt zwischen den imperialistischen Mächte geführt hatten, zum explosiven Ausbruch der sozialen Spannungen in Mexiko.

Die Entstehung der weitverbreiteten Opposition in Mexiko gegen das vorrevolutionäre Regime des Autokraten Porfirio Diaz war untrennbar verbunden mit der feindseligen Haltung der Bevölkerung gegen die Ausbeutung der mexikanischen Wirtschaft durch den amerikanischen, britischen und französischen Imperialismus und deren Kontrolle über die Politik der Regierung.

Porfirio Diaz

Die Amtszeit der Regierung Diaz (auch als “Porfiriat” bezeichnet) war vor allem gekennzeichnet durch die Aufteilung der Reichtümer des Landes durch ausländische Kapitalisten und das damit einhergehende antidemokratische politische Klima. Die bescheidene Entwicklung der Industrie, die in diesem Zeitraum parallel zum Strukturwandel in der Landwirtschaft stattfand, ließ die Arbeiterklasse in beträchtlichem Maße anwachsen.

Die Vereinigten Staaten, die sich im Krieg von 1848 die Hälfte des Territoriums von Mexiko aneigneten, beherrschten die mexikanische Bergbau- und Eisenbahnindustrie. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Ländern stieg von sieben Millionen Dollar im Jahr 1860 auf 246 Millionen Dollar im Jahr 1910.

Mittels großzügiger Subventionen des Porfiriats konnten amerikanische Eisenbahnmagnaten, Industrielle und Finanziers ein Eisenbahnnetz im gesamten Land aufbauen, das sich im Jahr 1908 über 23.000 Kilometer erstreckte. Im Jahr 1880 waren es nur 1.500 Kilometer gewesen. Die von den USA gebauten Eisenbahnlinien verbanden die Bergwerke und Anbaugebiete tropischer Früchte, die für den Export bestimmt waren, mit den großen Handelszentren, aber sie waren nicht dafür ausgelegt, Lebensmittel von den Landwirtschaftszonen zu den heimischen Märkten zu transportieren.

Mexikanische Arbeiter bauen eine Eisenbahn

Amerikanische Kapitalisten spielten auch im mexikanischen Bergbau die führende Rolle. 1904 kontrollierten sie 81 Prozent des Bergbaukapitals. Das Porfiriat arbeitete gemeinsam mit den ausländischen Kapitalisten an einer kapitalfreundlichen Gesetzgebung, die den Eigentümern „das unanfechtbare Recht auf alle neu entdeckten unterirdischen Lagerstätten“ übertrug.

Im Jahr 1908 war das mexikanische Kapital zu 80 Prozent in ausländischer Hand. Frankreich, das in Mexiko einmarschiert war und das Land von 1861 bis 1867 militärisch besetzt gehalten hatte, nachdem Präsident Benito Juarez von der Liberalen Mexikanischen Partei Zinszahlungen an das Ausland eingestellt hatte, dominierte dem mexikanischen Finanzsektor. Kurz nach der Jahrhundertwende übten französische Kapitalisten die Kontrolle über die drei größten Banken aus und konzentrierten 45,7 Prozent des Kapitals der 52 größten Finanzinstitutionen in ihren Händen.

Um die aufstrebende Ölindustrie entbrannte ein heftiger Konkurrenzkampf zwischen amerikanischen und britischen Kapitalisten. Als das zwanzigste Jahrhundert begann, waren 290 Unternehmen aktiv an der Förderung mexikanischen Rohöls beteiligt, das an ausländische Raffinerien ging. Die britische Ölausfuhr, in erster Linie betrieben von der Mexican Eagle Petroleum Company, die sich im Besitz des Ölindustriellen Weetman Pearson befand, begann die Oberhand über die amerikanischen Unternehmen zu gewinnen – in der Hauptsache Rockefellers Standard Oil, Edward Doheneys Mexican Petroleum Company und die Texas Oil Company.

Dass die Industrie sich durch ausländische Investitionen entwickelte, bedeutete, dass nur wenige der Fortschritte, die durch die Modernisierung der mexikanischen Wirtschaft erzielt wurden, dem sozialen Fortschritt der Mehrheit der Bevölkerung zugutekamen. Das Gros der Infrastruktur und industriellen Produktion diente dem Export. Die Umstellung auf exportorientierten Anbau ließ die Produktion von Grundnahrungsmitteln 1910 auf ein Niveau sinken, das unter dem von 1877 lag. 1910 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung kümmerliche 30 Jahre. Die Bevölkerung litt entsetzlich darunter, dass das Finanzkapital das Land immer fester in den Würgegriff nahm.

Landarbeiter auf einer für den Export produzierenden Hazienda

Doch die späte Entwicklung des Kapitalismus in Mexiko war ein widersprüchlicher Prozess. Während die ausländischen Investitionen dem Land die Ressourcen entzogen, setzte die wirtschaftliche Modernisierung einen Prozess der Proletarisierung in Gang, der der Arbeiterklasse eine starke Position im politischen und wirtschaftlichen Leben Mexikos verschaffte. Obwohl zwischen 1895 und 1910 nur 82.000 neue Arbeitsplätze direkt durch die ausländischen Industrieinvestitionen entstanden, steigerte der Zufluss von Kapital die Zahl der Arbeitsplätze in größeren Fabriken und Lagerhäusern enorm und führte so zur Entstehung der mexikanischen Arbeiterklasse.

Die Hunderttausende Bauern, die aufgrund von Umfriedungen und einer starken Erhöhung der Grundstückspreise zur Landflucht gezwungen wurden, verdingten sich in den Bergwerken, Textilfabriken und auf den Ölfeldern. Dies waren alles Industrien, die in erster Linie dem Export dienten. 1910 stellte die Arbeiterklasse sechzehn Prozent der fünfzehn Millionen Bewohner Mexikos. Ihr gehörten 100.000 Bergarbeiter, 34.000 Textilarbeiter, 44.000 Schuhfabrikarbeiter, 23.000 Töpfer, 23.000 Teppichweber, 18.000 Hutmacher und Zehntausende Eisenbahnarbeiter an.

Fabrikarbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Insbesondere die Bergbau- und Eisenbahnarbeiter begannen, eine wichtige Rolle in der mexikanischen Politik zu spielen. Am Streik der Kupferminenarbeiter von 1906 in Cananea beteiligten sich mehr als 5.000 Arbeiter, und in den Jahren 1903, 1906 und 1908 brachen drei große Eisenbahnarbeiterstreiks aus, die ihren Schwerpunkt in der Stadt San Luis Potosí hatten. Zwischen 1876 und 1911 wurden insgesamt 250 Streiks gemeldet.

Hinzu kam, dass aus vielen Bauern, die auf dem Lande geblieben waren (wo vor der Jahrhundertwende 87 Prozent der Bevölkerung lebten), Landarbeiter wurden. Eine dramatische Verschiebung gegenüber den vorangegangenen Jahrzehnten fand statt: 62 Prozent der Bauern wurden jetzt als Landarbeiter klassifiziert, nicht mehr als Landbesitzer. Diese Veränderungen schufen die sozialen Bedingungen für die revolutionären Unruhen, die 1910 auf nationaler Ebene einsetzten.

Die Bauernarmeen der Revolution

Die Aufteilung der Ressourcen des Landes unter ausländische Unternehmen und die wirtschaftlichen Entwicklungen im Zuge der Ausdehnung des Transportwesens und der Industrie erschütterte die Grundlagen des ländlichen Hazienda-Feudalismus. Die sozialen Spannungen der vorrevolutionären Gesellschaft Mexikos gewannen dadurch dramatisch an Intensität.

Das wachsende Eisenbahnnetz erleichterte vor allem den Export von Waren und Rohstoffen in die Vereinigten Staaten und nach Europa, doch führte dieses Zusammenwachsen der heimischen Wirtschaft zu explodierenden Grundstückspreisen auf dem Land und trieb hunderttausende Bauern in den Ruin. Nur wenige ländliche Gemeinschaften blieben von diesen Verschiebungen in den Eigentumsverhältnissen verschont; im Jahr 1910 waren 90 Prozent der Landbevölkerung landlos.

Die gestiegenen Grundstückspreise ließen nur zwei Wege offen. Die neuen landlosen Bauern mussten entweder in die Industriezentren abwandern und in der schnell wachsenden Arbeiterklasse aufgehen, oder in den für den Export produzierenden kommerziellen ländlichen Agrarunternehmen arbeiten.

Der Großteil des Landes, das die Bauern hatten aufgeben müssen, wurde an ausländische Investoren veräußert. Im Ergebnis des Einfriedungsprozesses der 1870er und 1880er Jahre kamen über 526.000 km² Land (27 Prozent der gesamten Landoberfläche Mexikos) allein in den Besitz amerikanischer Investoren. Volkszählungsdaten aus dem Jahr 1910 ergaben, dass lediglich 834 Landbesitzer über 168 Millionen Hektar Land verfügten, während 80 Prozent der Bevölkerung Bauern waren.

Die veränderten Eigentumsverhältnisse auf dem Land beschleunigten den bereits rapiden Niedergang der Lebensbedingungen, als die neuen Besitzer die Lebensmittelproduktion einstellten. Zwischen 1907 und 1910 sank die Pro-Kopf-Produktion für fast alle Grundnahrungsmittel um 1,5 bis drei Prozent. Hungersnot und Hungertod grassierten.

Dieser Prozess heizte den jahrhundertealten Kampf der Bauern um die Landfrage an. Schon seitdem frühen achtzehnten Jahrhundert hatten Bauern wiederholt Land in Besitz genommen. Die Landnahmen, die 1910 viel häufiger und koordinierter stattfanden, hatten allerdings einen qualitativ anderen Charakter.

Im Jahr 1910 kandidierte Francisco Madero, ein aristokratischer Landbesitzer aus dem nordöstlichen Bundesstaat Coahuila, bei der mexikanischen Präsidentschaftswahl.Er forderte Porfirio Diaz heraus, der das Land schon fast dreißig Jahre regierte und seine siebente Amtszeit anstrebte. Diaz ließ seinen Kontrahenten vor der Wahl verhaften und sicherte mithilfe massiven Wahlbetrugs seine Wiederwahl. Madero, der seinen Häschern entkommen konnte, floh in die Vereinigten Staaten und gab dort seinen Plan von San Luis Potosi bekannt: Ein für den 20. November angesetzter bewaffneter Aufstand sollte das Diaz-Regime stürzen und durch eine liberal-reformistische bürgerliche Regierung ersetzen.

Francisco Madero spricht in den ersten Jahren der Revolution vor Anhängern

Maderos Plan von San Luis Potosi war darauf zugeschnitten, die Massenbasis für eine Bewegung zu schaffen, in der von Beginn an Teile der reichen Landbesitzer und Industriellen den Ton angaben. Im Dokument fand sich die Forderung, Arbeitern das Recht auf Gewerkschaften zu gewähren, an anderer Stelle versprach es, den Bauern Land zurückzugeben: „Wer sich [das Land] auf so unmoralische Weise angeeignet hat, (…) muss es an den ursprünglichen Besitzer zurückgeben.“

Der Plan traf bei Bauern und Arbeitern auf breite Unterstützung, die zu Tausenden gegen das Porfiriat mobil machten. Der Enthusiasmus der Bevölkerung für Madero erinnerte an die anfängliche Unterstützung, die Alexander Kerenski nach der Februarrevolution in Russland erfahren hatte. Im Frühjahr 1911 ging Madero auf Rundreise durch den Norden Mexikos und hielt öffentliche Ansprachen. Überall, wo er Station machte, wurde er von großen und begeisterten Menschenmassen empfangen.

Im ganzen Land schossen Massenorganisationen und Verteidigungskomitees wie Pilze aus dem Boden, und Bauerngruppen nahmen in großem Umfang Land in Besitz. Sie nahmen insbesondere amerikanisches Eigentum ins Visier, Bergwerke und Haziendas wurden niedergebrannt.

Im südlichen Bundesstaat Morelos mobilisierte Emiliano Zapata große Bauernmassen und sprach sich für eine Bauernrevolution aus, die irgendwie mit der von Madero initiierten Erhebung zusammengeführt werden sollte. Im Norden erklärte Francisco Villa seine Unterstützung für Madero und stellte eine Armee auf, die sich vorwiegend aus Bauern zusammensetzte, aber auch Einheiten aus Arbeitern, insbesondere Bergarbeitern, hatte.

Im Mai 1911 kam es zu offenen Zusammenstößen zwischen Madero und den Bauernarmeen.

Am 13. Mai 1911 ernannte Madero ein Kabinett, das sich aus Landbesitzern und Persönlichkeiten aus dem Diaz-Regime zusammensetzte. Die provisorische Regierung wies die Forderungen der Bauern nach einer Neuverteilung des Landes und der Aufnahme von Vertretern der Bauern und Arbeiter in die neue Regierung zurück.

Entgegen den Befehlen Maderos eroberten Villas Einheiten Juarez-Stadt, während 4.000 Bauern unter dem Kommando Zapatas Cuautla im Osten von Morelos einnahmen. Am 25. Mai 1911 legte Porfirio Diaz sein Präsidentenamt nieder. Der abgesetzte Präsident kommentierte: „Madero hat einen Tiger freigelassen! Wir wollen sehen, ob er ihn unter Kontrolle halten kann!“

Mit weiteren Landnahmen und der Aufnahme von Freiwilligen vom Land wuchsen die Bauernarmeen an. Mitte des Jahres 1912 kam es zu Streiks von Landarbeitern, in deren Folge Kautschuk- und Agavenplantagen geschlossen wurden, die sich in amerikanischem Besitz befanden. In Puebla, Mexiko-Stadt und andernorts mobilisierten Arbeiter zunehmend gegen die Madero-Regierung. In den Städten Coahuila, Cananea, Orizaba, Guadalajara, Queretaro, Torreon, Tepic, Monterrey, Zacatecas und Oaxaca brachen unter Eisenbahn-, Bergbau-, Textilarbeitern und Handwerkern Streiks aus. In Mexiko-Stadt trugen tausende Arbeiter offene Straßenkämpfe mit Maderos Polizei aus. Der Leiter der amerikanischen Botschaft ereiferte sich über Maderos Versagen, mit „den unsinnigen Forderungen des Proletariats“ fertigzuwerden.

General Victoriano Huerta in militärischer Uniform, wurde im Volksmund “Der Schakal“ genannt

Im Februar 1913 intervenierte die amerikanische Regierung und erzwang die Absetzung Maderos. Botschafter Henry Lane Wilson, der die “unreifen Mexikaner” und die “emotionale Rasse der Latinos” geißelte, unterstützte einen Staatsstreich durch General Victoriano Huerta. Dieser war von der Regierung beauftragt worden, gegen Madero gerichtete Revolten niederzuschlagen. Seine Truppen nahmen Mexiko-Stadt rücksichtslos zehn Tage unter Beschuss, ehe sie Madero unter Arrest stellten und dann töteten.Botschafter Wilson erklärte, die Entscheidung zum Sturz Maderos diente dem „Schutz amerikanischer Interessen“.

Im selben Jahr riefen Villas Armeen in Chihuahua die offene Revolte aus und die Zapatisten wiesen Huertas Bestechungsversuche zurück, mit denen er die Südliche Befreiungsarmee für eine Versöhnung gewinnen wollte. Mit Unterstützung der amerikanischen Botschaft konzentrierte Huerta seine Einheiten, um die Zapatisten in Morelos zu eliminieren.

Diese Episode gehört zu den schrecklichsten der revolutionären Periode. Bei einer Zusammenkunft von Landbesitzern im April 1913 kündigte Huerta einen Massenmord an, um in Morelos „die Ordnung wiederherzustellen“.

Huerta appellierte an die Landbesitzer, ein militärisches Vorgehen “vorbehaltlos” zu unterstützen. Er werde „bis zum Äußersten“ gehen, „denn die Regierung will den Staat sozusagen entvölkern“, weil die Bevölkerung von Morelos „alle Zapatisten“ seien, und „solche Leute (müssen) beseitigt werden. Sie dürfen nicht überrascht sein, falls etwas Abnormes geschieht, denn die Situation erfordert Maßnahmen, die nicht vom Gesetz gedeckt, aber unerlässlich für das Wohl der Nation sind.“

Die Regierung startete in Morelos eine grausame „Umsiedlung zum Wohl der Nation“-Kampagne. Dörfer, die loyal zu Zapata standen, wurden entvölkert und dem Erdboden gleich gemacht. Hunderte Männer wurden von ihren Feldern entführt und nach Mexiko-Stadt gebracht, wo sie von der Armee für den Kampf im Norden des Landes gegen Einheiten der Konstitutionalisten eingezogen wurden. Huertas General Juvencio Robles sagte: “Wie schön wird Morelos erst sein, wenn wir mit seiner Bevölkerung fertig sind! Wenn sie sich mir in den Weg stellen, werde ich sie wie Ohrringe an die Bäume hängen.“

Im Rahmen der konterrevolutionären Verschwörung Huertas wurden viele hingerichtet

Der leidenschaftliche Widerstand der Bauern von Morelos gegen die Einheiten von Robles entfachte Unterstützung für Zapata über Morelos hinaus. Zapata verlegte die militärische Leitung von Morelos in den Bundesstaat Guerrero und begann zugleich, aus seinen heterogenen bewaffneten Einheiten eine zentralisierte und professionelle Armee zu formen.

Die Unterstützung, die Zapatas Kräfte in der breiten Bevölkerung genossen, war das Ergebnis der Landnahmen der Armee, die gemäß dem Ayala-Plan gegen „Feinde der Revolution“ erfolgten.

Dieser Plan, der drei Wochen nach Maderos Amtsantritt im Jahr 1911 vorgelegt worden war, war ein einfaches Dokument, das die Rückgabe der „Felder, Wälder und Gewässer“, welche die „Grundherrn, Científicos oder Bosse“ an sich gerissen hatten, an die Bauern forderte, sowie die Verstaatlichung des Eigentums derjenigen unter den Genannten, die sich gegen die Revolution stellten. Der Plan rief zum Widerstand gegen Madero - und später Huerta – auf. Er sah aber keine neue Regierungsform oder die Herrschaft einer anderen Klasse vor, sondern forderte lediglich, dass eine Junta aus revolutionären Führern einen Übergangspräsidenten ernennen müsse, der für die Organisation von Neuwahlen zuständig sei.

Der Plan entfachte unter den Bauern begeisterte Unterstützung für die Revolution, doch er war begrenzt und behielt seinen kleinbürgerlichen Charakter, weil er, über das Thema Landreform hinaus, zur Reorganisation der Gesellschaft keine Aussagen machte.

Die Bauern und die Konstitutionalisten

Die von Villa befehligte Nördliche Division entwickelte sich im Verlauf des Jahres 1913 zu einer mehr und mehr eigenständigen militärischen Kraft. Villa befürwortete zu Beginn der Revolution Maderos Plan von San Luis Potosi, brach jedoch mit Madero und verbündete sich nach dessen Sturz mit den Einheiten der Konstitutionalisten, die den Landeigentümer von Coahuila und Nationalisten Venustiano Carranza unterstützten. Villas Aufruf vom Frühjahr 1913, Carranzas Plan von Guadalupe zu unterstützen, unterstellte ihn dem Kommando Carranzas, dessen Konstitutionalisten-Armee auf diesen Plan hin aufgestellt worden war.

Anders als Zapata, der durch seinen Ayala-Plan seit 1911 in Opposition zu den Konstitutionalisten stand, brach Villa mit der liberalen Bourgeoisie erst im Herbst 1914, im Anschluss an den Konvent von Aguascalientes. Villas komplizierte Beziehung zu den Konstitutionalisten im Allgemeinen sowie mit dem späteren Präsidenten General Alvaro Obregon im Besonderen zeigt, dass seine Herangehensweise an politische Fragen limitiert war.

Obregon hatte in den Jahren 1913 und 1914 versucht, zwischen den Kräften Villas und den wichtigsten Armeen der Konstitutionalisten zu vermitteln, die unter Carranzas Kontrolle standen und in der Landesmitte operierten.

Ein erneuter Streik in Cananea sowie verschärfte Meinungsverschiedenheiten über die Landverteilung trieben Carranza und Villa immer weiter auseinander. In den Monaten nach Huertas Sturz im Juli 1914 nahm die Ungeduld der Soldaten der Nördlichen Division über die Carranza-Regierung immer mehr zu, weil die versprochene Neuaufteilung des Landes auf sich warten ließ. Carranza seinerseits baute immer mehr auf ehemalige Funktionsträger des Porfiriats und verschaffte mehreren Persönlichkeiten des alten Regimes Posten in der Regierung.

Trotz der Bemühungen Obregons, ein Bündnis zwischen Villa und Carranza aufrechtzuerhalten,trieb die Logik der Ereignisse die beiden immer weiter auseinander. Die liberale Bourgeoisie stand den Forderungen der Bauern der Nördlichen Division ablehnend gegenüber, und eine Einigung wurde unmöglich.

Beim Konvent von Aguascalientes im Oktober 1914 begrüßten die Delegierten Villas die Ankunft der Vertreter Zapatas mit ausgelassener Begeisterung. Der Konvent brachte die beiden Bauernarmeen des Nordens und Südens zum ersten Mal auf einer gemeinsamen Plattform zusammen. Villas Delegation stimmte zugunsten des Vorschlags der Zapatisten, von der im Ayala-Plan erhobenen Forderung nach Umverteilung des Landes auf keinen Fall abzurücken.

Carranzas Konstitutionalisten begegneten dieser Demonstration von Einheit mit Verachtung. Sie versuchten, die landbesitzende Aristokratie zu schützen und Arbeiterstreiks offen niederzuschlagen, überall, wo sie sich gerade entwickelten. Die Carranzisten wiesen deshalb das Ergebnis des Konvents zurück; kurz darauf kam es zum offenen Bruch zwischen der Nördlichen Division und den Konstitutionalisten.

Obwohl Villa schließlich ganz mit den Konstitutionalisten brach, brachten seine wiederholten Bündnisse mit der Bourgeoisie die Unfähigkeit der Bauernschaft zum Ausdruck, einen unabhängigen Kampf um die Macht zu führen. Auch wenn eine Minderheit von Arbeitern in Villas Armee diente, blieb ihre Politik politisch inkonsistent, noch mehr als Zapatas begrenzter Ayala-Plan.

Die Entschlossenheit der Bauernsoldaten, das Land in Besitz zu nehmen und es unter den Bauern Mexikos aufzuteilen, verschaffte den Armeen die Unterstützung der Massen und trieb ihren schnellen militärischen Vormarsch in Richtung Mexiko-Stadt voran.

Doch ungeachtet des militärischen Heroismus ihrer Kämpfer stellte keine der Armeen zu irgendeinem Zeitpunkt ein Werkzeug zur sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft dar. In einem Interview mit dem amerikanischen sozialistischen Journalisten John Reed 1913 sagte Villa, der erst kurz vorher Lesen gelernt hatte: „Sozialismus – ist das eine Sache? Ich sehe ihn bloß in Büchern, und ich lese nicht viel.“

Die Ereignisse vom Dezember 1914 zeigten, dass die fortschrittlichen Bestrebungen der Bauern nach eigenem Land und Gleichheit von den Phrasen und dem antisozialistischen Programm der Parteien der Bourgeoisie vereinnahmt werden konnten, da der Arbeiterklasse eine revolutionäre Führung fehlte. Die Ereignisse in Mexiko bestätigten diese historische Gesetzmäßigkeit.

Der Weg nach Xochimilco

Die Nördliche Division nutzte den Eisenbahntransport zu brillanten Manövern bei ihrem Marsch auf Mexiko

Im Dezember 1914 kontrollierten die Armeen von Emiliano Zapata und Pancho Villa gemeinsam den Großteil des Landes. Vom Norden kommend errangen Villas Nördliche Divisionen bedeutende Siege: in der Schlacht um den Eisenbahnknotenpunkt von Torreon (am 2. Oktober 1913), um die nördliche Grenzstadt Juarez (15. November), um Chihuahua-Stadt (8. Dezember), und schließlich um Zacatecas (23. Juni 1914), wo Huerta die Macht entrissen wurde.

Als die Nördliche Division am 3. Dezember in Mexiko-Stadt einmarschierte, traf sie sich mit Zapatas Südlicher Befreiungsarmee, die am 24. November die sich zurückziehenden Konstitutionalisten aus der Stadt gejagt hatte.

Die Südliche Befreiungsarmee führte 1913 eine erfolgreiche Aufstand gegen die massenmörderischen Bestrebungen Huartas, die Landnahmen der Bauern im zentralsüdlichen Bundesstaat Morelos rückgängig zu machen. Anfang 1914 schlugen die Bauernsoldaten unter Zapatas Führung Regierungstruppen und weiteten den Guerillakrieg weiter südlich, bis zum Golf von Tehuantepec, und weiter nördlich aus, bis Michoacán und Hidalgo. Im Frühjahr 1914 eroberten die Zapatisten Jojutla (Anfang Mai) und Cuernavaca (Anfang Juni), letzteres weniger als achtzig Kilometer von Mexiko-Stadt gelegen.

Nach dem Fall von Mexiko-Stadt waren die Einheiten der Konstitutionalisten, die von Präsident Venustiano Carranza und dem liberalen General Alvaro Obregon befehligt wurden, isoliert und breiteten sich entlang der Peripherie des Landes aus. Die politische und militärische Führung war gezwungen, in die Atlantik-Stadt Veracruz zu fliehen, welche unmittelbar vor Eintreffen der Konstiutionalisten von US-amerikanischen Truppen besetzt worden war.

Das zentrale Eisenbahnsystem blieb fast vollständig unter Kontrolle von Villa und Zapata, ebenso die Waffenhandelswege mit den Vereinigten Staaten, die über Land führten. In den Teilen Mexikos, die soeben von den Bauernarmeen befreit worden waren, gingen die zwangsweisen Landnahmen weiter. Die letzten Wochen des Jahres 1914 schienen den Armeen Villas und Zapatas das Ende des Krieges zu bringen.

Bis Mitte des Jahres 1915 erlitten die Armeen Villas jedoch eine Niederlage nach der anderen und die Nördliche Division floh nordwärts. Sie erlitt Niederlagen in der ersten und zweiten Schlacht von Celaya (6.-7. und 13. April), in Trinidad (29. April – 5. Juni) und in Aguascalientes (20. Juni – 10. Juli), und musste sich nach Zacatecas und San Luis Potosi zurückziehen. Nachdem Mexiko-Stadt Mitte des Jahres den Besitzer gewechselt hatte, überließ Zapatas Armee am 11. Juli die Stadt den Konstitutionalisten. Die Armee der mexikanischen Bourgeoisie sollte im weiteren Verlauf der Revolution die Stadt nicht mehr an die Bauernarmeen verlieren.

Abgesehen von Guerillakämpfen im Norden und Süden spielte weder Villas noch Zapatas Armee nochmals eine bedeutende Rolle in der Revolution. Als die Arbeiterklasse 1915 und 1916 in offenen Konflikt mit den Konstitutionalisten geriet, waren die Massenarmeen der Bauern kein entscheidender revolutionärer Faktor mehr.

Die historische Bedeutung der mexikanischen Revolution

Das symbolträchtige Treffen von Zapata und Villa im Dezember 1914 in Xochimilco stand sinnbildlich für den Höhepunkt der Revolution. Doch die beiden Militärkommandeure und die von ihnen geführten Bauernarmeen konnten den Bauern und der Arbeiterklasse kein realisierbares politisches Programm für die soziale Revolution anbieten.

Die mexikanische Revolution hatte ihren Höhepunkt weniger als drei Jahre vor dem Ausbruch der Oktoberrevolution in Russland 1917 erreicht. Obwohl die unterschiedlichen historischen Bedingungen in den beiden Ländern nicht gestatten, ein Gleichheitszeichen zwischen beide Revolutionen zu setzen, so existieren doch wichtige Parallelen.

In beiden Ländern hatte die verspätete wirtschaftliche Entwicklung, welche überwiegend von ausländischem Kapital angetrieben wurde, eine Arbeiterklasse geschaffen, die der ländlichen Bauernschaft zahlenmäßig weit unterlegen war. Sowohl in Mexiko als auch in Russland geriet die liberale Bourgeoisie, die nach dem Zusammenbruch des alten Regimes die Macht übernahm, in eine Krise, als sie mit den egalitären Bestrebungen der Massen konfrontiert wurde. Die Krise stärkte jenen Teil der herrschenden Klasse, der enge Beziehungen zum alten Regime pflegte; als dieser versuchte, eine konterrevolutionäre Diktatur zu errichten, befeuerte er damit noch die sozialen Gegensätze zwischen den Arbeitern und Bauern auf der einen und der Bourgeoisie auf der anderen Seite.

Tausende Fabrikarbeiter in Orizaba, Mexiko

Obwohl die objektiven Bedingungen für die soziale Revolution im Jahrzehnt der mexikanischen und der russischen Revolution weltweit herangereift waren, gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Revolutionen, der erklärt, weshalb in Mexiko die Revolution im Fortbestand der bürgerlichen Herrschaft endete, während sie in Russland den ersten Arbeiterstaat der Welt hervorbrachte

In Russland gab es eine revolutionäre marxistische Partei, ausgerüstet mit der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus. Sie gab der russischen Arbeiterklasse die politische Orientierung, mit der sie ihre Unabhängigkeit von der Bourgeoisie durchsetzen, die Führung über die Bauernschaft gewinnen und um die Staatsmacht kämpfen konnte. Die Bolschewiki (und Lenin und Trotzki im Besonderen) intervenierten in die großen Ereignisse des Jahres 1917 mit einem klaren Verständnis der revolutionären Implikationen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Ihr unversöhnlicher Kampf um die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse sowie ihre beständigen Warnungen vor den verheerenden Folgen, die ein Vertrauen auf die liberale Bourgeoisie und ihre kleinbürgerlichen Unterstützer zeitigen würde, machten den Erfolg der Oktoberrevolution möglich.

In Mexiko gab es keine solche Partei. Die Gründe dafür – die objektive Entwicklung der Arbeiterklasse und die Qualität ihrer Führung – sind komplex und erfordern eine gründliche Analyse; die Auswirkungen auf die mexikanischen Massen sind heute noch spürbar.

Unbeschadet des Mutes und der revolutionären Entschlossenheit, die die Arbeiter und Bauern bewiesen haben, bestätigt die mexikanische Revolution auf tragische, negative Weise die Richtigkeit von Leo Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution.

Opportunistische Führung der Arbeiterklasse

Der radikalere Flügel der Konstitutionalisten wurde von Historikern der mexikanischen Revolution, darunter auch der Ex-Pablist Adolfo Gilly, fälschlicherweise als „jakobinisch“ bezeichnet.

Dieser Theorie zufolge repräsentierte das nationalistische Kleinbürgertum, das einen Großteil der Offiziere der Konstitutionalisten stellte, in den Jahren der Revolution eine fortschrittliche Kraft, und „verschmolz revolutionär-nationalistische Ideologie mit dem allgemeinen Einfluss der aufständischen Bauernschaft, darauf hoffend, ihre Ideen im Verlauf des Kampfes selbst durchzusetzen.“ Laut Gilly kämpfte die Fraktion der „Jakobiner“ für „eine neue Grundlage des mexikanischen Staates“, der die „Errungenschaften der Arbeiterklasse ausdehnen“ und den Weg für einen „sozialistischen Kurs“ ebnen würde. Gillys einzige Kritik an diesem “sozialistischen Kurs” ist, dass er ihn als “schwammig” bezeichnet.

Mexikanische Arbeiter demonstrieren in der Revolution

Diese Konzeption gleicht der Perspektive der anarchistischen Führer der Mexikanischen Liberalen Partei und der Casa del Obrero Mundial („Haus des Weltarbeiters“, COM, anarchistisch orientierter Gewerkschaftsbund), die beide in den Revolutionsjahren versucht hatten, die städtische Arbeiterklasse an die „jakobinischen“ Kräfte innerhalb der Bewegung der Konstitutionalisten zu binden.

Sie verschleiert auf gefährliche Weise die wichtigste Lehre aus der mexikanischen Revolution: Spontan, ohne eine marxistische Partei, ist die Arbeiterklasse außerstande, sozialistisches Bewusstsein zu entwickeln und ihre Unabhängigkeit von den Kräften der Bourgeoisie zu erlangen.

Die Monate vor dem Zusammentreffen von Nördlicher Division und Südlicher Befreiungsarmee in Mexiko-Stadt waren von erneuten Konflikten zwischen der Arbeiterklasse und den herrschenden Konstitutionalisten geprägt. In Mexiko-Stadt brachen Streiks aus. Die Arbeiter legten den Eisenbahnverkehr, die Telefon- und Telegraphenkommunikation, Textilfabriken und die elektrische Energieversorgung lahm.

Um die soziale Opposition einzudämmen, verrieten die Konstitutionalisten diese Streiks in einem Bündnis mit der Führung der COM. Ein großer Streik wurde dadurch verraten, dass der COM-Führer Luis Morones eine Leitungsposition in einem Elektrizitätsunternehmen erhielt, bei dem Ende 1914 die Arbeiter gestreikt hatten. Morones war eng befreundet mit Samuel Gompers, dem Gründer des amerikanischen Gewerkschaftsbunds American Federation of Labor (AFL), und hatte in den Vereinigten Staaten an Schulungen sowohl von der AFL als auch von der US-Regierung teilgenommen.

COM-Bürokrat Luis Morones spielte beim Verrat der Arbeiterkämpfe in Mexiko-Stadt während der Revolution eine führende Rolle

Die opportunistische Führung der COM schürte unter den Arbeitern aktiv Illusionen in den „jakobinischen“ Flügel der mexikanischen Bourgeoisie. Die COM nahm einzig Firmen für Streiks aufs Korn, die in ausländischem Besitz waren, und beharrte darauf, dass die Arbeiter den Konstitutionalisten ihr Vertrauen schenkten.

Die verheerendsten Auswirkungen hatte ein Bündnis, das die COM-Führer mit der Bourgeoisie schlossen, das auf direkter Opposition gegen die Bauernarmeen gründete. Als die Einheiten von Villa und Zapata im Dezember 1914 in Mexiko-Stadt eintrafen, beschuldigten die COM-Führer Villa, ein „Personalista“ (Egoist) zu sein und beuteten die tiefverwurzelten antiklerikalen Traditionen der mexikanischen Arbeiterklasse aus, indem sie die Bauernschaft des Südens als „katholisch“ und reaktionär darstellten.

Auf diese Weise wurde ein ungeheuerlicher Verrat politisch getarnt. Im Februar 1915, als sich Carranza und die Konstitiutionalisten in der Defensive befanden, reiste eine Delegation von COM-Führern nach Osten, um sich in Veracruz mit Konstitutionalisten zu treffen. Dort gaben sie ihre Zusage, die Mitglieder der COM als Kanonenfutter im Krieg gegen die Bauernschaft einzusetzen.

Die Entscheidung, die Mitglieder der COM für die Ziele der Bourgeoisie (und gegen die Bauernrevolte) einzusetzen, traf im Januar und Februar 1915 bei stürmischen Massenversammlungen der Arbeiter auf deren heftigen Widerstand. Bei einem Geheimtreffen in den Morgenstunden des 11. Februar stimmte die COM-Führung für die Unterstützung der Konstitutionalisten und dafür, die Arbeit für den Aufbau der eigenen Organisation bis zum Sieg über die Bauernarmeen auszusetzen.

Venustiano Carranza, Chef der Konstitutionalisten-Armee und spätere Präsident Mexikos

Tausende Arbeiter wurden daraufhin von der COM-Führung in Ausbildungslager der Konstitutionalisten geschickt, wo sie von amerikanischen Beratern ausgebildet und mit amerikanischen Waffen ausgerüstet wurden. Diese sogenannten „Roten Bataillone“ wurden gegen die Bauernarmeen Zapatas und Villas in den Kampf geworfen.

Binnen weniger Monate stand die Arbeiterklasse erneut in Konflikt mit den Konstitutionalisten, doch diesmal in weit größerem Ausmaß. Die Streikwelle Ende 1915 und die großen Generalstreiks des Jahres 1916 machten deutlich, dass die Konstitutionalisten und die COM-Führung nicht in der Lage waren, die Klassenspannungen mit friedlichen Mitteln unter Kontrolle zu halten.

Aber die Arbeiterklasse war den Verrätereien schutzlos ausgeliefert, weil ihr eine eigene Partei fehlte, die sie vor den Fallen warnte, welche die COM und die Konstitutionalisten ihr stellten.

Wie die Ereignisse der Jahre 1915 und 1916 zeigten, war selbst nach der revolutionären Ebbe, die dem Treffen Zapatas mit Villa in Xochimilco folgte, die sozialistische Revolution nicht unmöglich. Doch die Verrätereien, die auf dem Höhepunkt der Macht der Bauernarmeen, Ende 1914 und Anfang 1915, begangen wurden, erwiesen sich als katastrophal. Ohne Plan und Perspektive, und ohne eine Führung der Arbeiterklasse, gaben die Bauern die Macht an die Bourgeoisie ab und traten einen langen Rückzug aus Mexiko-Stadt zurück in die ländlichen Gebiete an.

Die Bauernschaft gibt die Macht ab

Als Villa und Zapata während der Einnahme der Hauptstadt durch die Bauernschaft in Xochimilco zusammentrafen, prangerte Ersterer den sogenannten jakobinischen Flügel der Konstitutionalisten an als „Männer, die immer auf weichen Kissen geschlafen haben.“

Zapata ergänzte: “Sie sind seit jeher die Plage der Bevölkerung. Sobald diese Bastarde eine kleine Chance sehen, versuchen sie augenblicklich, daraus einen Vorteil zu ziehen und ihre Taschen zu füllen.“ Diese Einschätzung wurde durch die weitere politische Geschichte Mexikos viele Male bestätigt.

Dieser Einschätzung zum Trotz übergaben Villa und Zapata die Kontrolle über Mexiko-Stadt an eben jene Kräfte: „Wir unwissenden Männer führen den Krieg. Die gebildeten Leute müssen daraus etwas machen“, sagte Villa.

In den Tagen, die dem Einmarsch der Nördlichen Division und der Südlichen Befreiungsarmee in Mexiko-Stadt folgten, übergaben die beiden Bauernführer die Macht umgehend an eine Clique aus bürgerlichen Individuen, die die neue Regierung bildeten und Beziehungen zu den Konstitutionalisten unterhielten. Am 7. Januar wandten sich vier der führenden Minister der neuen Regierung schriftlich an einen führenden Konstitutionalisten und sicherten ihre Unterstützung für jeden Schritt der Konstitutionalisten zu, den sie zur Absetzung Villas und Zapatas unternehmen sollten. Eine Woche später erließen die Minister ein offizielles Dekret gegen die Bauernführer und flohen nach Veracruz.

Am 5. Januar errangen die Armeen der Konstituationalisten unter Alvaro Obregon einen überwältigenden Sieg in Puebla. Die eintreffenden Streitkräfte versuchten, die Bauerneinheiten voneinander zu trennen und konzentrierten ihre Angriffe auf Villa und die Nördliche Division. Sie fürchteten die politischen Auswirkungen eines direkten Angriffs auf Zapatas Kräfte, die bereit waren, einen defensiven Guerillakrieg in Morelos zu führen und über breite Unterstützung in der Bauernschaft verfügten. Bald nach dem Verlust von Puebla gaben viele Zapatisten Mexiko-Stadt auf, um den Süden zu verteidigen. Anfang 1915 nahm Obregon die Stadt ein.

Die Begrenztheit von Villas und Zapatas Kampf, der sich auf die Bauernschaft gründete, kam im Verlauf der militärischen Auseinandersetzungen des Jahres 1915 immer deutlicher zum Vorschein. Keiner der beiden Führer war in der Lage, eine politische Führung oder eine militärische Strategie anzubieten, um die Kräfte der Konstitutionalisten in ganz Mexiko zu besiegen.

Soldaten von Zapatas Befreiungsarmee des Südens

Obwohl ein konzentrierter militärischer Angriff auf Veracruz die Chance eines Siegs über die Konstitutionalisten erhöht hätte, verstreute sich die Nördliche Division stattdessen über Zentralmexiko und verlor sich in spontanen und isolierten Militäraktionen. Mit Zapatas Rückzug nach Morelos wurde das Zentrum der nationalen Produktion – Mexiko-Stadt – kampflos aufgegeben, vor allem, weil die Zapatisten nicht sahen, warum die Hauptstadt für ein Programm, das auf lokale Landreformen beschränkt war, wichtig sein sollte.

Die Serie von Niederlagen, die sie den Bauernarmeen zufügte, erlaubte es der Bourgeoisie, ihre Herrschaft zu konsolidieren und sich auf die Unterdrückung der Arbeiterklasse in Mexiko-Stadt und andernorts zu konzentrieren. Die Bauerneinheiten führten bis zum Ende der Revolution in den Grenzgebieten des Landes einen defensiven Krieg. Obgleich die Armeen nach dem Treffen vom Dezember 1914 noch jahrelang mutig kämpften, konnten sie die bürgerliche Herrschaft in Mexiko-Stadt niemals wieder bedrohen.

Schlussfolgerung

Mexiko befindet sich heute in einer sich verschärfenden politischen und sozialen Krise.

Als die Behörden schließlich die Suche nach den Leichen der 43 verschwundenen Normalistas aufnahmen, behaupteten sie, nicht zu wissen, an welchem Ort die verschwundenen Lehramtsstudenten seien. Dabei stießen sie allerdings auf zahlreiche Massengräber mit den verkohlten Überresten vieler weiterer Opfer der Krise der mexikanischen Gesellschaft.

Diese Krise wurzelt in den Bedingungen, die der Weltkapitalismus geschaffen hat: an erster Stelle die allgegenwärtige Armut und die wachsende soziale Ungleichheit. Gemäß offizieller Statistik leben 45 Prozent der mexikanischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von 180 Dollar monatlich, wobei weitere 40 Prozent unmittelbar von Armut gefährdet sind. In den Bundesstaaten, die am härtesten von den Auswirkungen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) betroffen sind, liegt die Armutsrate für Kinder über 75 Prozent. Im Ganzen lebt über die Hälfte der Kinder in Mexiko in Armut.

Etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung sind bis heute vor dem wirtschaftlichen Elend in die Vereinigten Staaten geflohen, um dort ein Auskommen zu finden. Tausende starben bei dem Versuch, diese gefahrvolle Reise zu unternehmen, während jene, die die Grenze überwinden konnten, in den Vereinigten Staaten zum überwiegenden Teil in Armut und ständiger Angst vor Abschiebung leben.

Präsident Obama hat über zwei Millionen Immigranten ohne Ausweispapiere abschieben lassen, der Großteil unter ihnen Mexikaner. Unter Obamas angekündigter Einwanderungsreform wird die Grenze noch stärker militarisiert werden, um „gegen illegale Einwanderung durchzugreifen“. Den wenigen Einwanderern, denen zeitweilig der Aufenthalt gestattet wird, wird der Zugang zum Gesundheitssystem und anderen Sozialprogrammen verwehrt.

Inzwischen nennen Mexikos 145.000 Millionäre insgesamt 736 Milliarden US-Dollar ihr Eigen, diese machen 43 Prozent des gesamten Reichtums Mexikos aus. Die sechzehn Milliardäre Mexikos halten insgesamt 142,9 Milliarden US-Dollar in Händen.

Von der Privatisierung des staatlichen Ölunternehmens PEMEX erwartet man enorme Gewinne für die mexikanischen und internationalen Finanzmärkte. Juliana Wlassowa, eine Finanzanalystin von wealthinsight.com, bemerkte, dass, teilweise aufgrund der Privatisierung der Ölindustrie “Mexiko sowohl für einheimische als auch für auswärtige Investoren Möglichkeiten bietet und [in den nächsten Jahren] mit einem starken Zustrom sehr reicher Einzelpersonen und ihres Vermögens rechnet.“

Angesichts zunehmender Ungleichheit und Armut wird soziale Opposition mit massiver polizeilicher Repression beantwortet. Im November äußerte der Minister für Nationale Sicherheit, General Salvador Cienfuegos, gegenüber Demonstranten versteckte Drohungen über den Einsatz der Armee.

Solche Drohungen sind ernst zu nehmen, wenn sie vom mexikanischen Militär kommen. Wie das jüngste Massaker von Ayotzinapa beweist, arbeitet der Staat eng mit brutalen Drogenkartellen zusammen, und führt gleichzeitig unter dem Deckmantel des sogenannten „Kriegs gegen den Drogenhandel“ Militäroperation gegen die Bevölkerung durch. Dieser Krieg, der 2006 begann, forderte bisher über 100.000 Menschenleben und machte weitere 1,5 Millionen heimatlos.

Den Schaden, den die mexikanische Bourgeoisie im Verlauf des letzten Jahrhunderts angerichtet hat, kann nur eine soziale Revolution beheben. Arbeiter und Jugendliche dürfen keiner Fraktion des politischen Establishments vertrauen, dass sie einen revolutionären Kampf für soziale Gleichheit führt – auch nicht Andres Manuel Lopez Obrador und seiner MORENA-Bewegung, für deren enge Verbindung zu denen, die das Massaker von Ayotzinapa angeordnet haben, es Hinweise gibt.

Die mexikanische Arbeiterklasse muss aus den Kämpfen und Verrätereien der Jahre 1910-20 lernen. Im Kampf für die Gründung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Amerika muss sie ihre politische Unabhängigkeit von der Bourgeoisie erringen und in engem Zusammenwirken mit ihren Klassengenossen in Nord-, Mittel- und Südamerika die Macht erobern und den Reichtum des Landes in gesellschaftliches Eigentum überführen. Diese Aufgabe erfordert den Aufbau einer mexikanischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

Loading