VW Kassel: Großes Interesse am WSWS-Autoarbeiter-Info

Die neue Ausgabe des Autoarbeiter Info der WSWS stieß Ende letzter Woche im VW-Werk Kassel-Baunatal auf großes Interesse.

Als Sicherheitskräfte versuchten, das Verteilen des Infos vor dem Haupttor zu verhindern, nahm ein Arbeiter einen ganzen Stapel mit ins Werk, um ihn an Kollegen weiterzugeben. Vor allem die Schlagzeile „Lehren aus dem Volkswagen-Skandal“ stieß auf Interesse und löste Diskussionen aus.

Das Volkswagenwerk in Kassel-Baunatal ist nach Wolfsburg das zweitgrößte inländische
VW-Werk und der wichtigster Arbeitgeber der Region Nordhessen. Mitte der 1980er Jahre waren hier noch mehr als 20.000 Menschen beschäftigt. Seitdem wurden 5.000 Arbeitsplätze abgebaut und etwa zweitausend in Zeitarbeitsplätze umgewandelt.

Das Werk ist unmittelbar von der kriminellen Abgasmanipulation betroffen. Denn hier werden neben Getrieben und Schalldämpfern auch die Katalysatoren und Partikelfilter für den ganzen Konzern produziert. Mitte Oktober wurde der Kasseler Werkleiter, Falko Rudolph, von seinem Posten enthoben. Er leitete die Entwicklung der Dieselmotoren in den Jahren 2006 bis 2010.

Viele Arbeiter stimmten überein, dass der Betrug nicht nur das persönliche Vergehen einiger weniger Manager war, sondern in weiten Kreisen des Managements bekannt gewesen sein muss.

Ein Arbeiter blieb stehen und argumentierte: „Das ist aber nicht allein das Problem von Volkswagen, auch andere Konzerne sind betroffen.“ Die Aussage im Autoarbeiter Info: „VW ist kein Einzelfall. Auch andere Autokonzerne, wie General Motors und Toyota, und Weltkonzerne wie Siemens haben ähnliche Skandale erlebt. Andere Produzenten von Dieselfahrzeugen – darunter BMW, Opel, Peugeot und Mercedes – stehen im Verdacht, ebenfalls Abgaswerte manipuliert zu haben“, interessierte ihn.

Das Autoarbeiter Info leitet aus dieser Einschätzung aber nicht eine Entschuldigung des VW-Betrugs ab, sondern den kriminellen Charakter des gesamten kapitalistischen Profitsystems.

Ein Katalysatorenbauer sagte: „Die Planzeichnungen werden uns immer aus Wolfsburg vorgegeben, darauf haben wir keinen Einfluss.“ Die Manipulationen müssten daher im zentralen Management bekannt gewesen sein.

Er dachte auch, dass jetzt ein gewaltiges Sparprogramm auf den Knochen der Arbeiter zu erwarten sei: „Ganz sicher“, sagte er. „Wenn jetzt nicht, wann dann? Wenn es VW gut geht, haben sie Schwierigkeiten, solche Kürzungen durchzusetzen.“ Die Arbeiter seien „das letzte Glied in der Nahrungskette“. Man müsse davon ausgehen, dass als erstes die Verträge für die Zeitarbeiter nicht verlängert würden.

Die Belegschaft in Kassel-Baunatal ist sehr international. Arbeiter aus Polen, Russland, dem Balkan, der Türkei, Eritrea und einigen anderen Ländern kommen zum Schichtbeginn. Ein russischer Arbeiter wollte mehr über die Geschichte der WSWS wissen. Er berichtete, seine ganze Verwandtschaft sei in Russland von Stalin umgebracht worden.

Viele Arbeiter interessierten sich auch stark für die amerikanischen Kollegen und deren Rebellion gegen die Gewerkschaft UAW. Eine junge Arbeiterin sagte: „Das muss ich meinem Mann zeigen, der Amerikaner ist. Er interessiert sich für alles, was den Arbeitern dort passiert.“

An den Berichten mehrerer junger Arbeiter wurde deutlich, dass das amerikanische Two-Tier-System hier schon längst ebenfalls Einzug gehalten hat: Mehrere arbeiten hier als „Praktikanten“, andere sind Leiharbeiter von Fremdfirmen, die jetzt um die Verlängerung fürchten müssen.

Die enge Zusammenarbeit von IG Metall, Betriebsrat und Konzernleitung ist allseits bekannt. Auch, dass der frühere IG Metall-Chef Berthold Huber zeitweilig selbst die Führung des Aufsichtsrats übernommen hatte und jetzt den VW-Untersuchungsausschuss leitet, wissen viele Arbeiter. Sie sind über die Rolle von IG Metall und Betriebsrat sehr skeptisch.

Im Kassler VW-Werk versucht Betriebsratschef Carsten Bätzold die Beschäftigten zu beruhigen. Er bezeichnet den Elektro-Antrieb „als große Chance für den Standort Kassel“. Ein wesentlicher Punkt der Neuausrichtung des VW-Konzerns nach dem Abgasskandal sei die Stärkung der Elektromotoren-Produktion, und die sei in Kassel konzentriert. Doch diese Art, die Krise schönzureden, verfängt nur bei sehr wenigen.

Ein Arbeiter sagte: „Ich halte überhaupt nichts von der IG Metall. Sie vertreten nicht unsere Interessen.“ Einer von zwei jungen Produktionsarbeitern fügte hinzu: „Wenn man als kleiner Arbeiter da drin ein Problem hat, braucht man erst gar nicht zum Betriebsratsbüro zu gehen. Es interessiert die nicht.“

Die Ankündigung der Konzernleitung, dass die Krise nicht ohne „schmerzliche Opfer“ überwunden werden könne, kommentierte ein Arbeiter mit den Worten: „Es ist schon klar, dass es auf unsern Knochen ausgetragen wird. Das ist schon immer so gewesen.“

Die ganze Stadt ist von dem VW-Skandal betroffen und diskutiert darüber. In der Kasseler Innenstadt sagte ein Rentnerpaar: „Es ist ein starkes Stück! Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Was wird aus der Strukturreform am Ende rauskommen? Nur die Arbeiter werden dafür bezahlen. Auf der Vorstandsebene wird nicht ein einziger weniger sitzen als jetzt. Einige werden ausgetauscht, und die Betrüger, die gehen müssen, kassieren trotzdem weiter.“

Das Autoarbeiter Info zieht aus dem VW-Skandal zwei Schlussfolgerungen:

„Um gegen die Angriffe der Unternehmen zu kämpfen, müssen Arbeiter mit der nationalistischen Politik der Gewerkschaften brechen, ihre eigenen, unabhängigen Komitees aufbauen und sich international zusammenschließen.

Und sie müssen die Verteidigung ihrer Rechte und Errungenschaften zum Ausgangspunkt des Kampfs für eine sozialistische Gesellschaft machen: für Arbeiterkontrolle über die Produktion, für die Vergesellschaftung der Autoindustrie, der großen Konzerne und Banken und für die Reorganisation der gesamten Wirtschaft auf Grundlage der gesellschaftlichen Bedürfnisse statt der Profitansprüche des Kapitals.“

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