Perspektive

US-Außenminister Kerry in Hiroshima

Am Montag besuchte der amerikanische Außenminister John Kerry Hiroshima. Die japanische Stadt war das Ziel des ersten Atombombenabwurfs in Kriegszeiten. Die USA hatten am 6. August 1945 eine Atombombe über der Stadt abgeworfen, die zwischen 70.000 und 140.000 Zivilisten sofort tötete. Drei Tage später, am 9. August 1945, warfen sie eine weitere Atombombe über Nagasaki ab. 39.000 bis 80.000 Zivilisten verloren ihr Leben.

Die Obama-Regierung stellte klar, dass sie den Besuch des bisher ranghöchsten US-Politikers in der Stadt nicht als Anlass sieht, sich für dieses abscheuliche Verbrechen zu entschuldigen. „Niemand hat die USA um eine Entschuldigung gebeten. Es existiert auch kein Interesse, erneut die Frage aufzuwerfen, wer für die Ereignisse, die schließlich zum Einsatz der Atombombe führten, verantwortlich war“, ließ das Außenministerium am Montag verlauten.

„Das friedliche, stabile international System, das wir seit dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben, ist keine Selbstverständlichkeit”, erklärte Kerry, und die Bombardierung Hiroshimas „erinnert jeden daran, dass im Krieg schwierigste Entscheidungen getroffen werden müssen, und daran, was Krieg den Völkern, Gemeinschaften, Ländern und der Welt antut.” Den Umstand, dass er den Staat repräsentiert, der für diese Verbrechen verantwortlich ist, versuchte Kerry erst gar nicht mit dieser heuchlerischen Erklärung in Einklang zu bringen.

Kerry besuchte Japan, während die USA ihre kriegerischen Aktionen gegen China deutlich verschärfen. Noch nie seit der Kubakrise 1962 war die Gefahr eines Krieges und des Einsatzes von Atomwaffen so groß.

Mit seinem Besuch wollte Kerry vor allem die amerikanischen Bündnisse in Ost- und Südostasien zum Zweck der militärischen Einkreisung Chinas festigen. An die Zeremonie am Mahnmal in Hiroshima schloss sich ein Gipfel der G-7-Außenminister in Hiroshima an. In einer scharfen Erklärung wurde China (wenn auch nicht namentlich) gewarnt, „einschüchternde, zwangsweise oder provokative einseitige Maßnahmen, die den Status quo verändern und Spannungen erhöhen könnten”, zu unterlassen.

Letzte Woche meldete die New York Times, die USA bereiteten eine dritte Operation zur „Freiheit der Seefahrt” im Südchinesischen Meer vor, bei der sie ein Kriegsschiff bis auf 12 Seemeilen an von China beanspruchtes Territorium schicken wollen. Admiral Harry Harris, Oberbefehlshaber des US Pacific Command, wirbt im Hintergrund dafür, dass beim nächsten Mal auch „militärische” Operationen zum Programm gehören sollen, etwa das Abfeuern von Munition.

Während Kerrys Besuch hielt sich Verteidigungsminister Ashton Carter in Indien auf. Die USA wollen das Land in ihre Anti-China-Allianz einbinden. Carter wird im Anschluss die Philippinen besuchen, die für ihre Unterstützung des US-Kriegskurses Hunderte von Millionen Dollar erhalten.

Japan bildet, zusammen mit Australien, das Herzstück der antichinesischen Allianz unter Führung der USA. Washington unterstützt daher die aggressive Remilitarisierung Japans, indem es die gleichen Tendenzen fördert, die bei der japanischen Invasion Chinas und anderer Länder im Pazifik in den 1930er Jahren für Millionen von Toten und grausame Kriegsverbrechen verantwortlich waren.

Anfang dieses Monats trat in Japan eine 2014 gebilligte Änderung der pazifistischen japanischen Verfassung in Kraft. Nun darf sich die japanische Armee im Ausland an Kriegen ihrer Verbündeten, auch der USA, beteiligen. Japans Premier Shinzo Abe sagte, die Verfassung des Landes verbiete nicht, dass es Atomwaffen besitze.

Das japanisch-amerikanische Bündnis gegen China steht im Zentrum einer enormen Remilitarisierung der asiatisch-pazifischen Region. Die Militärausgaben stiegen hier im letzten Jahr um sechs Prozent. Die Philippinen und Indonesien, wichtige US-Verbündete bei der Verschwörung gegen China, erhöhten ihre Militärausgaben um 25 bzw. 16,5 Prozent.

Im US-Militär und in Kreisen von politischen Entscheidungsträgern wird offen über einen „Zweiten Pazifikkrieg” gesprochen, bei dem, in den Worten eines Experten, „schmerzhafte Verluste – von Schiffen, Flugzeugen, Marinesoldaten und Piloten – unvermeidlich sind, und auf beiden Seiten wahrscheinlich schnell ansteigen würden“.

In seiner Rede pries Kerry die Bemühungen von Präsident Obama, „eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen“. Doch die US-Regierung hat gerade ein Programm im Wert von einer Billion US Dollar zur Modernisierung ihres Nuklearwaffenarsenals aufgelegt, obwohl Obama zu Beginn seiner Amtszeit versprochen hatte, die USA würden „keine neuen nuklearen Sprengköpfe entwickeln und keine neuen Militäreinsätze oder den Ausbau von militärischen Kapazitäten planen“.

Die aktuellsten Zahlen, die hierzu vorliegen, stammen aus dem Jahr 2011. Damals gaben die USA 61,3 Milliarden Dollar für ihr Nuklearwaffenprogramm aus, mehr als alle anderen Länder zusammengenommen, knapp zehnmal mehr als China und beinahe einhundert Mal so viel wie Nordkorea.

2009 erklärte das Weiße Haus, es wolle „die Bedeutung von Nuklearwaffen für unsere nationale Sicherheitsstrategie reduzieren“. Doch 2010 stellte die Regierung in einem Strategiedokument klar, dass sich das US-Militär vorbehalte, Nuklearwaffen einzusetzen, ohne angegriffen zu werden, auch gegen Länder, die selbst keine Nuklearwaffen besitzen.

Hinter den Kulissen schmieden das US-Militär, Politiker und Think Tanks Pläne für einen präventiven Nuklearschlag. Ein Bericht eines führenden politischen Thinktanks vom März mit dem Titel „Rethinking Armageddon“ (Armageddon neu denken) skizziert Szenarien, in denen die USA nukleare Erstschläge gegen Nordkorea und Russland führen.

Kerrys Besuch muss daher der asiatischen und internationalen Arbeiterklasse eine Warnung sein.

Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki dienten nicht der schnellen Beendigung des Kriegs, wie die amerikanische Propaganda behauptet. Die japanische Regierung bemühte sich bereits aktiv, die Bedingungen der Kapitulation auszuhandeln. Die nukleare Einäscherung von Hunderttausenden von Zivilisten sollte vor allem der Sowjetunion unmissverständlich klarmachen, dass die USA vor nichts zurückschrecken würden, um ihre beherrschende Stellung in der Nachkriegsordnung sicherzustellen.

Europa und die Pazifikregion waren durch den Krieg weitgehend zerstört, und die US-Industrie war weltweit führend. In dieser Situation war der Einsatz von Nuklearwaffen eine kalkulierte taktische Entscheidung. 1999 schrieb der amerikanische Historiker Gabriel Jackson: „In der besonderen Situation im August 1945 bewies der Einsatz der Atombombe, dass ein psychisch ganz normales und demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt die Atombombe genauso einsetzen konnte, wie ein Nazi-Diktator das getan hätte.”

Heute können die Vereinigten Staaten, die im eigenen Land mit enormen gesellschaftlichen Verwerfungen konfrontiert sind, und deren wirtschaftliche Stärke seit Langem im Schwinden begriffen ist, ihre Vormachtstellung in der globalen kapitalistischen Hackordnung nur noch auf einem Weg verteidigen: mit der Drohung, ihr gigantisches militärisches und nukleares Potential einzusetzen. Das macht die Situation nur noch gefährlicher.

Arbeiter und Jugendliche auf der ganzen Welt müssen diese Entwicklungen, die das Überleben der Menschheit bedrohen, als Warnung begreifen. Der Kampf gegen Krieg erfordert den Kampf gegen seine Wurzeln im Kapitalismus.

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