Perspektive

Obamas Rede zu San Bernardino und die Rechtswende der US-Politik

Präsident Barack Obamas „Rede zur Lage der Nation“ über den Mordanschlag in San Bernardino macht deutlich, wie abermals ein tragisches Ereignis benutzt wird, um die öffentliche Meinung zu desorientieren. Politik- und Medienvertreter wollen die Bevölkerung stärker als bisher an die Kriegspolitik der US-Regierung binden.

Obama befand sich in der Defensive. Er versuchte Angriffe von republikanischen Rechten und von Elementen innerhalb seiner eigenen Partei abzuwehren, die lautstark noch mehr Gewalt und Blutvergießen in Syrien fordern. Er hielt seine Rede vor dem Hintergrund einer ständigen Verschärfung des Kriegs im Irak und Syrien. Anfang letzter Woche hatte die US-Regierung den Einsatz einer Spezialeinsatztruppe angekündigt, die an Kampfhandlungen teilnehmen soll, dann folgten in raschem Tempo die Parlamentsabstimmungen in Großbritannien und Deutschland, die Militäroperationen in Syrien bewilligten.

Die hysterische Reaktion der US-Medien steht in deutlichem Missverhältnis zum Ausmaß des Anschlags in San Bernardino, so tragisch dieser auch war. Wie Obama in seiner Rede am Sonntag zugab, sind die USA ein Land, in dem Massenmorde „allzu üblich“ sind. Im vergangenen Jahr ereigneten sie sich fast tagtäglich. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 sind 200.000 Menschen durch Morde umgekommen. 42 Menschen wurden bei Anschlägen ermordet, die islamistischen Extremisten zugeschrieben werden, aber eine noch größere Zahl, nämlich 48 Menschen, wurden von weißen Rassisten und anderen rechten Extremisten umgebracht.

Der Oklahoma-City-Bomber Timothy McVeigh, ein rechter Veteran des Golfkriegs von 1991, hat weit mehr Menschen umgebracht, als die 14 Menschen, die letzte Woche von Syed Farook und seiner Frau Tashfeen Malik ermordet wurden. Erst letzten Monat wurden bei einem Anschlag auf eine Einrichtung für Familienplanung drei Menschen von einem fanatischen Abtreibungsgegner ermordet und viele weitere verletzt.

Der Hauptunterschied zu der Schießerei von letzter Woche war der religiöse Hintergrund der Täter. Als es Hinweise darauf gab, dass eine typische Schießerei am Arbeitsplatz auch durch die Empörung über die US-geführten Kriege im Nahen Osten und die Unterstützung für den IS begründet sein könnte, stürzten sich die Medien darauf, um pausenlos ein nervtötendes Trommelfeuer der Angst und der Kriegshetze zu beginnen.

Es wird versucht, den 15 Jahre alten „Antiterrorkrieg“ wiederzubeleben, obwohl es keinen Beweis dafür gibt, wie Obama in seiner Rede am Sonntag zugab, dass der Anschlag von San Bernardino von irgendeiner terroristischen Organisation gelenkt wurde oder Teil einer umfassenderen Verschwörung war.

Die sorgfältig organisierte Medienkampagne ist eine Unterstützung für mächtige Fraktionen in der amerikanischen herrschenden Klasse und im Staat. Sie greifen die Tragödie von San Bernardino, kurz nach dem Massenmord von Paris im letzten Monat, auf, um Obamas Politik grundlegend zu revidieren. Obama versuchte, einen groß angelegten Kampfeinsatz im Irak und in Syrien zu vermeiden. Das Wall Street Journal machte sich am Montag in seinem Leitartikel über Obamas Rede zum Sprachrohr für diese Fraktionen. Darin forderte es die Stationierung von mindestens 10.000 Soldaten der Sondereinsatztruppe in Syrien als Speerspitze des Kriegs für einen Regimewechsel gegen Präsident Baschar al-Assad.

Unterstützt wird das Trommelfeuer der Medien durch die rechten Demagogen der Republikanischen Partei, angeführt von Donald Trump, dem Spitzenkandidaten der Republikaner bei der Bewerbung um das Präsidentenamt. In seiner Antwort auf Obamas Rede forderte er ein Einreiseverbot für Muslime und ein staatliches Persönlichkeitsprofil von allen Muslimen, die in den USA leben. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Ted Cruz erklärte, wenn er im nächsten Jahr zum Präsidenten gewählt werde, dann „werden wir sie mit einem Bombenteppich ausradieren“.

Die Angriffe auf Obamas Politik, sie sei schwach und erfolglos, beschränken sich nicht auf die Republikanische Partei. Hillary Clinton, Obamas ehemalige Außenministerin und Favoritin bei der Bewerbung der Demokratischen Partei um das Präsidentenamt, bekräftigte ihre Forderung nach einer Flugverbotszone in Syrien. Sie verband das mit der Forderung, Internetfirmen sollten die Online-Aktivitäten von Islamisten zensieren und die US-Geheimdienste mit Informationen über ihre Kunden versorgen. Sie machte ihre Verachtung für demokratische Rechte und die US-Verfassung ganz klar, als sie vor einer Lobbygruppe in Washington erklärte: „Sie werden all diese üblichen Beschwerden hören: Redefreiheit, etc.“

Die Beweggründe des Trommelfeuers für eine militärische Eskalation liegen nicht in der Sympathie für die Opfer des Anschlags von San Bernardino oder in der moralischen Entrüstung über das Handeln der Täter. Sie sind das Ergebnis einer bewussten Entscheidung, die Ereignisse zu benutzen, um die wachsende öffentliche Abneigung und Opposition gegen den Krieg nach 15 Jahren ununterbrochener militärischer Aggression zu überwinden und die Gewaltherrschaft des Imperialismus im Nahen Osten zu intensivieren.

Für diese Kräfte ist San Bernardino ein Geschenk des Himmels oder im US-Politikerjargon ein „Game changer“ (eine Wende im Spiel).

Das ist nichts Neues. Es folgt dem Muster vom 11. September 2001. Kurz nach diesem Terroranschlag, für den es nie eine schlüssige Erklärung gab, zitierte die World Socialist Web Site den ehemaligenNationalen Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski aus seinem Buch von 1998 über die amerikanische imperialistische Politik mit dem Titel Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft:

„Es ist eine Tatsache, dass Amerika zu Hause zu demokratisch ist, um im Ausland despotisch zu sein. Das schränkt den Einsatz von Amerikas Macht ein, speziell seine Fähigkeit zu militärischer Einschüchterung. Nie zuvor hat eine populistische Demokratie die internationale Vorherrschaft errungen. Das Streben nach Macht ist keine Volksleidenschaft, ausgenommen es herrschen Bedingungen von plötzlicher Bedrohung oder eine Kampfansage an das allgemeine Gefühl heimischen Wohlergehens.“

Das ist die Methode hinter dem Wahnsinn der Medien. Sie wird genauso in Frankreich, in Großbritannien und Deutschland angewandt. In den USA hat sie wahrlich wahnwitzige Ausmaße angenommen, wenn z.B. der Justizminister der Bush-Regierung Michael Mukasey den Anschlag von San Bernardino mit dem japanischen Bombenangriff auf Pearl Harbor vergleicht!

Obama versuchte in seiner Rede die rechte Opposition zu beschwichtigen, indem er ganz allgemein andeutete, er sei bereit, sein bisheriges Programm militärischer Aktionen im Irak und in Syrien auszuweiten. Er nannte die Morde in Kalifornien „einen Terrorakt“ und beschwor den 11. September 2001 und den „Krieg gegen den Terror“.

Natürlich gab es keinerlei Hinweise darauf, dass die Hölle auf Erden, die der US-Imperialismus den überwiegend muslimischen und arabischen Massen der Region bereitet hat, in irgendeinem Zusammenhang mit dem Anwachsen terroristischer Organisationen steht. Genauso wenig erwähnte Obama, dass die USA und seine regionalen Verbündeten, darunter Saudi-Arabien, wo die Mörder von San Bernardino geraume Zeit verbrachten, den IS und andere islamistisch-fundamentalistische Gruppen mit enger Verbindung zu Al Quaida direkt bewaffnet und unterstützt haben. Das Ziel war, die Regime in Libyen und Syrien zu stürzen und Marionetten-Regierungen einzusetzen.

Obama prahlte damit, dass er die US-Truppen ermächtigt habe, Terroristen „auszuschalten“ und versprach „jeden Aspekt amerikanischer Macht“ einzusetzen, auch „weiterhin in jedem Land, in dem das notwendig ist, Jagd auf terroristische Verschwörer zu machen“, und „in weitere Ansätze zu investieren, die Fortschritte am Boden versprechen“.

Er lehnte jedoch „einen langen und kostspieligen Bodenkrieg im Irak oder Syrien ab“, und genau darum geht es bei der Medienhysterie wegen San Bernardino. Dies ist Teil einer erbitterten und langwierigen Auseinandersetzung innerhalb der herrschenden Klasse und des Staats über den Schwerpunkt der imperialistischen Außenpolitik der USA.

Die Neokonservativen und andere betrachten Obamas Entscheidung, von dem geplanten Luftkrieg gegen Syrien im Jahr 2013 abzurücken, als unverzeihlichen Fehler. Der Krieg war auf der Grundlage von verlogenen Behauptungen vorbereitet worden, die syrische Regierung habe in der Nähe von Bagdad chemische Waffen eingesetzt. Dieser Rückzieher wurde umso heftiger kritisiert, weil er von einem Abkommen mit Russland begleitet wurde, das Russlands Verbündeten Assad für eine Zeitlang wirksam schützte, und weil darauf ein Atomvertrag mit dem Iran folgte.

Diese Kräfte innerhalb und außerhalb des Militär- und Geheimdienst-Apparats wollen nichts anderes als einen umfassenden Krieg, um den Nahen Osten, einschließlich des Irans, in ein US-Protektorat zu verwandeln. Außerdem wollen sie Netanjahus Pläne für ein Groß-Israel bedingungslos unterstützen und die Konfrontation mit Russland bis zu einem Krieg verschärfen.

Der Schwerpunkt von Obamas Außenpolitik liegt seit seinem Amtsantritt woanders. Er spricht für die Fraktionen, die die militärischen Mittel der USA auf die Einkreisung und Isolierung Chinas konzentrieren wollen. Damit soll ein Krieg vorbereitet werden, der China zerstückeln und auf einen neokolonialen Status herabdrücken soll. Obama sieht einen weiteren großflächigen Krieg im Nahen Osten als Unterhöhlung dieser entscheidenderen Ziele an.

Diese Auseinandersetzung hat sich in den letzten Monaten hochgeschaukelt, wobei eine ganze Flut von Berichten und Kommentaren aus Denkfabriken Obama dafür verurteilt haben, dass er im Nahen Osten Rückzieher macht, und die von ihm einen Politikwechsel fordern. Diese politischen Auseinandersetzungen sind taktische Differenzen über die Durchsetzung der geopolitischen Agenda der globalen Vorherrschaft des US-Imperialismus. Aber es sind beträchtliche Differenzen.

Abgesehen davon gibt es keine Friedensfraktion innerhalb des politischen Establishments oder des Staats in den USA oder innerhalb der Demokratischen Partei. Beide Orientierungen führen in die Katastrophe.

Die Arbeiterklasse muss die neuesten Medienkampagnen für einen umfangreicheren Krieg mit Verachtung zurückweisen und entschieden alle Fraktionen der herrschenden Klasse bekämpfen. Sie muss ihre Stärke international mobilisieren, um den imperialistischen Krieg zu stoppen, indem sie das kapitalistische System beseitigt, das ihn hervorbringt.

Loading