Perspektive

USA erwägen Teilung des Irak

Vor einer Woche wurde im amerikanischen Repräsentantenhaus eine bemerkenswerte Erklärung abgegeben: Verteidigungsminister Ashton Carter erklärte, die Obama-Regierung sei bereit, ein Aufbrechen des Irak als einheitlichem Nationalstaat zu akzeptieren.

„Was wäre, wenn sich herausstellen würde, dass ein multi-religiöser Irak nicht lebensfähig ist?” fragte Carter rhetorisch. „Das ist ein wichtiger Aspekt unserer heutigen Strategie. Wenn die Regierung nicht tun kann, was sie eigentlich tun sollte, dann werden wir einheimische Bodentruppen, die zur Zusammenarbeit mit uns bereit sind, dennoch in die Lage versetzen, die Stabilität im Irak aufrechtzuerhalten. Aber dann wird es keinen einheitlichen Staat Irak mehr geben.“

Carters dreiste Erklärung unterstreicht einmal mehr den räuberischen und kolonialen Charakter der jahrzehntelangen US-Intervention im Nahen Osten – ebenso wie die endlosen Lügen, mit denen sie gerechtfertigt wird.

Erst vor zehn Monaten erfuhr die amerikanische Bevölkerung von der Obama-Regierung, dass das US-Militär wieder im Irak intervenieren werde. Das Land müsse gegen den Islamischen Staat (IS) verteidigt werden, weil dieser sein Überleben bedrohe. Noch im April erklärte Obama im Weißen Haus (während der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi neben ihm stand), die Vereinigten Staaten strebten nicht nur den Sieg über den IS an, sondern ihr „oberstes Interesse“ gälte „der Respektierung der irakischen Souveränität“.

Nur wenige Monate später lässt die Obama-Regierung erkennen, dass ihr die Souveränität des Irak und sogar seine Existenz vollkommen egal sind.

Die US-Regierung veränderte ihre Haltung nach dem Rückzug der irakischen Armee aus Ramadi. Diese mehrheitlich sunnitische Stadt in der westlichen Provinz Anbar fiel in die Hände des IS, und mit ihr riesige Mengen von Rüstungsgütern, die die USA dem Irak geliefert hatten. Seither hat Obama sein Versprechen, im Irak keine amerikanischen Bodentruppen mehr ins Gefecht zu schicken, beiseite gewischt. Vergangene Woche ordnete das Weiße Haus die Verlegung von 450 Soldaten in einen Stützpunkt zwischen Ramadi und Falludscha an.

Von ihrer Festung aus haben die amerikanischen „Berater“ die Aufgabe, einheimische Sunniten zu kaufen, damit sie die Seiten wechseln. Sie sollen ihre Zusammenarbeit mit dem IS und den Kampf gegen die mehrheitlich schiitische irakische Regierung einstellen und sich den Milizen anschließen, die die USA gegen die islamistischen Extremisten ausrüsten. Das „Lilypad“ (Seerose) genannte Konzept soll in den kommenden Wochen noch ausgeweitet werden. Die US-Berater sollen ihre irakischen Söldner auch in die Kampfgebiete begleiten, um Luftangriffe vor Ort zu unterstützen.

Carter gab auch bekannt, dass die USA künftig Waffen und Ausrüstung direkt an die Kurdische Regionalregierung (KRG) liefern würden, die ihr Territorium schon jetzt de facto als eigenständigen Staat regiert. Noch wenige Tage vorher hatte er behauptet, wenn man die KRG direkt bewaffnen würde, stünde dies „im Widerspruch zur traditionellen amerikanischen Außenpolitik, die einen stabilen, einheitlichen Staat Irak erhalten will“. Über die KRG fließt Unterstützung auch an die kurdischen Rebellen im Norden Syriens, die dem IS in den vergangenen Wochen spürbare Niederlagen zugefügt haben.

In Syrien reagieren die USA nicht nur auf den Vormarsch der kurdischen Milizen im Norden gegen den IS, sondern auch auf die Siege sunnitischer Rebellen im Süden des Landes. Diese Rebellen werden von den amerikanischen Bündnispartnern Jordanien und Saudi-Arabien ausgebildet und bewaffnet, damit sie gegen die syrische Regierung von Präsident Baschar al-Assad kämpfen, der vom Iran unterstützt wird. Assads Truppen haben mittlerweile die Kontrolle über den größten Teil des Landes verloren.

Die Wende in der amerikanischen Politik fällt mit der wachsenden Bedeutung der iranischer Unterstützung für die Abadi-Regierung in den Regionen, die sie noch kontrolliert, zusammen. Bei Bagdad und in den mehrheitlich schiitischen Gebieten des Irak sind es schiitische Milizen, die mit Unterstützung iranischer Berater die Hauptlast der Kämpfe gegen die IS tragen. Teherans Bemühungen, den irakischen Staat zu retten, werden von Carter und dem US-Militär allerdings als „verderblicher iranischer Einfluss“ denunziert.

Ein Kolumnist der Washington Post, Charles Krauthammer, kommentierte die Äußerungen Carters und die Lage im Nahen Osten mit den Worten: „Die amerikanische Politik zum Irak und zu Syrien muss sich zuallererst eingestehen, dass sich die alten Grenzen erledigt haben, dass ein einheitliches Syrien und ein einheitlicher Irak der Vergangenheit angehören, und dass die Sykes-Picot-Landkarte Geschichte ist.“

Bei Sykes-Picot handelt es sich um das üble imperialistische Abkommen zwischen Großbritannien und Frankreich, mit dem diese Mächte den Nahen Osten am Ende des Ersten Weltkriegs unter sich aufteilten. Nach großem Blutvergießen und kolonialer Unterdrückung führte es schließlich zur Bildung von Nationalstaaten wie Saudi-Arabien, dem Libanon, Syrien, dem Irak, Jordanien und Kuwait. Ein Jahrhundert später sind die Vereinigten Staaten mehr als bereit, diese Staaten im Interesse ihrer heutigen imperialistischen Agenda auseinanderzureißen.

Seit dem ersten Golfkrieg von 1990–1991 besteht das einzige „oberste Interesse“ des US-Imperialismus im Nahen Osten darin, seine ungehinderte militärische Herrschaft über den Persischen Golf und die größten Ölreserven der Welt sicherzustellen.

Im Jahr 2003 erfolgte die illegale Invasion und Besetzung des Irak unter dem verlogenen Vorwand der „Massenvernichtungswaffen“. Die Anhänger des alten Regimes von Saddam Hussein, die überwiegend der sunnitischen Bevölkerung angehörten, wurden systematisch verfolgt. Seither bestehen die Marionettenregierungen in Bagdad aus Koalitionen schiitischer religiöser Parteien mit kurdischen Nationalisten.

Die US-Besatzung forderte bis zu einer Million Todesopfer unter der irakischen Bevölkerung. Auch nachdem die US-Truppen 2011, nach neun Jahren Massenmord und Unterdrückung, abgezogen waren, wurde die sunnitische Bevölkerung unter Nuri al-Malikis Regierung weiterhin marginalisiert.

Der IS hat seine Wurzeln unter sunnitischen Extremisten, die gegen die amerikanische Besatzung und die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad kämpften. In Syrien wurden diese Kräfte wiederum zu nützlichen Bauern in Washingtons Agenda des Regimewechsels. Sie richtet sich gegen die Assad-Regierung, die von Russland und dem Iran unterstützt wird.

Als die islamistischen Milizen zur führenden Kraft in der bewaffneten Rebellion gegen Assad aufstiegen, leisteten die USA ihnen wichtige Hilfestellung. Besonders der IS erhielt von US-Verbündeten in der Region große Mengen an Waffen und Geld.

Durch diese Unterstützung gestärkt konnte der IS im Juni 2014 die Grenze zurück in den Irak überqueren, worauf er die Metropole Mossul im Norden des Irak einnahm. Die amerikanische Irak-Politik erlitt damit ein völliges Debakel. Das nahm die Obama-Regierung nun zum Vorwand, erneut Militär in den Irak zu schicken, um den wachsenden Einfluss des Iran einzudämmen. Darüber hinaus begann das US-Militär, direkte Luftschläge in Syrien zu führen, die sich ab einem bestimmten Punkt gegen die Überreste von Assads Militär richten sollen.

Die Gewaltorgie, die die USA im Nahen Osten entfesseln, und ihre Intrigen mit wechselnden ethnisch-religiösen Fraktionen stellen ein ungeheures Verbrechen dar. Sie haben Hunderttausende Menschenleben gekostet und unermessliches Leid über die Bevölkerung gebracht. Zudem haben sie die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst.

Jeder weitere Versuch Washingtons, die Region neu aufzuteilen, die Grenzen neu zu ziehen und neue Kolonien zu schaffen, bedroht die Bevölkerung der Region und der ganzen Welt mit einem noch größeren Blutbad.

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