Australien: Der ANZAC Day und die Glorifizierung von Militarismus und Krieg

Für den außenstehenden Beobachter musste die Orgie von Militarismus und Patriotismus in Australien am hundertsten ANZAC Day, dem Jahrestag des ersten Einsatzes australischer und neuseeländischer Truppen im Ersten Weltkrieg, am 25. April 1915, bizarr oder sogar verrückt wirken. Im ganzen Land fanden Gedenkveranstaltungen und Militärparaden statt. Die meisten Geschäfte öffneten erst um ein Uhr mittags. Die Medienkampagne lief auf Hochtouren – die staatliche Australian Broadcasting Corporation brachte von frühmorgens bis zum frühen Abend Berichte über das ANZAC-Jubiläum, und alle Zeitungen berichteten auf der ersten Seite über die Veranstaltungen zum ANZAC Day.

Im Mittelpunkt der Feierlichkeiten stand das Gedenken an den Einsatz des Australisch-Neuseeländischen Armeekorps (ANZAC) bei der Landung auf der Halbinsel Gallipoli in der heutigen Türkei zusammen mit britischen und französischen Truppen. Die Schlacht von Gallipoli war in jeder Hinsicht eine Katastrophe. Hunderttausende Soldaten auf beiden Seiten wurden getötet oder verwundet. Die Truppen konnten den erbitterten Widerstand der Türken nicht brechen und mussten sich nach acht Monaten zurückziehen, ohne auch nur eines ihrer Ziele erreicht zu haben.

Trotzdem fördern die Regierung und Sponsoren aus der Wirtschaft die Gedenkveranstaltungen mit einer halben Milliarde Dollar, während das Großkapital weitere Kürzungen der Sozialleistungen und im Bildungs- und Gesundheitswesen fordert. Das Spektakel wurde seit Jahren erst von der Labor- und dann von der Koalitionsregierung geplant. Alle Regierungsebenen (die nationale, die bundesstaatliche und die kommunale), alle Teile der Medien und alle Institutionen des Bildungs-, Sport-, kulturellen und künstlerischen Sektors wurden dafür eingespannt.

Der ANZAC Day selbst ist umhüllt von Verfälschungen der Geschichte und von Lügen. Der Leitartikel des Australian vom 25. April beschrieb die quasireligiöse Atmosphäre, die um ihn kultiviert wurde, mit den Worten: „Heute ist unser nationaler Tag der Trauer und der Erhabenheit, der Ehrerbietung und des Zusammenhalts... Die Opfer und der Heldenmut, ganz zu schweigen von der Folklore, die um den verlorenen Feldzug [auf Gallipoli] entstanden ist... sind der Quell unserer nationalen Identität. Ein neues Land hatte sich in den Fluren und den blauen Meeren der klassischen Mythologie im Kampf bewährt.“

Die Kampagne zum ANZAC Day ist ein bewusster Versuch, vor allem unter Jugendlichen Patriotismus zu schüren und die Antikriegsstimmung zu verdrängen und so neue und noch schrecklichere Kriege vorzubereiten. Im Ersten Weltkrieg ging es nicht um die Verteidigung von Freiheit und den „Kampf gegen Tyrannei“, wie es der Australian behauptet. Er war ein blutiges Gemetzel zwischen den großen und kleinen imperialistischen Mächten um Einflussgebiete, Kolonien und Profit, der Millionen Menschen das Leben kostete. Die gleichen grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus, die im zwanzigsten Jahrhundert den Ersten und den Zweiten Weltkrieg auslöst haben, verschärfen heute erneut die geopolitischen Spannungen und erhöhen die Gefahr eines dritten Weltkrieges.

Der ANZAC Day hatte nicht immer den Stellenwert, den er heute hat. Wie der Australian einräumt, schenkte die Öffentlichkeit dem Gedenken an Gallipoli und den ANZAC Day vor 50 Jahren, d.h., während der Massenproteste gegen den Vietnamkrieg, keine so überwältigende Aufmerksamkeit. Er sei nur „nachlässig zelebriert“ und „teilweise als eine Saufveranstaltung oder als Zurschaustellung von Kriegstreiberei verteufelt“ worden. Der Leitartikel würdigte Labor-Premierminister Bob Hawke, der 1990 als erstes australisches Staatsoberhaupt nach Gallipoli gereist war. Seither pilgert jeder amtierende Premierminister einmal im Jahr auf die Halbinsel. Der Australian erklärte dazu, jede Generation müsse „der alten Geschichte neues Leben einhauchen“.

Entgegen der Behauptungen des Australian war die Wiederentdeckung des ANZAC Day und das Wiederaufleben des Militarismus keine spontane Entwicklung. Sie dienten klaren ideologischen Zielen. Hawke unternahm seine Reise nach Gallipoli kurz vor Beginn des ersten Golfkrieges 1990-91, an dem sich die australische Labor-Regierung als eine der ersten mit Truppen beteiligte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 versuchte der US-Imperialismus, seine überwältigende militärische Stärke einzusetzen, um seine globale Vorherrschaft zu sichern. Das hat dazu geführt, dass Amerika im letzten Vierteljahrhundert seine militärischen Aggressionen immer weiter verschärft und einen Krieg nach dem anderen geführt hat. Dabei wurde es immer vom australischen Imperialismus unterstützt, in vielen Fällen durch den aktiven Einsatz von Streitkräften.

Es ist kein Zufall, dass Australien deutlich mehr Geld für „Feierlichkeiten“ zum Gedenken an den Ersten Weltkrieg ausgibt als alle anderen beteiligten Länder. Die Koalitionsregierung und ihre Vorgängerregierung unter Labor, die von den Grünen unterstützt wurde, hat die australischen Streitkräfte und Militärbasen zu einer zentralen Komponente des amerikanischen „Pivot to Asia“ und ihrer Aufrüstung im indisch-pazifischen Raum gemacht, mit der die USA einen Krieg gegen China vorbereiten.

Gleichzeitig verursacht die weit verbreitete Antikriegsstimmung nach den Kriegen in Afghanistan und im Irak in herrschenden Kreisen eine gewisse Nervosität. Große Teile der Öffentlichkeit reagierten negativ auf die Exzesse des ANZAC Day, auch viele, die an den Paraden und Zeremonie teilgenommen haben.

Der deutsche Marxist Karl Liebknecht, der sich tapfer gegen den Ersten Weltkrieg eingesetzt hatte, erklärte in seinem Pamphlet Militarismus und Antimilitarismus:

„Der Militarismus ist aber nicht nur Wehr und Waffe gegen den äußeren Feind, seiner harrt eine zweite Aufgabe, die mit der schärferen Zuspitzung der Klassengegensätze und mit dem Anwachsen des proletarischen Klassenbewusstseins immer näher in den Vordergrund rückt, die äußere Form des Militarismus und seinen inneren Charakter mehr und mehr bestimmend: die Aufgabe des Schutzes der herrschenden Gesellschaftsordnung, eine Stütze des Kapitalismus und aller Reaktion gegenüber dem Befreiungskampf der Arbeiterklasse. Hier zeigt er sich als ein reines Werkzeug des Klassenkampfes, als Werkzeug in den Händen der herrschenden Klassen, dazu bestimmt, im Verein mit Polizei und Justiz, Schule und Kirche die Entwicklung des Klassenbewusstseins zu hemmen und darüber hinaus einer Minderheit, koste es, was es wolle, selbst gegen den aufgeklärten Willen der Mehrheit des Volkes die Herrschaft im Staat und die Ausbeutungsfreiheit zu sichern.“

Genau so ist es auch heute. Die Orgie von Militarismus und Patriotismus anlässlich des ANZAC Day soll verhindern, dass in der Arbeiterklasse eine klassenbewusste Bewegung gegen Krieg und wachsende soziale Ungleichheit entsteht. Das gesamte politische Establishment unterstützt die heutigen Kriege und die Forderungen der Konzerne nach Austerität, gleichzeitig äußern sie keine Kritik an der reaktionären ANZAC Day-Kampagne.

Die Socialist Equality Party organisierte am Sonntag drei erfolgreiche Veranstaltungen in Sydney Melbourne und Wellington mit dem Titel „Anzac Day, die Glorifizierung des Militarismus und die Vorbereitung auf einen dritten Weltkrieg“. Es waren die einzigen Veranstaltungen, auf denen erklärt wurde, was die „Feierlichkeiten“ zum Ersten Weltkrieg für die Arbeiterklasse bedeuten. Die Versuche des Stadtrates von Burwood und der Universität von Sydney, die SEP-Veranstaltungen im Vorfeld zu verhindern, müssen Arbeitern und Jugendlichen eine Warnung sein: in Zukunft wird versucht werden, Kriegsgegner mit solch undemokratischen Methoden mundtot zu machen.

Wir rufen deshalb alle Leser auf, an der internationalen Onlinekundgebung der World Socialist Web Site und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale am 3. Mai teilzunehmen. Es geht darum ein Zeichen gegen den Angriff auf demokratische Rechte und gegen Militarismus und Krieg zu setzen und eine internationale Antikriegsbewegung der Arbeiterklasse auf internationaler sozialistischer Grundlage aufzubauen!

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