Perspektive

Die Regionalwahlen in Frankreich und die Gefahr einer Diktatur

Die Regionalwahlen in Frankreich am 6. und 13. Dezember waren ein weiterer Schritt im Zusammenbruch der bürgerlichen Demokratie in Europa. Sie fanden unter dem Ausnahmezustand statt, den die amtierende Sozialistische Partei (PS) nach den Terroranschlägen vom 13. November ausgerufen hatte. Vor vielen Wahllokalen patrouillierten schwerbewaffnete Sicherheitskräfte. In dieser Atmosphäre konnte der neofaschistische Front National (FN) seinen Stimmanteil deutlich steigern.

Der PS ist entschlossen, nächstes Jahr die Verfassung zu ändern, um einen permanenten Ausnahmezustand zu ermöglichen. Im Einklang mit der Austeritätspolitik der Europäischen Union will sie außerdem umfangreiche Sozialkürzungen durchsetzen. Der FN hofft, die Präsidentschaftswahl 2017 zu gewinnen, indem er die Wut der Bevölkerung in die Bahnen antimuslimischer und antieuropäischer Demagogie lenkt. Sein endgültiges Ziel ist es, an die Spitze des Polizeistaates zu gelangen, den der PS aufgebaut hat.

Die Neofaschisten gehen deutlich gestärkt aus den Regionalwahlen hervor. Der FN konnte die Zahl seiner regionalen Abgeordneten auf 358 verdreifachen und damit auch in den zehn Regionen Fuß fassen, in denen er zuvor noch keine Abgeordneten hatte. Er erzielte mit 6,8 Millionen Stimmen landesweit (27 Prozent) ein Rekordergebnis und lag nur fünf Prozent hinter der PS.

Die PS, die konservativen Republikaner (LR) und der FN bilden nun ein instabiles Dreiparteiensystem.

Politiker und Medien versuchen, die Bevölkerung ruhig zu halten und stellen die Wahl als Niederlage des FN dar, weil er in keiner Region den Präsidenten des Regionalrates stellen wird. Im Norden und Südosten Frankreichs, wo Marine Le Pen und ihre Nichte Marion Marechal-Le Pen antraten, zog der PS seine Kandidaten zurück und forderte zur Wahl der LR auf. Die beiden FN-Kandidatinnen erhielten schließlich 42 bzw. 45 Prozent, da ein Teil der Wähler strategisch abstimmte, um die FN-Kandidatinnen von der Macht fernzuhalten.

Der Linksfront-Vorsitzende Jean-Luc Melenchon behauptete, eine politische Katastrophe sei „knapp vermieden worden“ und erklärte: „Wir müssen Millionen Menschen danken, dass sie ihre Stimme abgegeben haben, obwohl sie damit gegen ihre tiefsten Überzeugungen verstießen.“

Das ist ein politischer Betrug. Zwar hat die Besorgnis eines Teils der Wähler über Angriffe auf demokratische Rechte eine Rolle bei dem Wahlergebnis gespielt, doch die Perspektive, die PS oder die LR gegen den FN zu unterstützen, ist gefährlich und falsch. Der PS und pseudolinke Kräfte wie die Linksfront, die in der Nationalversammlung einstimmig für die Verhängung des Ausnahmezustands gestimmt hatten, arbeiten selbst fieberhaft am Aufbau eines Polizeistaates.

Die PS ist durch die Sparpolitik von Präsident Francois Hollande diskreditiert und strebt eine Verfassungsänderung an, die der Polizei uneingeschränkte Vollmacht gibt, willkürliche Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchzuführen und Personen zu verhaften oder unter Hausarrest zu stellen. Die Polizei muss dazu nur behaupten, dass das Verhalten der Person in der Zukunft eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen könnte. Die PS erklärt, das Gesetz werde der Polizei ermöglichen, Menschen auf der Grundlage ihres Verhaltens, ihrer Freundschaften, Aussagen oder Pläne ins Visier zu nehmen.

Die Meinungsfreiheit soll abgeschafft werden. Die Polizei und der massive elektronische Überwachungsapparat sollen die Befugnis erhalten, willkürlich zu entscheiden, wessen Aussagen, Telefonate oder Internetpostings eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen, und diejenigen, die sie als Bedrohung einstufen, verhaften oder ihr Eigentum beschlagnahmen.

Die Entscheidung der PS, sich in mehreren Regionen von den Regionalwahlen zurückzuziehen und sich praktisch mit den LR zu verbünden, verdeutlicht nur den Zusammenbruch der bürgerlichen „Linken“ in Frankreich und ermöglicht es dem FN, sich als führende Oppositionspartei in Frankreich zu inszenieren.

Die LR versucht verzweifelt, rechts von der PS zu bleiben, obwohl diese selbst immer weiter nach rechts rückt, und spricht sich für eine noch drakonischere und undemokratischere Politik aus. Sie will zehntausende Menschen internieren, über die der Geheimdienst eine „Sicherheitsakte“ führt. Damit könnten die Geheimdienste jeden in ein Internierungslager schicken, indem sie eine „S“-Akte über ihn anlegen.

Die Wirtschaftskrise seit 2008 und der Kriegskurs der imperialistischen Mächte in Syrien und dem Nahen Osten haben eine tiefe Krise des kapitalistischen Regimes ausgelöst. Die Finanzaristokratie ist sich der explosiven Wut der Arbeiterklasse über soziale Ungleichheit, Austerität und Krieg bewusst, obwohl sie im politischen Establishment keinen Ausdruck findet. Daher betrachtet sie jeden Widerstand mit Furcht und Wut. Die bürgerliche Demokratie ist immer weniger dazu in der Lage, die unlösbaren Klassenspannungen auszugleichen.

In Frankreich lassen die Banken und der Militär- und Geheimdienstkomplex die Fassade von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit fallen und huldigen Frankreich, Austerität und Krieg. Diese Entwicklung bestimmt die Aussichten des FN oder einer aus ihm entstehenden Partei, und nicht das Ergebnis von Marine Le Pens Versuch, Regionalpräsidentin in Nordfrankreich zu werden. Die französische Bourgeoisie will dem Neofaschismus noch mehr Macht geben.

Demokratische Rechte können nur durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse in einem politisch unabhängigen Kampf auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms verteidigt werden. Das ist die Lehre aus der gesamten Periode seit der Krise der französischen Präsidentschaftswahl 2002. Damals wurde Premierminister Lionel Jospin von dem PS im ersten Wahlgang geschlagen, es kam zu Massenprotesten gegen eine Stichwahl zwischen dem konservativen Jacques Chirac und dem FN-Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale, das die World Socialist Web Site veröffentlicht, richtete damals einen offenen Brief an Lutte Ouvrière (LO), die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und die Parti des Travailleurs (PT), die zusammen drei Millionen Stimmen erhalten hatten, und riefen zum Boykott der Stichwahl auf. In dem offenen Brief wurde erklärt, dass ein aktiver Boykott, bei dem die Arbeiterklasse im Kampf gegen Austerität und Krieg mobilisiert wird, die beste Vorbereitung für den Kampf gegen die Politik wäre, die von Chirac zu erwarten war.

Diese drei Parteien lehnten den Vorschlag des IKVI ab und riefen zur Wahl Chiracs auf, angeblich um die Machtübernahme des FN zu verhindern. Die Ereignisse der letzten dreizehn Jahre zeigen den politischen Bankrott dieser kleinbürgerlichen Parteien, die jahrzehntelang die offizielle „linke“ Oppositionspolitik dominiert haben.

Nachdem sie Chirac ihre drei Millionen Stimmen übergeben hatten, stellten sie sich noch direkter hinter die reaktionäre Politik, die zum Aufstieg des FN geführt hat. Sie unterstützten islamfeindliche Maßnahmen wie das Verbot des Schleiers und der Burka, verklärten die imperialistischen Kriege in Libyen und Syrien als Revolutionen, unterstützten stillschweigend die Massenabschiebungen von Roma und setzten sich im Wahlkampf 2012 für Hollande ein, obwohl dieser einen Sparkurs angekündigt hatte. Sie schieden bereits im ersten Durchgang der jüngsten Regionalwahlen aus.

In der Arbeiterklasse herrscht weiterhin ein starker Rückhalt für demokratische Rechte. Allerdings kann die Arbeiterklasse die Demokratie nur auf der Grundlage eines sozialistischen Programms und im Kampf gegen diese Parteien und ihre antimarxistische Politik verteidigen.

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