Perspektive

Französische Arbeiter machen gegen Sparpolitik mobil

Französische Jugendliche und Arbeiter protestieren mit Massendemonstrationen gegen die Arbeitsmarktreformen der französischen Arbeitsministerin El Khomry. Sie setzen sich damit über den Ausnahmezustand hinweg, den die Regierung der Sozialistischen Partei (PS) nach den Terroranschlägen vom 13. November verhängt hatte. Diese beginnende Mobilisierung markiert ein neues Stadium im internationalen Klassenkampf. Die Auswirkungen reichen weit über die Grenzen Frankreichs hinaus.

Alle Versuche, mit dem Thema Terrorismus Hysterie zu schüren, um den Widerstand in der Bevölkerung zu unterdrücken, sind angesichts der zunehmenden Radikalisierung von Arbeitern und Jugendlichen gescheitert. Die Arbeiterklasse lässt sich durch den Ausnahmezustand nicht einschüchtern und geht gegen die soziale Konterrevolution der PS-Regierung und der Europäischen Union in den Kampf.

Studenten organisieren laufend Proteste und Versammlungen, hunderte Gymnasien werden von Schülern blockiert und immer mehr Arbeiter greifen zu Streikaktionen. Am vergangenen Donnerstag waren Hafenarbeiter, Beschäftigte von Air France und des Verkehrssektors überall in Frankreich im Streik. In mehreren Städten traten Stahl- und Autoarbeiter in den Ausstand.

Vom ersten Moment an, in dem die Arbeiterklasse zu kämpfen beginnt, ist sie gezwungen, ihre Ziele und Interessen gegen diejenigen Kräfte abzugrenzen, die seit Jahrzehnten als die offizielle „Linke“ auftreten. Die PS-Regierung von Präsident Francois Hollande, die 2012 mit Unterstützung der Linksfront und der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) gewählt wurde, ist zutiefst verhasst. Sie versucht soziale Rechte zu zerstören, die die Arbeiter in den großen Klassenschlachten des zwanzigsten Jahrhundert errungen hat.

Das El Khomri-Gesetz würde die Wochenarbeitszeit um bis zu zwei Stunden verlängern, prekäre Arbeitsverhältnisse für junge Arbeiter ausweiten und den Gewerkschaften ermöglichen, betriebliche Tarifverträge mit den Unternehmern auszuhandeln, was deutliche Verschlechterungen für die Arbeiter zur Folge hätte.

Die Pläne der Regierung sind rechtswidrig. Das zeigt sich schon darin, dass sie gegen bestehende Gesetze verstoßen. Dass sie von einer angeblich „sozialistischen“ Partei vorangetrieben werden, die sich auf Gewerkschaften stützt, die zu 95 Prozent vom Staat und den Unternehmen finanziert werden, macht den betrügerischen und arbeiterfeindlichen Charakter der gesamten politischen „Linken“ in Frankreich deutlich.

Es entwickelt sich eine explosive politische Dynamik. Trotz der systematischen Verbreitung von Angst und Chauvinismus im Zusammenhang mit den Terroranschlägen entwickelt sich unter Arbeitern und Jugendlichen eine tiefgreifende soziale Militanz. Das hat die Sozialistische Partei überrascht und erfüllt pseudolinke Organisationen wie die Linksfront und die NPA, die eng mit der PS verwoben sind, mit Angst.

Ein Hauch von 1968 liegt in der Luft. Im Generalstreik vom Mai-Juni jenes Jahres traten dutzende Millionen Arbeiter in den Kampf gegen die scheinbar unangreifbare Regierung von Charles de Gaulle. Sie gerieten dabei in Konflikt mit der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF). Heute entwickelt sich eine ähnlich explosive Lage im Klassenkampf gegen die diskreditierte Sozialistische Partei und ihre politischen Verbündeten. Die breite Opposition gegen die Austeritätspolitik der PS, die in den Protesten sichtbar wurde, hat die Hollande-Regierung, die unpopulärste Regierung in Frankreich seit dem Zweiten Weltkrieg, bereits schwer erschüttert.

Als am Donnerstag mehr als eine Million Menschen überall in Frankreich gegen das El-Khomry-Gesetz demonstrierten, zog Hollande den geplanten Verfassungszusatz zurück, der den Ausnahmezustand und den Entzug der Staatsbürgerschaft von Terroristen mit französischer Staatsbürgerschaft in der Verfassung verankern sollte. Obwohl Senat und Abgeordnetenhaus schon unterschiedliche Versionen der Verfassungsänderung verabschiedet hatten, versuchte Hollande nicht mehr, einen gemeinsamen Entwurf zu verabschieden.

Dieser Rückzug schockierte Teile der PS-nahen Medien. Sie befürchten, dass damit eine vernichtende Niederlage der PS bei der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr nicht mehr abzuwenden ist. Le Monde nannte ihn eine „veritable politische Katastrophe“ und warnte: „Nach dieser verhängnisvollen Episode lässt Hollande ein Trümmerfeld zurück.“

Liberation schrieb: „Francois Hollande wollte eine über den Parteien schwebende nationale Einheit schaffen … Aber er war lediglich dazu in der Lage, Schimpf und Schande aus seinem eigenen Lager zu ernten. Er inszenierte das Schauspiel eines kleinlichen politischen Hickhacks, das selbst die Wohlmeinendsten nicht verstanden und in vielen Fällen rundheraus ablehnten.“

Die gesamte reaktionäre Agenda der Regierung von Ministerpräsident Manuel Valls seit der Regierungskrise vom Herbst 2014 steht vor dem Kollaps.

Der Kern ihrer Strategie besteht darin, Hollande als „Kriegspräsidenten“ zu präsentieren und den neofaschistischen Front National (FN) zu hofieren. Sie benutzt dafür die Terroranschläge islamistischer Kräfte in Europa, die vom französischen Imperialismus und seinen Verbündeten für ihren Krieg in Syrien mobilisiert wurden. Die PS reagierte auf jeden Anschlag mit einer rechten nationalistischen und fremdenfeindlichen Kampagne sowie dem Anfachen von Islamfeindlichkeit, um die Arbeiter zu spalten und die soziale Opposition gegen ihre Sparpolitik besser unterdrücken zu können.

Nach den Schießereien bei Charlie Hebdo im Januar 2015 lud Hollande die FN-Vorsitzend Marine Le Pen in den Präsidentenpalast ein. Nach den Anschlägen vom 13. November griff er zwei Lieblingsprojekte der extremen Rechten auf: den Ausnahmezustand, der 1955 für den Algerienkrieg eingeführt worden war, und den Entzug der Staatsbürgerschaft, der für immer mit der Deportation von Juden aus dem besetzten Frankreich während des Holocaust verbunden sein wird.

Dieser politisch kriminellen Strategie setzten pseudolinke Kräfte wie die Linksfront und die NPA, die beide den Syrienkrieg unterstützt haben, keine nennenswerte Opposition entgegen. Abgeordnete der Linksfront stimmten in der Nationalversammlung sogar für den Ausnahmezustand.

Die Verabschiedung von Versionen der Verfassungsänderung durch beide Häuser des Parlaments macht klar, dass es in den herrschenden Kreisen keinen Widerstand gegen die Rehabilitierung der blutigsten Verbrechen des französischen Imperialismus im zwanzigsten Jahrhundert gibt. Das ist eine ernste Warnung für die Arbeiterklasse.

Angesichts der wachsenden sozialen Opposition sah die PS in dem gegenwärtigen politischen Klima aber keine Möglichkeit, eine gemeinsame Version der reaktionären Verfassungsänderung zu verhandeln.

Diese Ereignisse machen deutlich, dass die Arbeiter, die den Kampf gegen das El Khomry-Gesetz aufnehmen, vor einer Auseinandersetzung mit historischen Dimensionen stehen. Der Versuch, das Erbe der extremen französischen Rechten zu rehabilitieren, und der Angriff auf die sozialen Rechte der Arbeiter mit dem El Khomry-Gesetz haben ihre Ursache nicht in dem persönlichen Zynismus und der Korruption der Parti socialiste und ihrer Komplizen in Politik und Gewerkschaften, sondern in der objektiven, globalen Krise des Kapitalismus.

Angesichts einer Spirale von wirtschaftlichem Zusammenbruch und Krieg wird jede imperialistische Macht in einen rücksichtslosen Konkurrenzkampf um Profite und strategische Vorteile getrieben. Der französische Kapitalismus wurde jahrzehntelang von allen möglichen reaktionären Regierungen deindustrialisiert, er verfällt angesichts seiner maroden Infrastruktur und einem Berg von Schulden. Er sieht keinen anderen Ausweg aus der Misere, als Raubkriege von Mali bis Syrien und die Ausbeutung der Arbeiter in Frankreich selbst. Um das passende politische Klima für die entsprechende Wirtschaftspolitik zu schaffen, beteiligen sich alle bürgerlichen Parteien, inklusive der PS und ihrer Satelliten, an der Rehabilitierung des Faschismus und des Militarismus.

Der einzige Weg vorwärts im Kampf gegen das El-Khomri-Gesetz ist der unnachgiebige Kampf der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus und insbesondere gegen die so genannten „linken“ Parteien der Bourgeoisie. Vorschläge der Studentenorganisationen und der Gewerkschaften, mit Premierminister Valls über symbolische Änderungen am El-Khomri-Gesetz zu verhandeln, müssen zurückgewiesen werden. Das sind schlicht Versuche, diesen reaktionären Gesetzentwurf mithilfe der pseudolinken Parteien und ihrer Verbündeten in den Gewerkschaften durchzusetzen.

Vor allem muss der nationale Rahmen überwunden werden, in dem diese Kräfte den Kampf halten wollen. Die wichtigsten Verbündeten der französischen Arbeiter und Jugendlichen im Kampf gegen die reaktionäre Politik von Hollande sind die Arbeiter aller anderen Länder. Sie müssen für einen gemeinsamen Kampf für den Sozialismus und gegen Sparpolitik, Krieg und Abbau demokratischer Rechte mobilisiert werden.

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