Spontaner Streik der belgischen Fluglotsen

Die Fluglotsen am Brüsseler Flughafen, Belgiens wichtigstem Luftfahrtdrehkreuz, beteiligten sich am Mittwoch den zweiten Tag an inoffiziellen, das heißt von den Gewerkschaften nicht organisierten, Streikaktionen. Sie wehren sich gegen Pläne der Flugsicherungsagentur Belgocontrol, ihr Renteneintrittsalter von 55 auf 58 Jahre anzuheben.

Nach massiven Angriffen von Seiten der Unternehmensleitung und der Regierung wurde am Donnerstag die Arbeit wieder weitgehend aufgenommen.

Der Streik, an dem 80 Lotsen teilnahmen, begann am Dienstag um 17:00 Uhr. Er führte zu Verspätungen und Ausfällen von Dutzenden von Flügen. Dienstagabend wurden für zirka eine Stunde alle Starts und Landungen abgesagt. Am Mittwoch wurden Hunderte Flüge annulliert. Eine Zeitlang waren nur 15 Flugzeuge pro Stunde in der Lage abzuheben. Der Streik beeinträchtigte auch den Betrieb von Ryanair am Flughafen von Charleroi, südlich von Brüssel.

Die spontane Arbeitsniederlegung begann, nachdem Vertreter mehrerer Gewerkschaften eine Einigung mit dem Management erzielt hatten und dafür sorgen wollten, dass die Anhebung des Rentenalters stufenweise eingeführt wird. Die Verhandlungen darüber fanden schon seit Mitte März statt. Als Reaktion auf die Einigung wuchs die Wut unter den Mitgliedern der Organisation Guild of Air Traffic Controllers (BGATC), und viele meldeten sich krank.

Die Entscheidung der Beschäftigten, ihre Pensionsrechte zu verteidigen, löste bei Unternehmern, Regierungsvertretern und in den Medien wütende Beschimpfungen aus. Die spontane Streikaktion wurden als „Wirtschaftsterrorismus“ bezeichnet. Nur wenige Tage vorher war der Brüsseler Flughafen, einer der am meisten frequentierten in Europa, unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen wiedereröffnet worden.

Der Flughafen war am 22. März geschlossen worden, nachdem zwei Terroristen Bomben gezündet hatten, mit denen die Eingangshalle zerstört und zehn Menschen getötet worden waren. Das anschließende Selbstmordattentat in der Brüsseler U-Bahn erhöhte die Zahl der Todesopfer auf 31.

Große Teile des Brüsseler Stadtgebiets stehen seit dem 13. November letzten Jahres unter scharfer Sicherheitsüberwachung. Die Behörden benutzten dabei die Terroranschläge von Mitgliedern des Islamischen Staats (IS) in Paris, um antidemokratische Maßnahmen durchzusetzen. Dazu gehört auch die Anhebung der Terrorwarnstufe auf den höchsten Stand.

Im Namen der Regierung erklärte Premierminister Charles Michel am Mittwoch: „Dies ist ein wilder Streik. Er ist völlig inakzeptabel. Das ist ein unverantwortlicher Streik. Ich akzeptiere nicht, dass eine Handvoll [Leute] entscheidet, das Land in Geiselhaft zu nehmen und unser Ansehen sowie unsere wirtschaftliche Situation gefährdet.“

Michel bezeichnete den Flughafen von Brüssel als die „lebenswichtige wirtschaftliche Lunge der Wirtschaft des Landes“. Er erklärte, die Regierung „lässt sich nicht erpressen“. Er drohte außerdem den Ärzten, die den Fluglotsen Krankschreibungen ausgestellt hatten, mit Repressalien. Er warnte: „Meiner Meinung nach müssten sie bestraft werden. Das ist die klare Botschaft an die Ärzte.“

Michel nutzte die Terroranschläge, um die Streikenden zu dämonisieren und erklärte, das Land „hat eine schwierige Zeit durchgemacht ... Wir haben große Anstrengungen unternommen, um den Flughafen wieder voll funktionstüchtig zu machen. Wir sollten aufhören, den Ast abzusägen, auf dem wir alle sitzen.“

Die beiden Minister, die an den Verhandlungen teilgenommen hatten, Kris Peeters, Stellvertretender Premierminister und Minister für Arbeit, Wirtschaft und Verbraucher, und Jacqueline Galant, Verkehrsministerin und verantwortlich für Belgocontrol, erklärten, die Regierung habe ihre Haltung zu den Renten der Beschäftigten nicht geändert. Sie forderten das Ende des Streiks, „um die Wiederaufnahme des uneingeschränkten Verkehrs zu ermöglichen“.

Diese Angriffe waren das Signal für wüste Beschimpfungen der Streikenden durch Unternehmerorganisationen und Medien. Belgiens wichtigste französischsprachige Tageszeitung, Le Soir, setzte die Lotsen, mit Terroristen gleich. Sie schrieb: „Dieses Land braucht keine Terroristen mehr, um es in die Luft zu jagen. Es macht das ganz allein, mit seinen Absurditäten, seiner Verantwortungslosigkeit, seinem Chaos, seinen Pantomimen. Leiden wir unter Realitätsverlust?“

Tony Tyler, der Geschäftsführer der International Air Transport Association (IATA), der auch die globale Luftfahrtbranche vertritt, erklärte, der Streik „ist ein Schlag ins Gesicht der gesamten Belegschaft der Fluggesellschaft und des Flughafens, die so hart gearbeitet haben, um Brüssel nach dem entsetzlichen Terroranschlag vor nur drei Wochen wieder mit der Welt zu verbinden. Es ist der Gipfel der Verantwortungslosigkeit, einen lebenswichtigen Service zu unterbrechen. Und das ohne Vorwarnung zu tun, kann nur als bösartig verstanden werden.“

Tyler rief mehr oder weniger zu Streikbruch auf, um nicht nur die gegenwärtige Auseinandersetzung zu beenden, sondern auch alle zukünftigen Aktionen. Er erklärte: „Wenn wir uns bei solchen hoch bezahlten Fachleuten nicht auf einfache menschliche Anständigkeit verlassen können, dann wird es Zeit für die Regierung, Wege zu finden, die die Verfügbarkeit von Flugverkehrsdiensten garantieren.“

Der Präsident des Brüsseler Flughafens, Marc Descheemaeker, erklärte am Mittwoch: „Diese Aktion erfordert Vergeltung“ und drohte, dass „Maßnahmen“ gegen die streikenden Lotsen ergriffen werden könnten.

Die irische Billigfluglinie Ryanair kündigte am Mittwoch an, sie werde die Streikenden auf Schadensersatz verklagen.

Die inoffiziellen Arbeitskampfmaßnahmen der Fluglotsen sind eine Rebellion der Beschäftigten gegen die Gewerkschaften, aber auch eine herausfordernde und entschlossene Haltung gegen die Angriffe der Unternehmer auf ihre Renten. Der belgische Staat stützt sich auf die Gewerkschaften, um umfangreiche Proteste abzuwürgen, die im Dezember 2014 einen Generalstreik erzwungen hatten. Michel dankte den anderen Luftfahrtgewerkschaften wie der SFLP öffentlich dafür, dass sie die Luftlotsen nicht unterstützen.

Die Guild of Air Traffic Controllers hat nicht das Geringste unternommen, um ihre Mitglieder zu verteidigen. Sie tut vielmehr alles, um den Konflikt zu beenden und hat die Fluglotsen aufgerufen, an die Arbeit zurückzukehren. Die Guild widersprach Berichten, sie habe Arbeiter dazu angestiftet, sich am Dienstag krank zu melden. Sie erklärte: „Die Guild ist eine Fachverband und keine Gewerkschaftsorganisation, deshalb ist sie kein Sozialpartner von Belgocontrol und kann auch nicht an Verhandlungen teilnehmen. Die Guild hat ihre Mitglieder in keinem Fall für diese Streikaktion organisiert, mobilisiert oder dazu aufgerufen.“

Der Streik beweist, dass die Arbeiter entschlossen sind zu kämpfen und sich nicht von den Angriffen auf ihre Lebensbedingungen und ihre demokratischen Rechte einschüchtern lassen. Sie folgen damit Streiks von Fluglotsen in Griechenland in der letzten Woche (ebenfalls wegen Angriffen auf ihre Renten) und von französischen Fluglotsen. Die französischen Fluglotsen gingen am 31. März in einen 36stündigen Streik, um gegen Stellenabbau und Angriffe der sozialistischen Regierung von Francois Hollande zu protestieren. Die Bewegung gegen die sozialistische Regierung ist in den letzten Wochen eskaliert und führte letzte Woche zu den landesweiten massiven Demonstrationen gegen die geplanten arbeiterfeindlichen Arbeitsmarktgesetze. An den Demonstrationen vom 31. März haben mehr als eine Million Menschen im ganzen Land teilgenommen.

Der mutige Kampf der Fluglotsen macht deutlich, dass sich die Arbeiterklasse auf große Kämpfe vorbereiten muss. Das erfordert die Mobilisierung aller Arbeiter in Belgien und ganz Europa, um die Attacken von Seiten der Regierung, der Medien und der Gewerkschaften zurückzuschlagen. Die Verteidigung der Renten muss mit dem Kampf verbunden werden, die gesamte Arbeiterklasse gegen soziale Ungleichheit und Polizeistaatsmaßnahmen auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms zu vereinen.

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