Massendemonstrationen nach griechischem Referendum gegen EU-Sparkurs

Bei dem Referendum in Griechenland über die Sparvorschläge der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds haben mehr als 61 Prozent der Teilnehmer mit „Nein“ gestimmt. Am Sonntagabend versammelten sich nach Bekanntgabe des Ergebnisses mehrere tausend Menschen auf dem Syntagma-Platz in Athen.

Ein Teil der Demonstration auf dem Syntagma-Platz am Sonntag

Zuvor hatten sich bereits am Freitag tausende Menschen, darunter viele Jugendliche, auf dem Platz versammelt und erklärt, sie würden bei dem Referendum mit „Oxi“ („Nein“) stimmen.

Die Jugendlichen haben die Hauptlast der Sparmaßnahmen zu tragen und dabei handelt es sich um die brutalsten Sozialkürzungen, die je in Friedenszeiten gegen eine europäische Bevölkerung verhängt wurden. Viele Jugendliche äußerten sich kritisch über den Erfolg des „Nein“-Lagers und lehnten das Spardiktat mit Zweidrittelmehrheit ab. Nach mehr als fünf Jahren Sparkurs ist die Hälfte der griechischen Jugend arbeitslos und hat keine Aussichten auf eine bessere Zukunft.

Am Sonntagabend schallten „Oxi!, Oxi!, Oxi!“ Rufe durch Athen [„Nein! Nein! Nein!“].

Feiern auf dem Syntagma-Platz am Sonntag

Athina, eine zwanzigjährige Studentin, beobachtete die „Siegesfeier“ von den Stufen des Parlamentsgebäudes aus. Sie erklärte: „Wir halten das für das beste Ergebnis, das wir erzielen konnten. Jetzt können andere Länder sehen, dass die griechische Bevölkerung sagt: 'wir lassen uns das nicht mehr gefallen.'“

Athina war mit drei Freunden und Mitstudenten auf den Syntagma-Platz gekommen. Sie erzählte über die schrecklichen Zustände, unter denen die Jugendlichen leben: „Für uns Studenten ist es äußerst schwierig. Wir müssen ständig arbeiten.“ Ihre Freundin Afroditi fügte hinzu: „Wir bekommen vier Euro Stundenlohn!“

Athina, Chasan, Afroditi und Francesca (v.l.n.r)

Athina fuhr fort: „Wir sind heute zwanzig Jahre alt. Wir leben bei unseren Eltern und sie haben überhaupt kein Geld. Sie können nicht leben und sie können nicht überleben. Es wurde Zeit, dass endlich etwas passiert ist. Das Ergebnis ist deutlich. Es sind über 60 Prozent Nein!“

Auf die Frage, was sie davon halten, dass die EU in ganz Europa auf Austerität setzt, antwortete Afroditi: „Es ist Zeit, dass diejenigen, die das allen Ländern aufzwingen, dafür bezahlen. Wir helfen der reichen Minderheit nicht. Sie sind eine Minderheit. Wir sind die Mehrheit.”

Die griechischen Jugendlichen waren nicht die einzigen, die diese Absage an den Sparkurs feierten. David und Ines aus dem nordspanischen Palencia, die in Athen im Rahmen eines Studentenaustauschprogramms Architektur studieren, erklärten, sie hätten sich gezwungen gefühlt, auf den Syntagma-Platz zu kommen, um ihre Solidarität mit der griechischen Bevölkerung zu bekunden.

„Die Abstimmung heute Abend ist sehr wichtig, nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa,“ sagte David. Ines fügte hinzu: „In Spanien haben wir eine ganz ähnliche Situation. Wir müssen für die Fehler der Regierung und des reichsten obersten Prozents der Gesellschaft bezahlen.“ Ihre Freundin Alexia aus Paris - ebenfalls eine Austauschstudentin - fügte hinzu, dass auch in Frankreich immer mehr Sparmaßnahmen durchgesetzt würden.

Trotz der ausgelassenen Stimmung äußerten sich einige der Anwesenden besorgt über die Zukunft. Ein junger Mann sagte der WSWS: „Ich habe mit Nein gestimmt, aber ich feiere nicht, weil ich weiß, dass es eine riskante Entscheidung war.“

Millionen Arbeiter und Jugendliche in Griechenland haben dem Angriff der globalen Finanzoligarchie eine klare Absage erteilt. Der Widerstand der Arbeiterklasse, der sich in den „Nein“-Stimmen äußerte, ist noch wenig politisch entwickelt. Viele Wähler haben Illusionen in die Syriza-Regierung. Allerdings war das Ergebnis auch eine implizite Absage an Syriza, die immer wieder versucht hatte, eine Einigung mit der EU auszuhandeln. Sie hatte wiederholt angeboten, ein fast identisches Kürzungsprogramm durchzusetzen, nur in einem etwas längeren Zeitraum.

Der Guardian veröffentlichte ein Bild von der Insel Evia, wo besonders viele Wähler mit „Nein“ gestimmt hatten. Er zitierte Äußerungen der Langzeitarbeitslosen Athina Vlahogiorgou, einer alleinerziehenden zweifachen Mutter. Sie erklärte: „Nach den letzten fünf Jahren kann man das, was man uns angetan hat, nur ignorieren, wenn man nicht richtig im Kopf ist. Es geht nicht um die Drachme oder den Euro. Es ist eine Klassenfrage.“

Das Reporterteam der WSWS in Athen hat diese Stimmungen im Laufe der letzten Woche immer wieder gehört, mit immer mehr Leidenschaft.

Als bekannt wurde, dass die griechische Bevölkerung den Sparkurs entschieden abgelehnt hatte, konnten die Vertreter der europäischren Finanzoligarchie ihre Wut und Ablehnung gegenüber dem Ergebnis kaum verbergen.

Der Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem erklärte, der Ausgang des Referendums sei „sehr bedauerlich für die Zukunft der Griechen...“ Er ignorierte die eindeutige Entscheidung der griechischen Bevölkerung gegen die von der Eurogruppe geforderten Maßnahmen und erklärte, für die Erholung der griechischen Wirtschaft seien „harte Maßnahmen und Reformen unvermeidlich.“ "Wir warten nun auf Initiativen der griechischen Behörden".

Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel bezeichnete das Ergebnis als eine „Absage an die Spielregeln der Eurozone“. Verhandlungen über milliardenschwere Programme seien nun „kaum vorstellbar.“

Der slowakische Finanzminister Peter Kazimir warnte offen: „Wir werden das nicht kampflos hinnehmen.“

Nach Bekanntgabe des Ergebnisses vereinbarten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande per Telefon ein Treffen der Regierungschefs der Eurozone für Dienstagnachmittag.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, kündigte eine Telefonkonferenz mit EZB-Präsident Mario Draghi, Dijsselbloem und EU-Ratspräsident Donald Tusk an.

Die Schlagzeile der rechten britischen Zeitung Daily Mail lautete: „Kernschmelze! EU in der Krise! Griechen stimmen gegen verheerende Kürzungen und bereiten sich auf Austritt aus der Eurozone vor“. Sie verdeutlicht die Wut der herrschenden Klasse über die entschiedene Ablehnung ihres Kürzungsprogramms.

Mujtaba Rahman, der Chef der Analyseabteilung für Europa der Beratungsfirma Eurasia Group, erklärte: „Griechenland hat gerade seinen eigenen Selbstmord angekündigt.“

Für die Syriza-Regierung war das Referendum ein Manöver. Sie hatte gehofft, es als Werkzeug benutzen zu können, um unabhängig von dem Ergebnis eine Einigung mit der EU, der Europäischen Zentralbank und dem IWF aushandeln zu können. Allerdings hat das Referendum den Widerstand der Bevölkerung gegen die verhassten Austeritätsmemoranden, die von mehreren griechischen Regierungen hintereinander abgeschlossen wurden, nur verstärkt.

Als die Exit Polls auf eine deutliche Mehrheit von „Nein“-Stimmen hindeuteten, erklärte Syriza-Arbeitsminister Panos Skourletis: „Die Verhandlungen, die nun beginnen werden, müssen sehr schnell abgeschlossen werden, vielleicht sogar schon nach 48 Stunden.“

Tsipras und andere führende Syriza-Funktionäre erklärten als Reaktion auf das Abstimmungsergebnis vom Sonntag, sie wollten es nicht nutzen, um den Sparkurs zu beenden, sondern, um ihre Bemühungen zu verdoppeln, sich mit den Institutionen der europäischen Finanzelite zu einigen. Tsipras behauptete: „Ihr habt mir nicht das Mandat erteilt, mit Europa zu brechen, sondern ihr habt meine Verhandlungsposition gestärkt. Morgen beginnt die harte Arbeit.“

Nachdem sich der Sieg der Austeritätsgegner bestätigt hatte, machte Tsipras den gleichen EU-Führern, die in den letzten fünf Monaten jedes Zugeständnis an Syriza verweigert hatten, sofort seine Aufwartung. Seinen ersten Annäherungsversuch richtete er an Francois Hollande.

Berichten zufolge wird sich Tsipras heute mit den Führern der wichtigsten griechischen Parteien treffen, um ihre Positionen anzuhören. Dazu gehören die Parteichefs der Pasok und To Potami (Der Fluss), die beide den Sparkurs befürworten. Der inoffizielle Anführer des „Ja“-Lagers, Antonis Samaras von der konservativen Nea Dimokratia, hatte nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses seinen Rücktritt als Parteichef eingereicht.

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