Frankreich: Trotz Polizeirepression weitere Proteste gegen Arbeitsgesetz

In ganz Frankreich gehen in diesen Tagen die Proteste gegen das reaktionäre Arbeitsgesetz weiter, das die Regierung der Sozialistischen Partei (PS) in der Vorwoche durchgesetzt hatte. Dabei hatte sie sich auf den Notstandsparagraphen 49.3 der französischen Verfassung gestützt.

Am Dienstag brachten LKW-Fahrer den Autobahnverkehr in den meisten Metropolregionen praktisch völlig zum Erliegen. Seit gestern läuft ein Streik der französischen Eisenbahner, und weitere Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen sind geplant.

Die Streikenden wehren sich gegen den Versuch der Regierung, die Proteste mit Polizeigewalt zu unterdrücken, und trotzen allen mit dem Notstand verbundenen Polizeistaatsmaßnahmen. Die PS greift demokratische Grundrechte und Prinzipien an und tritt die Versammlungsfreiheit und die Unschuldsvermutung mit Füßen. Nach den Terroranschlägen vom 13. November 2015 hat die Regierung den Ausnahmezustand verhängt, und seither verlängert sie ihn immer wieder, um Demonstranten präventiv verhaften zu können.

Am Dienstag verhandelten die Verwaltungsgerichte den Fall von Aktivisten, die von Demonstrationen ausgeschlossen worden waren. Die Richter widersprachen den Regierungsargumenten und erklärten in neun von zehn Fällen derartige Platzverweise für null und nichtig. Dennoch muss der Rückgriff der Regierung auf solch autoritäre Methoden für Arbeiter und Jugendliche eine Warnung sein: Die PS-Regierung und die ganze herrschende Klasse setzen immer offener auf Polizeistaatsmethoden, um den geplanten Sozialabbau durchzusetzen.

In der Bevölkerung steigt die Wut über die PS weiter an. Am Dienstag kam es bei Demonstrationen erneut zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. In Paris war eine Demonstration zum Hôtel Matignon, dem Amtssitz von Premierminister Manuel Valls, geplant. Mit Einverständnis der Gewerkschaften wurde sie jedoch umgeleitet, um die Regierung zu schützen.

In der Hauptstadt demonstrierten laut Gewerkschaftsangaben 55.000 Menschen, laut der Polizei sollen es nur etwa 13.000 gewesen sein. Zum Ende der Demonstrationen gerieten Demonstranten und Polizisten schwer aneinander. Auch in Marseille ging die Polizei auf demonstrierende Jugendliche los, nachdem Gewerkschafter diese von dem Zug abgesondert hatten. Seither beschuldigen Jugendliche den stalinistischen Gewerkschaftsbund CGT, er habe die Polizei von Marseille bei Tränengaseinsätzen gegen sie unterstützt.

In zahlreichen Städten gingen Tausende auf die Straße: In Marseille waren es laut Polizeiangaben 6.800 Demonstranten, laut den Gewerkschaften 80.000; in Lyon 1.700 (Polizei) bzw. 7.000 (Gewerkschaften); in Toulouse 2.300 bzw. 8.000; in Nantes 3.500 bzw. 10.000; in Grenoble 1.600 bzw. 7.000; in Rennes 1.100 bzw. 2.000 Demonstranten.

In Rennes beschloss ein Teil des Demonstrationszugs, sich einer Blockade von LKW-Fahrern anzuschließen, die gerade dabei waren, die um die Stadt verlaufende Ringstraße abzuriegeln. Die Polizei versuchte, sie daran zu hindern. Etwa 450 Personen gelang es, zu den LKW-Fahrern zu stoßen, und sie riefen: „Notstand, Polizeistaat – nichts kann uns hindern, die Fernfahrer zu stärken“.

In Nantes übernahmen einige hundert Jugendliche die Kontrolle über die Führung der Demonstration. Als sie Steine und Flaschen gegen die Fassade der Präfektur warfen, ging die Polizei mit Gewalt gegen sie vor. Die Jugendlichen hatten ein Transparent mit der Aufschrift „Résistance“ bei sich und skandierten: „Wir sind nicht gewalttätig – wir sind wütend, jung, prekär und revolutionär“, und: „Wir sind gegen diesen Staat; Schluss mit dem Paragraphen 49.3“. Die Polizei setzte zweimal Tränengas gegen die Jugendlichen ein.

Die Proteste sind ein Ausdruck des tiefgreifenden Widerstands gegen die Angriffe der Regierung. Die PS-Regierung geht gegen sämtliche sozialen Errungenschaften vor, die die Arbeiterklasse im 20. Jahrhundert in jahrzehntelangen Kämpfen aufgebaut hat. Nun haben der massive Widerstand gegen die Arbeitsmarktreform und die wachsende Wut der Arbeiter und Jugendlichen die PS-Regierung in eine Krise gestürzt.

Seit die PS 2012 an die Macht gekommen ist, hat Präsident François Hollande derart viele Angriffe auf soziale und demokratische Rechte durchgeführt, dass er mittlerweile bei Zustimmungswerten von etwa 14 Prozent der meistgehasste Präsident der Nachkriegszeit ist. Drei Viertel der Bevölkerung lehnen das El-Khomri-Gesetz offen ab. Auch nachdem die PS-Regierung es durchs Parlament gepeitscht hat, sind noch immer 54 Prozent der Bevölkerung für eine Fortsetzung der Proteste; 68 Prozent lehnen eine Umsetzung des Gesetzes in seiner derzeitigen Form ab.

Die Lage in Frankreich und die wachsenden Klassenkämpfe in ganz Europa und weltweit deuten darauf hin, dass die Unzufriedenheit in eine soziale Explosion münden wird. Es wird zu einer direkten Konfrontation zwischen der Arbeiterklasse und dem bürgerlichen Staat kommen. Angesichts dieser Lage ist es dringend erforderlich, die politischen Lehren aus der bisherigen Erfahrung mit den Protesten zu ziehen.

Ein erfolgreicher Kampf gegen den Austeritätskurs erfordert eine breite Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die PS-Regierung und die Europäische Union. Genau wie in anderen Ländern Europas werden die PS-Regierung und ihre politischen und gewerkschaftlichen Verbündeten versuchen, den Widerstand der Bevölkerung zu spalten, zu entschärfen und zu demobilisieren, damit die herrschende Klasse ihre Gesetze letztlich umsetzen kann.

Der Kampf der Arbeiterklasse in Frankreich gegen das Arbeitsgesetz – und allgemeiner gegen den Sparkurs in ganz Europa – erfordert einen politischen Kampf gegen Krieg und zur Verteidigung demokratischer Grundrechte. Letztes Jahr wurde bekannt, dass Hollande über eine geheime internationale Todesliste verfügt, über die er nur mit einer Handvoll hochrangiger Geheimdienstler und Militärs gesprochen hat, die niemandem Rechenschaft schuldig sind. So treten in Frankreich die Strukturen einer Militär- und Polizeidiktatur immer deutlicher hervor. Heute schon werden präventive Verhaftungen vorgenommen und Provokationen lanciert, um Proteste zu verbieten.

Der einzige Ausweg besteht darin, den Gewerkschaften und Studentenorganisationen die Kontrolle über den Kampf zu entreißen. Ein Bruch mit der PS, den Gewerkschaften und ihren pseudolinken Anhängern ist notwendig. Sie haben sich als völlig bankrott erwiesen und lehnen die Interessen der Arbeiterklasse ab. Unter ihrer Kontrolle ist jede Bewegung zu Spaltung, Stagnation und letzten Endes zur Niederlage verurteilt. Die Arbeiter brauchen Kampforganisationen, die von den Gewerkschaften und bestehenden Parteien unabhängig sind und deren Perspektive der revolutionäre Kampf sein muss.

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