Zweite Wahlveranstaltung der IYSSE an der Humboldt-Universität

Herfried Münkler: Ein Akademiker im Dienste des deutschen Imperialismus

Am vergangenen Mittwoch hat die Hochschulgruppe der International Youth and Students for Social Equality an der Humboldt-Universität Berlin erfolgreich ihre zweite Veranstaltung im Wahlkampf zum Studierendenparlament durchgeführt. Das Thema lautete: „Herfried Münkler: Ein Akademiker im Dienste des deutschen Imperialismus.“

Die Veranstaltung stieß erneut auf reges Interesse. Viele, die bereits in der Vorwoche den Vortrag von Johannes Stern über die Hintergründe des Bundeswehreinsatzes in Syrien verfolgt hatten, kamen erneut.

Zur Eröffnung der Veranstaltung erklärte Sven Wurm, Sprecher der IYSSE-Hochschulgruppe an der HU, die Vorträge der letzten beiden Wochen hätten aufgezeigt, dass der Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten von langer Hand vorbereitet gewesen sei und dass die Terroranschläge in Paris nur den unmittelbaren Vorwand für die Rückkehr des deutschen Militarismus in die Region geliefert hätten.

Der heutige Vortrag werde deutlich machen, dass Vertreter der HU eine führende Rolle dabei spielten, die Pläne für neue Bundeswehreinsätze auszuarbeiten und sie ideologisch zu rechtfertigen. Die IYSSE nähmen an der StuPa-Wahl teil, um solchen Entwicklungen entgegenzutreten und eine Antikriegsbewegung aufzubauen.

Die Veranstaltung an der Humboldt-Universität

Auf Einladung der IYSSE-Hochschulgruppe sprach Peter Schwarz, Chefredakteur der deutschsprachigen World Socialist Web Site (WSWS), über die Rolle von Professor Herfried Münkler, Lehrstuhlinhaber für Politische Theorie an der HU, bei der Rückkehr des deutschen Militarismus.

Schwarz eröffnete seinen Beitrag mit einer Power-Point-Präsentation, die Münklers öffentliche Auftritte im vergangenen Monat auflistete. Allein eine kurze Google-Suche habe – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – neun Artikel, Interviews und öffentliche Auftritte Münklers während der letzten dreißig Tage ergeben. „Was macht diesen Professor so gefragt, dass er ständig eingeladen wird, sich in Fernsehen, Radio, Presse und auf öffentlichen Podien zu äußern?“, fragte Schwarz.

In Wesentlichen seien es drei Aufgaben, die Münkler erfülle: Er revidiere die Geschichte, um die Rückkehr des deutschen Militarismus zu rechtfertigen; er manipuliere die öffentliche Meinung, um die weitverbreitete Ablehnung von Krieg zu überwinden; und er propagiere eine deutsche Großmachtpolitik.

Schwarz wies dies anhand von Münklers eigenen Aussagen nach.

Zur Revision des vorherrschenden Geschichtsbilds, das einer aggressiveren deutschen Außenpolitik im Wege stehe, zitierte er aus einem Interview, das Münkler im Januar 2014 der Süddeutschen Zeitung gegeben hatte. Darin hatte er erklärt: „Es lässt sich kaum eine verantwortliche Politik in Europa betreiben, wenn man die Vorstellung hat: Wir sind an allem schuld gewesen.“ Die Deutschen, so Münkler, neigten „außenpolitisch zu dem Gedanken: Weil wir historisch schuldig sind, müssen, ja dürfen wir außenpolitisch nirgendwo mitmachen; also kaufen wir uns lieber frei wenn es darum geht, Europa an den Krisenrändern zu stabilisieren.“

Zur Manipulation der öffentlichen Meinung führte Schwarz einen Beitrag an, den Münkler zur Website des Außenministeriums Review 2014 beigesteuert hatte. Darin beschwerte er sich über die „demokratische Vulnerabilität der deutschen Außenpolitik“, die aus der „Diskrepanz zwischen öffentlicher Darstellung und tatsächlicher Ausrichtung“ der deutschen Politik erwachse. Es müsse „im längerfristigen Interesse der deutschen Politik liegen, diese Diskrepanz zu beseitigen und so die demokratische Vulnerabilität zu schließen“. Die „Vorstellung von einer interessenentkoppelten Wertbindung der deutschen Außenpolitik“ müsse überwunden werden.

Im Klartext setze sich Münkler also dafür ein, in der Öffentlichkeit für eine Außenpolitik zu werben, die die Interessen des deutschen Imperialismus in den Mittelpunkt stellt, sagte Schwarz. Darin sehe er seine eigene Aufgabe.

Sehr deutlich zeige dies das im Frühjahr erschiene Buch „Macht in der Mitte“, in dem Münkler propagiere, Deutschland müsse in Europa die Rolle einer „Zentralmacht“, eines „Hegemons“ und eines „Zuchtmeisters“ spielen. Dabei dürfe man sich nicht von demokratischer Rücksichtnahme beirren lassen. Die europäische Integration sei „ein viel zu komplexer Prozess, als dass man diesen der begleitenden Kontrolle und Einspruchnahme der Bevölkerung aussetzen könnte“, schreibe Münkler.

In seinem jüngsten Buch „Kriegssplitter“ trete Münkler sogar für eine Weltmachtrolle Deutschlands an der Spitze Europas ein. Die Europäer würden „auf mittlere Sicht nicht umhinkommen, ihre Position geopolitisch zu definieren“, schreibe er: „Ob sie als Regionalmacht auftreten wollen, die sich im Rahmen ihrer Fähigkeiten um die Stabilität ihrer Peripherie bemüht, oder ob sie tendenziell gleichbefähigt mit den USA auf die Gestaltung der Weltordnung des 21. Jahrhunderts Einfluss nehmen.“

Am Beispiel des Ersten Weltkriegs verdeutlichte Schwarz dann, wie Münkler die Geschichte gezielt umschreibt, um sie den außenpolitischen Erfordernissen der Gegenwart anzupassen.

Zunächst zeigte Schwarz auf, dass der Erste Weltkrieg ein imperialistischer Krieg war, der sich aus den wachsenden Konflikten zwischen den Großmächte ergab. Dies sei lange Zeit von der Geschichtsschreibung anerkannt worden. Schwarz belegte, wie insbesondere die politische und militärische Führung Deutschlands in den Jahren vor dem Kriegsausbruch 1914 gezielt auf einen Krieg hingearbeitet hatte.

Münkler dagegen stelle die Fakten auf den Kopf. Ursache des Krieges seien ihm zufolge nicht die Konflikte zwischen den Großmächten im Zentrum Europas gewesen, sondern deren fehlende militärische Präsenz in der europäische Peripherie, insbesondere auf dem Balkan. Daraus leite Münkler die „friedens- und sicherheitspolitische Lehre“ ab, dass man in den „Rändern und Peripherien der europäischen Wohlstandszone“ intervenieren müsse, um sie zu stabilisieren. So begründe er die Beteiligung Deutschlands an den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika.

Aus diesem Grund greife Münkler auch den Historiker Fritz Fischer an, der 1961 in seinem Buch „Griff nach der Weltmacht“ aufgezeigt habe, dass Deutschland zielstrebig auf den Ersten Weltkrieg hingearbeitet und dabei offensive Kriegsziele verfolgt hatte. Außerdem habe Fischer nachgewiesen, dass es eine Kontinuität der deutschen Kriegsziele im Ersten und im Zweiten Weltkrieg gegeben habe.

Die Geschichte sei der Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart, betonte Schwarz. „Aber ein solches historisches Verständnis setzt voraus, dass man die Geschichte in ihrer komplexen Realität untersucht, die gesellschaftlichen und ökonomischen Triebkräfte einer historischen Epoche offenlegt und analysiert, wie diese in der Gegenwart weiter wirken.“

Dies, so Schwarz, sei nicht Münklers Vorgehensweise. „Er leitet das Verständnis der Gegenwart nicht aus einer historischen Analyse der Vergangenheit ab. Vielmehr erfindet er ein neues historisches Narrativ, um die gegenwärtigen Ziele des deutschen Imperialismus zu rechtfertigen. Er benutzt die Geschichte als Steinbruch, aus dem er sich jene ‚Splitter‘ herausbricht, die er zur Rechtfertigung seiner ideologisch motivierten Theorien braucht. Der Buchtitel ‚Kriegssplitter‘ bringt den völlig eklektischen und subjektiven Charakter seiner Herangehensweise ungewollt auf den Punkt.“

Welche Ziele der deutsche Militarismus wirklich verfolge, verdeutlichte Schwarz zum Abschluss seines Vortrags anhand der offiziellen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ des Verteidigungsministeriums: „Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung“, heiße es dort. „Die Erschließung, Sicherung von und Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten werden weltweit neu geordnet. [...] Deshalb werden Transport und Energiesicherheit und damit verbundene Fragen künftig auch für unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen.“

Nach dem Vortrag stellten mehrere Studierende Fragen zur Bedeutung von Münklers Arbeit, seinen politischen Beziehungen und der Rechtfertigung imperialistischer Kriege. Viele der Anwesenden zeigten sich nicht nur beeindruckt vom Vortrag, sondern erkundigten sich auch nach Möglichkeiten, den StuPa-Wahlkampf der IYSSE aktiv zu unterstützen.

Mehrere Studierende nahmen sich Flyer und Plakate mit, um unter Kommilitonen und Freunden auf die Veranstaltungsreihe und den Wahlteilnahme der IYSSE aufmerksam zu machen. Andere erklärten, sie wollten die Weihnachtsferien nutzen, um sich intensiver mit den politischen Perspektiven der IYSSE auseinanderzusetzen und das Buch „Wissenschaft oder Kriegspropaganda“ zu studieren, das den Kampf der IYSSE an der HU über die letzten beiden Jahre zusammenfasst.

Am Mittwoch, dem 6. Januar 2016 findet die nächste Veranstaltung der IYSSE an der HU statt. Thema ist dann „Jörg Baberowskis ,Räume der Gewalt‘: Ein Plädoyer für Polizeistaat und Krieg“. Die Wahl zum Studierendenparlament findet am 19. und 20. Januar statt.

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