Mazedonische Polizei setzt Tränengas gegen Flüchtlinge ein

Am Montag kam es am griechisch-mazedonischen Grenzübergang bei Idomeni zu chaotischen Szenen, als die mazedonische Polizei Blendgranaten und Tränengas gegen Hunderte von verzweifelten Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak einsetzte, die über den Balkan nach Deutschland reisen wollen.

Zuvor hatten einige der Flüchtlinge, darunter Frauen und Kinder, kurzzeitig einen Grenzzaun umgestoßen und „Öffnet die Grenze!“ gerufen. Auch in der Nähe stationierte griechische Polizisten wurden getroffen.

Vertreter von Ärzte ohne Grenzen, die in der Nähe eines Lagers mit 7.000 überwiegend syrischen und irakischen Flüchtlingen arbeiten, erklärten, sie hätten nach dem Tränengaseinsatz 22 Menschen wegen Atemproblemen behandeln müssen. Zehn von ihnen waren Kinder, vier davon jünger als fünf Jahre.

Die mazedonische Polizei setzte außerdem Tränengas gegen Flüchtlinge ein, die sich auf eine Bahnstrecke zwischen den beiden Ländern gesetzt und einen Güterzug aus Griechenland nach Norden blockiert hatten, um die mazedonischen Behörden zur Öffnung der Grenze zu bewegen. Die Flüchtlinge hielten Schilder in die Fernsehkameras, auf denen stand: „Öffnet die Grenzen – kein Essen“ und „Wir sind Menschen, keine Tiere!“

Hunderttausende unschuldige Menschen fliehen aus Ländern, die durch imperialistische Besatzungen oder Stellvertreterkriege zerstört wurden. Jetzt sitzen sie fest, während Europa kaltblütig seine Grenzen schließt.

Die aus Syrien vertriebene Nidal Jojack erklärte: „Viele Menschen müssen im Freien schlafen, ohne Zelte und nur mit Decken“. Jojack sitzt in Idomeni fest, hofft aber, es nach Deutschland zu schaffen, wo ihr 18-jähriger Sohn vor kurzem eingetroffen ist. „Es war sehr kalt. Die Grenzen sind praktisch geschlossen. Es ist ein riesiges Problem. Um etwas zu essen zu bekommen, muss man sehr lang Schlange stehen.“

Ein syrischer Flüchtling, der auf den Eisenbahnschienen saß, sagte der Athens News Agency: „Ich bin seit 17 Tagen mit meiner Familie und meinen beiden Kindern unterwegs. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.“

Letzte Woche hatten sich Österreich und neun Balkanstaaten, darunter Mazedonien, darauf geeinigt, die Zahl der angenommenen Flüchtlinge auf wenige hundert zu beschränken. In orwellscher Manier stuften sie alle Flüchtlinge aus Afghanistan, das seit 2001 unter der Besetzung durch die Nato, einen Bürgerkrieg und amerikanische Luft- und Drohnenangriffe leidet, als „Wirschaftsflüchtlinge“ ein, d.h. sie können von Griechenland aus nicht weiterreisen.

Daraufhin zwang die griechische Regierung afghanische Flüchtlinge an der mazedonischen Grenze, in Busse zu steigen und zurück nach Athen zu fahren. Dort wurden sie im ehemaligen Olympiastadion Elliniko einquartiert.

Mehrere afghanische Flüchtlinge verfassten daraufhin eine Petition, die sie Vertretern der UN vorlegten. Darin hieß es: „Wir haben unser Leben in die eigene Hand genommen. Wir fordern, nicht zurück [nach Afghanistan] geschickt zu werden, weil wir dort in Gefahr sind. Bitte öffnet die Grenzen für uns, damit wir weiterziehen können. Wir sind gekommen, um unser Leben zu retten.“

Massoume, eine afghanische Witwe, will zu ihrer verheirateten Tochter nach Deutschland kommen, ist jetzt aber im Elliniko gefangen. Sie erklärte Vertretern der UN: „Ich bin hier so einsam. Ich merke, dass ich in einer verzweifelten Lage bin. Ich zittere Tag und Nacht. Wenn die Grenze nicht geöffnet wird, weiß ich nicht, was mit mir und meinen Kindern passieren wird.“

In Griechenland, das bereits seit sechs Jahren von der Europäischen Union ausgenommen wird, bricht eine humanitäre Krise aus, weil ankommende Flüchtlinge nicht nach Österreich und Deutschland weiterreisen können. Griechische Regierungsvertreter schätzen, dass in diesem Monat bis zu 70.000 Flüchtlinge in Griechenland eintreffen werden. Allein am letzten Sonntag kamen 2.000 auf der Insel Lesbos an, weitere 1.250 auf der Insel Chios.

Griechische Regierungsvertreter haben der Presse Zugang zu den Flüchtlingszentren verweigert und mit dem Einsatz des Militärs gedroht. In einem Land, das von 1967 bis 1974 von einer Militärdiktatur regiert wurde, ist dies ein umstrittener Schritt. Griechische Soldaten sind bereits mit Gewalt gegen Flüchtlinge vorgegangen, die sich der Rückführung von der Grenze nach Athen widersetzt haben, und es besteht durchaus Grund zur Befürchtung, dass sie grünes Licht haben, die Menschen zu terrorisieren.

Die Verantwortung für das Schicksal der Flüchtlinge, die in ganz Europa festsitzen, liegt vor allem bei Washington und den EU-Großmächten. Ihr rücksichtsloses Vorgehen lässt Millionen Menschen keine Fluchtmöglichkeit vor dem Krieg. Einerseits setzen die USA und ihre europäischen Verbündeten die Militäroperationen im Nahen Osten trotz des angeblichen Waffenstillstands in Syrien fort und heizen damit Konflikte an, die hunderttausende Todesopfer gefordert und dutzende Millionen zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen haben.

Andererseits tun die EU-Mächte alles in ihrer Macht stehende, um Flüchtlinge daran zu hindern, nach Mitteleuropa zu reisen. Sie versuchen vorsätzlich, ihre Situation so schlimm wie möglich zu gestalten.

Wolf Piccoli, Leiter der Forschungsabteilung des Wirtschaftsinformationsdienstes Teneo, erklärte: „Die EU setzt auf eine schrittweise Entwicklung. Sie hofft, der Rückstau werde potenzielle Zuwanderer abschrecken.“ Das heißt, die EU hofft, durch die Verfolgung von Einwanderern auf dem Weg nach Europa möglichst viele Menschen an verschiedenen Grenzen in schrecklichen Bedingungen warten zu lassen, um so andere potenzielle Einwanderer davon zu überzeugen, dass es besser ist, in Kriegsgebieten oder Flüchtlingslagern im Nahen Osten zu bleiben.

Während die gesamte EU diese barbarische Politik betreibt, geben sich die europäischen Mächte heuchlerisch gegenseitig die Schuld für die schlimmsten Auswüchse der Krise und schüren Konflikte, die die EU zu zerreißen drohen. Die Spannungen zwischen Österreich und Griechenland verschärfen sich, nachdem Griechenland als Reaktion auf den von Österreich organisierten Gipfel seine Botschafterin aus Wien abzog. Daraufhin lehnte Athen den Wunsch der österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ab, griechische Flüchtlingslager zu besuchen.

Die stellvertretende griechische Bildungsministerin Sia Anagnostoipoulou erklärte im staatlichen Fernsehen: „Das Vorgehen von Österreich und Ungarn verwandelt Griechenland in ein riesiges Flüchtlingslager. Was sollen wir tun? Die Leute in der Ägäis ertrinken lassen?“

Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann reagierte darauf mit Kritik an Griechenland: „Ich verstehe die Politik der Griechen nicht mehr. Es geht nicht, dass Griechenland wie ein Reisebüro agiert und alle Flüchtlinge weiter schickt. Griechenland hat letztes Jahr 11.000 Flüchtlinge aufgenommen, wir aber 90.000. Das darf sich nicht wiederholen.“

Auch die Spannungen zwischen Deutschland und Österreich verschärfen sich. Der österreichische Verteidigungsminister Peter Doskozil wies Vorwürfe aus Berlin und der EU zurück, Wiens Begrenzung des Flüchtlingsstroms verstoße gegen das Völkerrecht. Er erklärte, Berlin sollte „dankbar“ sein, dass Wiens Obergrenze für Flüchtlinge die Zahl der Einwanderer verringert hat, die durch Österreich nach Deutschland kommen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble antwortete daraufhin, offene Grenzen in Europa seien von grundlegendem strategischem Interesse: „Mit allem gebührenden Respekt, aber Österreich ist relativ klein. Es kann seine Grenzen leicht kontrollieren. Das wird Europa nicht auseinanderreißen. Aber wir sind mittendrin. Man kann nicht mit Europa diskutieren, ohne auf Deutschland einzugehen. Wir müssen uns dieser Verantwortung stellen. Wir können es nicht machen wie Österreich oder Schweden.“

Das Ziel Berlins, die Grenzen in Europa offen zu halten, erfordert es, die Flüchtlinge daran zu hindern, nach Europa zu kommen. Die EU und türkische Regierungsvertreter diskutieren darüber, wie die Türkei den Flüchtlingsstrom unterbinden kann. Deutschland selbst führt eine Marineoperation in der Ägäis an. Die Kriegsschiffe der Nato sind dort, um Flüchtlinge daran zu hindern, über die Türkei nach Europa zu kommen.

Teile der Bundesregierung bereiten sich stillschweigend darauf vor, die deutschen Grenzen zu schließen, falls das nicht funktionieren sollte. Die Welt am Sonntag meldete unter Berufung auf Quellen aus dem Innenministerium, dass Innenminister Thomas de Maizière Anweisung erteilt hat, Pläne zur Schließung der deutschen Grenzen zu erstellen. Die Welt schrieb, de Maizière betrachte den EU-Türkei-Gipfel am nächsten Montag als „Wendepunkt“. Danach werde Berlin einseitig handeln, sollten die Unstimmigkeiten noch immer nicht beigelegt sein.

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