Zwölf Tote bei Terroranschlag auf Redaktionsräume von Charlie Hebdo in Paris

Am Morgen des gestrigen 7. Januar stürmten mit Maschinengewehren, Raketenwerfern und Schusswesten ausgerüstete Maskierte die Redaktionsräume der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris und richteten dort ein Massaker an. Zwölf Menschen kamen ums Leben. Acht weitere wurden verwundet, vier von ihnen schweben noch in Lebensgefahr. Die Zeichner Charb, Cabu, Tignous und Wolinski sind tot.

In Paris, Toulouse und anderen Städten Frankreichs kam die Bevölkerung zu Protestkundgebungen zusammen. In ganz Europa, u.a. in London, Berlin und Rom, trieb das Entsetzen über die Morde die Menschen auf die Straße.

Die Pariser Polizei gab am Abend bekannt, dass sie drei Verdächtige identifiziert habe: die Brüder Said Kourachi und Cherif Kouachi, beide französische Staatsbürger Anfang 30, und den achtzehnjährigen Hamyd Mourad. Mourad stellte sich daraufhin in einer Polizeiwache 145 Kilometer von Paris entfernt und befindet sich seitdem in Gewahrsam.

Die Identifizierung der mutmaßlichen Täter wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Vor allem Cherif Kouachi ist den französischen und amerikanischen Geheimdienst- und Polizeibehörden gut bekannt. Wie die New York Times berichtete, wurde er in Frankreich im Jahr 2005 unter dem Vorwurf verhaftet, er beabsichtige in den Irak zu reisen, um sich dem Aufstand gegen die amerikanischen Besatzer anzuschließen. 2008 wurde er von einem französischen Gericht wegen terroristischer Straftaten zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er versucht habe, französische Muslime in den Irak zu schleusen. Damals erklärte er gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press, die Bilder von Folterungen aus dem US-Gefängnis Abu Ghraib im Irak hätten ihn zum Handeln bewogen.

Kouachi saß 18 Monate seiner Strafe ab und stand seither unter strenger Überwachung des französischen Geheimdiensts. Die Behörden sind eine Erklärung schuldig, wie sich ein solcher Mann – falls es sich tatsächlich um einen der Schützen handelt – einen Raketenwerfer und ein Maschinengewehr beschaffen und einen hochprofessionell organisierten Mordanschlag mitten in Paris verüben konnte, ohne entdeckt oder aufgehalten zu werden.

Zudem wussten die französischen Behörden, dass die Charlie-Hebdo-Redaktion ein potenzielles Anschlagsziel war. Ihr Büro wurde nach einem Brandanschlag im Jahr 2011 unter Polizeischutz gestellt. Zuvor hatte das Magazin Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlicht. Charb stand unter Polizeischutz, da sein Name dem Vernehmen nach auf einer Todesliste von Al Qaida stand. Dennoch konnten sich die Attentäter kurz vor elf Uhr Zugang zu dem Gebäude verschaffen, indem sie eine Angestellte mit der Waffe bedrohten.

Das Blutbad in Paris folgt dem Muster fast aller großen Terroranschläge weltweit, vom 11. September 2001 bis heute. Die Täter tauchten nicht aus dem Nichts auf, sondern waren den Sicherheitsdiensten bereits vorher bekannt und standen angeblich unter ihrer Beobachtung. Regelmäßig wurde anschließend mit Verweisen auf ein „Versagen der Geheimdienste“ begründet, dass sich die Verbrechen nicht verhindern ließen.

Die Erfahrung vieler Jahre lehrt, dass hinter solchen Operationen in der Regel politische Kräfte stecken, die weitaus komplexer und bedrohlicher sind, als auf den ersten Blick erkennbar. Für welche politischen Ziele diese jüngste Gräueltat benutzt werden wird, zeichnete sich bereits klar ab, noch bevor von irgendeiner Seite ihre Urheber benannt wurden: Sie wurde sofort aufgegriffen, um Wasser auf die Mühlen der äußersten Rechten in Europa und weltweit zu leiten.

In diese Kerbe schlug beispielsweise umgehend die New York Times. Sie erklärte, das Massaker werde „mit Sicherheit das Anwachsen islamfeindlicher Stimmungen in Europa begünstigen und rechtsextreme, nationalistische Parteien wie den Front National in Frankreich stärken“.

Hintergrund des Anschlags in Paris ist die zunehmende rechte Hetze gegen Ausländer, Einwanderer und Moslems in ganz Europa, die sich im Anwachsen der Pegida in Deutschland oder der nationalistischen UKIP in Großbritannien niederschlägt. Die Reaktion der Medien macht deutlich, dass das Massaker in Paris ausgenutzt wird, um diese reaktionären Tendenzen zu stärken.

Die Vorsitzende des neofaschistischen Front National, Marine Le Pen, nahm es sogleich zum Anlass, den gehässigen Nationalchauvinismus ihrer Partei zu rechtfertigen. „Ich fühle mich verpflichtet zu sagen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen dürfen und diesen Anschlag im Gegenteil zum Anlass nehmen müssen, gegenüber dem islamischen Fundamentalismus offenere Worte zu finden“, erklärte sie – ein Aufruf, härtere Bandagen anzulegen und Einwanderer- und Islamfeindlichkeit hochzupeitschen.

Wer immer das Massaker verübt hat, Terroranschläge dieser Art spielen den reaktionärsten Kräften im Staatsapparat in die Hände. Sie kommen dem wachsenden Teil der herrschenden Elite zugute, der Militärinterventionen im Ausland und Polizeistaatsmaßnahmen im Inland vorantreiben will. Inmitten der Angst und Verwirrung, die solche Anschläge in der Öffentlichkeit hinterlassen, kann der Staat Maßnahmen umsetzen, für die es ansonsten in der Bevölkerung keinen Rückhalt gäbe. Das hat die Staatsaufrüstung im Gefolge der Angriffe auf das World Trade Center 2001 nachhaltig bewiesen.

Und so traf François Hollande mittags um 12:30 Uhr am Tatort ein, um eine groß angelegte Polizeioperation anzukündigen und die Einheit der Nation zu beschwören. Hollande ist der unbeliebteste französische Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg, nachdem Frankreich unter seiner Regierung gegen den Willen der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit das kriegerische Engagement im Nahen Osten verstärkt hat. Prompt versuchte er aus dem Anschlag politisches Kapital zu schlagen.

Alle Augenzeugenberichte über den Anschlag vom 7. Januar deuten darauf hin, dass er präzise vorbereitet und mit äußerster Brutalität durchgeführt wurde.

Corinne Rey, eine Zeichnerin des Magazins, berichtete der Zeitung L'Humanite: „Ich war weggegangen, um meine Tochter von der Kita abzuholen, und als wir vor dem Redaktionsgebäude ankamen, wurden wir von zwei maskierten und bewaffneten Männern brutal bedroht. Sie wollten hinein und in die oberen Stockwerke. Ich gab den Code ein. Sie erschossen Wolinski, Cabu... Es dauerte fünf Minuten. Ich versteckte mich unter einem Schreibtisch... Sie sprachen perfektes Französisch… Sie behaupteten, sie seien von Al Qaida.“

Auffällig war, dass die Täter die Arbeitsabläufe bei Charlie Hebdo offenbar genau kannten. „Die Täter waren gut informiert und wussten, dass die wöchentliche Redaktionssitzung am Mittwochmorgen um zehn Uhr stattfindet. Ansonsten sind die Woche über nicht so viele Leute da“, erklärte ein weiterer Redakteur von Charlie Hebdo gegenüber der Zeitung Le Monde.

Laut Zeugenberichten gingen die Täter kaltblütig und planvoll vor. Als sie das Feuer eröffneten, riefen sie „Allahu Akbar“. Sie identifizierten die Journalisten, bevor sie sie erschossen, und sagten wohl auch, sie würden keine Frauen töten. Als sie das Gebäude verließen, lieferten sie sich bei der Flucht eine Schießerei mit der Polizei. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits zehn Todesopfer innerhalb des Büros und zwei außerhalb, darunter zwei Polizisten.

Die Täter griffen bei der Flucht mehrere Polizeiautos an und riefen dabei erneut „Allahu Akbar“. Sie hielten an, um einen verletzten Polizisten mit einem Kopfschuss hinzurichten. Dann entkamen sie der Polizei im dichten Verkehr und ließen ihr Auto nahe der Porte de Pantin zurück. Sie beschafften sich ein neues Fahrzeug, indem sie den Fahrer mit Waffen bedrohten, und entkamen in die nördlichen Vororte von Paris.

Nachrichtensprecher des französischen Privatsenders BFM-TV verglichen die Schießerei mit dem 11. September 2001 in New York und stellten Spekulationen an, ob die Terrororganisation ISIS dafür verantwortlich sei. Sie sagten voraus, dass sich der Anschlag auf Charlie Hebdo als Zeitenwende erweisen werde, und meinten: „Der 7. Januar wird Frankreich zu Beginn des 21. Jahrhunderts prägen.“

In den nördlichen Vorstädten von Paris, in die sich die Attentäter zurückgezogen hatten, wurden im Laufe des Tages mehr als 3000 Polizisten für die Fahndung eingesetzt. Auch in Bahnhöfen, öffentlichen Gebäuden und vor Denkmälern in Paris und ganz Frankreich zog schwer bewaffnete Polizei auf.

Alain Chouet, früherer Chef des französischen Auslandsgeheimdiensts (DGSE), sagte gegenüber dem Nachrichtenportal Atlantico: „Das sind Profis, sie waren schwarz gekleidet und waren mit Mützen vermummt, um nicht erkannt zu werden. Ihr Vorgehen war das von Verbrechern im großen Stil.“

Auf die Frage, ob islamistische Gruppierungen wie IS nun also mit dem organisierten Verbrechen in Frankreich zusammenarbeiteten, antwortete er: „Es bleibt abzuwarten, ob die Täter Kontakte ins Ausland hatten... Es kann sich um zwei Arten professioneller Gewalttäter handeln: entweder Kriminelle, die diese Tat aus irgendeinem Grund begangen haben, oder Profis, die im Ausland ausgebildet und zu diesem Zweck nach Frankreich geschickt wurden. Wenn jedoch der Islamische Staat diese Operation von Anfang bis zum Ende geplant hätte, dann hätte er wahrscheinlich ein symbolträchtigeres Ziel ausgewählt, eines, das direkter für den französischen Staat steht.“

Zum jetzigen Zeitpunkt kann man keiner Aussage der Medien oder des französischen Staates über den Anschlag oder die Täter vertrauen.

Es ist möglich, dass der Anschlag von zutiefst desorientierten und von der Gesellschaft entfremdeten französischen Moslems verübt wurde. Ursache wäre in diesem Fall die Verbitterung über ihre erbärmlichen Lebensbedingungen in Frankreich, die Diskriminierung von Moslems, die Art und Weise, wie sie von den Behörden behandelt werden, und die grausamen Folgen der jahrelangen Militäroperationen der USA und Europas im Nahen Osten. Doch auch in diesem Fall wäre nicht ausgeschlossen, dass die Täter in ihrem Vorgehen von Behörden und Interessengruppen unterstützt oder sogar angestachelt wurden, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Unabhängig von seinem Hergang sind das politische Ziel und die Auswirkungen des Anschlags klar: Es geht darum, in der Gesellschaft nationale, ethnische und religiöse Fronten aufzubauen, die Arbeiterklasse zu spalten und den Kurs auf Krieg, soziale Reaktion und Unterdrückung voranzutreiben.

Die größte Gefahr, die der furchtbare Anschlag auf Charlie Hebdo mit sich bringt, liegt in den politischen Zielen, für die er benutzt wird. Wenn die Medien sofort Vergleiche mit den Anschlägen vom 11. September anstellten, muss dies der Arbeiterklasse als Warnung dienen. Die Tragödie von 2001 wurde ausgenutzt, um die amerikanische Bevölkerung in unpopuläre Kriege im Nahen Osten zu treiben, vor allem im Irak und in Afghanistan. Die amerikanischen Geheimdienste wurden zu einem riesigen Inlandsüberwachungsapparat ausgebaut. Hinzu kommen paramilitärische Verbände, die ein weltweites Folter- und Drohnenmordnetzwerk betreiben, das keinerlei öffentlicher Kontrolle unterliegt.

Klassenbewusste Arbeiter müssen alle Versuche des Staates zurückweisen, die Morde an den Charlie-Hebdo-Redakteuren auszunutzen, um die Kriege im Irak, Syrien und im Nahen Osten voranzutreiben und demokratische Rechte weiter auszuhöhlen.

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