Der Abgas-Betrug hat den Volkswagen-Konzern für aggressive Hedgefonds sturmreif gemacht. Der britische Fonds TCI ist jetzt als Aktionär bei VW eingestiegen. Er plant ein beispielloses Massaker an Arbeitsplätzen, Löhnen und Arbeitsbedingungen, um für sich und seine schwerreichen Geldgeber saftige Gewinne aus den Beschäftigten herauszupressen.
TCI-Gründer und -Chef Chris Hohn beschuldigte in einem Brief Vorstand und Aufsichtsrat, sie hätten binnen sechs Jahren 400 Millionen Euro als persönliche Vergütung aus dem Konzern gezogen – die nach seiner Lesart den Aktionären vorenthalten wurden. „Das sind unternehmerische Auswüchse epischen Ausmaßes“, heißt es in dem Brief. Angesichts des Abgas-Skandals sei „das Management für sein Scheitern belohnt worden“.
Hohn ist dafür bekannt, in Unternehmen rabiat seine Aktionärsinteressen durchzuboxen. Nun wittert er offenbar bei VW gute Geschäfte. Auf einer Management-Präsentation in London sei „die Feindseligkeit großer institutioneller Investoren spürbar gewesen“. Die Aktionäre hätten schwere Verluste erlitten.
„Sie werden nicht auf ewig geduldig bleiben“, schreibt Hohn. „Die Anzeichen für Missmanagement sind zahlreich.“ Bei Volkswagen stünden die Gehälter der Manager und die Löhne der Beschäftigten stets über den Interessen der Aktionäre. „Das ist keine Art und Weise, eines der größten Unternehmen der Welt zu führen, und es ist für die Minderheitsaktionäre nicht mehr hinnehmbar.“
Nach eigenen Angaben hält der Hedgefonds allerdings nur zwei Prozent an der „VW/Porsche-Gruppe“. Offenbar hat TCI stimmrechtslose VW-Vorzugsaktien im Wert von 1,2 Milliarden Euro gekauft. Er muss also noch Mitstreiter gewinnen. Ob bald weitere Hedgefonds bei VW einsteigen und ihn bei seinem Feldzug unterstützen, ist noch unklar. Es könnte jedoch auch sein, dass Hohn das Emirat Katar für sich gewinnt. Die Ölscheichs halten mit 17 Prozent den drittgrößten Anteil an den Stammaktien. 52,2 Prozent befinden sich über die Porsche Automobil Holding bei den Eigentümerfamilien Piëch und Porsche und 20 Prozent beim Land Niedersachen.
Die Aufsichtsratsvertreter aus Katar hatten schon mehrmals gefordert, in das Präsidium des höchsten Kontrollgremiums aufgenommen zu werden. Dort werden die eigentlichen Entscheidungen gefällt, bevor sie dann der Aufsichtsrat diskutiert und in der Regel abnickt. Im Präsidium haben – wie im gesamten Aufsichtsrat – die IG Metall, der VW-Betriebsrat und das Land Niedersachsen, vertreten durch SPD-Ministerpräsident Stefan Weil, die Mehrheit. Diese hatten gemeinsam mit den Familien Piëch und Porsche Vorstöße Katars bislang immer erfolgreich zu verhindern gewusst.
Das Vorgehen von Hohn und seinem Fonds TCI ist sattsam bekannt. Er kauft sich bei Konzernen ein, deren Kurse stark gefallen sind, sorgt dafür, dass durch Massenentlassungen und die Zerschlagung des Gesamtkonzerns die Rendite und somit der Aktienkurs wieder ansteigt, um anschließend Millionen und Milliarden aus den übriggebliebenen Resten abzuziehen und neue Opfer zu suchen. Zurück bleiben zigtausende in Arbeitslosigkeit und Armut gestürzte Arbeiter und ihre Familien.
Das letzte Jahr verbuchte VW ein Rekord-Minus von mindestens 1,6 Milliarden Euro. Der Aktienkurs von VW befand sich Anfang Mai über 45 Prozent unter seinem Jahres-Hoch. Die Rendite bei der Kernmarke VW beträgt nur 2 Prozent. Bei vergleichbaren Konzernen beträgt sie sechs bis 12 Prozent.
Selbst die Zerschlagung oder Pleite VWs kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Der bekannte US-Anwalt Michael Hausfeld drohte VW in der Welt am Sonntag mit der Pleite, wenn sich der Konzern nicht „vernünftig verhält“.
Hausfelds Kanzlei hatte in der Vergangenheit für Zwangsarbeiter der NS-Zeit, Opfer der „Exxon Valdez“-Ölpest und andere Kläger Milliardenbeträge erstritten. Nun strebt sie einen Generalvergleich zwischen VW und Autobesitzern, Aktionären, Umweltverbänden sowie Behörden an. In einem Brief an VW-Vorstandschef Matthias Müller hatte Hausfeld ein Treffen innerhalb von zwei Wochen gefordert. Auch die Tübinger Anwaltskanzlei Tilp hat eine Milliarden-Klage gegen VW im Namen von 278 institutionellen Anlegern auf den Weg gebracht.
Lkw-Vorstand Andreas Renschler, der aktuell mit 15 Millionen Euro bestbezahlte Vorstand bei VW, will derweil die VW-Töchter MAN, Scania und VW-Nutzfahrzeuge zusammenlegen und an der Börse platzieren. Das Geld könnte dann für die Milliarden-Strafzahlungen genutzt werden.
Auf jeden Fall bereiten Vorstand, IG Metall und Betriebsrat gewaltige Angriffe auf die Belegschaften vor. Osterloh hatte bereits angedeutet, dass die Auszahlung der diesjährigen „Anerkennungsprämie“ – die Gewinnbeteiligung fällt weg – für die rund 120.000 Haustarifbeschäftigten in Deutschland unsicher sei. Die Vorstände, die sich im schlechtesten Geschäftsjahr der Firmengeschichte 63 Millionen Euro in ihre Taschen steckten, wollen die mickrige Prämie nur gegen Zusagen zu anderweitigen Kürzungen auszahlen.
Dies dürfte sich jedoch nur als das Vorspiel zu weit größeren Einbußen für die Arbeiter entpuppen. Wohin die Reise geht, hatte vor vier Wochen das Center of Automotive Research (CAR) der Universität Duisburg-Essen in einer Kurzstudie skizziert. „Nicht der Abgasskandal stellt die größte Zukunftsbelastung dar, sondern die chronische Ertragsschwäche der Kernmarke VW-Pkw“, schreibt der Leiter des CAR, Ferdinand Dudenhöffer. Pro Fahrzeug verdiente die Marke VW im Pkw-Geschäft 2015 nur 475 Euro. Beim Rivalen Toyota seien es 1862 Euro und bei Ford knapp 1200 Euro gewesen.
Als Grund hat Dudenhöffer die zu hohen Kosten der deutschen Werke ausgemacht. In den sieben deutschen Werken stünden „Produktivität und Profitabilität“ in keinem Verhältnis. Die Personalkosten in den VW-Stammwerken lägen deutlich über jenen vergleichbarer Konzerne. Die VW-Arbeiter genössen in den westdeutschen Werken erhebliche Vergünstigungen. Während die Konkurrenz von Daimler und BMW und sogar die Konzerntöchter Audi und Porsche ihre Mitarbeiter nach IG-Metall-Tarif bezahlen, kommentierte die Stuttgarter Zeitung, bekomme die VW-Stammbelegschaft über ihren Haustarif „eine Sahnehaube“ obendrauf.
Zudem habe es VW in den vergangenen Jahren vermieden, Teile der Produktion auszulagern. VW mache zu viel selbst. „Die Fertigungstiefe bei VW ist enorm“, zitiert die Zeitung Gerhard Wolf, Leiter der Gruppe Automobil und Maschinenbau im Analysten-Team der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Produziert werde „oft zu hohen Kosten“.
Verkauf von Unternehmensteilen, Ausgliederungen, Werksschließungen, Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkungen: Das ist es, was der Hedgefonds TCI fordern wird, um die Rendite zu steigern.
Die Süddeutsche Zeitung frohlockte in einem Kommentar am Mittwoch. Unter dem Titel „Endlich sagt‘s mal einer“, schrieb Karl-Heinz Büschemann: „Endlich findet sich einer, der sich eben nicht scheut, den verfilzten Konzern hart zu kritisieren.“
Hohns Attacke auf Volkswagen sei das erste Anzeichen dafür, dass es bei VW nach Monaten des schwelenden Abgasskandals doch zu einem Neuanfang kommen könnte. „Der Brite mit dem üblen Leumund könnte zu einem Wohltäter für die deutsche Wirtschaft werden.“ Die „kompromisslosen Methoden eines angelsächsischen Investors“ seien eine „geeignete Waffe“, bei Volkswagen etwas zu verändern.
Das einer der größten Konzerne der Welt mit über 600.000 Beschäftigten nun zum Ziel von räuberischen Hedgefonds wird, ist in der Tat der Kumpanei zwischen Betriebsrat, Gewerkschaft und Management geschuldet. Kein anderer Konzern in Deutschland ist so eng mit den sozialdemokratischen Bürokraten aus Politik und Gewerkschaft verflochten wie VW.
Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh hat stets ein Hohelied auf die Vorstände gesungen, so lange genug für die Gewerkschaft und die Betriebsräte absprang. Als 2014 der im Zuge des Abgas-Skandals zurückgetretene Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn 17 Millionen Euro Jahresgehalt einstrich, behauptete Osterloh, er sei jeden Cent wert.
Als der Betrug beim Stickoxidausstoß der VW-Diesel bekannt wurde, hatte der Betriebsrat nichts Eiligeres zu tun, als T-Shirts mit dem Aufdruck „VW: Ein Team - Eine Familie“ zu Zehntausenden an die VW-Arbeiter zu verteilen und diese hinter dem Vorstand zu vereinen.
In der Zwischenzeit haben er hinter dem Rücken der Belegschaften weiter eng mit den Konzernspitzen zusammengearbeitet. Betriebsrat, IG Metall und SPD haben über den Aufsichtsrat die Boni-Bereicherungsorgie im Vorstand abgesegnet. Nun werden sie auch den Aktionären auf der kommenden Hauptversammlung am 22. Juni in Hannover vorschlagen, den kompletten Vorstand, der für die jetzige Situation verantwortlich ist, zu entlasten. In der Entscheidung komme das Vertrauen des Aufsichtsrats in den amtierenden Vorstand zum Ausdruck, heißt es in einer VW-Erklärung.
Kurz zuvor hatte Osterloh erklärt: „Das Geld für Strafzahlungen und Entschädigungen wird uns beim Umbau des Unternehmens fehlen. So ist es leider.“ Umso wichtiger sei es jetzt, effizienter zu werden. „Unsere Vorschläge dazu liegen vor“, sagte der Betriebsratschef in Anspielung auf sein eigenes 400 Seiten starkes Sparprogramm.
Diese Verschwörung der Betriebsrats- und Gewerkschaftsspitzen mit dem Konzern muss zerschlagen werden. Doch darf dies nicht einem Raubritter wie Hohn und seinem TCI-Fonds überlassen werden. Die Zeche dafür hätten die Arbeiter bitter zu bezahlen.
Vielmehr müssen die Arbeiter selbst politisch und organisatorisch von Gewerkschaft und Betriebsrat brechen, ihre eigenen Organisationen in den Werken weltweit aufbauen und den Kampf zur Verteidigung ihrer Interessen vorbereiten.