Gegen die politische Gleichschaltung der Humboldt-Universität

In der Berliner Zeitung vom 27. Mai erhebt der Präsident der Humboldt-Universität, Jan-Hendrik Olbertz, schwere Vorwürfe gegen die Autoren des Blogs „Münkler-Watch“, gegen Mitglieder der IYSSE sowie gegen andere Studierende der eigenen Hochschule. Seine Kolumne gipfelt in der Behauptung, „dass die Unterbindung der wissenschaftlichen Meinungs- und Lehrfreiheit nicht mehr durch einen autoritären Staat erfolgt, sondern durch Studierende direkt im Hörsaal“.

Dieser Vorwurf ist unerhört. Er stellt die Dinge auf den Kopf. Olbertz verwechselt die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit mit dessen Unterdrückung. Als Präsident der Universität greift er Studierende öffentlich an, weil sie ihr demokratisches Recht wahrnehmen und die Vorlesungen eines politisch voreingenommenen Professors kritisieren, der ständig in den Medien auftritt.

Beobachtern in Ländern, in denen es so etwas wie demokratische Traditionen gibt, fällt es schwer zu verstehen, was an der Humboldt-Universität vor sich geht. In den USA gehört die Beurteilung von Professoren durch ihre Studenten im Internet zum Alltag. Man kann den Namen eines beliebigen Professors googeln, und man findet Urteile und Kritik. Es gibt dort Begriffe wie „court of public opinion“ und „marketplace of ideas“, nach denen man in der deutschen Sprache vergeblich sucht.

Im Zeitalter des Internets hat jeder das Recht und die Möglichkeit, seine Meinung bekannt zu machen. Außer an der Humboldt-Universität; hier gilt das als Majestätsbeleidigung.

Die Universität hat gegen die Autoren des Blogs „Münkler-Watch“ eine Pressekampagne losgetreten, die den Eindruck erweckt, als planten sie den bewaffneten Aufstand. Sie stellt alles in den Schatten, was man seit der Hetze der Springer-Presse gegen die Studentenrevolte von 1968 erlebt hat. Studierende werden der „Gesinnungsselbstjustiz“ bezichtigt (Deutschlandradio), in Verbindung mit „Bombendrohungen und Mordaufrufen“ gebracht (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), mit Pegida verglichen (Süddeutsche Zeitung) und in die Nähe von Nazi-Blockwarten und Antisemiten gerückt (Münkler in der Zeit).

Herfried Münkler wirbt jede Woche in Vorträgen, Zeitungsartikeln und Büchern für eine aggressivere deutsche Außenpolitik. Unter dem Schlagwort „Macht in der Mitte“ (der Titel seines jüngsten Buches) plädiert er dafür, dass Deutschland die Rolle eines „Zuchtmeisters“ und „Hegemons“ in Europa übernimmt und sich als Handels- und Exportnation weniger an seinen Werten als an seinen Interessen orientiert. Man hört förmlich, wie deutsche Soldaten wieder im Stechschritt durch Europa marschieren, wenn man einige seiner Ergüsse liest.

Doch wird Münkler von Studenten kritisiert, jammert er, die Universität lasse ihn im Stich, und beschuldigt seine Kritiker der „asymmetrischen Kriegsführung“, d.h. des Terrorismus.

Olbertz, der als Präsident der Universität eigentlich für die Wahrung der demokratischen Rechte der Studenten zuständig wäre, setzt diesen Angriffen mit seiner Kolumne die Krone auf. Er hatte einst unter dem stalinistischen Regime der DDR Erziehungswissenschaften studiert, promoviert und sich habilitiert. Nach der Wende amtierte er acht Jahre lang als Minister in der CDU-geführten Landesregierung von Sachsen-Anhalt, bevor er 2010 an die Spitze der Humboldt-Universität wechselte. Nun versteht er sich als Vertreter eines autoritären Obrigkeitsstaats und nicht als Repräsentant der Wissenschaft.

Er benimmt sich, als wäre er der Herrscher eines autoritären Staats, und missbraucht seine Stellung als Präsident der Universität, um elementare Grundrechte zu unterdrücken. Sein Verhalten bedeutet die völlige Verneinung der Meinungs- und Lehrfreiheit. Es erinnert an die schlimmsten Tage der McCarthy-Ära und des Kalten Kriegs, wobei es selbst damals zahlreiche mutige Professoren und Studenten gab, die sich der Einschüchterung entgegenstellten.

Es sind aber nicht nur Olbertz und Münkler, die die Studierenden angreifen. Bisher hat sich kein einziges Mitglied des Lehrkörpers öffentlich gegen diese empörende Verletzung demokratischer Grundsätze gestellt. Das ist nur in einem Land möglich, in dem es nie eine erfolgreiche demokratische Revolution gab und unter dessen kleinbürgerlichen Intellektuellen es keinen Sinn für demokratische Rechte gibt. Demokratie gilt in Deutschland als etwas, das der Staat dem Volk gewährt, und nicht als ein Recht, das das Volk gegen den Staat erkämpft hat.

Heinrich Mann und Robert Musil haben dem rückgratlosen, unterwürfigen Kleinbürger in ihren Romanen „Der Untertan“ und „Der Mann ohne Eigenschaften“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Er verkörpert offensichtlich auch das Erziehungsideal der Humboldt-Universität. Im Allgemeinen klagen die Professoren zwar gern über initiativlose Studenten und „trübe Tassen“ (Münkler) in den unteren Semestern. Doch wagt es ein Studierender, einen aufgeblasenen Professor zu kritisieren, bricht ein Sturm der Entrüstung über ihn herein. Er soll zu jenem fügsamen akademischen Beamten herangezogen werden, der sich – wie die deutschen Professoren 1933 – in vorauseilendem Gehorsam an die jeweiligen neuen Machthaber anpasst, um hinterher zu erklären, er sei ein Opfer gewesen und habe nur Befehlen gehorcht.

Ziel der Hetze gegen kritische Studierenden ist die politische Gleichschaltung der Humboldt-Universität. Sie richtet sich gegen alle, die sich der Verwandlung der HU in ein ideologisches Zentrum für Kriegspropaganda widersetzen. Während die herrschenden Eliten das Ende der militärischen Zurückhaltung und die Rückkehr zu einer deutschen Großmachtpolitik verkünden, werden Studierende eingeschüchtert, die es ablehnen, dass die HU wie ihre Vorgängerinnen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik in den Dienst dieser Politik gestellt wird.

Es ist bezeichnend, dass Olbertz als Beleg für die angebliche Unterdrückung der Lehrfreiheit durch Studierende einen Vorfall vom April 2013 anführt. Damals wurde Verteidigungsminister Thomas de Maizière durch lauten Protest daran gehindert, an der HU eine Rede zum Thema „Armee der Einheit – Der Beitrag der Bundeswehr zum gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu halten. Die Studierenden begründeten ihren Protest damit, dass Rüstungsforschung und Bundeswehrvertreter von den Universitäten ferngehalten werden müssten.

Olbertz leitete damals die Veranstaltung mit de Maizière persönlich. Er hat nie erklärt, was der Auftritt des Verteidigungsministers an der HU mit Lehrfreiheit zu tun hat. Tatsächlich verhält es sich umgekehrt: Zu den wichtigsten Kennzeichen freier Wissenschaft zählt deren Unabhängigkeit vom Staat und seinen Vertretern, insbesondere von jenen des Sicherheitsapparats. Militärische Propaganda hat an Universitäten und Schulen nichts zu suchen.

Die Humboldt-Universität hat von Anfang an eine führende Rolle bei der Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik gespielt. Professoren der Universität waren 2013 an der Ausarbeitung des Papiers „Neue Macht – Neue Verantwortung“ beteiligt, das die Umrisse einer neuen deutschen „Weltpolitik“ skizziert. Das Papier plädiert unter anderem dafür, dass Deutschland als „Handels- und Exportnation“ künftig „öfter und entschiedener führen“ müsse, um seine geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen weltweit zu verfolgen. Herfried Münkler zählt zu den eifrigsten Propagandisten dieses Kurses.

Weil es eine breite Opposition gegen diese aggressive imperialistische Politik gibt, will Münkler die Geschichte umschreiben. „Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem Schuld gewesen“, sagte er Anfang letzten Jahres der Süddeutsche Zeitung. Aus diesem Grund führte er eine intensive Kampagne gegen Fritz Fischer, dessen Standardwerk „Griff nach der Weltmacht“ aus dem Jahr 1961 jahrzehntelang das Verständnis der deutschen Kriegsschuld im Ersten Weltkrieg prägte.

In dieser Frage trifft sich Münkler mit dem Historiker Jörg Baberowski, der sich bemüht, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu revidieren. Er verteidigt Ernst Nolte, der 1986 mit der Verharmlosung des Nationalsozialismus den Historikerstreit auslöste und inzwischen mit beiden Beinen im neonazistischen Lager steht.

Die IYSSE haben entsprechende Äußerungen Baberowskis nicht aus dem Zusammenhang gerissen, wie Olbertz in der Berliner Zeitung behauptet. Der Spiegel-Artikel, der Baberowski mit den Worten: „Nolte wurde unrecht getan. Er hatte historisch recht“, und: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam“, zitiert, trägt den bezeichnenden Titel „Der Wandel der Vergangenheit“. Er führt Münkler und Baberowski als Kronzeugen für eine „Revision“ der Geschichte des Ersten und Zweiten Weltkriegs an.

Wenn Baberowski sich falsch interpretiert fühlt, sollte er sich beim Spiegel beschweren, der den Artikel in einer Druckauflage von 850.000 Exemplaren verbreitete und bis heute in deutscher und englischer Sprache online zur Verfügung stellt.

Olbertz erhebt seine Vorwürfe gegen die IYSSE und andere Studierende wider besseres Wissen. Er kennt die Hintergründe. Die IYSSE haben ihn mehrmals in Briefen darauf angesprochen und um sein Eingreifen ersucht. Alle diese Briefe blieben unbeantwortet, Olbertz bestätigte nicht einmal ihren Erhalt. Stattdessen verstärkte die Universität ihre Bemühungen, kritische Stimmen zu unterdrücken.

Sie legte den IYSSE Steine in den Weg, wenn sie Veranstaltungen in den Räumen der Universität durchführten. Das Institut für Geschichtswissenschaften veröffentlichte auf seiner Website eine Stellungnahme, die dazu aufrief, Kritik an Baberowskis öffentlichen Äußerungen „in Räumen der Humboldt-Universität“ nicht mehr zu dulden, und „Lehrende und Studierende der Humboldt-Universität“ aufforderte, „der Kampagne gegen Professor Baberowski entgegenzutreten“. Ein Mitglied der IYSSE wurde von einem Professor persönlich zur Rechenschaft gezogen und muss nun befürchten, dass Arbeiten nicht mehr objektiv beurteilt werden.

Als die IYSSE Unterstützung erhielten, ins Studierendenparlament gewählt wurden und andere Studenten begannen, Münklers Vorlesungen zu kritisieren, entfesselten die Medien ihren Sturm der Verleumdung. Kein Vorwurf war zu gemein und zu überzogen, um nicht gegen die Studierenden erhoben zu werden.

Anstatt gegen diese Hetzkampagne einzuschreiten, unterzeichnete Olbertz eine Stellungnahme, die den IYSSE „übelste Diffamierungen“, „Verleumdung“ und eine „Rufmordkampagne“ gegen Jörg Baberowski vorwirft, ohne dafür den geringsten Beweis zu erbringen.

Baberowski forderte laut Tagesspiegel, „die Universität müsse solchen ‚Spinnern‘ Hausverbot erteilen und Strafanzeige gegen sie stellen“. Auf öffentlichen Veranstaltungen lässt er Unterstützer der IYSSE regelmäßig aus dem Raum verweisen und beschimpft jeden, der eine kritische Frage stellt, als „trotzkistischen Verleumder“. „Halten Sie den Mund“, ist dabei noch das Höflichste, was er ihnen entgegnet.

Baberowskis langjährige Beschäftigung mit stalinistischer Gewalt, die er aus seiner Mitgliedschaft im maoistischen KBW auch aus persönlicher Erfahrung kennt, hat offenbar Spuren hinterlassen. Er scheint entschlossen, jede Kritik an seinen Auffassungen unter Missbrauch seiner Stellung zu unterdrücken.

Die IYSSE werden sich aber nicht einschüchtern lassen. Unsere Vorbilder sind nicht jene schwankenden deutschen Professoren, die sich nach anfänglichem Zögern dem Hitler-Regime anpassten. Und es sind schon gar nicht Carl Schmitt oder Martin Heidegger, die das Nazi-Regime juristisch und philosophisch rechtfertigten.

Zu unseren Vorbildern zählen Carl von Ossietzky, Sophie Scholl und viele andere, die auch unter schwierigen Bedingungen für antimilitaristische Grundsätze kämpften. Zu unseren Vorbildern zählt der Trotzkist Abraham Léon, der unter deutschen Soldaten im besetzten Belgien antifaschistische Propaganda betrieb und deshalb 1944 in Auschwitz starb.

Wir sind überzeugt, dass es viele Studierende gibt, die nicht bereit sind, die Militarisierung der deutschen Außenpolitik, die Gleichschaltung der Humboldt-Universität und eine Kultur des Duckmäusertums hinzunehmen. Wir rufen Studierende, Arbeiterinnen und Arbeiter in ganz Deutschland und weltweit auf, unseren Kampf dagegen zu unterstützen.

Eine vollständige Dokumentation der Auseinandersetzung sowie eine Kontaktmöglichkeit finden sich auf der Website der IYSSE Deutschland.

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