Die jährliche Hauptversammlung der Deutschen Bank am 21. Mai fand vor dem Hintergrund zahlreicher Turbulenzen und Skandale um das größte deutsche Geldhaus statt. Das miserable Abstimmungsergebnis bei der Entlastung des Vorstands ist diesen Vorgängen geschuldet. Die Diskussion um die Deutsche Bank hat jedoch tiefere Ursachen, die in den ökonomischen und politischen Veränderungen seit der Finanzkrise 2008 wurzeln.
Bei der Hauptversammlung in Frankfurt, an der rund 5000 Aktionäre teilnahmen, kam es zu heftiger Kritik an der Politik des Unternehmensvorstands. Die beiden Spitzenmanager Anju Jain und Jürgen Fitschen, die die Bank gemeinsam führen, erhielten bei der Abstimmung nur rund 61 Prozent statt wie bisher üblich um 95 Prozent der Stimmen. Die Wirtschaftsseiten der großen Medien sprachen von einer „Aktionärsrevolte“ oder gar einer „Revolution“.
Mit Buh-Rufen und verbalen Attacken quittierten die Aktionäre die zahlreichen gerichtlichen Verfahren, in die das Finanzinstitut verwickelt ist, und die horrenden Strafzahlungen, die die Gewinne der Bank und entsprechend die Dividenden der Anleger schmälern. Im April nahm die Deutsche Bank gemessen am Börsenwert von 43 Milliarden Euro nur Platz 46 unter den internationalen Großbanken ein.
Seit dem 28. April stehen fünf Deutsche-Bank-Manager vor Gericht, darunter der amtierende Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen, die Ex-Vorstände Rolf Breuer und Josef Ackermann sowie weitere Vorstandsmitglieder. Ihnen wird gemeinschaftlicher Prozessbetrug in besonders schwerem Fall im Zusammenhang mit der Medienpleite von Leo Kirch vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft klagt sie an, bei einem Zivilverfahren im vergangenen Jahr mit Lügen und rechtswidrigen Absprachen versucht zu haben, das Gericht zu betrügen. Jenes Verfahren hatte zu einer außergerichtlichen Zahlung von 925 Millionen Euro geführt.
Ebenfalls im April wurde die Deutsche Bank von amerikanischen und britischen Aufsichtsbehörden mit einer Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Euro belegt, weil sie sich massiv an den Libor- und Euribor-Manipulationen beteiligt hat. Die systematische Fälschung des Referenzzinssatzes Libor hatte den beteiligten Banken, darunter UBS (Schweiz), Barclays, Citigroup und JPMorgan, fantastische Gewinne ermöglicht und kleine Anleger, Hausbesitzer und Rentner um Millionen betrogen.
Die Deutsche Bank war im vergangenen Jahr in etwa 6000 Rechtsverfahren verwickelt und musste laut FAZ mindestens 6 Milliarden Euro allein für Straf- und Vergleichszahlungen aufwenden. Dazu gehörten neben den Libor-Betrügereien auch Manipulationen beim Goldpreisfixing [tägliche Absprache der Großbanken über ihr Handelsvolumen beim Gold, um den Preis zu beeinflussen] und Wechselkursmanipulationen, Steuerbetrug beim Handel mit CO2-Zertifikaten, betrügerische Wertpapiergeschäfte usw.
Noch kurz vor dem Platzen der amerikanischen Immobilienblase im Jahr 2007 hatte die Deutsche Bank Wertpapiere verkauft, die mit US-Immobilienkrediten belastet waren, obwohl sie längst von einem kommenden Zusammenbruch des Markters ausging. Den Kommunen drehte sie angeblich sichere Finanzinstrumente an, die die Zinszahlungen und damit ihre Verschuldung massiv erhöhten.
Trotz der horrenden Strafzahlungen, für die hauptsächlich das Investmentgeschäft verantwortlich ist, verkündete die Deutsche Bank im April eine neue „Strategie 2020“, die das Investmentbanking verstärkt ins Zentrum rückt und sich vom Kleinkundengeschäft weitgehend verabschiedet. Die erst vor sieben Jahren gekaufte Postbank wird abgestoßen, Arbeitsplätze werden massiv abgebaut und Filialen geschlossen.
Die in Frankfurt versammelten Aktionäre, vor allem die Großinvestoren und Fondsmanager, kritisierten die „Strategie 2020“, weil sie ihnen nicht radikal genug war, um die Gewinne zu maximieren.
Nach „acht verlorenen Jahren“ der Bank, sagte Ingo Speich, Portfoliomanager von Union Investment, stelle sie jetzt schon wieder fünf unprofitable Übergangsjahre mit Restrukturierungskosten in Milliardenhöhe in Aussicht. Auch Hans-Christoph Hirt, Manager des mächtigen britischen Pensionsfonds und Aktionärsberaters Hermes EOS, äußerte seine Zweifel, ob die Ziele der „Strategie 2020“ erreicht würden, und empfahl, den Vorstand nicht zu entlasten.
Vertreter der Kleinaktionäre klagten, sie müssten mit mageren Dividenden die Zeche für die „Casino-Zockereien der Investmentbanker“ bezahlen, wie Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) sagte.
Mit deutlich nationalistischen Tönen attackierte er den aus Indien stammenden, lange Zeit in den USA und London tätige Investmentbanker Anshu Jain, dem er den Libor-Skandal anlastete. Bei ihrem Versuch, zur globalen Investmentbank aufzusteigen, habe die Bank „ausländische Investmentbanker als Söldner“ verpflichtet und damit die Skandale überhaupt erst ermöglicht. „Wer den Bock zum Gärtner macht, darf sich nicht wundern, wenn der den Garten kahl frisst – und es ihm alle anderen Schafe gleich tun.“
Hans-Martin Buhlmann von der Vereinigung der institutionellen Privatanleger stieß in dasselbe Horn und forderte Anshu Jain zum Rücktritt auf.
Einige Tage nach der Hauptversammlung schloss sich der Betriebsrat der Frankfurter Zentrale der Kampagne der Kleinaktionäre gegen den „ausländischen Investmentbanker“ Anshu Jain an. Er ließ ein Flugblatt mit dem Titel „Wind of Change? Wind of Jain?“ verteilen, das indirekt Jains Rücktritt forderte und in dem es heißt: „Ein radikaler Neuanfang gäbe uns hier Glaubwürdigkeit zurück und könnte eine echte Aufbruchstimmung erzeugen.“
Die Gewerkschaft ver.di, die den Betriebsrat stellt und deren Vorsitzender Frank Bsirske Aufsichtsratsmitglied ist, lehnte eine Stellungnahme dazu ab. Bsirske und die weiteren neun Arbeitnehmervertreter hatten dem Kostensenkungsprogramm im April zugestimmt.
Ungeachtet der Kritik der Aktionäre und des Frankfurter Betriebsrats an Anshu Jain wurde dessen Macht im Vorstand gestärkt. Bereits am Vorabend der Hauptversammlung hatten ihm der Vorstand und der Aufsichtsratsvorsitzende die Hauptverantwortung für die „Strategie 2020“ übertragen. Einige andere Vorstände mussten dafür gehen, neben dem bisherigen Privatkundenchef Rainer Neske auch der Investmentbanker und Asien-Manager Alan Cloete, der durch den Libor-Skandal in die Schusslinie geraten war, und der Großbritannien-Chef Colline Grassie.
Die Vorgänge um die Deutsche Bank zeigen, wie sehr sie in die parasitären Machenschaften der globalen Finanzelite verstrickt ist. Sie haben aber auch politische Ursachen, die im Zusammenhang mit den Großmachtambitionen des deutschen Imperialismus stehen. Die Tatsache, dass die internationalen Finanzmärkte nach wie vor hauptsächlich von amerikanischen und britischen Banken an der Wall Street und in der City of London dominiert werden, ist der deutschen Bourgeoisie ein Dorn im Auge. Mit der Konzentration auf das Investmentbanking wollen sie die Rolle der Deutschen Bank als Global Player ausbauen.
In einem Leitartikel der Zeit vom 28. Mai wird dies unverblümt ausgesprochen. Unter dem Titel „Abschied vom Idyll“ betont der Autor Uwe Jean Heuser: „Die Deutschen brauchen eine eigene Großbank. Die Regierenden sollten dafür kämpfen, obwohl es unpopulär ist.“ Es reiche nicht, auf die Deutsche Bank zu schimpfen, es sei „Strategie gefragt“, um eine „Bank von Weltrang“ zu schaffen.
Der Zeit-Autor verweist auf die letzte Schuldenkrise im Jahr 2008, als Josef Ackermann Deutsche-Bank-Chef war und im Bundeskanzleramt die staatliche „Bankenrettung“ vermittelte, von der die Deutsche Bank indirekt am meisten profitierte. Heuser resümiert: „Wen will die Regierung in der nächsten Krise anrufen? J.P. Morgan?“
Die enge Beziehung zwischen Washington und der Wall Street werde zum Vorteil amerikanischer Interessen genutzt, klagt die Zeit weiter, und fordert das Gleiche für Deutschland. „So schön es wäre“, schreibt Heuser, „wenn es einen einheitlichen globalen Markt gäbe, so weit ist die Welt davon entfernt.“