Perspektive

Der Fall von Ramadi und die Verbrechen des US-Imperialismus

Vor einem Jahr mussten der US-Imperialismus und das irakische Regime nach über acht Jahren Krieg und Besatzung eine Niederlage hinnehmen, als der Islamische Staat (IS) die größte Stadt des Landes Mossul eroberte. Jetzt erleben sie mit dem Fall von Ramadi, der Hauptstadt von Anbar, der größten Provinz des Irak, ein vergleichbares Debakel.

Das Weiße Haus, das Außenministerium und das Pentagon, die die Ereignisse in Ramadi als einen geringfügigen Rückschlag darstellen, leiden an Wahnvorstellungen oder versuchen bewusst, die Öffentlichkeit zu täuschen. Wie in Mossul löste sich die von den USA ausgebildete und bewaffnete offizielle irakische Armee angesichts der Offensive der islamistischen Guerillas weitgehend auf. Und wieder einmal ließen sie große Waffenvorräte aus amerikanischen Lieferungen zurück. Erneut landen Dutzende von gepanzerten Fahrzeugen, Kampfpanzern, Artillerie und andere Waffen, dazu große Mengen an Munition, in den Händen des IS.

Wie im Fall von Mossul löste die Niederlage von Ramadi eine weitere humanitäre Katastrophe für die vom Krieg geplagte irakische Bevölkerung aus. Hunderte, wenn nicht Tausende von Zivilisten wurden getötet und Zehntausende wurden zu obdachlosen Flüchtlingen. Denen, die in der Stadt blieben, drohen Gewalt durch den IS sowie religiös motivierte Vergeltungsmaßnahmen durch die schiitischen Milizen, die zusammengezogen wurden, um die Stadt zurückzuerobern.

Das jüngste Debakel folgt fast zehn Monate nach dem Beginn von „Operation Inherent Resolve“, wie die jüngste militärische Intervention der Obama-Regierung im Nahen Osten bezeichnet wird. Diese Operation, die Luftangriffe in Syrien und im Irak, den Einsatz von 5000 Mann starken Bodentruppen im Irak und ein 500-Millionen-Dollar-Programm umfasst, um so genannte syrische „Rebellen“ auszubilden und zu bewaffnen, stößt auf Kritik unter führenden US-Strategen.

Sie trommeln immer lauter für die Entsendung von mehr Bodentruppen, die direkt in die Kämpfe eingreifen. Ein Leitartikel der Washington Post vom Dienstag erhebt den Vorwurf, dass „die Vereinigten Staaten keine Strategie haben, um Obamas Versprechen zu erfüllen“, den IS „zurückzudrängen und endgültig zu zerschlagen“. Er fordert von der Regierung, amerikanische Militärverbände zu schicken, die „am Boden mit den irakischen Streitkräften zusammenarbeiten“.

Eine ähnliche Kolumne erschien im Wall Street Journal. Sie drängt auf „mehr Bodenoperationen durch Spezialtruppen“ und auf die Entsendung von „Apache-Kampfhubschraubern und Transportflugzeugen“ sowie einer ganzen Brigade, „um die operative Einsatzleitung und die militärische Aufklärung zu stärken“.

Es ist kein Zufall, dass gerade jetzt, inmitten der militärischen Eskalation im Irak und anlässlich der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen 2016, eine neue, durch und durch verlogene Debatte über den Irak-Krieg von 2003 geführt wird, ob dieser ein „Fehler“ oder als Reaktion auf eine „geheimdienstliche Fehlinformation“ gerechtfertigt gewesen sei.

Der unmittelbare Anlass für die heuchlerische Debatte ist die Aufforderung an den republikanischen Hoffnungsträger für die Präsidentschaftswahl Jeb Bush – und an andere Republikaner –, sich für die Aktivitäten seines jüngeren Bruders George W. zu verantworten. In Wahrheit verfolgen die kapitalistischen Politiker und die Medien in zynischer Weise das Ziel, die bitteren Lehren des Irak-Kriegs aus dem Bewusstsein der amerikanischen Bevölkerung zu löschen. Sie soll sich nicht erinnern, dass sie mit Panikmache über „Massenvernichtungswaffen“ und angebliche Verbindungen zwischen Bagdad und Al Qaida in einen kriminellen Angriffskrieg hineingezogen wurde. Beides waren Lügen, um einen Krieg vom Zaun zu brechen, dessen wirkliches Ziel darin lag, die Vorherrschaft der USA über den energiereichen Nahen Osten zu sichern.

Man muss niemanden auf den Unterschied zwischen „geheimdienstlicher Fehlinformation“ und Lüge verweisen. Genauso wenig kann man einen „Fehler“ verwechseln mit einem vorsätzlichen Angriffskrieg, dem Hauptanklagepunkt gegen die Naziführer in den Nürnberger Prozessen.

Jeb Bushs Reaktion bestand darin, lang und breit zu versichern, was nicht zu bestreiten ist, dass nicht nur er und sein Bruder den Krieg im Irak befürwortet hatten, sondern auch die Frontfrau der Demokraten und frühere Außenministerin Hillary Clinton, sowie buchstäblich das gesamte herrschende Establishment der USA. Kurz gesagt, keiner kann seine Hände in Unschuld waschen; alle sind in dieses Verbrechen von historischem Ausmaß verwickelt.

Und es ist keine Frage, dass diese Verbrechen weder mit dem Ende der Bush-Regierung noch mit dem Rückzug der US-Truppen aus dem Irak 2011 aufgehört haben. Der Libyen-Krieg der USA und der Nato, der dieses Land zerstört hat, ist unter dem Vorwand der Verteidigung von „Menschenrechten“ geführt worden. Es sei notwendig gewesen, so wurde der Öffentlichkeit weisgemacht, die Bevölkerung von Bengasi vor einem drohenden Massaker zu schützen. Heute liegt ein großer Teil von Bengasi und des ganzen Landes durch Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen in Ruinen. Täglich steigt die Zahl der Toten, und Millionen Libyer wurden zu Flüchtlingen.

Vor kurzem wurden die räuberischen Ziele dieser imperialistischen Intervention noch weiter entlarvt, als bekannt wurde, dass die damalige Außenministerin Hillary Clinton, die Empfehlungen des früheren Beraters von Bill Clinton, Sydney Blumenthal, unterstützt hatte. Dieser hatte mit einer Gruppe Investoren Pläne ausgearbeitet, die reichen Erdölfelder des Landes auszubeuten, sobald die Regierung Muammar Gaddafis zerschlagen und er selbst ermordet worden sei.

Was für ein unglaubliches Chaos und welche Zerstörung wurden während der vergangenen zwölf Jahre durch die militärischen Angriffe im Nahen Osten angerichtet! Sowohl Demokraten als auch Republikaner haben diese blutigen Verbrechen gleichermaßen vorangetrieben und verteidigt, die im Dienste nackter Profitinteressen durchgeführt wurden. Weit über eine Million Menschen haben ihr Leben dabei verloren und viele Millionen mehr wurden verstümmelt oder aus ihren Häusern vertrieben.

Ganze Länder wurden zerstört. Im Bestreben, einen säkularen arabischen Herrscher nach dem andern zu stürzen und zu ermorden – angefangen mit Saddam Hussein über Gaddafi bis zu Bashar al Assad –, haben das Pentagon und die CIA bewusst religiös motivierte Spannungen angeheizt. Mit immer blutigeren Formen der alten Kolonialstrategie des Teile-und-Herrsche hetzen sie Sunniten gegen Schiiten. Der IS ist das unmittelbare Produkt eines Prozesses, der sich von der US-Intervention im Irak bis zum Stellvertreterkrieg für einen Regimewechsel in Syrien erstreckt, wo der IS und ähnliche sunnitische Milizen unter Anleitung der CIA von Washingtons regionalen Verbündeten bewaffnet und bezahlt wurden.

Während ein Verbrechen und Debakel nach dem anderen folgt, wird in bemerkenswerter Weise niemand dafür verantwortlich gemacht. Nicht nur wurde keiner der Beteiligten aus dem Amt entlassen – geschweige denn eines Kriegsverbrechens angeklagt --, sondern es gab noch nicht einmal ernsthafte öffentliche Anhörungen um aufzudecken, welche Entscheidungen und welche Politik zu diesen Katastrophen geführt haben.

Das trifft auf alle Teile der herrschenden Schicht und alle Institutionen der amerikanischen Gesellschaft zu, von den Bushs, den Clintons und Obama bis hin zum Kongress, auf die profithungrigen Konzerne, die verlogenen Medien und die überwiegend feigen, selbstzufriedenen Akademiker.

Dass die Verantwortlichen nach jedem dieser verbrecherischen Kriege straflos davongekommen sind, bahnt den Weg für einen noch schlimmeren Flächenbrand. Es ist die Aufgabe der amerikanischen und der internationalen Arbeiterklasse, solche globalen Katastrophen zu verhindern. Sie allein kann einen wirklichen Kampf gegen den Krieg und das kapitalistische System, das ihn hervorbringt, führen.

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