Wie Medien und Politik Pegida aufbauen

„Wir sind Dresden“, betitelte Reinhard Veser am Montag seinen Leitartikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und bezog sich damit auf die Absage der fremdenfeindlichen Pegida-Demonstration in der sächsischen Landeshauptstadt.

„Muss die Losung ‚Je suis Charlie‘ nun von ‚Wir sind Pegida‘ abgelöst werden?“ fragt er und antwortet dann selbst: „Für die Initiatoren von Pegida und für die Dresdner Demonstranten gilt das gleiche wie für die Satiriker von ‚Charlie Hebdo‘: Der Angriff auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Angriff auf uns alle.“

Sein Kollege Jasper von Altenbockum erklärte am Tag darauf in der gleichen Zeitung, dass die Demokratie schon vor dem Verbot der Demonstration eine „Niederlage“ erlitten habe, weil „unbescholtene Pegida-Mitläufer zum Freiwild der demokratischen ‚Kultur‘ erklärt“ worden seien.

Dieser Feldzug der F.A.Z. stellt eine neue Qualität in der Ermunterung und Unterstützung für die rechtsextreme Pegida-Bewegung dar. Mit der Losung „Je suis Charlie“ wurde der reaktionäre Terroranschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo bereits genutzt, um im Namen der Meinungsfreiheit die islamfeindliche Hetze des Blattes zu verteidigen. Nun wird eine mutmaßliche Terrordrohung eingesetzt, um die Rassisten und Rechtsextremisten der Pegida hoffähig zu machen.

Die Terrorwarnung ist dabei mehr als suspekt. Am Sonntag kündigte die Dresdner Polizei an, dass am Montag sämtliche Demonstrationen in der Stadt verboten seien. Grund sei die konkrete Bedrohung der Pegida-Demonstration durch islamistische Terroristen. Weitere Details nannte die Polizei nicht.

Später stellte sich heraus, dass die Pegida-Demonstration in Absprache mit deren Organisatoren abgesagt worden war. Einem Bericht der Süddeutschen Zeitung zufolge bestand die einzige Grundlage dieser Entscheidung aus einer arabischen Twitter-Nachricht, die den Pegida-Organisator Lutz Bachmann vage bedroht hatte, sowie der nicht weiter spezifizierten Nachricht eines ausländischen Geheimdienstes. Die Zeitung stützt sich auf die Aussagen eines hochrangigen Sicherheitsbeamten, der auf einer Telefonkonferenz der Landesinnenminister anwesend war.

Der gleichen Quelle zufolge hat weder das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), in dem Vertreter von vierzig Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, noch das Bundeskriminalamt ein Verbot der Demonstrationen empfohlen. „Am Ende hat Dresden entschieden“, wird der Sicherheitsbeamte zitiert. „Auf dieser Grundlage sagt man keine Demonstration ab.“

Die Dresdner Polizei, die hier in Absprache mit Pegida sämtliche Demonstrationen verbot, ist schon früher durch ihre Nähe zu rechtsextremen Kreisen aufgefallen. Zuletzt geriet sie in die Schlagzeilen, weil sie die Ermittlungen zu dem Mord an einem Flüchtling nach einer Pegida-Demonstration verschleppte.

Völlig unverständlich bleibt, weshalb nicht Bachmann Personenschutz erhalten hat, sondern die ganze Demonstration abgesagt wurde, und warum darüber hinaus sämtliche Demonstrationen, auch die der Pegida-Gegner verboten wurden. Selbst wenn man die Twitter-Nachricht für bare Münze nähme, sind solche Maßnahmen mit dem Schutz der Demonstranten kaum zu rechtfertigen.

Die Aktion sollte ganz im Gegenteil einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, auf dessen Grundlage sich in Zukunft jede Demonstration verbieten lässt. Das Verbot jeglicher Demonstrationen in Dresden stellt einen scharfen Angriff auf demokratische Grundrechte dar.

Zugleich ist die abgesprochene Absage der Pegida-Demonstration ein Versuch, die Rechtsextremisten von Tätern zu Opfern zu machen und erneut ins Rampenlicht zu rücken. Ihre ausländerfeindlichen Parolen und ihre Hetze gegen den Islam sollen verharmlost und hoffähig gemacht werden, wie es nicht zuletzt in den F.A.Z.-Kommentaren deutlich wird.

Die Demonstrationen der selbsternannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) waren von Anfang an eine mediale und politische Inszenierung. Die zunächst sehr kleinen Demonstrationen erhielten überproportionale Medienpräsenz. Politiker von Linkspartei bis CSU erklärten Verständnis für die „berechtigten Sorgen“ der Demonstranten oder machten diesen Gesprächsangebote.

Die Zahlen der Demonstrationen wurden von Polizei und Medien systematisch übertrieben. Eine Forschergruppe um den Soziologen Dieter Rucht kam nun zu dem Ergebnis, dass am letzten Montag nicht die von der Polizei genannten 25.000 Menschen an der Dresdner Demonstration teilnahmen, sondern allenfalls 17.000. Die Zahl der Demonstranten in Leipzig wurde demnach sogar verdoppelt. Statt der 4.000 polizeilich angegebenen zählten die Forscher nur 2.000 Teilnehmer.

Der Soziologe kommt zudem zu dem Ergebnis, dass Pegida ihren Höhepunkt schon gesehen habe. „Pegida wird in Dresden sukzessive an Zulauf verlieren und ausdünnen“, sagt Rucht. Genau in diesem Moment erhalten die Rechtsextremisten neue Bühnen und beginnen sich zu professionalisieren.

Am Sonntagabend nahm mit Kathrin Oertel erstmalig eine Organisatorin der Pegida-Demonstrationen die Einladung einer Talkshow an. Bei Günther Jauch erhielt sie die Möglichkeit, ihr braunes Gedankengut den Zuschauern der ARD zur besten Sendezeit zu präsentieren. Diese nutzte sie, um mit dümmlicher Attitüde „Multikulti“ für gescheitert zu erklären, angebliche Hasspredigten in Koranschulen zu kritisieren und eine Verschärfung des Asylrechts zu fordern. 

Ihre Mitdiskutanten waren sorgsam ausgewählt. Es gab niemandem, der ihr auch nur ansatzweise entgegentrat. Neben ihr war der Vizevorsitzende der rechtskonservativen Alternative für Deutschland (AfD), Alexander Gauland, postiert. Dieser erklärte Pegida für natürliche Verbündete seiner Partei. Er schwadronierte, in der mutmaßlichen Terrordrohung gegen Pegida werde „der Beginn der Islamisierung“ sichtbar, und identifizierte damit kurzerhand den Islam mit Terrorismus.

Der ehemalige Präsident des deutschen Bundestags Wolfgang Thierse (SPD) und der 34-jährige CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn umgarnten Oertel abwechselnd und machten ihr Gesprächsangebote. „Über alle 19 Punkte, die Grundlage Ihrer Demonstration sind, kann man reden, aber dafür müsste man sich mal zusammen hinsetzen,“ sagte Spahn.

Außerdem war Frank Richter geladen, der die staatliche Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen leitet. Dieser hatte der Pegida schon im November, als die Demonstrationen noch sehr klein waren, „starke Argumente“ attestiert und die Rechtsextremen als „besorgte Bürger, die Sorgen haben um ihre Kultur und ihre Stadt“ bezeichnet.

Bei Jauch warf Richter den anderen Anwesenden vor, sie wendeten sich Pegida noch zu wenig zu. Man sei an einem „Tiefpunkt der politischen Kultur“, wenn mit den „besorgten Bürgern“ kein Dialog gesucht werde.

Am Tag nach der Talkshow öffnete Richter Pegida die Türen seiner dem sächsischen Kultusministerium unterstehenden Landeszentrale für eine Pressekonferenz. Bachmann und Oertel konnten in den öffentlich finanzierten Räumen ihre Propaganda verbreiten. Dabei kündigten sie an, dass sie nicht ewig weiter demonstrieren, sondern mit Politikern ins Gespräch kommen wollten, um die Bewegung zu verstetigen.

Diese Ermutigung fremdenfeindlicher und rechtsextremer Kräfte ist eine ernste Warnung. Ähnlich wie in Frankreich, wo Präsident François Hollande den Front National hofiert, werden in Deutschland die reaktionärsten Elemente mobilisiert, um die Politik von Sozialangriffen und Krieg gegen verbreiteten Widerstand durchzusetzen.

Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt diese Politik entschieden ab. Am Montag demonstrierten in ganz Deutschland zehntausende Menschen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. In München waren es 12.000, 10.000 in Wiesbaden und ebenso viele in Bielefeld. Tausende gingen auch in Magdeburg, Braunschweig, Leipzig und vielen anderen Städten auf die Straße, um gegen den braunen Mob zu protestieren. Die diversen Ableger der Pegida zogen hingegen jeweils nur einige hundert Personen an.

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