Vor den „Friedensgesprächen” zu Syrien:

Washington droht mit Verschärfung des Konflikts im ganzen Nahen Osten

Eigentlich sollten am Montag in Genf die „Friedensgespräche“ zu Syrien beginnen, aber Washington hat mit der Drohung einer militärischen Eskalation die Lage in der ganzen Region verschärft. In den letzten Tagen haben hohe amerikanische Politiker und Militärs erklärt, dass sie zu einer „militärischen Lösung“ in Syrien bereit seien und dazu im Irak Bodentruppen einzusetzen. Gleichzeitig drohten sie in Libyen einen weiteren Krieg der Nato zu beginnen.

Die Gespräche selbst finden unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen statt. Es wurde nicht erwartet, dass sie zum vereinbarten Zeitpunkt beginnen könnten, weil es noch scharfe Meinungsverschiedenheiten in der Frage gibt, welche Kräfte eingeladen werden sollen. Unklar ist auch, wie der angestrebte „politische Übergang“ die Zukunft des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad betreffen wird.

Die USA und ihre regionalen Verbündeten Türkei, Saudi-Arabien und Katar verlangen, dass die Delegation, welche die syrische Opposition vertritt, ausschließlich aus dem Kreis des so genannten Hohen Komitees der Opposition rekrutiert wird, einem Bündnis, das von islamistischen Milizen dominiert wird und auf Betreiben der saudischen Monarchie geschaffen wurde.

Russland lehnt die Teilnahme salafistischer Milizen mit Verbindungen zu al-Qaida ab, die Washington und seine Verbündeten als „gemäßigte Rebellen“ durchgehen lassen wollen. Russland unterstützt auch die Teilnahme kurdischer YPG-Milizen, die dem Islamischen Staat (IS) beträchtliche Territorien abgenommen haben, gegen den ja alle Seiten vorgeblich kämpfen.

Die Türkei hat ihrerseits angedeutet, sie werde die Gespräche boykottieren, wenn den Kurden die Teilnahme erlaubt werde.

Hinter den erbitterten Streitigkeiten über die Teilnahme an den so genannten Friedensgesprächen stehen die gegensätzlichen Interessen der USA und Russlands. Die USA haben gemeinsam mit ihren regionalen Verbündeten die islamistischen Milizen mit Waffen und Geld ausgerüstet, um die Assad-Regierung zu stürzen. Für Russland ist diese Regierung aber der wichtigste Verbündete im Nahen Osten. Die Türkei tut zwar so, als ob sie gegen den IS kämpfe, aber sie ist in erster Linie daran interessiert, Assad zu stürzen und die Entstehung eines zusammenhängenden kurdischen Territoriums an ihrer Südgrenze zu verhindern.

Die Obama-Regierung ist entschlossen, die Gespräche in Genf als Hebel für ihr Ziel eines Regimewechsels in Syrien und darüber hinaus zur Festigung ihrer imperialistischen Vorherrschaft im ganzen Nahen Osten zu nutzen. Sie besteht darauf, dass jeder politische Übergang die zügige Entmachtung Assads beinhalten müsse.

Die militärische Intervention Russlands machte ihr dabei allerdings einen Strich durch die Rechnung. Die russischen Bombardierungen zeitigen bereits beträchtliche militärische Erfolge für die syrische Armee und die mit ihr verbündeten Milizen.

Mit den russischen Luftschlägen im Rücken haben die syrischen Truppen und lokale Milizen am Sonntag die strategisch wichtige Stadt Rabia in der westlichen Provinz Latakia zurückerobert, die seit 2012 unter Kontrolle so genannter „Rebellen“ stand, unter ihnen die al-Nusra Front, der syrische Ableger von al-Qaida. Auch im Norden Latakias nahe der türkischen Grenze, wo die Türkei im November einen russischen Kampfjet abgeschossen hatte, hat die syrische Armee bedeutsame Erfolge erzielt. Die Geländegewinne drohen eine wichtige Versorgungsroute der vom Westen unterstützten Islamisten abzuschneiden.

Als Reaktion auf die Ereignisse in Syrien sind zahlreiche US-Gesandte zu ihren regionalen Verbündeten und Hintermännern der al-Qaida-Milizen in Syrien ausgeschwärmt. Das Ganze wird von ständigen Drohungen begleitet.

Außenminister John Kerry reiste am Wochenende nach Saudi-Arabien wo erst vor drei Wochen 47 Gefangene enthauptet worden waren. Unter den Ermordeten befand sich der muslimische Geistliche Nimr al-Nimr, ein führender Sprecher der unterdrückten schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien. Es kam Kerry kein einziges Wort der Kritik an der brutalen Unterdrückung der reaktionären Monarchie über die Lippen. Vielmehr erklärte er, die USA hätten „eine festere Beziehung, ein klareres Bündnis und eine stärkere Freundschaft mit dem Königreich Saudi-Arabien denn je“.

Vizepräsident Joseph Biden besuchte derweil die Türkei, wo er sich mit dem de facto Bürgerkrieg des Erdogan-Regimes gegen die kurdische Minderheit im Land solidarisierte. Die Beschießung von Wohngebieten mit Panzern hat bereits hunderte zivile Todesopfer gefordert.

Biden erklärte, Washington und Ankara verfolgten „gemeinsam das Ziel, den IS auszulöschen“. In Wirklichkeit ist die Türkei jedoch eine der Hauptstützen des IS und anderer islamistischer Milizen. Sie richtet ihr Feuer vornehmlich gegen die Kurden in Syrien und im Irak, d.h. gegen die gleichen Kräfte, mit denen die USA zusammenarbeiten, um ihre Luftschläge zu koordinieren.

Biden sagte, Washington sei entschlossen, die Gespräche in Genf in Gang zu bekommen, und fuhr fort. „Aber wenn sich das als nicht möglich erweist, dann sind wir bereit, eine militärische Lösung herbeizuführen“.

Verteidigungsminister Ashton Carter erklärte, dass das Pentagon auch plane, seine militärische Intervention im Irak auszuweiten. Auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos sagte er, dass die USA „nach Möglichkeiten Ausschau“ hielten, „mehr zu tun“. „Es wird Bodentruppen geben, ich will das klar sagen, aber es ist eine strategische Frage, ob man lokale Kräfte in die Lage versetzt, die Kontrolle auszuüben, oder ob man selbst reingeht.“

Die Obama-Regierung hatte immer wieder ausgeschlossen, amerikanische „Bodentruppen“ in der Region einzusetzen. Damit waren große Kontingente von Kampftruppen gemeint. Jetzt werden mit voller Absicht dieselben Worte benutzt, um die immer zahlreichere Entsendung von „Ausbildern“ und „Beratern“ zu rechtfertigen, die immer direkter in unmittelbare Kampfhandlungen hineingezogen werden.

Gleichzeitig bereitet sich das US-Militär unter Berufung auf die Ausbreitung des IS zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren auf eine Intervention in Libyen vor.

„Hinsichtlich des politischen Prozesses in Libyen haben wir durchaus im Blick, entschiedene militärische Maßnahmen gegen den IS zu ergreifen“, erklärte der Vorsitzende des Generalstabs, General Joseph Dunford Jr., am Freitag. „Der Präsident hat klar gemacht, dass wir die Vollmacht haben, militärisch vorzugehen.“

Mit anderen Worten: Präsident Barack Obama hat der Führung des Pentagon freie Hand gegeben, „entscheidende militärische Schritte“ zu ergreifen, d.h. einen weiteren Krieg vom Zaun zu brechen, wenn sie es für angezeigt hält.

Das Erstarken des IS in Libyen ist, wie schon zuvor im Irak und in Syrien, die direkte Folge der imperialistischen Interventionen der USA in der Region. Sie haben ganze Gesellschaften zerstört, Millionen Menschen das Leben gekostet und viele weitere Millionen zu Flüchtlingen gemacht.

Der Krieg der USA und der Nato in Libyen führte zum Sturz und der Ermordung des libyschen Staatschefs Muammar Gaddafi, zerstörte die staatliche und gesellschaftliche Infrastruktur und stürzte das Land in einen andauernden Bürgerkrieg rivalisierender islamistischer Milizen, die den USA zuvor als Stellvertretertruppen dienten. Einige von ihnen arbeiten jetzt mit dem IS zusammen.

Viele der libyschen Islamisten waren zusammen mit großen Mengen Waffen nach Syrien geschleust worden, um auf Betreiben der USA auch dort einen Regimewechsel herbeizuführen. Viele von ihnen sind nun zurückgekehrt und haben dabei noch zusätzliche sogenannte ausländische Kämpfer mitgebracht.

Der nächste Krieg der USA und der europäischen Mächte in Libyen wird genauso wenig die Zerschlagung des IS zum Ziel haben, wie der letzte für die Verteidigung der „Menschenrechte“ und der „Demokratie“ geführt wurde. Vielmehr geht es darum, ein Marionettenregime zu installieren, das die Ausbeutung der großen Ölreserven des Landes durch die imperialistischen Mächte ermöglicht.

Hinter der Entfesselung des amerikanischen Militarismus in der ganzen Region stehen scharfe Differenzen im herrschenden Establishment der USA und innerhalb des sich ausbreitenden militärisch-geheimdienstlichen Komplexes. Der Streit verläuft zwischen denjenigen, die eine umfassende Verschärfung der Konflikte im Nahen Osten verlangen und jenen, die gegen eine starke Bindung von Truppen und Material in dieser Region sind und stattdessen die Konfrontation mit China und Russland für vordringlich halten.

Letztlich wird der amerikanische Imperialismus von seiner tiefen Krise dazu angetrieben, die Kontrolle über den gesamten Planten anzustreben. So verbindet sich der sogenannte Krieg gegen den IS im Nahen Osten und in Nordafrika unlösbar mit den Vorbereitungen auf einen Krieg mit Russland und China. Die zunehmend unkontrollierten Interventionen in Syrien, im Irak und in Libyen können den Funken für einen globalen Zusammenstoß liefern.

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