Perspektive

Spannungen zwischen Obama und Netanjahu

Eine Woche nach dem Wahlsieg von Premierminister Benjamin Netanjahu in Israel sind die Spannungen zwischen Washington und Tel Aviv so scharf wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Am Sonntag verwies Präsident Barack Obama in einem Video-Interview der Huffington Post auf seine halbherzige Zurechtweisung Netanjahus, weil dieser in seinem letzten Wahlauftritt an die reaktionärsten und rassistischsten Elemente unter den israelischen Wählern appelliert hatte, um die nötigen Sitze für seine Wiederwahl zusammenzukratzen.

Am Vorabend der Wahl hatte sich der israelische Ministerpräsident unmissverständlich gegen einen palästinensischen Staat ausgesprochen. Netanjahu erklärte, israelisch besetztes Gebiet aufzugeben würde bedeuten, „ein Territorium für radikal-islamistische Terrorangriffe auf Israel zur Verfügung zu stellen“. Auf die Frage, ob das bedeute, dass es keinen palästinensischen Staat geben werde, solange er israelischer Ministerpräsident sei, antwortete er: „In der Tat.“

Am Wahltag selbst appellierte Netanjahu auf offen rassistische Weise an rechte Zionisten, Likud zu wählen. Er warnte: „Die rechte Regierung ist in Gefahr. Arabische Wähler überfluten die Wahllokale. Linke NGOs karren sie in Bussen heran.“

In seinem Interview sagte Obama, er habe dem israelischen Ministerpräsidenten in einem Telefongespräch am Vortag gesagt: „… wir sind weiterhin der Meinung, dass eine Zweistaatenlösung die einzige Garantie für die langfristige Sicherheit Israels ist, wenn es ein jüdischer und ein demokratischer Staat bleiben will. Und ich habe ihn darauf hingewiesen, dass es angesichts seiner Äußerungen vor der Wahl schwer sei, den Menschen glaubhaft zu machen, dass ernsthafte Verhandlungen möglich sind.“

Obamas Problem ist nur, dass Netanjahu gerade eben die wirkliche Politik seiner Regierung und des ganzen zionistischen Establishments in Israel offen ausgesprochen hat in einem verzweifelten Versuch, sich eine vierte Amtszeit zu sichern. Er hat damit den von Washington vermittelten so genannten Friedensprozess als zynischen Betrug entlarvt.

Seit dem Osloer Abkommen von 1993 haben Washington, Tel Aviv und die Palästinensische Autonomiebehörde in der westjordanischen Stadt Ramallah die Vorstellung verbreitet, eine „Zweistaatenlösung“ könne am Verhandlungstisch erreicht werden. Währenddessen hat das israelische Regime ständig „Fakten vor Ort geschaffen“ und die Zahl zionistischer Siedler im besetzten Westjordanland auf über 300.000 verdoppelt, während die 2,7 Millionen Palästinenser auf einzelnen, nicht zusammenhängenden Landfetzen zusammengepfercht sind, voneinander getrennt durch israelische Siedlungen, Checkpoints, militärische Außenposten, Mauern und Sicherheitsstraßen.

Weitere 1,7 Millionen sind im Gazastreifen eingesperrt, der sowohl von Israel wie auch von Ägypten blockiert und immer wieder militärisch angegriffen wird. Die letzte kriminelle Belagerung fand vergangenen Sommer statt, als über 2.300 Männer, Frauen und Kinder getötet wurden.

Diese Vertreibungspolitik und Angriffe gegen die Palästinenser unterstreichen den reaktionären, antidemokratischen Charakter, den jeder so genannte Palästinenserstaat unter der Aufsicht des US-Imperialismus, der herrschenden zionistischen Elite und der palästinensischen Bourgeoisie annehmen würde. Es würde sich um eine verarmte, unzusammenhängende, demilitarisierte Zone handeln, um nichts anderes als ein Gefängnis für die palästinensischen Massen.

Die Behauptung, die so genannten Friedensgespräche würden einen Ausweg für das palästinensische Volk bieten, war nicht nur eine Fiktion, sondern ein übler Betrug. Aber sie hatten für alle Beteiligten eine nützliche Funktion.

Israel dienten sie als Maske für seine Raubzüge und Vertreibungsaktionen, mit denen es immer größere Teile der im Sechs-Tage-Krieg von 1967 eroberten Territorien annektierte. Für die Palästinensische Autonomiebehörde bildeten sie den Rahmen für die Verwandlung der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in ein ausführendes Organ des US-Imperialismus und eine Hilfspolizei für die israelische Besatzung. Sie sorgte dafür, dass die ausgehandelten Auslandshilfen und Kredite in die Taschen der korrupten Führung um Palästinenserpräsident Mahmud Abbas flossen.

Für die Regierung in Washington ermöglichte der “Friedensprozess”, sich als neutralen Mittler hinzustellen und so zu tun, als suche sie nach einer gerechten Lösung für Israel und die Palästinenser, die beiden Seiten gerecht werde. Mit dieser Lüge sicherte sich der US-Imperialismus die Zusammenarbeit arabischer Staaten bei seinen Aggressionskriegen in der Region.

Alle wussten, dass der "Friedensprozess" ein Betrug war, am klarsten die Palästinenser. Doch war man sich unter den direkt Beteiligten einig, es nicht öffentlich zuzugeben. Indem Netanjahu sich jetzt ausdrücklich und offen gegen einen palästinensischen Staat ausspricht, gerät er mit den amerikanischen Interessen in der Region über Kreuz.

Er verschärft damit noch den Konflikt über seine anti-iranische Tirade vom 3. März im US-Kongress, die er in Zusammenarbeit mit der Führung der Republikanischen Partei organisiert hatte, um eine Verhandlungslösung in der Frage des iranischen Atomprogramms zu torpedieren. Das israelische Regime ist nach wie vor entschlossen, die unbewiesenen Behauptungen über eine nukleare Bedrohung durch den Iran zu nutzen, um die USA in einen Krieg für einen Regimewechsel in Teheran hineinzuziehen und auf diese Weise sein eigenes strategisches Ziel einer unangefochtenen Vorherrschaft über die Länder der Region durchzusetzen.

Dies steht jedoch im Widerspruch zur aktuellen Politik der Obama-Regierung, die zumindest vorläufig an einer Annäherung an Teheran interessiert ist, solange sie andere militärische Konfrontationen weltweit vorbereitet.

Obwohl Obama beteuert, dass unabhängig von seinen Meinungsverschiedenheiten mit Netanjahu “unsere militärische und geheimdienstliche Zusammenarbeit mit Israel weitergeht, um die Sicherheit des israelischen Volkes zu gewährleisten”, unterstreichen die jüngsten Zusammenstöße die Krise des US-Imperialismus und seines störrischen zionistischen Vasallenstaates. Beide suchen eine Lösung ihrer jeweiligen Krise mit militärischen Mitteln, aber ihre Zeitpläne und Strategien geraten heftig miteinander in Konflikt.

Für die israelische und die palästinensische Arbeiterklasse unterstreicht die Wiederwahl Netanjahus auf der Grundlage unverhüllter zionistischer Aggression und Reaktion, dass ein nationalistisches Programm keinen Ausweg bietet.

Der Zionismus ist eine Falle für die jüdischen Arbeiter in Israel. Er ordnet ihre Interessen denen einer schmalen Schicht von Milliarden schweren kapitalistischen Oligarchen unter. Das herrschende Establishment versucht, die scharfen sozialen Spannungen, die durch Armut, steigende Preise, Sozialkürzungen und zunehmende soziale Ungleichheit hervorgerufen werden, mit immer gefährlicheren militärischen Provokationen gegen das palästinensische Volk und die benachbarten arabischen Länder nach außen zu lenken.

Den Palästinensern hat der jahrelange Schwindel des “Friedensprozesses" deutlich gemacht, in welche Sackgasse alle Varianten des palästinensischen Nationalismus von Fatah bis Hamas führen. Sie artikulieren nicht die Interessen der arbeitenden Massen, sondern rivalisierender Teile der arabischen Bourgeoisie.

Nirgendwo tritt die Notwendigkeit der internationalen Einheit der Arbeiterklasse deutlicher hervor als im Nahen Osten. Es gibt keinen anderen Ausweg aus der gegenwärtigen Sackgasse und der Gefahr weiterer blutiger Katastrophen, als dass sich arabische und jüdische Arbeiter gegen den Imperialismus und seine zionistischen und arabisch-bürgerlichen Agenten zusammenschließen und für Vereinigte Sozialistische Staaten des Nahen Ostens kämpfen.

Loading