Nazi-Kriegsverbrecher war 13 Jahre lang BND-Mitarbeiter

Am 14. Dezember 2014 meldete Spiegel online, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND (Bundesnachrichtendienst) den ehemaligen SS-Obergruppenführer Hartmann Lauterbacher von 1950 bis 1963 als hauptamtlichen Mitarbeiter beschäftigt hat. Lauterbacher stieg während der Nazi-Diktatur zum Stellvertreter des Reichsjugendführers Baldur von Schirach auf und wurde zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt.

Bei dem glühenden Hitler-Anhänger Lauterbacher, der 1988 im Alter von 78 Jahren starb, handelt es sich nach bisherigen Erkenntnissen um den ranghöchsten Nazi-Funktionär, den der BND fest angestellt hatte. Auf Antrag des Spiegels hat der BND die Personalakte Lauterbachers freigegeben. Danach wurde Lauterbacher, der 1948 aus einem britischen Kriegsgefangenenlager in Niedersachsen geflohen und in Italien untergetaucht war, vom BND-Vorläufer, der "Organisation Gehlen", 1950 eingestellt und erhielt die Registriernummer V-6300 sowie den Decknamen "Leonhard".

Er lebte danach in München und West-Berlin und stieg beim BND bis zum Referatsleiter auf. 1951 verbreitete der Geheimdienst die Falschmeldung in der Presse, Lauterbacher sei nach Argentinien geflohen. Drei Jahre später besorgte man ihm in Schleswig-Holstein neue Papiere. Laut Spiegel legt die Personalakte nahe, dass der damalige Landrat von Eckernförde und persönliche Referent des damaligen Ministerpräsidenten in Kiel, beides ehemalige HJ-Führer, dabei geholfen haben.

Eine von Lauterbachers Aufgaben soll die Unterwanderung der DDR-Jugendorganisation FDJ mit Hilfe von ehemaligen Funktionären der Hitlerjugend gewesen sein. Außerdem sollte er, getarnt als Geschäftsmann, die Spionage in verschiedenen Ländern Nordafrikas organisieren. 1963 endete die Zusammenarbeit mit dem BND, angeblich wegen diverser Verdächtigungen. Sein letztes Gehalt betrug 1280 Mark plus 960 Mark Sondervergütung. Dafür erhielt er später eine ordentliche Rente.

Hartmann Lauterbacher ist bei weitem nicht das einzige führende Nazi-Mitglied, das für den BND arbeitete. Der Leiter der "Organisation Gehlen", Reinhard Gehlen, war Hitlers Militärgeheimdienstchef an der Ostfront. Von 1942 bis 1945 führte er im Generalstab des Heeres die Spionageabteilung "Fremde Heere Ost". Unmittelbar nach dem Krieg wurde die "Organisation Gehlen" in den Dienst des amerikanischen Geheimdienstes (damals noch OSS, Office of Strategic Services, später dann die CIA) gestellt und 1956 in BND umbenannt. Teilweise wurden dabei ganze Leitstellen des SS-Sicherheitsdienstes SD übernommen. Gehlens Auftrag nach 1945 bestand im Aufbau eines deutschen Auslandsgeheimdiensts, der sich hauptsächlich gegen die Sowjetunion richtete.

In den 1960er Jahren arbeiteten für den BND zeitweilig auch die führenden Nazi-Kriegsverbrecher Klaus Barbie, berüchtigt als der "Schlächter von Lyon", und Alois Brunner, ein enger Mitarbeiter von Adolf Eichmann.

Hartmann Lauterbacher wurde 1909 in Reute (Tirol) in Österreich geboren. 1923 gründete er im Alter von 14 Jahren die erste Ortsgruppe der Deutschen Jugend in Österreich. Zwei Jahre später übernahm er die Führung der Deutschen Jugend und überführte sie 1927 in die Hitlerjugend (HJ). In diesem Jahr begann er auch eine Ausbildung zum Drogisten an der Drogistenakademie in Braunschweig und trat der NSDAP (Mitgliedsnummer 86837) bei.

Ab 1930 baute er hauptberuflich die Hitlerjugend im Gau Süd-Hannover-Braunschweig auf. 1932 wurde er HJ-Gebietsführer Westfalen-Niederrhein und 1933 Obergebietsführer West. Bereits 1934 wurde er HJ-Stabsführer und Stellvertreter von Reichsjugendführer Baldur von Schirach. Lauterbacher war mit den Spitzen des Nazi-Regimes eng vertraut. 1935 war Joseph Goebbels sein Trauzeuge.

Im August 1940 verließ Lauterbacher die HJ-Führung und wurde zunächst stellvertretender Gauleiter von Süd-Hannover-Braunschweig. Wenige Monate später, im Dezember 1940 wurde er zum Gauleiter und Bevollmächtigten für den Arbeitseinsatz befördert. Mit 31 Jahren war Lauterbacher der jüngste NS-Gauleiter. 1942 wurde er noch zum Gau-Reichsverteidigungskommissar ernannt.

Gleichzeitig machte Lauterbacher Karriere bei der SS. Im November 1940 wurde Lauterbacher in die SS (SS-Nr.: 382404) im Rang eines Brigadeführers übernommen. Er stieg bis Ende Januar 1944 zum SS-Obergruppenführer auf.

Berüchtigt ist die "Aktion Lauterbacher" vom September 1941 in Hannover, in der er die Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung anordnete. Etwa 1200 Juden wurden aus ihren Wohnungen vertrieben und unter katastrophalen Umständen in 15 sogenannten "Judenhäusern" untergebracht. Dies war die Vorstufe für die im Dezember 1941 beginnende Deportation der hannoverschen Juden in die Vernichtungslager.

Der fanatische Nationalsozialist Lauterbacher verkündete noch am 4. April 1945 Durchhalteparolen, wenige Tage, bevor alliierte Truppen Hannover erreichten. Er ließ Meldungen über Rundfunk und Zeitungen unter der Überschrift verbreiten: "Lieber tot, als Sklav' " und drohte: "Wer weiße Fahnen hisst und sich kampflos ergibt, ist des Todes."

Allerdings zog er selbst die Flucht vor und verschwand am 8. April 1945 aus Hannover. Nach dem Krieg wurden acht gerichtliche Verfahren gegen Lauterbacher eingeleitet, unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aber er wurde wie so viele andere nie zur Rechenschaft gezogen. So sprach ihn Anfang Juli 1946 das Obere Britische Militärgericht in Hannover von der Anklage frei, Anfang April 1945 die Ermordung deutscher und alliierter Häftlinge des Gefängnisses von Hameln angeordnet zu haben.

Im August 1947 begann im Internierungslager Dachau ein weiteres Verfahren gegen Lauterbacher, in dem ihm zur Last gelegt wurde, die Erschießung von zwölf abgeschossenen amerikanischen Piloten befohlen zu haben. Oktober 1947 endete auch dieser Prozess mit einem Freispruch.

Die Staatsanwaltschaft Hannover, die 1947 ein Verfahren gegen Lauterbacher eröffnet hatte, dem weitere Ermittlungsverfahren in München und Hannover folgten, stellte die Ermittlungen wegen Verjährung ein. Bei den Nürnberger Prozessen trat der ehemalige stellvertretende Reichsjugendführer Hartmann Lauterbacher als Entlastungszeuge für seinen ehemaligen Chef Baldur von Schirach auf.

Lauterbacher, der wenige Wochen nach seiner Flucht aus Hannover im Juni 1945 von einem britischen Kommando in Kärnten verhaftet und im Lager Sandbostel bei Bremervörde interniert worden war, konnte am 25. Februar 1948 unter bis heute ungeklärten Umständen fliehen.

Die Braunschweiger Zeitung berichtete Anfang 2009 von amerikanischen Geheimdienstunterlagen, nach denen vermutlich die "Antikommunistische Front", eine Organisation hoher Wehrmacht- und SS-Offiziere, hinter der Aktion stand. Außerdem soll Lauterbacher zu dieser Zeit schon Verbindungen zum US-Geheimdienst CIC gehabt und mit dessen Unterstützung in Ungarn eine "internationale anti-bolschewistische Organisation" gegründet haben.

Wenig später tauchte Lauterbacher in Rom in Italien unter, wo er unter dem Decknamen "Bauer" offenbar im Auftrag alliierter Geheimdienste an der Organisation der sogenannten Rattenlinien beteiligt war. Entlang dieser Rattenlinien, unter anderem der sogenannten "Vatikan-Route", wurden Nazikriegsverbrecher wie Adolf Eichmann, Joseph Mengele, Klaus Barbie und viele andere Faschisten mit Hilfe von Schleusern nach Südamerika oder in Staaten des Nahen Ostens gebracht.

Im April 1950 wurde Lauterbacher in Italien verhaftet und in das Lager La Frachette bei Rom gebracht. Angeblich floh er von hier im Dezember 1950 nach Argentinien -- eine Falschmeldung, die die Organisation Gehlen 1951 lancierte, um zu verschleiern, dass sie Hartmann Lauterbacher bereits 1950 als festen Mitarbeiter eingestellt hatte.

Nach dem offiziellen Ausscheiden aus dem BND 1963 arbeitete Lauterbacher für diktatorische Regimes in Afrika und im Nahen Osten. So war er von 1977 bis 1979 offizieller Berater des Sultans von Oman, Qabus ibn Said, für Jugendfragen. 1988 starb er im Alter von 78 Jahren in Seebruck am Chiemsee, ohne dass er jemals für seine grausamen Verbrechen während der Nazi-Diktatur zur Verantwortung gezogen wurde.

Die Akte Hartmann Lauterbacher ist ein weiteres Mosaikstück in der braunen Geschichte des BND, deren umfassende Aufklärung immer noch aussteht und die den Geheimdienst bis heute prägt.

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