DGB-Kundgebungen bereiten Ausverkauf des Kita-Streiks vor

Lediglich 20.000 der sechs Millionen eingeschriebenen DGB-Mitglieder beteiligten sich am vergangenen Samstag an den Solidaritätskundgebungen für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst, zu denen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in vier Städten aufgerufen hatten. In Köln waren es knapp 15.000, in Hannover 3.000, in Nürnberg 2.000 und in Dresden nach offiziellen Angaben 2500.

Zwei Teilnehmerinnen in Nürnberg

Der Grund für die geringe Beteiligung ist nicht schwer zu verstehen. Es gibt zwar viel Sympathie für die Erzieherinnen und Erzieher und ihre Forderungen, aber kein Vertrauen in die Gewerkschaften. Deshalb demonstrierten viele ihr Misstrauen gegen die Gewerkschaften „mit den Füßen“. Am deutlichsten zeigte sich das in Dresden: Obwohl die Teilnehmer mit Bussen aus vielen Regionen Ostdeutschlands herangefahren wurden, fanden sich nur rund 600 größtenteils Verdi-Anhänger ein, und nicht, wie der DGB behauptete, 2500.

Die Kundgebungen dienten in erster Linie dazu, den endgültigen Ausverkauf des Kita-Streiks vorzubereiten. Der bundesweite Streik der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst war Ende Mai ohne jedes Zugeständnis abgebrochen worden und am vergangenen Mittwoch in die Schlichtung gegangen. Nun sollen die betroffenen Erzieherinnen und Sozialarbeiter auf ein Ergebnis eingestimmt werden, das weit unterhalb der geforderten zehn Prozent Lohn- und Gehaltserhöhung liegt. Das Schlichtungsergebnis wird zum 22. Juni erwartet.

In Dresden kamen aus ganz Ostdeutschland nur rund 600 Teilnehmer zusammen

Auf der Kölner Kundgebung stimmten die Gewerkschaftsvertreter die Anwesenden am Samstag schon auf den bevorstehenden Ausverkauf ein. Sie betonten mehrfach, dass „vielleicht diesmal kein großer Wurf“ herauskommen werde. Die Zehn-Prozent-Forderung wurde auf keiner der vier Aktionen überhaupt noch erwähnt.

Der DGB hatte für alle vier Städte Regierungsvertreter und Vertreter der großen Parteien als Sprecher eingeladen, gegen die sich der Tarifkampf richtet und die in den Verhandlungen auf der Arbeitgeberseite sitzen. In Köln sprach der CDU-Politiker Matthias Zimmer und in Hannover der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. In Nürnberg trat der Grüne Michael Kellner auf und in Dresden Katja Kipping von der Linkspartei.

In Hannover sollte die zentrale Veranstaltung stattfinden. Hier trat neben den Vorsitzenden des DGB, von Verdi und der GEW SPD-Chef Sigmar Gabriel mit der Forderung auf, „der Bund“ müsse mehr für die notleidenden Kommunen tun. „Es kann nicht sein, dass die Kommunen vor die Wahl gestellt werden, entweder Flüchtlingsunterbringungen zu gewährleisten oder die Erzieher besser zu bezahlen.“

Der Satz hätte auch von Pegida oder einer anderen ausländerfeindlichen Partei stammen können. Die chronische Finanzknappheit der Kommunen ist nicht das Ergebnis der in jüngster Zeit angestiegenen Flüchtlingszahlen, sondern von Steuersenkungen für die Reichen, der Schuldenbremse und anderer Sparmaßnahmen, die die SPD alle mitzuverantworten hat. Gabriel ist als Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister einer der höchsten Repräsentanten des „Bundes“ und somit für die miserablen Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Dienst verantwortlich.

In Nürnberg erklärte Michael Kellner, der Politische Geschäftsführer der Grünen, in großen Worten seine Unterstützung für die Forderungen von Verdi. Die Kommunen bräuchten mehr Geld vom Bund und den Ländern, und dieses wäre auch vorhanden, würde bloß eine andere Steuerpolitik betrieben. Er erwähnte nicht, dass die Grünen in acht Landesregierungen sitzen, in der Bundesregierung Schröders Agenda 2010 unterstützen und sich in besonderer Weise für die Schuldenbremse stark gemacht haben.

Die Gewerkschaften konstruieren einen künstlichen Konflikt zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. In Wirklichkeit sind die Regierungen in Bund und Ländern für die Kürzungen verantwortlich, die ihre Parteifreunde in den Städten und Gemeinden dann exekutieren. Sie haben dieselben Interessen und teilen sich die Aufgaben. Sigmar Gabriels Parteifreund Thomas Böhle ist Präsident der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), die seit Wochen die Forderung der streikenden Kita-Beschäftigten strikt zurückweist.

Auch Die Linke, für die Katja Kipping in Dresden auftrat, unterstützt den sozialen Kahlschlag. Die Partei hat in Berlin zehn Jahre lang als Teil des rot-roten Senats den Sozialabbau organisiert und stellt mit Bodo Ramelow zurzeit den Ministerpräsidenten in Thüringen. Für die Zukunft bereitet sie sich auf eine Beteiligung an der Bundesregierung vor. Am gleichen Tag, an dem Kipping in Dresden zum Kita-Streik sprach, gab sie der Bild-Zeitung ein Interview, in dem sie die Forderung von Gregor Gysi unterstützte: „Wir können und sollten auch auf Bundesebene regieren wollen.“

Auf allen vier Kundgebungen gab ein Sprecher nach dem andern hohle Phrasen über „Aufwertung“, „gute Bezahlung“ und ein „deutliches Signal an die Arbeitgeber“ von sich. Aber kein einziger erklärte, warum Verdi den Kita-Streik ausgerechnet einen Tag vor Beginn der Streiks der Paket- und Briefverteiler abgebrochen hat, die ebenfalls bei Verdi organisiert sind. Auch Lokführer, Verkäuferinnen und Lehrerinnen und Lehrer befinden sich im Arbeitskampf, wie auch das Personal von Amazon, Siemens, Karstadt und andern Betrieben.

Aber die Gewerkschaften isolieren alle Streiks sorgfältig voneinander. Der DGB will um jeden Preis verhindern, dass sich die Streikwelle zu einer umfassenden Bewegung gegen die Bundesregierung ausweitet, die zweistellige Milliardensumme in neue Militärprojekte – Hubschrauber, Kriegsschiffe, Sturmgewehre, Panzerkolonnen, Kampfdrohnen und ein neues Raketenabwehrsystem – steckt und deshalb kein Geld für Kitas und Sozialdienst locker machen will.

Diese Politik unterstützen die Gewerkschaften. Deshalb wurde das Thema Aufrüstung und Krieg auf keiner der vier Kundgebungen auch nur erwähnt. Die rund 240.000 Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen sind mit einer Verschwörung konfrontiert, an der die Gewerkschaften zusammen mit den öffentlichen Arbeitgebern und allen im Bundestag vertretenen Parteien beteiligt sind.

In Nürnberg sah sich Norbert Hocke vom GEW-Vorstand gezwungen, zu betonen, dass der Kita-Streik nicht abgebrochen, sondern „nur ausgesetzt“ worden sei. Er versuchte offensichtlich, die Unzufriedenheit zu beschwichtigen, die sich an der Basis ausbreitet. Weite Teile der Mitgliedschaft und der Streikenden haben die Aussetzung des Streiks zu Recht als Auftakt zum Ausverkauf verstanden.

Dies zeigten auch die Reaktionen auf die Erklärung „Der Kita-Streik und die Rolle von Verdi, GEW und DGB“, die auf den Kundgebungen in hunderten Exemplaren verteilt wurde.

Alexandre aus München

In Nürnberg kommentierte Alexandre, ein Diplom-Sozialpädagoge aus München, den Auftritt von Spitzenpolitikern auf allen vier DGB-Demonstrationen mit den Worten: „Politiker wie Sigmar Gabriel, Gregor Gysi und andere reden manchmal über soziale Ungleichheit, wenn es ihren Zwecken dient. Sie sind aber nicht wirklich am Leben der einfachen Menschen interessiert.“

Er meinte, Verdi bleibe wohl nichts anderes übrig, als eine Art Arbeitsbeziehung zu ihnen zu unterhalten, weil das die Mechanismen der Sozialpartnerschaft verlangten. Er denke jedoch, „Verdi führt uns in eine falsche Richtung. Die Arbeiter können in diesem Rahmen ihre Interessen nicht durchsetzen.“

Alexandre fuhr fort: „In Deutschland hat sich eine winzige Minderheit in den letzten Jahren ungeheuer bereichert, auf Kosten der Allgemeinheit. Schon ein Teil ihrer Milliarden würde ausreichen, die unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen nicht nur in diesem Land zu erfüllen, sondern in einem ganzen Kontinent wie Afrika. Aber stattdessen gibt es neue koloniale Unternehmungen. Millionen von Menschen werden gezwungen, für Billiglöhne zu arbeiten, und wenn sie ihre Arbeit verlieren, fallen sie ins Bodenlose.“

Uta arbeitet im sozialen Brennpunkt

In Köln trug Uta, Erzieherin im sozialen Brennpunkt, ein Plakat mit der Aufschrift: „Erst wenn die letzte Bank gerettet, die letzte Staatspleite verhindert und der letzte Großflughafen fertig gestellt, werdet ihr feststellen, dass die Kinder unsere Zukunft gewesen wären.“

Uta schilderte, wie die Anforderungen an ihre Tätigkeit ständig wachsen, während die Löhne niedrig bleiben und der ganze soziale Bereich von Sparmaßnahmen betroffen ist. „Ich hoffe, dies ist der Anfang einer größeren Streikbewegung, der sich andere soziale Berufe anschließen“, sagte sie. Auch die Postboten seien von Lohndumping und Kürzungen betroffen, es gebe guten Grund für gemeinsame Kämpfe. „Viele Errungenschaften gehen auf große Streikbewegungen zurück, so zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Hier müssen wir anknüpfen.“

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