Perspektive

Weist die Hexenjagd gegen Ken Livingstone zurück!

In einer empörenden Verletzung demokratischer Grundrechte hat die britische Labour Party Ken Livingstone, den früheren Londoner Oberbürgermeister, aufgrund eines windigen Antisemitismus-Vorwurfs von der Mitgliedschaft suspendiert. Damit kapituliert der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn einmal mehr vor der politischen Reaktion in Großbritannien.

Die Socialist Equality Party (SEP) hat seit langem grundlegende politische Differenzen mit Livingstone. Aber sie weist den Vorwurf, er sei Antisemit, als politisch motivierte Lüge zurück. Livingstone ist seit mehr als vierzig Jahren in linken und radikalen Gruppierungen aktiv. Ihn des Antisemitismus zu beschuldigen, ist nicht nur eine persönliche Verleumdung. Durch die ungerechtfertigte Verwendung des Begriffs als Schimpfwort wird eine bösartige und gefährliche Form des Rassismus verharmlost. Dieser Missbrauch des Antisemitismus-Vorwurfs gehört inzwischen zum Standardrepertoire von Zionisten und anderen rechten Politikern. Sie versuchen damit, jede politische Opposition gegen die Unterdrückung des palästinensischen Volkes durch Israel zu diskreditieren.

Hinter dem Angriff auf Livingstone steht eine unheilige Allianz aus der Konservativen Partei, zionistischen Gruppen und rechten Teilen der Labour Party. Die Tatsache, dass Labour-Führer Jeremy Corbyn selbst diese Kampagne unterstützt, ist ein weiterer Beleg für seine politische Feigheit und seinen Mangel an Prinzipien.

Die Suspendierung wurde aufgrund von Linvingstones Bemerkungen in der vergangenen Woche ausgesprochen, als er sich gegen ein ähnliches Vorgehen gegen eine andere Labour-Abgeordnete, Naz Shah, aussprach. Livingstone nahm Shah gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz und fuhr dann fort: „Erinnern wir uns daran: Als Hitler die Wahl 1932 [sic] gewann, bestand seine Politik darin, die Juden nach Israel zu schicken. Er unterstützte den Zionismus, bevor er verrückt wurde und sechs Millionen Juden umbrachte.“

Innerhalb weniger Stunden forderten Dutzende reaktionäre Labour-Abgeordnete, gegen Livingstone vorzugehen. Darunter waren auch jene drei, die das Rennen um den Parteivorsitz gegen Corbyn im letzten September verloren hatten. Corbyn suspendierte Livingstone noch am gleichen Tag und erklärte, seine Äußerungen seien „inakzeptabel“; er müsse sich einer Untersuchung stellen. „Wir tolerieren keinen Antisemitismus in unserer Partei, gleich welcher Provenienz“, sagte Corbyn.

Was die Substanz der Kontroverse angeht, so ist das Schlimmste, was man über Livingstones Äußerung sagen kann, dass er sie nicht sorgfältig genug formulierte. Seine Aussage, Hitler habe den Zionismus unterstützt, ist so, wie sie da steht, faktisch ungenau und angreifbar. Hitler war ein glühender Antisemit, und jede Unterstützung, die er und sein Regime dem Zionismus gaben, geschah im Rahmen extrem zynischer politischer Berechnung. Sie war immer seinem pathologischen Hass auf Juden untergeordnet. Es ist jedoch eine historische Tatsache, dass bedeutende Teile der zionistischen Bewegung in Deutschland nach Hitlers Machtergreifung 1933 eine Annäherung an das Regime suchten.

Zu diesem Thema schrieb der respektierte Historiker Saul Friedländer in seinem Buch „Das Dritte Reich und die Juden“:

„Das [Nazi-]Regime förderte nicht nur zionistische Aktivitäten im Reichsgebiet, vielmehr wurden auch konkrete ökonomische Maßnahmen ergriffen, um die Ausreise von Juden nach Palästina zu vereinfachen. Das sogenannte Haavarah-Abkommen (hebr. haavarah: Übertragung), das am 27. August 1933 zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und zionistischen Vertretern aus Deutschland und Palästina abgeschlossen wurde, ermöglichte jüdischen Emigranten den indirekten Transfer eines Teils ihres Vermögens und erleichterte den Export von Waren aus Nazideutschland nach Palästina.“ (S.76)

Friedländer zitiert auch ein Memorandum von Führern der zionistischen Organisation für Deutschland vom 22. Juni 1933. Laut dem Historiker Francis Nicosia, dem Autor von „Zionismus und Antisemitismus im Dritten Reich“, schien diese Denkschrift „ein gewisses Maß an Sympathie für die völkischen Grundsätze des Hitler-Regimes zum Ausdruck zu bringen und stellte fest, dass der Zionismus mit diesen Grundsätzen … in Einklang zu bringen sei“. In dem Memorandum heißt es:

„Der Zionismus glaubt, dass die Wiedergeburt des nationalen Lebens eines Volkes, wie sie sich nun in Deutschland auf christlicher und nationaler Grundlage vollzieht, auch für das jüdische Volk kommen wird. Auch für das jüdische Volk müssen Abstammung, Religion, gemeinsames Schicksal und ein Sinn für Einzigartigkeit von entscheidender Bedeutung für seine Existenz sein. Dies erfordert die Ausschaltung des ichsüchtigen Individualismus der liberalen Zeit und seine Ersetzung durch einen Sinn für die Gemeinschaft und die kollektive Verantwortung.“ (S.77f)

Das Thema der Beziehung der Zionisten zum Nazi-Regime mag zwar Gegenstand unterschiedlicher Interpretationen sein, aber Livingstones Äußerungen haben einen faktischen Hintergrund. Wenn die Labour Party ihn suspendiert, weil er seine Meinung zu dem Thema geäußert hat, dann ist das eine grundlegende Verletzung demokratischer Normen.

Ein Artikel im Observer vom Sonntag von Nick Cohen entlarvt die politischen Motive der Hetzjagd gegen Livingstone. Cohen verurteilte Livingstone und Corbyn gleichermaßen und verleumdete den Marxismus als politische Quelle der angeblichen Feindschaft des Labour-Linken gegen die Juden. Cohen zufolge werde die Labour Party von „schmutzigen alten Männern geführt, die ihre Wurzeln im vergifteten Boden des marxistischen Totalitarismus haben. Wenn sich das ändern soll, dann müssen sich entweder ihre Führer ändern, oder man muss sie aus ihren Ämtern jagen“.

Cohen ist ein rechter Schreiberling und unverbesserlicher Kriegstreiber, der die Politik des Staates Israel verteidigt, eines von politischen Gangstern und Kriegsverbrechern geführten Staats. Seine Lügen sind Teil einer konzertierten Kampagne, die abweichende Meinungen zum Schweigen bringen soll. Damit rückt die gesamte britische Politik scharf nach rechts.

Die Provokation gegen Livingstone fand zwei Tage vor den Wahlen in Schottland und Wales und einigen englischen Kommunen und vor der Oberbürgermeisterwahl in London statt. Sie war zeitlich darauf abgestimmt, Jeremy Corbyn bei den ersten nationalen Wahlen, die unter seiner Führung stattfinden, den größtmöglichen Schaden zuzufügen.

Anstatt Livingstone vorbehaltlos zu verteidigen, warf sich Corbyn sofort vor den Rechten in den Staub und leckte ihre Stiefel. Er reagierte auf die Anti-Livingstone-Kampagne wie ein politischer Feigling. Das demonstriert einmal mehr Corbyns Rolle, die darin besteht, die oppositionelle Stimmung unter Hunderttausenden Arbeitern und Jugendlichen, die ihn in die Labour-Führung gewählt haben, zu ersticken und zu unterdrücken. Seine Amtszeit an der Spitze der Labour Party hat die Politik der Labour Party um kein Jota verändert. Das geht so weit, dass sich der rechte Flügel der Partei schon wieder in der Lage sieht, seinen Sturz zu planen.

Corbyns Verhalten ist ein Beispiel für den Mangel an politischen Prinzipien, wie er für die ganze Labour Partei und ihre Führung charakteristisch ist. Corbyns wichtigster Verbündeter in der Partei, Schattenkanzler John McDonnell, bringt sich schon als möglichen Nachfolger für den Fall in Stellung, dass der Kampf um die Führung wieder offen ausbricht. McDonnell hat jede künftige Labour-Regierung auf eine Fortsetzung der Austeritätspolitik verpflichtet und greift Corbyn an, weil dieser zu lange gezögert habe, Livingstone zu suspendieren.

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