US-Stahlarbeitergewerkschaft verhindert Kampf um Löhne und Sozialleistungen

Am Dienstag um Mitternacht läuft der dreijährige Tarifvertrag für 30.000 Stahlarbeiter in den Vereinigten Staaten aus. Die Stahlarbeitergewerkschaft United Steelworkers (USW) hat ihre Mitglieder angewiesen, auch nach Ablauf der Frist weiterzuarbeiten. Die Gewerkschaft ist derweil damit beschäftigt, gemeinsam mit US-Steel und ArcelorMittal umfangreiche Angriffe auf die Arbeitsplätze, Löhne und sozialen Zulagen der Arbeiter auszuarbeiten.

ArcelorMittal, der weltgrößte Stahlproduzent, fordert, dass die 13.000 Arbeiter des Konzerns eine dreijährige Lohnpause und eine Verringerung der Prämien, des Urlaubs- und Krankengeldes und der Unfallentschädigungen akzeptieren. US-Steel fordert seinerseits, dass seine 17.000 aktiven Arbeiter und hunderttausende Rentner mit ihren Familien höhere Eigenbeiträge zu den Gesundheitskosten beisteuern. Auch bei US-Steel sollen das Urlaubsgeld gesenkt und Krankenversicherung und Arbeitssicherheit weiter verschlechtert werden.

Die Gewerkschaft USW arbeitet mit den Konzernen und der Obama-Regierung zusammen, um jeden Widerstand der Arbeiter gegen diese Forderungen zu unterdrücken. Die USW unterhält enge Beziehungen zur Demokratischen Partei: Zum Beispiel sitzt der Gewerkschaftsvorsitzende Leo Gerard in Obamas Beratungsgremium Corporate Competitiveness Board (Gremium zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft). Die Gewerkschaften haben Obama dabei unterstützt, die Reallöhne de facto einzufrieren und die Kosten für Gesundheit und Renten den Arbeitern aufzuladen.

In einer kurzen und knappen Botschaft schrieben Vorstandsmitglieder der Gewerkschaft auf der Website der USW: „Obwohl wir in einer ganzen Anzahl von wirtschaftlichen und anderen Themen noch weit auseinander liegen, ermutigt uns die generelle Richtung unserer Diskussionen der letzten Zeit. Nun, da der Tarifvertrag am 1. September auslaufen soll, hat der Vorstand beschlossen, dass wir am Verhandlungstisch bleiben und weiterverhandeln wollen, anstatt uns an die Mitgliedschaft zu wenden und über einen Streik abstimmen zu lassen. Solange die Gespräche mit dem Management andauern, fordern wir unsere Mitglieder auf, entsprechend ihrem Dienstplan zur Arbeit zu erscheinen.“

In den USA gilt häufig traditionell das Prinzip „No contract, no work“, d.h., ohne gültigen Tarifvertrag wird nicht gearbeitet.

US-Steel drückte ihren gewerkschaftlichen Tarifpartnern ihre Dankbarkeit aus. Eine Sprecherin sagte: „Wir wissen die Entschlossenheit der United Steelworkers zu schätzen. Sie haben in ihrer Stellungnahme zu den Verhandlungen bei US-Steel am 26. August vorgeschlagen, solange weiter zu verhandeln und weiter zu arbeiten, bis ein faires Abkommen erreicht ist.“

Die unmittelbare Folge dieser Erklärung ist die fortgesetzte Isolation von 2.200 Stahlarbeitern bei Allegheny Technologies Inc. (ATI) in Pittsburgh, die seit zwei Wochen ausgesperrt sind. Der Spezialstahl-Produzent hat Streikbrecher und Sicherheitskräfte angeheuert, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Mit seinen Forderungen nach einer starken Erhöhung des Eigenanteils an den Krankenkassenbeiträgen und nach Veränderungen des Schichtsystems sondiert dieser Konzern für die ganze Branche das Gelände. Das neue Schichtsystem würde die Belegschaft praktisch zu Gelegenheitsarbeitern auf Abruf degradieren.

Die Konzerne koordinieren ganz offensichtlich ihren Klassenkrieg. Innerhalb von Tagen nach Beginn der Aussperrung bei ATI gab US Steel in Pittsburgh bekannt, der Konzern werde seinen Hochofen im Werk Fairfield nahe Birmingham (Alabama) dauerhaft schließen und 1.100 Arbeitsplätze vernichten. ArcelorMittal droht, eines seiner sechs letzten Warmbandwalzwerke zu schließen. Beide Konzerne versuchen, die Arbeiter mit Massenentlassungen zu terrorisieren und zur Kapitulation zu zwingen.

Indem die USW ihre Mitglieder anweist, ohne Vertrag weiter zu arbeiten, ermöglicht sie es den Konzernen, auf Vorrat zu produzieren, um auch bei einem längeren Streik oder einer Aussperrung liefern zu können. Angesichts fallender Stahlpreise wegen der Weltwirtschaftskrise könnten die Stahlkonzerne durchaus eine solche Provokation planen.

Weil Dutzende Millionen Arbeiter nach der längsten Lohnstagnation seit der Großen Depression die Nase voll haben, sind die USW und der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO fest entschlossen, den Ausbruch eines Kampfes zu verhindern, denn er könnte zu einer breiten Bewegung der Arbeiterklasse nicht nur gegen die Konzerne und die Regierung, sondern auch gegen die unternehmerfreundlichen Gewerkschaften selbst führen.

Selbst wenn die USW zu einem Streik aufrufen sollte, dann nur um die Arbeiter auszulaugen, sie von anderen Teilen der Arbeiterkasse zu isolieren und einmal mehr einen Tarifvertrag im Interesse der Unternehmen abzuschließen. Diese Erfahrung mussten auch die Raffineriearbeiter Anfang des Jahres machen. Die USW rief weniger als ein Viertel der dort in der USW organisierten 30.000 Arbeiter in den Streik, isolierte ein Werk nach dem anderen, verweigerte die Zahlung von Streikgeld und setzte den Ausverkauf durch, den die Ölkonzerne und die Obama-Regierung verlangt hatten.

Gestern warnte ein altgedienter ExxonMobil Arbeiter in Beaumont, Texas im Gespräch mit der World Socialist Web Site vor der Rolle der Gewerkschaften: „Ich war früher ein entschiedener Gewerkschafter. Aber die USW hat mich verraten. Es fing damit an, dass sie nur einen kleinen Teil der Arbeiter in den Streik riefen, und dann ließen sie die streikenden Belegschaften jeder einzelnen Raffinerie am ausgestreckten Arm verhungern. Danach machte uns ExxonMobil ein letztes Angebot nach dem Motto ‚friss oder stirb’. Sie wussten, dass wir alleine standen und dass die Gewerkschaft uns im Streik nicht unterstützen würde.“

„Die Arbeiter aller Branchen müssen gemeinsam in den Ausstand treten und das Land zum Stillstand bringen“, fügte er hinzu. „Ich schaue mir meine Enkel an: Sie werden keine Chance mehr haben. In zwanzig Jahren werden sie noch zehn Dollar die Stunde verdienen, wenn wir jetzt nicht was unternehmen. Die Politiker tun nichts für uns und die Gewerkschaften auch nicht. Wir brauchen einen gemeinsamen Kampf von Stahlarbeitern, Lehrern, Beschäftigten des Nahverkehrs, Autoarbeitern, d.h. von allen.“

Auf dem Streikposten vor einem ATI-Werk in Brackenridge, Pennsylvania, wurde am Freitag ein ausgesperrter Arbeiter von einem Streikbrecher-LKW angefahren. Danach forderten die dortigen ATI-Arbeiter gemeinsame Streikaktionen. „Wir brauchen nicht nur einen nationalen Stahlarbeiterstreik“, sagte ein Arbeiter der WSWS. „Alle Arbeiter in den Vereinigten Staaten müssen in den Streik treten. Dann werden wir ja sehen, wie lange sie durchhalten.“

Im ganzen Land entwickelt sich unter ganz unterschiedlichen Arbeiterschichten eine wachsende Oppositionsstimmung. Nicht nur die Tarifverträge der Stahlarbeiter und die Verträge der Eisenerzbergarbeiter in Minnesota und Michigan, die ebenfalls bei der USW organisiert sind, laufen aus, sondern am 14. September enden auch die Verträge von 140.000 Autoarbeitern bei General Motors, Ford und Fiat Chrysler. GM-Arbeiter stimmten letzte Woche fast einstimmig für Streik, und zuvor schon hatten die Arbeiter von Fiat Chrysler auf ganz ähnliche Weise abgestimmt.

Am 1. Oktober laufen die Verträge von 11.200 Arbeitern bei John Deere & Co aus, dem größten Landmaschinenhersteller der Welt. Tarifverträge für 300.000 Beschäftigte der Post, für 60.000 Beschäftigte von Verizon und AT&T Telecom und von Zehntausenden Lehrern in Chicago, Detroit, Pittsburgh und anderen Städten sind schon abgelaufen. In allen diesen Fällen lassen die Gewerkschaften die Verträge einfach weiter laufen, während die Arbeitgeber in die Offensive gehen.

Die neuen Angriffe der Wirtschafts- und Finanzelite treffen mit einer Krise des kapitalistischen Weltsystems zusammen. Anfang letzter Woche stürzten die Börsen stärker ab als zu jedem anderen Zeitpunkt seit der Krise von 2008. Zur Erholung kam es nur, weil die Federal Reserve eine erneute Zufuhr von Cash versprach, um die Aktienwerte zu stützen. Seit acht Jahren sind die Obama-Regierung und andere Regierungen weltweit damit beschäftigt, den Reichtum der Finanzaristokratie mit solchen Maßnahmen zu erhalten und zu vergrößern.

Die herrschenden Klasse reagiert auf das Platzen der Aktienblase mit verstärkten Angriffen auf Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleistungen der Arbeiterklasse. Das unterstreicht die Tatsache, dass die Arbeiter nicht nur mit dieser oder jener Firma konfrontiert sind, sondern mit dem ganzen Wirtschaftssystem.

Die Gewerkschaften sind das hauptsächliche Hindernis für einen Kampf gegen das Diktat der herrschenden Klasse. Dieser Verrat entspringt nicht nur aus der Korruption und Feigheit von Gerard & Co, sondern aus der pro-kapitalistischen und nationalistischen Orientierung der Gewerkschaften. Sie ordnen die Arbeiter der Demokratischen Partei und dem Profitsystem unter. Wenn die Arbeiterkämpfe im ganzen Land und international vereint werden sollen, dann muss dieser Kampf der USW, der UAW und den anderen Gewerkschaften aus der Hand genommen werden.

Die Arbeiter müssen neue, demokratisch gewählte und von ihnen selbst kontrollierte Kampforganisationen schaffen, die frei vom Einfluss der Gewerkschaften sind. Vor allem aber muss die Arbeiterklasse mit einer völlig neuen politischen Strategie und einem internationalen sozialistischen Programm bewaffnet werden.

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