Bombardier: Massiver Arbeitsplatzabbau an ostdeutschen Standorten

Der Abbau von 1430 Arbeitsplätzen in Deutschland, den der Schienenfahrzeughersteller Bombardier Transportation angekündigt hat, trifft fast ausschließlich die drei ostdeutschen Werke in Hennigsdorf bei Berlin sowie in Görlitz und Bautzen an der polnischen und tschechischen Grenze.

Mitte Februar kündigte der kanadische Flugzeug- und Zughersteller Bombardier an, in den nächsten zwei Jahren rund 7000 Stellen zu streichen, rund zehn Prozent der weltweiten Belegschaft. 3200 Arbeitsplätze sollten dabei in der Waggonbau-Sparte mit Sitz in Berlin wegfallen.

Nun werden international die konkreten Pläne auf den Tisch gelegt. Vor wenigen Tagen erfuhren die 5500 Arbeiter im nordirischen Belfast, dass 1080 von ihnen ihren Arbeitsplatz verlieren. Dort werden Flugzeug-Tragflächen gebaut.

In Deutschland sollen 700 Stellen im Werk Görlitz und 230 in Bautzen wegfallen. In Görlitz arbeiten aktuell 2500 Beschäftigte, in Bautzen 1200. Teil der Belegschaften der beiden nahe beieinander liegenden Werke sind rund 1000 Leiharbeiter. Sie sind am stärksten von diesem Arbeitsplatzabbau betroffen.

In Hennigsdorf müssen 270 Arbeiter gehen, davon 70 Leiharbeiter. Derzeit sind im größten deutschen Werk des Konzerns noch 2850 Menschen beschäftigt.

Die verbliebenen 230 Stellen, die noch gestrichen werden, verteilen sich auf die fünf westdeutschen Bombardier-Standorte in Kassel, Frankfurt am Main, Mannheim, Braunschweig und Siegen. Aber auch die Konzernzentrale in Berlin „wird nicht ausgelassen“, sagte Konzernsprecher Andreas Dienemann gegenüber dem Tagesspiegel. Dort arbeiten rund 600 Beschäftigte.

Als die Belegschaft in Hennigsdorf auf einer außerordentlichen Betriebsversammlung über die Abbaupläne in Kenntnis gesetzt wurde, protestierten anschließend rund 1000 Arbeiter und Angestellte vor dem Werkstor gegen den Stellenabbau.

Während die Arbeiter fassungslos und wütend sind, arbeiten die Betriebsräte und die IG Metall bereits mit der Konzernleitung zusammen, um die Einzelheiten des Arbeitsplatzabbaus auszuarbeiten. Bombardier-Sprecher Dienemann sagte, der Stellenabbau solle bis Ende 2017 „sozialverträglich“ stattfinden. Dazu seien Gespräche mit dem Betriebsrat aufgenommen worden, um einen Sozialplan auszuhandeln.

Gesamtbetriebsratschef Michael Wobst behauptet, der Termin für den Verhandlungsbeginn über einen Sozialplan stehe „völlig in den Sternen“. Gleichzeitig erklärte er, der Betriebsrat fürchte, „dass die Produktion in Hennigsdorf eingestellt werden soll“ und nur noch die Entwicklung und eine kleine Prototypenfertigung bleibe. Weitere mehrere Hundert Arbeitsplätze seien gefährdet. „Es müssen nachvollziehbare Details zu den geplanten Maßnahmen auf den Tisch“, forderte er.

Wobsts Behauptung, er sei nicht informiert, ist völlig unglaubwürdig. Er weiß sehr wohl über die geplanten Maßnahmen Bescheid. Immerhin ist er stellvertretender Aufsichtsrat. In diesem Gremium sitzt er neben den Kapitalvertretern gemeinsam mit den Betriebsratsspitzen der einzelnen Standorte: Jürgen Runge (Mannheim), Gerd Kaczmarek (Bautzen), Jürgen Korstian (Siegen) und Erhard Peter (Kassel). Für die IG Metall sitzen zwei Vertreter des Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen im Aufsichtsrat: Bezirksleiter Olivier Höbel und Anne Karl, Gewerkschaftssekretärin für Studierendenarbeit, Angestellte und Engineering.

Wenn Betriebsräte und IG Metall nun vorgeben, „überrascht“ zu sein, entspricht das nicht der Wahrheit, sondern ist Teil eines abgekarteten Spiels. Die gespielte Empörung und der Aufruf zu ein paar symbolischen Protestaktionen soll darüber hinwegtäuschen, dass die Betriebsräte, IGM-Funktionäre und die Konzernleitung aufs Engste zusammenarbeiten, um den Arbeitsplatzabbau möglichst reibungslos durchzusetzen.

Zu Beginn einer gemeinsamen Konferenz von IG Metall und Gesamtbetriebsrat am vergangenen Freitag kündigten einige Gewerkschaftsfunktionäre „massive Aktionen“ an. „Der geplante Stellenabbau ist in unseren Augen eine kurzfristige Hau-Ruck-Aktion, die definitiv nicht nötig ist“, sagte Ostsachsens IG Metall-Chef Jan Otto. „Wir werden uns das so nicht gefallen lassen.“

Nach der Konferenz in Schönefeld (Dahme-Spreewald) hört sich das alles schon ganz anders an. „Die Konzeptionslosigkeit des Managements wird zu einer existenziellen Bedrohung der Standorte in Ost und West“, kritisierte IGM-Bezirksleiter Olivier Höbel im Stile des Co-Managers. Betriebsräte und IG Metall sehen Management-Fehler für das schlechte Finanzergebnis von Bombardier Transportation verantwortlich. Erneut kritisierten sie das Unternehmen, Teile der Produktion in Billiglohnländer auslagert zu haben, „wo qualitativ minderwertiger gearbeitet“ werde. „Schon über Jahre hinweg haben wir die Missstände aus unserer Sicht immer wieder aufgezeigt“, sagt Bautzens Betriebsratsvorsitzender Gerd Kaczmarek.

Höbel forderte im Anschluss an die Konferenz von Bombardier Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite, die laut Dienemann schon begonnen haben.

Unterstützung erhalten die Betriebsräte und die IG Metall von den örtlichen SPD- und Linkspartei-Abgeordneten. Stefan Brangs (SPD), Arbeits-Staatssekretär im Sächsischen Wirtschaftsministerium, sprach von einem Schock für die Region. Brangs war nach der Wende 1989/90 von der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), die später in die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) aufging, in den Osten geschickt worden, zunächst nach Leipzig und später nach Dresden.

2001 war er dann Sprecher von Verdi in Sachsen, seit 2004 saß er für die SPD im sächsischen Landtag. Seit 2006 ist er auch Mitglied im Landesvorstand der sächsischen SPD. Im Dezember 2014 wechselte er vom Landtag ins Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Er wolle mit dem Unternehmen Gespräche führen. „Wir erwarten von Bombardier ein belastbares Zukunftskonzept des Konzerns.“ Aber genau daran arbeitet Bombardier. Der Arbeitsplatzabbau ist aus der Sicht des international agierenden Konzerns absolut unvermeidbar, wenn er „zukunftssicher“, sprich wettbewerbsfähig, bleiben soll.

Auch Mirko Schultze, Görlitzer Landtagsabgeordneter der Linken, sprach den Beschäftigten im Werk Görlitz und in der Region sein Bedauern aus. Es gelte jetzt, „gemeinsam mit der IG Metall“ alles zu versuchen, die Streichungen entweder abzuwenden oder aber „wenigstens so sozial verträglich wie möglich zu machen“.

Er forderte auch von Siegfried Deinege, Oberbürgermeister von Görlitz, „ein klares Bekenntnis zur Belegschaft“. Bevor Deinege 2012 unterstützt von Grünen, CDU und FDP das Amt des Görlitzer Rathauschefs übernahm, war er als Manager bei Bombardier in Görlitz beschäftigt.

Deinege ist das Musterbeispiel eines stalinistischen Wendehalses. Er begann 1979 als Schmiedeingenieur beim VEB Waggonbau Görlitz, gleichzeitig trat er in die SED ein und übernahm dort regionale Führungspositionen. Bei der Restauration des Kapitalismus in der DDR 1990 war er Leiter der Fertigung und stieg zum Produktionsdirektor (1995) und General Manager (1998) für Bombardier Transportation auf, die letztlich die Überreste der ostdeutschen Waggonbau-Industrie übernahm. Im Jahr 2010 wechselte er in die Konzernzentrale in Berlin und agierte für zwei Jahre als „General Manager, Head of Operations Performance Management & Production Technology“.

Wenn nun Betriebsräte und IG Metall einen „Aktionsplan“ entwickelt haben wollen, der mit bundesweiten Protesten am 17. März an allen Standorten beginnen soll, hat dies nur ein Ziel: Der berechtigten Wut der Belegschaften soll ein Ventil geschaffen werden, um den Arbeitsplatzabbau durchzusetzen und von der engen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit von IGM und Betriebsrat mit der Unternehmensspitze abzulenken.

Hinter den Kulissen haben sie sich schon längst mit der Konzernspitze geeinigt, die Arbeitsplätze abzubauen. Verhandelt werden jetzt lediglich die Bedingungen und das Vorgehen.

Als Bombardier vor zweieinhalb Wochen den weltweiten Arbeitsplatzabbau ankündigte, schrieben wir: „Lehnt man, wie Gewerkschaft und Betriebsräte, nicht grundsätzlich das kapitalistische Prinzip ab, dass die Profite der Eigentümer die Produktion bestimmen, gibt es keine andere Logik, als schlechteren Arbeitsbedingungen, niedrigeren Löhnen und dem Abbau von Arbeitsplätzen zuzustimmen, um den Konzern ‚wettbewerbsfähig‘ (Bombardier) bzw. ‚zukunftssicher‘ (Betriebsrat) zu machen.“ Die Richtigkeit dieser Einschätzung zeigte sich seitdem jeden Tag.

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