Eine Antwort auf Louis Proyects Angriff auf die WSWS

Louis Proyect, Betreiber des Blogs „Unrepentant Marxist“ („Der eingefleischte Marxist“), veröffentlichte am 5. Juni eine vulgäre Hetze gegen die WSWS, die sich insbesondere gegen den Artikel US-Militär erwägt Atomschläge gegen Russland von Niles Williamson richtet.

Proyect bezichtigt die WSWS der Verwendung eines gefälschten Zitats, mit dem der bekannte Korrespondent von Associated Press (AP), Robert Burns, der Obama-Regierung Atomkriegspläne unterstelle.

In dem AP-Artikel, auf den sich die WSWS bezieht, wird über den Auftritt Robert Schers vor dem parlamentarischen Unterausschuss für Strategische Streitkräfte am 15. April 2015 berichtet. AP zufolge sprach Scher, der als Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums für Atomwaffen zuständig ist, dort von „Counterforce“, also von vorbeugenden Schlägen gegen Militäranlagen, mit denen „wir es schaffen könnten, die Raketen in ihren Basen in Russland anzugreifen“.

Auf die Wiedergabe dieser äußerst bedrohlichen Aussage durch die WSWS reagiert Proyect mit den Worten: „Jeder normale Mensch, der sich die neuesten Artikel der World Socialist Web Site anschaut, müsste sich eigentlich in die Hosen machen. US-Regierungsbeamte erwägen Atomschläge gegen Russland? Verdammte Scheiße, jetzt geht‘s zur Sache.“

Proyect fährt fort: „Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit man WSWS.org trauen kann.“

Im Weiteren behauptet Proyect, der Bericht der WSWS beruhe auf Fehlinformationen. Er eilt der Obama-Regierung zu Hilfe, indem er dreist behauptet, dass Scher die ihm zugeschriebene Bemerkung gar nicht gemacht habe. Das in Burns‘ Artikel angeführte Zitat, so Proyect, „findet sich weder in der [Schers] Aussage noch in Nexis, einer maßgeblichen Datenbank für Zeitungsartikel, zu der ich als pensionierter Mitarbeiter der Columbia University nach wie vor Zugang habe.

Mit anderen Worten, Burns unterstellt Scher eine Äußerung, die in den Unterlagen des Kongresses nicht nachweisbar ist.“

Dann regt sich Proyect so auf, dass er in unflätige Beschimpfungen ausbricht: „So, wie ich es sehe, wird die World Socialist Web Site von etwa einem Dutzend Leuten betrieben, die nichts tun, um die verfickte Massenbewegung aufzubauen, sondern sich berufen fühlen, solchen schludrigen Bullshit zu schreiben, bei dem ein Faktencheck dringend nötig wäre.“

In Wirklichkeit ist Proyect derjenige, der einen Faktencheck braucht, wobei ihm ein Benimmkurs auch nicht schaden würde.

Robert Scher hat die Worte, die ihm der AP-Korrespondent zuschreibt, tatsächlich geäußert. Das ist die schlichte Wahrheit. Die entscheidende Formulierung (dass „wir es schaffen könnten, die Raketen in ihren Basen in Russland anzugreifen“) ist allerdings nicht in der schriftlichen Erklärung zu finden, die Scher vor der Anhörung verfasst hat. Diese einleitende Erklärung hat er, wie bei Kongressanhörungen üblich, nicht verlesen. Sie wurde offiziell zur Kenntnis und zu den Akten genommen.

Die eigentliche Arbeit des Unterausschusses bestand aus einer fünfzigminütigen Anhörung, bei der Scher und mehrere weitere Zeugen die Fragen der Kongressabgeordneten beantworteten. In diesem Rahmen fiel die Aussage über die Atomwaffenpolitik der Obama-Regierung gegenüber Russland.

Auf dem Youtube-Kanal des House Armed Services Comittee (des ständigen Streitkräfte-Ausschusses des Repräsentantenhauses) steht die gesamte Anhörung als Video zur Verfügung. Sei es aus Faulheit, Verlogenheit oder – vermutlich – einer Mischung aus beidem, jedenfalls hat sich Proyect nicht die Mühe gemacht, diese Videoaufzeichnung anzusehen.

Im Laufe seines Auftritts vor dem Unterausschuss wird Scher von Mo Brooks, einem republikanischen Abgeordneten aus Alabama, gefragt (Minute 16:58): „Mit welchen Maßnahmen reagieren die USA auf Russlands Verstoß gegen den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme?“

Daraufhin antwortet Scher, die USA würden „sich bemühen, die Russen dazu zu bringen, zur Vertragstreue zurückzukehren“. Für den Fall eines Scheiterns erwäge man drei verschiedene Möglichkeiten für ein militärisches Vorgehen (ab Minute 17:59). Er fährt fort:

„Da wäre zum einen die aktive Verteidigung der Orte in Europa, die Raketen bei einem Verstoß gegen den INF-Vertrag erreichen könnten. Zum anderen überlegen wir, wie wir es schaffen könnten, die Raketen in ihren Basen in Russland [Wort gelöscht]. Und drittens gehen wir von der Überlegung aus, dass es nicht nur darum geht, diese Kapazitäten anzugreifen, sondern dass wir auch prüfen sollten, was wir innerhalb von Russland selbst in einen Bedrohungszustand versetzen könnten. Wir sind noch dabei, uns alle diese Möglichkeiten anzuschauen und herauszufiltern, was am wirkungsvollsten wäre...“ (Hervorhebung hinzugefügt).

Aus irgendeinem Grund fehlt in der Aufzeichnung genau ein Wort. Bei Minute 18:11 des Videos bricht sie merkwürdigerweise kurz ab. Daher fehlt das Wort „attack“ („anzugreifen“). Wir können nicht beurteilen, ob dies auf einen technischen Fehler oder auf eine nachträgliche Bearbeitung zurückzuführen ist. Letzteres ist in Anbetracht der weitreichenden Implikationen von Schers Äußerung nicht auszuschließen.

Wie dem auch sei, die Aussage, die Proyect als Fälschung bezeichnet, ist auf dem Video zu hören (abzüglich des Wortes „attack“). Es besteht daher kein Zweifel, dass Robert Burns als AP-Korrespondent den fraglichen Satz von Scher wahrheitsgetreu wiedergegeben hat.

Einige weitere Anmerkungen zu diesem Wortwechsel: Erstens spricht Scher, wie während der gesamten Anhörung, nur in allgemein gehaltenen Sätzen. Sowohl die Kongressabgeordneten als auch er selbst verweisen wiederholt auf eine bevorstehende Sitzung hinter verschlossenen Türen, auf der weitere Einzelheiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit besprochen werden sollten. Dabei werde es auch um die Reaktion der USA auf die Russland vorgeworfenen Verstöße gegen den INF-Vertrag gehen.

Zweitens droht Scher Angriffe nicht nur auf mutmaßliche Raketenbasen, sondern auch auf andere Ziele in Russland an. Das ist der Inhalt seiner Aussage, dass es für das Militär „nicht nur darum geht, diese Kapazitäten anzugreifen, sondern dass wir auch prüfen sollten, was wir innerhalb von Russland selbst in einen Bedrohungszustand versetzen könnten“.

Drittens findet der gesamte Wortwechsel im Rahmen eines Austauschs über die Atomwaffenpolitik statt, was darauf hinweist, dass die USA den Einsatz von Atomwaffen für einen solchen Angriff in Erwägung ziehen. Burns erklärte dazu in seinem Artikel (wie von der WSWS, nicht jedoch von Proyect zitiert): „Dabei wird sogar die Option angedeutet – wenn auch nicht offen ausgesprochen –, dass die Atomwaffen der USA in die Lage versetzt werden müssten, militärische Ziele auf russischem Staatsgebiet gezielter zu zerstören.“

Eine weitere Lüge ist Proyects Behauptung, Burns‘ Analyse stütze sich „ausschließlich auf die Aussage“ Schers. In Wirklichkeit arbeiten die Obama-Regierung und ihre Militärplaner bereits seit mehreren Monaten an der Strategie, unter Hinweis auf angebliche Verstöße gegen den INF-Vertrag militärische Provokationen bis hin zu einem atomaren Erstschlag zu rechtfertigen.

Bereits im Februar hatte Verteidigungsminister Ashton Carter diese Politik vor dem Streitkräfteausschuss des Senats in derselben Weise beschrieben wie Scher, wobei auch er, wie jetzt von Burns zitiert, den Ausdruck „Counterforce“ verwendete. In Bezug auf Verstöße gegen den INF-Vertrag hatte Carter damals erklärt:

„Die Palette an Optionen, die wir im Verteidigungsministerium prüfen sollten, umfasst: aktive Verteidigung gegen landgestützte Mittelstreckenraketen; Kapazitäten für vorbeugende Schläge gegen Militäranlagen zur Verhütung von Angriffen landgestützter Mittelstreckenraketen sowie gesteigerte Kapazitäten für Gegenschläge aufseiten der US-Streitkräfte oder unserer Verbündeten.“

In dieser Erklärung, deren Wortlaut offenbar im Voraus sorgfältig abgewogen worden war, spricht Carter ausdrücklich von Präventivschlägen gegen Marschflugkörper in Russland. Dabei verwendet er Begriffe, die seit jeher zur Beschreibung von Atomkriegsstrategien verwendet werden (wie „counterforce capabilities“ und „countervailing strike capabilities“). Die Federation of American Scientists, ein Verband von Wissenschaftlern, der sich die Verhütung eines Atomkriegs zum Ziel gesetzt hat, erläutert dazu: „Unter Counterforce versteht man die Strategie, die Militäreinrichtungen des Gegners im Bedrohungszustand zu halten. Wenn sie zur ,Vorbeugung‘ eingesetzt wird, werden in ihrem Rahmen Pläne für den Einsatz konventioneller oder atomarer Waffen entwickelt, mit denen landgestützte Marschflugkörper vor ihrem Einsatz zerstört werden.“

Proyect greift die WSWS nicht zum ersten Mal an. Es lässt ihm keine Ruhe, dass die WSWS eine so große Leserschaft hat. Auch in seinem jüngsten Blog klagt Proyect: „Einige Radikale in meinem Bekanntenkreis nehmen sie wirklich für bare Münze. Ein Soziologie-Professor, der Marxmail abonniert hat und mit dem ich auf Facebook befreundet bin, setzt häufig Links auf ihre Artikel. Ein anderer Professor, der ein paar Tage bei mir zu Besuch war, erzählte mir, dass er jeden Tag auf die WSWS schaut, weil sie zuverlässiger sei als die NY Times. Auch bei College-Studenten ist die Site beliebt und wird gern in Hausarbeiten zitiert, wie mir meine Frau berichtet, die bei der City University of New York arbeitet.“

Man darf annehmen, dass sich Proyect deshalb so furchtbar über den Artikel zu Robert Schers Aussage aufregt, weil die Berichte des WSWS über den skrupellosen Militarismus der Obama-Administration auf erhebliche Resonanz stoßen und daher seinen eigenen Propaganda-Aktivitäten für deren imperialistische Operationen in die Quere geraten. Immerhin hatte er die „grüne Revolution“ im Iran, den Krieg der NATO in Libyen, den von der CIA angezettelten Bürgerkrieg in Syrien und den von den USA unterstützten Putsch in der Ukraine vehement unterstützt.

Proyects Blog – oder besser: Geschwafel – ist völlig unglaubwürdig. Mit seiner Unaufrichtigkeit, seinem Zynismus und seiner vulgären Geschmacklosigkeit verkörpert er die ganze Verkommenheit des pseudolinken Milieus in Amerika.

Sein Angriff auf die WSWS ist das Werk eines Mannes, der nicht das Geringste mit der Politik, den Prinzipien und der Kultur der marxistischen Bewegung zu tun hat. Der passende Name für seinen Blog wäre „The Unrepentant Liar“ („Der eingefleischte Lügner“).