Boko Haram und die Rückkehr des deutschen Imperialismus nach Afrika

Die Bundesregierung plant das militärische Engagement Deutschlands in Afrika auszuweiten. Anfang der Woche kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an, den Kampf gegen Boko Haram zu unterstützen.

Deutschland sei zu finanzieller Hilfe im Kampf gegen die Terrormiliz bereit, erklärte Merkel nach einem Treffen mit dem ghanaischen Präsidenten John Dramani Mahama am Montag in Berlin. Das westafrikanische Land will Boko Haram mit einer regionalen Einsatztruppe bekämpfen. „Ghana kann Truppen dafür zur Verfügung stellen“, erklärte Mahama. Beim nächsten Gipfeltreffen der Afrikanischen Union werde über die Pläne gesprochen.

Merkel sagte der geplanten Kampftruppe finanzielle Unterstützung zu und sprach von „abscheulichen, brutalen Verbrechen, die dort an der Zivilbevölkerung in Nigeria, aber auch in Kamerun verübt werden“. An ein direktes militärisches Eingreifen der Europäischen Union sei derzeit jedoch nicht gedacht.

Boko Haram hat seit Beginn des Jahres weite Gebiete im Norden Nigerias unter seine Kontrolle gebracht und ist bis ins benachbarte Kamerun vorgestoßen. Am 4. Januar nahmen Kämpfer der Miliz eine Militärbasis der Multinational Joint Task Force in Baga im nigerianischen Bundesstaat Borno ein. Laut Medienberichten wurde die Stadt komplett zerstört und bis zu 2000 Menschen umgebracht. Baga war der letzte noch von der Zentralregierung kontrollierte Ort im Nordosten des Landes und bereits mehrfach Schauplatz erbitterter Kämpfe. 2013 hatte die nigerianische Armee dort ein Massaker an der Zivilbevölkerung mit über 200 Toten verübt.

Neben Baga sollen viele andere Städte der Region nicht mehr unter der Kontrolle der nigerianischen Regierung von Goodluck Jonathan sein, darunter Damasak, Gubio, Kukawa, Mafa, Bama und Konduga. Das von Boko Haram zumindest teilweise kontrollierte Gebiet umfasst Berichten zufolge mehr als 50.000 Quadratkilometer und erstreckt sich von Machena an der Grenze zu Niger über Damaturu bis nach Yola an der kamerunischen Grenze.

Merkels Unterstützung für den Kampf gegen Boko Haram ist ein Signal. Nach den Anschlägen von Paris bereitet sich die Bundesregierung darauf vor, die imperialistischen Interessen Deutschlands auch in Afrika zunehmend militärisch zu verfolgen. Die Bundeswehr arbeitet bereits jetzt eng mit den Ghana Armed Forces zusammen und unterstützt sie beim Aufbau eines Pionierregiments als Teil einer Eingreiftruppe der Afrikanischen Union.

Die deutsche Offensive in Afrika ist von langer Hand geplant und Bestandteil der Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außenpolitik. Bereits Mitte Mai letzten Jahres hatte das Kabinett die „Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung“ verabschiedet, die sich wie ein Strategiepapier zur Ausbeutung des rohstoffreichen Kontinents durch den deutschen Imperialismus im 21. Jahrhundert lesen. Bei der Vorstellung des Papiers erklärte Außenminister Frank-Walter Steinmeier in bester deutscher Großmachtmanier, Deutschland müsse seinen Blick auf Afrika weiten und „seinen politischen Instrumentenkasten der Vielfältigkeit Afrikas anpassen“.

Im ersten Teil der Leitlinien heißt es unter der Überschrift „Ausgangslage: wachsenden Relevanz Afrikas für Deutschland und Europa“: „Potenziale Afrikas ergeben sich aus einer demographischen Entwicklung mit einem Zukunftsmarkt mit hohem Wirtschaftswachstum, reichen natürlichen Ressourcen, Potenzialen für die landwirtschaftliche Produktion und Ernährungssicherung aus eigener Kraft... Afrikanische Märkte entwickeln sich dynamisch und werden – über die Rohstoffwirtschaft hinaus – für die deutsche Wirtschaft ... zunehmend interessanter.“

Der zweite Abschnitt „Unser Engagement in Afrika“ fordert „das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt“ zu stärken. Die Bundesregierung verfolge „den Anspruch, werte- und menschenrechtsbasiert, interessenorientiert, früh, schnell, entschieden und substanziell zu handeln“. Dazu gehören auch militärische Interventionen. Die Bundesregierung wolle „ressortübergreifend … das gesamte Spektrum ihrer vorhandenen Mittel einsetzen, politisch, sicherheitspolitisch, entwicklungspolitisch, regionalpolitisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich, kulturell.“ (Hervorhebung im Original)

Die deutsche Regierung hatte das Nato-Bombardement Libyens im Jahr 2011 zwar offiziell noch abgelehnt, drängt aber seitdem unter dem Deckmantel des Kampfs gegen den Terror verstärkt zurück in die traditionellen Einflussgebiete des deutschen Imperialismus in Afrika. Anfang 2013 beschloss der deutsche Bundestag die französische Militärintervention in Mali zu unterstützen und Soldaten in das Land zu schicken. 2014 wurde der Einsatz ausgeweitet. Weitere deutsche Einsatzkontingente befinden sich derzeit im Senegal, in Zentralafrika, am Horn von Afrika, in der Westsahara, im Sudan, im Südsudan und in Somalia.

Die Rückkehr der Bundeswehr nach Afrika steht wie die Konfrontation mit Russland im letzten Jahr und die Intervention der Bundeswehr im Nahen und Mittleren Osten in der Tradition deutscher Großmachtpolitik.

Als das Deutsche Kaiserreich im Zuge einer neuen Weltpolitik als angeblich „zu spät gekommene Nation“ das erste Mal einen „Platz an der Sonne“ (so der spätere Reichskanzler Bernhard von Bülow am 6. Dezember 1897 vor dem Deutschen Reichstag) anstrebte, war vor allem der Besitz von Kolonien in Afrika gemeint.

Obwohl Deutschland nie mit den führenden Kolonialmächten Frankreich und England gleichziehen konnte, umfassten die sogenannten „deutschen Schutzgebiete“ zu Beginn des Ersten Weltkriegs das viertgrößte Kolonialreich der Erde. Darunter waren Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Deutsch-Westafrika (heute Togo, der Ostteil von Ghana, Kamerun, der Ostteil Nigerias, Teile des Tschad, der Zentralafrikanischen Republik, der Republik Kongo und Gabuns), Deutsch-Ostafrika (heute Tansania und Ruanda) und Deutsch-Witu (heute südliches Kenia).

Nachdem Deutschland seine Kolonien nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg verloren hatte, träumten die deutschen Eliten unter Hitler erneut von einem deutschen Kolonialreich in Afrika. Es sollte als „tropischer Ergänzungsraum“ zu einem von Deutschland dominierten Europa dienen. Der damalige Direktor der Deutschen Bank und Leiter des Amtes Wirtschaft des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP, Kurt Weigelt, fasste in einer Denkschrift vom Juli 1940 die Kriegsziele des Dritten Reichs folgendermaßen zusammen:

„Wirtschaftlich betrachtet sind von höchstem Wert die Länder an der Guineaküste. Ausgehend von unserem alten dortigen Besitz (Togo und Kamerun) bildet der Raum: Goldküste-Togo-Dahomey-Nigeria-Kamerun das ideale Kernstück eines deutschen Afrikabesitzes. Mit seinen weit über 30 Millionen Einwohnern ist dieses Gebiet nicht nur das Optimum des tropischen Ergänzungsraumes, sondern deckt bis auf wenige Ausnahmen (Kupfer) die nationalwirtschaftlich wichtigen Erfordernisse der Heimat.“

Und weiter: „Es kann holzwirtschaftlich durch Hinzunahme des französischen Kongogebietes noch vervollständigt werden, wodurch es zugleich in voller Breite an den belgischen Kongo grenzt, der währungs- und arbeitsmäßig angeschlossen u.a. auch die Deckung des Kupferbedarfs bringen würde. Auf dem Wege zu diesem Gebiet liegen die erwähnten Eisenerze von Conakry und Phospate des französischen Marokko (Sonderabmachungen) sowie flug- und marinetechnische Stützpunkte von Bathurst bzw. Dakar.“

Der neue „Wettlauf um Afrika“ droht wie in der Vergangenheit nicht nur schreckliches Leid über die einheimische Bevölkerung zu bringen, sondern auch die Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten selbst zu verschärfen.

Bereits im vergangenen Sommer erschien ein Artikel in der Zeit der keinen Zweifel daran ließ, dass die deutschen Eliten zunehmend bereit sind, auch in Konfrontation mit ihren nominell Verbündeten zu gehen, um ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen. Unter der Überschrift „Wir brauchen mehr Deutschland in Afrika“ fragte das Blatt: „Reicht es wirklich, immer gerade so viel beizutragen, dass Paris nicht verstimmt ist? Sicher nicht, und es gibt gute Gründe für ein stärkeres Engagement in Afrika aus eigenem Antrieb.“

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