Die Kriegsschulddebatte und die Kontinuität der deutschen Außenpolitik

Erfolgreicher Auftakt der IYSSE-Seminarveranstaltungen an der Humboldt-Universität

Am Montag fand die Auftaktveranstaltung einer Seminarreihe der IYSSE (International Youth and Students for Social Equality) an der Berliner Humboldt-Universität statt. Die HU-Gruppe der IYSSE nimmt an den StuPa-Wahlen teil und organisiert als Teil ihres Wahlkampfs eine Seminarreihe zum Thema: „Die Rückkehr des deutschen Militarismus und die Fälschung der Geschichte“.

Obwohl der vergangene Montag der erste Studientag nach der Weihnachtspause war, kamen etwa fünfzig Studenten und Arbeiter und verfolgten den Vortrag mit großem Interesse. Als Referenten hatte die IYSSE den Chef-Redakteur der deutschen WSWS, Peter Schwarz eingeladen. Er sprach über „Die Kriegsschulddebatte und die Kontinuität der deutschen Außenpolitik“.

Die Veranstaltung an der Humboldt-Universität

Zu Beginn erklärte der Vorsitzende der Hochschulgruppe Sven Wurm warum die IYSSE an den Wahlen zum Studentenparlament am 20/21. Januar teilnimmt und dazu vier Kandidaten aufgestellt hat. In der Vergangenheit sei das Interesse an diesen Wahlen äußerst gering gewesen, berichtete er. Weniger als 10 Prozent der Studierenden seien zur Wahl gegangen, was vor allem damit zusammenhänge, dass fast nur völlig unernste Gruppierungen zur Wahl standen.

„Wir treten zu den StuPa-Wahlen an, um gegen die Rückkehr des deutschen Militarismus zu kämpfen. Wir führen unseren Wahlkampf unter der Parole: 'Wissenschaft statt Kriegspropaganda!'“, erklärte Wurm und schilderte, wie einige Professoren versuchen die Geschichte umzuschreiben und die Kriegsverbrechen der Nazi-Diktatur zu revidieren. Er zitierte Prof. Jörg Baberowski, der vor knapp einem Jahr im Spiegel mit den Worten zitiert wurde: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.'“

„Wir werden verhindern, dass die Humboldt-Universität erneut in ein ideologisches Zentrum für Krieg und Diktatur verwandelt wird“, betonte Wurm.

Peter Schwarz knüpfte an diesen Punkt an und erklärte, dass nur derjenige gegen Geschichtsfälschung und Kriegspropaganda kämpfen könne, der die Geschichte kennt. Zu Beginn seines Vortrags machte Schwarz auf das Buch von David North Die russische Revolution und das unvollendete 20. Jahrhundertaufmerksam, dessen deutsche Übersetzung im Frühjahr erscheint. Er zitierte aus dem Vorwort, in dem North schreibt:

„Die Geschichte ist zum Schlachtfeld geworden. … Die ständig zunehmenden Konflikte und Krisen des 21. Jahrhunderts sind ausnahmslos mit Auseinandersetzungen über die Geschichte des 20. Jahrhunderts verwoben. Je stärker aktuelle politische Kämpfe an historische Fragen rühren, desto offener wird der Umgang mit ihnen durch politische Erwägungen bestimmt. Die Vergangenheit wird im Interesse der heutigen politischen Reaktion gefälscht. … Die Geschichtsforschung wird immer schamloser den finanziellen und politischen Interessen der Herrschenden untergeordnet.“

Dann schilderte Schwarz anschaulich die beiden großen Historiker-Debatten, die im vergangenen Jahrhundert zu heftigen Auseinandersetzungen führten. Die erste war die so genannte „Fischer-Kontroverse“. In seinem Buch „Griff nach der Weltmacht“ hatte der Historiker Fritz Fischer 1961 minutiös nachgewiesen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen den globalen Ansprüchen des wirtschaftlich rasch expandierenden Deutschen Reichs, dem Kriegsausbruch im Sommer 1914 und den Zielen gab, die Deutschland während des Kriegs verfolgte.

Aus Fischers Buch ging außerdem hervor, dass es eine direkte Kontinuität zwischen den Kriegszielen des Kaiserreichs und Hitlers Kriegszielen im Zweiten Weltkrieg gab.

Die zweite Debatte war der „Historikerstreit“. Er wurde 1986 durch einen Artikel von Ernst Nolte ausgelöst, der argumentierte, die Verbrechen der Nationalsozialisten sollten als nachvollziehbare Reaktion auf die Oktoberrevolution, den russischen Bürgerkrieg von 1918-1921 und die Barbarei des Sowjetbolschewismus aufgefasst werden.

Schwarz zitierte Nolte, der das Vorgehen der Nationalsozialisten als „aus Angst geborene Reaktion auf die Vernichtungsvorgänge der Russischen Revolution“ bezeichnete. Nolte forderte: „Die Dämonisierung des Dritten Reiches kann nicht akzeptiert werden.“

In beiden Kontroversen setzten sich damals Historiker durch, die eine deutsche Mit- oder Hauptverantwortung für die beiden Weltkriege bejahten: in der ersten Fritz Fischer, der eine jüngere Generation von Historikern beeinflusste, die wesentlich zum Verständnis des Ersten Weltkriegs und seiner Ursachen beitrugen; in der zweiten die Gegner Ernst Noltes, die eine Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen ablehnten.

„Das soll nun geändert werden“, erklärte Schwarz. Das Geschichtsverständnis solle in Überstimmung mit den neuen Zielen der deutschen Außenpolitik gebracht werden.

Herfried Münkler habe die Aufgabe übernommen, Fritz Fischer anzugreifen, Jörg Baberowski, der den Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte an der Humboldt-Uni inne hat, konzentriere sich darauf, Ernst Nolte zu rehabilitieren. Nicht zufällig habe Baberowski dem Spiegel im Februar gesagt: „Nolte wurde Unrecht getan. Er hatte historisch recht“.

Schwarz konzentrierte sich auf die Fischer-Kontroverse und widerlegte die Argumente von Herfried Münkler Punkt für Punkt. Die Behauptung, Deutschland sei in den Ersten Weltkrieg hineingeschlittert, oder hinein-geschlafwandelt, wie Münkler und der australische Historiker Christopher Clark behaupten, wurde bereits von Fritz Fischer selbst durch viele Fakten und Dokumente als falsch bewiesen.

Schwarz zitierte unter anderem eine Direktive von Kaiser Wilhelm aus dem Jahr 1905, die deutlich macht, dass Militarismus und Kriegsvorbereitung auch eine innenpolitische Funktion hatten. Sie dienten dazu die wachsenden Klassenspannungen nach außen abzulenken und die sozialistische Arbeiterbewegung zu unterdrücken. Kaiser Wilhelm fürchtete ein Übergreifen der russischen Revolution nach Deutschland und gab im Dezember 1905 seinem Kanzler Bülow die Anweisung: „Erst die Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen, wenn nötig, per Blutbad, und dann Krieg nach außen.“

Auch ein anderes Dokument in Fischers Buch sei sehr aufschlussreich, erklärte Schwarz. 1912 habe der Militärhistoriker Friedrich von Bernhardi ein Bestseller-Buch mit dem Titel „Deutschland und der nächste Krieg“ veröffentlicht. Die darin zusammengefassten Überlegungen und Forderungen gäben nach Einschätzung von Fischer, „mit großer Präzision die Intentionen des offiziellen Deutschland“ wieder. „Um Deutschlands Durchstoß zur Weltmacht zu sichern, nennt Bernhardi drei Ziele: Ausschaltung Frankreichs, Gründung eines mitteleuropäischen Staatenbundes unter deutscher Führung und Deutschlands Ausbau als Weltmacht durch die Gewinnung neuer Kolonien.“

„Das war zwei Jahre vor Kriegsbeginn“, sagte Schwarz und fügte hinzu, „die angeblichen Schlafwandler hatten offenbar den Griff nach der Weltmacht fest im Blick.“

Abschließend erklärte Schwarz: „Münklers Attacken auf Fritz Fischer sollen verhindern, dass die historischen Vorbilder studiert und verstanden werden, auf die sich die heutige Außenpolitik stützt. Sie dienen dazu, das geistige Klima zu vergiften und Widerstand gegen den Militarismus zu ersticken.“ Dagegen wende sich die IYSSE.

Der Vortrag stieß auf große Zustimmung. Im Anschluss daran wurden mehrere Fragen gestellt. Unter anderem wurde darüber diskutiert, warum der Kampf gegen Krieg die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms erfordert.

Am kommenden Montag wird die Seminarreihe fortgesetzt. Das Thema lautet dann „Die Relativierung der Naziverbrechen an der Humboldt-Universität“. Der Vortrag wird auf die Frage eingehen, warum Ansichten, die lange Widerstand hervorriefen, heute weitgehend kritiklos von der akademischen Welt akzeptiert werden.

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