Wo ist der Sozialismus in der Kampagne von Bernie Sanders?

Im Rennen um die Nominierung zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten 1984 kritisierte Walter Mondale seinen stärksten Herausforderer, Gary Hart, für dessen Plattitüden und inhaltsleere Phrasen. Mondale fragte Hart wiederholt „Where’s the beef?“, ein Slogan aus einem damals beliebten Werbespot, sinngemäß etwa: „Wo ist der Inhalt? Wofür stehen Sie eigentlich?“ Im laufenden Wahlkampf könnte man Bernie Sanders, den Senator aus Vermont, ähnlich direkt fragen: „Where’s the socialism?“ – „Was ist sozialistisch an Ihrer Kampagne?“

Als selbsternannter „demokratischer Sozialist“ wurde Sanders letzten Sommer schlagartig einem großen Publikum bekannt. Er warf sich in die Pose eines unversöhnlichen Gegners der Wall Street und der „Millionäre und Milliardäre“, die die amerikanische Politik bestimmten. Seither profitiert Sanders von der wachsenden Popularität des Sozialismus unter Millionen von Studenten und jungen Arbeitern. Das hat ihm mehr als 7,5 Millionen Stimmen eingebracht und ihn zu einem ernsthaften Herausforderer für Hillary Clinton, die ehemalige Außenministerin und demokratische Spitzenkandidatin, werden lassen.

Dass Sanders mit Sozialismus identifiziert wird, hat ihm die Unterstützung der jüngeren Generation der arbeitenden Bevölkerung verschafft, die im Kapitalismus nichts als wirtschaftlichen Niedergang, Finanzkrisen und endlosen Krieg erlebt. Eine neuere Umfrage zeigt, dass Wähler unter 30 den Sozialismus deutlich dem Kapitalismus vorziehen (43 gegenüber 32 Prozent), obwohl die Medien den Sozialismus unablässig als Inbegriff des Bösen darstellen.

Doch abgesehen vom Wort Sozialismus, das Sanders inzwischen kaum noch verwendet, ist sein „Sozialismus“ unsichtbar. Nicht für einen einzigen Industriezweig hat Sanders gefordert, dass er in öffentliches Eigentum überführt und demokratischer Kontrolle unterstellt wird – nicht für die Ölindustrie, die Waffenhersteller, die Versorgungsunternehmen, und auch nicht für die Banken der Wall Street, die die amerikanische und Weltwirtschaft in die tiefste Krise seit der Großen Depression gestürzt haben.

Die Hohlheit seines „Sozialismus“ zeigte sich in der Debatte mit Hillary Clinton am Donnerstag vor einer Woche in Brooklyn. Sanders wurde zu seiner Forderung befragt, die größten US-Banken, die beim Finanzcrash zwischen 2008 und 2009 von der US-Regierung gerettet wurden, aufzuspalten. Die CNN-Journalistin Dana Bash fragte Sanders, warum er dafür eintrete, dass die Banken selbst entscheiden sollten, wie die Aufspaltung von statten gehen solle.

Sanders: „Wir müssen sie aufspalten, damit sie das System selbst nicht in Gefahr bringen, und damit wir eine kraftvolle Wirtschaft mit einem wettbewerbsfähigen Finanzsystem haben.“

Bash: „Aber Herr Senator, Sie haben nicht auf meine Frage geantwortet. Warum sollen die Banken ihre Aufspaltung in eigener Regie vornehmen dürfen?“

Sanders: „Nun, ich bin mir nicht sicher – die Regierung sollte sagen, ihr seid zu groß, um scheitern zu dürfen. Ihr solltet eine bestimmte Größe nicht überschreiten dürfen. Und dann sollten die Banken selbst entscheiden, von welchen Geschäftsbereichen sie sich trennen wollen. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, das Finanzministerium darüber entscheiden zu lassen.“

Daran ist nichts radikal. Sanders argumentiert wie ein konservativer Anhänger des freien Marktes, wenn er sagt, es sei „nicht richtig“, dass die Regierung über die Veräußerung von Vermögenswerten einer Bank entscheidet. Dabei hat er wiederholt erklärt, dass „das Geschäftsmodell der Wall Street ein Betrug [ist]“. Die Betrüger sollen offenbar weitermachen können wie bisher, nur in etwas kleinerem Maßstab.

Bei Sanders’ Vorschlag, die großen Wall Street-Banken aufzuspalten, handelt es sich, wie die WSWS aufgezeigt hat, nicht um eine sozialistische Maßnahme. Er will das Bankensystem nicht in öffentliches Eigentum überführen und demokratischer Kontrolle unterstellen, um so die Ressourcen der Gesellschaft für menschliche Bedürfnisse einzusetzen anstatt sie der Anhäufung persönlichen Reichtums durch die Finanzaristokratie unterzuordnen. Stattdessen schlägt er vor, die Banken weiterhin in privater Hand zu lassen und lediglich kleinere Unternehmen aus ihnen zu machen, um ein „wettbewerbsfähiges Finanzsystem“ zu schaffen.

Sanders‘ Forderung nach Aufspaltung der größten Banken deckt sich sogar mit der Position einer Fraktion der herrschenden Klasse und der Finanzbürokratie selbst. Die Federal Reserve Bank von Minneapolis und ihr Präsident Neel Kashkari werben bei öffentlichen Symposien dafür. Kashkari, ehemaliger Banker bei Goldman Sachs und Staatssekretär im Finanzministerium unter Bush, war Verwalter des 700-Milliarden-Dollar-Rettungsprogramms für die Banken.

Am 19. November sprach Sanders an der Georgetown University öffentlich das einzige Mal zum Thema Sozialismus. Er präsentierte seine Politik als Ausweitung des New Deal von Präsident Franklin D. Roosevelt und der Great Society von Präsident Johnson. Beides waren Versuche, durch liberale Reformen den Kapitalismus zu retten, nicht ihn abzuschaffen. Sanders erklärte kategorisch: „Nach meiner Ansicht sollte der Staat nicht die Produktionsmittel besitzen… ich glaube an Privatunternehmen in Amerika, die florieren, investieren und wachsen.“

Sanders Politik zu Arbeitsplätzen, Gesundheitswesen, Bildung und anderen Bereichen hätte durchaus zur Demokratischen Partei der 1960er Jahre gepasst. Sie ist weit weniger radikal als die der Populisten der 1890er Jahre oder der Progressive Party und der Farmer Labour Party des frühen 20. Jahrhunderts, die die Überführung der Eisenbahn und der Versorgungsunternehmen in öffentliches Eigentum und die Entflechtung von Wirtschaftsmonopolen forderten.

Sanders Vorschlag, dass die Wall Street-Banken ihre Aufspaltung selbst organisieren, hat schon früher, etwa bei der Aufspaltung der Telekommunikationsindustrie im Jahr 1984, katastrophale Ergebnisse produziert. Das Telefon-Monopolunternehmen AT&T spaltete sich in sieben Einzelunternehmen auf und setzte damals einen Prozess der Deregulierung, des Ausschlachtens von Firmen und von Fusionen in Gang, der für die Arbeiter dieser Branche bis heute katastrophale Folgen hat. Der aktuelle Streik der Telekommunikationsbeschäftigten bei Verizon zeugt davon.

Sanders stattete den Streikposten bei Verizon einen Besuch ab. Er genießt die Unterstützung der Gewerkschaftsführung der Communication Workers of America (CWA), die schon viele Streiks ausverkauft hat und das Gleiche für den gegenwärtigen Arbeitskampf vorbereitet. Ein Sozialist würde fordern, dass Verizon und die anderen Telekommunikationsunternehmen vergesellschaftet und der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten unterstellt werden. Aber Sanders ist kein Sozialist.

Gegen Ende der Diskussion in Brooklyn prahlte Sanders, dass er Millionen neuer Wähler zur Demokratischen Partei gebracht habe: „Ich bin stolz darauf, dass Millionen junger Leute, die vorher nichts mit Politik zu tun hatten, sich jetzt dafür interessieren“, erklärte er und fügte hinzu: „Ich glaube, wir müssen die Tür zur Demokratischen Partei für diese Leute weit aufmachen.“

Sanders ähnelt dem Hahn, der glaubt, dass die Sonne aufgeht, weil er kräht. Millionen von Arbeitern und Jugendlichen gehen nach links. Das liegt aber nicht am Senator aus Vermont, der vorübergehend und unverdientermaßen davon profitiert, sondern an der Krise und dem Zusammenbruch des amerikanischen und internationalen Kapitalismus.

Sanders versucht, diese Bewegung in die Zwangsjacke der Demokratischen Partei zu pressen. Er bietet zu diesem Zweck seinen „Sozialismus“ und Anti-Wall Street-Rhetorik an. Doch das Kalkül des Senators aus Vermont ist eine Sache, die Erwartungen derer, die ihn unterstützen, eine ganz andere. Politik folgt einer objektiven Logik. Die Unterstützung, die Sanders erfährt, ist nur ein Übergangsstadium im Prozess der politischen Radikalisierung, die Massenkämpfe gegen das kapitalistische System in den USA auf die Tagesordnung setzt.

Unter Arbeitern und Jugendlichen muss eine neue politische Führung aufgebaut werden, die ihnen erklären kann, was Sozialismus ist, weshalb er notwendig ist und wie er erreicht werden kann. Dieser Aufgabe hat sich die Socialist Equality Party verschrieben, sowohl in den Präsidentschaftswahlen 2016 als auch darüber hinaus.

Loading