Britische Regierung hetzt gegen streikende Assistenzärzte

Am Dienstag traten etwa 45.000 Assistenzärzte in England in einen umfassenden Streik. Die konservative Regierung und die Medien reagierten darauf mit empörten Vorwürfen und offener Feindseligkeit. Am Mittwoch ging der Streik von acht Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags weiter. Es ist der erste Streik in der fast 70-jährigen Geschichte des National Health Service (NHS), bei dem keine Notfallversorgung stattfindet.

Der Streik traf auf große Unterstützung. In ganz England wurden vor Krankenhäusern Streikposten aufgestellt. In mehreren Städten fanden Demonstrationen statt. Als der Streik am Dienstag um fünf Uhr nachmittags beendet wurde, zogen in London tausende Ärzte und Sympathisanten vom St. Thomas Hospital zu einer Kundgebung vor dem Gesundheitsministerium. Neben den Ärzten demonstrierte u.a. auch eine Delegation von Lehrern mit.

Laut dem NHS England erschienen 78 Prozent der Ärzte nicht zur Arbeit. Bei Barts Health Trust, dem die Krankenhäuser St. Bartholomew’s Hospital, das Royal London Hospital, das Newham General Hospital und das Whipps Cross Hospital gehören, unterstützten 88,4 Prozent der Ärzte den Streik. Im Manchester Royal Infirmary arbeitete nur ein einziger Assistenzarzt.

Die Ärzte kämpfen gegen einen schwächeren Tarifvertrag, der ihre Löhne und Arbeitsbedingungen verschlechtern würde. Nachdem sich die Regierung im Februar mit der British Medical Association (BMA) nicht auf die Bedingungen eines neuen Tarifvertrags einigen konnte, will sie den Vertrag bis August umsetzen.

Im Vorfeld des Streiks erklärte Gesundheitsminister Jeremy Hunt am Montag während einer Parlamentsdebatte: „Wir beteuern heute nochmals, dass keine Gewerkschaft das Recht hat, ihr Veto gegen ein Wahlversprechen einzulegen, für dessen Umsetzung die britische Bevölkerung gestimmt hat.“

Hunt meinte damit das Wahlversprechen der Tories, einen „ganzwöchigen NHS“ zu schaffen. Er erwähnte allerdings nicht, dass Assistenzärzte und viele NHS-Beschäftigte bereits sieben Tage die Woche arbeiten. Die Tories wollen die Ärzte dazu zwingen, mehr Wochenendarbeit zu leisten, ohne dass zusätzliche Mittel zur Finanzierung einer Sieben-Tage-Woche bereitgestellt würden.

Hunt erklärte, die Assistenzärzte hätten „den Rubikon überschritten“, indem sie keine Notfallversorgung organisiert haben. Sie hätten „eine Linie auf eine Weise überschritten, wie wir das noch nicht gesehen haben.“

Andere Abgeordnete forderten, den Streik um jeden Preis zu zerschlagen. Der Konservative Philip Davies sagte: „Keine Regierung sollte je einem solchen Streik nachgeben.“ Sein Parteikollege Andrew Bridgen erklärte, Hunt solle „hart bleiben und den unvernünftigen Forderungen der BMA nicht nachgeben.“

Bridgen forderte ein Streikverbot für Ärzte und erklärte: „Polizisten oder Soldaten, die wichtige Berufsgruppen sind, dürfen dem Gesetz nach nicht streiken.“ Er forderte Hunt auf, diese Regelung auf die medizinische Notversorgung auszudehnen.

Der Guardian gab einen Einblick in die Diskussionen in herrschenden Kreisen: „Einige Minister vergleichen den Ärztestreik in Privatgesprächen mit dem Bergarbeiterstreik – d.h. als einen Streik, den sie nicht verlieren dürfen.“ Diese Anspielung bezieht sich auf den Kampf der Tory-Premierministerin Margaret Thatcher gegen die National Union of Mineworkers von 1984-85. Weiter hieß es: „Dieser Begriff des ,Bergarbeiters‘ geht in der Regierung um. Die Minister betrachten den Streik der Assistenzärzte in diesem Licht. Eine wichtige Quelle aus Regierungskreisen, die mit der Denkweise der Minister vertraut ist, erklärte: ‚Sie sagen, es gibt kein Zurück’.“

Die Regierung bereitet sich darauf vor, den Streik mit allen Mitteln niederzuschlagen. Gleichzeitig wächst der Widerstand gegen ihre Pläne, die öffentlich finanzierte Gesundheitsversorgung abzuschaffen. Diese Woche werden 32.000 Sanitäter von drei Gewerkschaften über einen Streik für bessere Löhne und Bedingungen abstimmen. Die Financial Times warnte am Dienstag vor einem möglichen Streik der Sanitäter: „Jeder Kompromiss der Regierung könnte andere dazu ermutigen, für bessere Bezahlung zu streiken.“

Die Führungsrolle in der Propagandaoffensive gegen die Ärzte nahmen rechte Zeitungen wie Rupert Murdochs Sun und der Daily Telegraph ein. Der Leitartikel der Sun vom Dienstag bezeichnete den Streik als „Schande“ und Gefahr für die „Sicherheit der Patienten“. Die Ärzte würden von „linksradikalen Gewerkschaftsagitatoren angeführt, die in sozialen Netzwerken Lügen verbreiten.“

Der Telegraph schrieb: „Die Assistenzärzte dürfen nicht die Gesundheitspolitik diktieren“ und erinnerte an den Sturz der konservativen Regierung von Ted Heath 1974 durch die Bergarbeiter.

Weiter hieß es, in den darauf folgenden zehn Jahren hätte „eine Regierung nach der anderen mit den Gewerkschaften gekämpft. Ihre Fähigkeit, den öffentlichen Dienst und strategisch wichtige Industrien lahmzulegen, gab ihnen fast so viel Einfluss wie gewählten Politikern. Entschieden und zum Wohle des ganzen Landes gelöst wurde dieses Problem erst von Margaret Thatcher.“

Der Telegraph schrieb weiter, Hunts Politik müsse umgesetzt werden, da er für eine Regierung spreche, „die mit einer klaren Mehrheit gewählt wurde, und die sich verpflichtet hat, den NHS auf siebentägigen Betrieb umzustellen.“

Das ist eine dreiste Lüge. Die Tories haben kein Mandat für ihre verheerenden Angriffe auf das öffentliche Gesundheitswesen, u.a. für „Effizienzeinsparungen“ in Höhe von weiteren 22 Milliarden Pfund. Nur 24 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme bei der Wahl 2015 Hunts Partei, den Konservativen. Demgegenüber unterstützt die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung die Verteidigung des NHS durch die Assistenzärzte. Trotz der hysterischen Panikmache vor den Auswirkungen eines Streiks ohne Notfallversorgung zeigte eine Meinungsumfrage des Instituts Ipsos MORI für die BBC, die am Dienstag veröffentlicht wurde, dass 57 Prozent der Befragten umfassende Streiks unterstützen, gegenüber 44 Prozent im Januar.

Die Niederschlagung des Bergarbeiterstreiks von 1984-85 durch die Regierung Thatcher erforderte nicht nur den Einsatz der gesamten Staatsmacht, sondern auch die aktive Zusammenarbeit der Labour Party, des Trades Union Congress und seiner Gewerkschaften bei der Isolierung des Streiks und die Weigerung der Bergarbeitergewerkschaft NUM unter Arthur Scargill, dagegen Widerstand zu leisten. Die gleichen Gefahren drohen auch heute.

Die BMA behauptet trotz der beispiellosen Intervention der Regierung zur Niederschlagung des Streiks, es handle sich nicht um einen „politischen“ Streik. Alle anderen Gewerkschaften haben derweil am Wochenende erfolglos mit der Labour Party zusammengearbeitet, um über ein Pilotprogramm ein Ende des Streiks und die Einführung des schlechteren Tarifvertrags zu organisieren. Die Gewerkschaftsführer haben zwar gelegentlich verbale Unterstützung und „Solidarität“ angeboten, aber keinen einzigen Streik zur Unterstützung organisiert. In Wahrheit befürchten die Gewerkschaftsbürokratie und die Labour Party ebenso wie die Regierung, dass sich der Ärztestreik zur Speerspitze einer politischen und betrieblichen Offensive der Arbeiter und Jugendlichen gegen Austerität und Privatisierung entwickelt.

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