Nato-Aufrüstung in Osteuropa erhöht Weltkriegsgefahr

Vor dem Nato-Gipfel in Warschau Anfang Juli rüstet das westliche Militärbündnis in Ost-Europa verstärkt auf und erhöht damit die Gefahr eines atomaren Konflikts mit Russland.

Am gestrigen Dienstag begann in Polen eine Übung der neuen superschnellen Eingreiftruppe der NATO, der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF). Im Rahmen des Manövers „Brilliant Jump“, das bis zum 27. Mai andauert, üben 1500 Soldaten der Landkomponente der VJTF – darunter die spanische Brigade BRILAT als derzeitiger Kern der VJTF – ihre schnelle Verlegung nach Osteuropa.

Die VJTF richtet sich direkt gegen Russland. Ihre Gründung hatte der Nato-Gipfel beschlossen, der nach dem pro-westlichen Putsch in der Ukraine im September 2014 in Wales stattfand. Die VJTF gehört zur Nato Response Force (NRF), der schnellen Eingreiftruppe der Nato, deren Truppenstärke im Februar vergangenen Jahres auf 30.000 Soldaten verdoppelt wurde. Im Ernstfall soll die 5000 Mann starke, sogenannte „Speerspitze“ der NRF innerhalb von 48 Stunden einsatzbereit sein.

„Brilliant Jump“ ist nur eine von vielen Nato-Übungen, die gegenwärtig in Osteuropa stattfinden. Das Manöver „Springstorm“ in Estland, das noch bis zum 20. Mai läuft, findet in unmittelbarer Nähe zur russischen Grenze statt. Beteiligt sind laut einer Pressemitteilung des Bundeswehrverbands „rund 6.000 Soldaten aus mehreren Ländern“, darunter „Truppen der estnischen Berufs- und Freiwilligenarmee, Wehrpflichtige und Reservisten“ und „Einheiten aus acht Nato-Staaten und Finnland“. Aus Deutschland nehme „eine Kompanie der Bundeswehr teil“.

Vom 7. bis zum 17. Juni wird in Polen mit dem Manöver „Anaconda“ eine der großen Übungen in diesem Jahr stattfinden. Das Drehbuch sieht ein Artikel-5-Szenario mit einem Gegenschlag der Nato infolge eines fiktiven Angriffs auf das NATO-Mitglied Polen vor. Das Ausmaß der Übung ist enorm. An „Anaconda“ werden laut offiziellen Angaben der Nato etwa 25.000 Soldaten teilnehmen. Außerdem sollen 250 gepanzerte Fahrzeuge der US-Armee zum Einsatz kommen, darunter mehr als 90 Kampfpanzer vom Typ Abrams M1.

Die Bundeswehr übernimmt bei diesem gewaltigen Nato-Aufmarsch gegen Russland zunehmend eine führende Rolle. Ende April bestätigte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit dem lettischen Ministerpräsidenten Maris Kucinskis Pläne der Bundesregierung, deutsche Truppen nach Litauen zu verlegen. „Hier sind einige Verstärkungen möglich, die werden wir im Augenblick auch prüfen“, erklärte Merkel. Konkret könnte die Bundeswehr die Führungsrolle beim Aufbau eines Nato-Bataillons in Litauen übernehmen.

Bereits im Februar hat der Militärjournalist Thomas Wiegold auf seinem Blog „Augengeradeaus“ einen „ersten Überblick“ über die „diversen Übungen und die dauerhafte, aber rotierende Präsenz im NATO-Osten veröffentlicht, an denen sich Deutschland mit insgesamt rund 5.000 Soldaten beteiligt“.

Neben den bereits erwähnten Manövern zählen dazu: „Persistent Presence“, eine durchgängige, mehrmonatige Präsenz deutscher Einheiten in Kompaniestärke in den baltischen Ländern und in Polen von April bis Juni; „Baltops“, ein Seemanöver in der Ostsee; „Iron Wolf“, eine Defensiv- und Offensivübung multinationaler Kampftruppen im Juni in Litauen; „Sea Breeze“ vom 11. bis 22. Juli im Schwarzen Meer; und „Flaming Thunder“, eine Artillerieübung mit scharfem Schuss vom 1. bis 12. August in Litauen.

Im Herbst folgen dann noch die Pionier-Übung „Detonator“ in Lettland und die Volltruppenübungen „Silver Arrow“ (ebenfalls Lettland), „Borsuk“ ( Polen) und „Iron Sword“ (Litauen), an denen u.a. ein deutsche Panzerkompanie und Teile des Panzerartilleriebataillons mit der Panzerhaubitze 2000 teilnehmen werden.

Deutschland beteiligt sich auch an der Aufrüstung der baltischen Staaten, die mit ihren extrem rechten und anti-russischen Regierungen eine Schlüsselrolle bei der Nato-Aggression gegen Moskau spielen.

So will die Bundesregierung Litauen zwölf Panzerhaubitzen 2000 aus den Beständen der Bundeswehr liefern. Das teilte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 15. April im Rahmen ihres Besuchs in der litauischen Hauptstadt Vilnius mit. Litauen soll außerdem Feuerleitsysteme und Mittel zur Artilleriebeobachtung erhalten.

Zusätzlich hat die litauische Armee Interesse am gepanzerten Transportfahrzeug Boxer bekundet. Von der Leyen versprach auch hier ihre Unterstützung. Sie werde sich „dafür einsetzen, dass Litauen einen Slot in der OCCAR erhält“. OCCAR (Organisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armament) ist die gemeinsame Organisation der Nutzerstaaten des Boxer.

Die permanente Präsenz westlicher Truppen in Osteuropa und die massive Aufrüstung der baltischen Staaten sind keine Routine-Übungen. Die Nato setzt damit die Kriegspläne in die Praxis um, die ihre Militärs und Geostrategen hinter dem Rücken der Bevölkerung ausarbeiten.

„Die Allianz muss dringend handeln, um die Abschreckung in den baltischen Nato-Staaten zu verstärken, wo die Allianz am verwundbarsten ist“, fordern der ehemalige Führer der US-Streitkräfte in Europa (SACEUR) und Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte im Kosovokrieg, Wesley Clark, und der ehemalige Oberbefehlshaber des Allied Joined Force Command der Nato in Brunssum, Egon Ramms, in dem jüngst im estnischen Tallinn veröffentlichten Papier „Closing Nato's Baltic Gap“ („Die baltische Lücke der Nato schließen“).

Das detaillierte Papier erinnert an die Kriegspläne, welche die Generäle der imperialistischen Mächte vor dem Ersten Weltkrieg entwarfen. Clark und Ramms identifizieren als besondere Herausforderung das Schließen der sogenannten „Suwalki-Lücke“, der engen Landverbindung zwischen Polen und Litauen nahe des polnischen Grenzorts Suwalki.

Laut Clark und Ramms ist die VJTF im Ernstfall weder schnell noch groß genug, um den eingeschlossenen baltischen Staaten über diesen Engpass zu Hilfe zu eilen. Sie plädieren deshalb für eine „effektive Abschreckungsstrategie“, die nicht nur eine weitere Aufrüstung konventioneller Streitkräfte im Osten beinhaltet, sondern auch eine „Verstärkung“ im Bereich der Nuklearwaffen und der Cyberabwehr.

Den Kriegsphantasien der Nato-Generäle kennen dabei keine Grenzen. An einer Stelle schreiben sie: „Die Nato muss Russland signalisieren, dass es im Fall einer Aggression gegen einen Nato-Verbündeten keine Einschränkungen für die Allianz gibt. Sie wird Russland in allen Bereichen und auch in geographischer Hinsicht umfassend herausfordern.“

Im Falle des deutschen Generals Ramm hat diese unverhohlene Drohung mit einem neuen „totalen Krieg“ einen besonders üblen Beigeschmack. Am 22. Juni jährt sich zum 75. Mal der deutsche Überfall auf die Sowjetunion, dem bis zu 40 Millionen Sowjetbürger zum Opfer fielen. Ramms Vater, der spätere FDP-Bundestagsabgeordnete Egon Wilhelm Ramms, war ein direkter Profiteur des fürchterlichen Raubzugs des deutschen Imperialismus. 1941 beteiligte er sich im von der Wehrmacht besetzten Polen am Aufbau deutscher Schifffahrtsfirmen an der Weichsel. Von 1939 bis 1940 sowie von 1942 bis 1945 kämpfte er als Soldat im Zweiten Weltkrieg.

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