Hautfarbe und Klassenzugehörigkeit in der Geschichte Amerikas

Eine Antwort auf eine falsche Erklärung für das Phänomen Donald Trump

Vor kurzem erschien in der New York Times ein Gastkommentar von Bryce Covert, Leiterin des Wirtschaftsressorts von ThinkProgress und Bloggerin des Magazins Nation. Der Titel der Online-Version lautete: „Macht Amerika wieder groß für die, für die es bereits groß war.“

Der Artikel, den die Times als wichtigen Beitrag zum aktuellen Zustand der amerikanischen Politik bezeichnet, macht allerdings deutlich, dass die von der geistlosen postmodernistischen und feministischen Ideologie geprägte Absolventin der Brown University und der Typus des privilegierten Kleinbürgers, den sie verkörpert, die Geschichte des Klassenkampfes in den Vereinigten Staaten nicht einmal ansatzweise kennen.

Glaubt man Covert, so begrüßen weiße Männer das Versprechen des Republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump, Amerika „wieder groß“ zu machen, weil sie sich nach einer Periode der amerikanischen Geschichte zurücksehnten, die ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Damals seien sie auf Kosten von Afroamerikanern und Frauen in den Genuss staatlicher Wohltaten gekommen.

„Für Trump ist es wichtig, wem die Regierung hilft, nicht, ob sie überhaupt hilft“, schreibt Covert. „Er verspricht, das Land wieder groß zu machen für die Leute, für die es bereits groß war.“

„Fragt man seine Anhänger, so sagen sie, dass das Leben für Leute wie sie in den letzten 50 Jahren schlechter geworden ist. Aus Sicht der Fans von Trump, die überwiegend weiß und männlich sind, war Amerika vor einem halben Jahrhundert bestimmt größer als heute. Und tatsächlich, es war sehr groß – für sie“, schreibt Covert.

Um ihre Behauptung zu beweisen, präsentiert Covert eine falsche Lesart der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Danach wurden Rechte und Privilegien in einem erbitterten Konkurrenzkampf zwischen den Rassen und Geschlechtern gewonnen oder verloren.

Mit Beginn des New Deal in den 1930er Jahren und bis in die unmittelbare Nachkriegszeit, so behauptet sie, habe die amerikanische Regierung ein soziales Netz geschaffen, das weißen Männern nutzen sollte, und dabei vorsätzlich die Mehrheit der Frauen sowie Minderheiten ausschloss.

Ein Sozialversicherungssystem, eine Arbeitslosenversicherung, das garantierte Recht, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein, Arbeitsschutzbestimmungen wie die Begrenzung der Arbeitszeit und ein Mindestlohn sowie das GI-Gesetz von 1944, das Unterstützungsleistungen für Veteranen des Zweiten Weltkriegs vorsah – alle diese Gesetze sollten nur weißen Männern helfen und alle anderen rigoros ausschließen.

Die bedeutenden Errungenschaften von Arbeitern in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts werden hier kleingeredet, als seien sie lediglich ein Gentlemen’s Agreement zwischen rassistischen und sexistischen weißen Männern gewesen, das heute nicht mehr gilt. Wer nicht glaubt, dass die Situation heute besser ist als vor 50 Jahren, ist ein Rassist und Fanatiker. Zu einer früheren Zeit haben weiße Männer von der Regierung alles erhalten. Da sie viel zu lange nur Vorteile hatten, sollten sie jetzt eine Verschlechterung ihres Lebensstandards klaglos akzeptieren!

Coverts seichte (und, so könnte man hinzufügen, erstaunlich kenntnisarme) Lesart der Geschichte blendet die grausame Realität des Klassenkampfes in den Vereinigten Staaten vollständig aus. Vom großen landesweiten Streik der Eisenbahner 1877, der von Bundestruppen unterdrückt wurde, über die Massenkämpfe der 1930er und 1940er Jahre, als Arbeiter den Unternehmern bedeutende Zugeständnisse abtrotzten, wütete im ganzen Land ein regelrechter Bürgerkrieg zwischen Unternehmern und Arbeitern. In dieser Periode wurden zahlreiche Arbeiter zusammengeschlagen, ermordet, auf schwarze Listen gesetzt, unter falsche Anklage gestellt, ins Gefängnis geworfen und auf offener Straße niedergeschossen.

Der Sozialist Eugene V. Debs, Sacco und Vanzetti, Joe Hill, Big Bill Haywood und die Wobblies – diese Persönlichkeiten und Organisationen sind in der vom Kriterium der Rasse dominierten Sichtweise der amerikanischen Geschichte völlig bedeutungslos. Da gibt es keinen Platz für das Haymarket-Massaker von 1886, den Homestead-Streik von 1892, den nationalen Pullman-Streik von 1894, das Ludlow-Massaker von 1914, den großen Stahlarbeiter-Streik von 1919, die Schlacht am Blair Mountain von 1921, den Sitdown-Streik der Autoarbeiter in Flint von 1936-1937 oder die größte Streikwelle in der amerikanischen Geschichte, die 1945 begann und bis 1946 anhielt.

Die Arbeiterklasse setzte ihre Kämpfe gegen katastrophale Arbeitsbedingungen und Ausbeutung während des Zweiten Weltkriegs bis in die 1950er Jahre und die Ära der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren fort. Bis in die 1980er Jahre hinein schlugen Arbeiter blutige Schlachten, um ihre erkämpften Rechte und Zusatzleistungen zu verteidigen.

Nur durch diese Kämpfe konnten Arbeiter eine Reihe von Zugeständnissen erzwingen. Die herrschende Klasse führte aus Angst vor einer Revolution Reformen durch, nicht aufgrund rassischer oder Geschlechtersolidarität. Ihre Furcht war besonders ausgeprägt nach der Oktoberrevolution von 1917, bei der die Arbeiterklasse unter der Führung der Bolschewiki die Macht ergriff. Dieses historische Ereignis hatte im letzten Jahrhundert und hat noch heute einen starken Nachhall. Unabhängig von Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit und Geschlecht haben Arbeiter diese Revolution als machtvollste Demonstration dafür verstanden, was sie erreichen können, wenn sie bewusst als Klasse gemeinsam gegen das kapitalistische System kämpfen.

Der Rassismus ist nicht in der Psyche der amerikanischen Arbeiter verankert, wie Covert uns weismachen will. Rassische Unterschiede werden vielmehr von der herrschenden Klasse seit jeher benutzt, Arbeiter zu spalten. Jeder Versuch, dagegen und für die Einheit der Arbeiterklasse zu kämpfen, wurde mit Gewalt beantwortet. Die Jim Crow-Rassentrennungsgesetze wurden erlassen, um am Ende des 19. Jahrhunderts die Einheit von armen Schwarzen und Weißen in einer aufkommenden breiten Bewegung der Bevölkerung zu verhindern. Diese Spaltung wurde durch eine jahrzehntelange Welle von Lynchmorden und Gewalt durch den rassistischen Mob durchgesetzt, die bis weit ins 20. Jahrhundert anhielt.

Die gewaltigen Kämpfe von Arbeitern machten großen Eindruck auf das Klassenbewusstsein von schwarzen Farmpächtern. Diese wurden von Industriebossen wie Henry Ford als Streikbrecher in den Norden gebracht, um die Arbeiterbewegung durch das Schüren rassischer Spannungen zu schwächen. Doch schon bald beteiligten sie sich an der Seite ihrer weißen Brüder und Schwestern am Klassenkampf.

Die wirkungsvollsten Kämpfe des vergangenen Jahrhunderts führten Sozialisten an, gegen alle Versuche der Unternehmer, in der Arbeiterklasse künstliche Spaltungen zu fördern. Die Industriegewerkschaften wurden auf der Grundlage des Kampfes gegründet, die Arbeiterklasse zu vereinen. Durch diesen Kampf erzielten die Arbeiter wichtige Erfolge.

James P. Cannon, Führer der Socialist Workers Party und einer der Gründer der amerikanischen trotzkistischen Bewegung, schrieb 1946 eindrucksvoll, dass jeder Teil der Arbeiterklasse durch den unbarmherzigen Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung radikalisiert worden war:

„Der amerikanische Kapitalismus nahm Millionen barfüßiger Jungen von den bankrotten Farmen des Landes; er zog ihnen Schuhe an und ließ sie in die reglementierten Reihen der gesellschaftlich operierenden modernen Industrie marschieren; wusch sie im Niederschlag der menschentötenden Ausbeutung der Zwanzigerjahre; trocknete sie in der Sonne der verheerenden Krise der Dreißigerjahre; ließ sie am Fließband sich überarbeiten und hungerte sie bis zur Armutsgrenze aus, misshandelte und missbrauchte sie; und schließlich gelang es ihm, sie zu einem einheitlichen Körper zusammenzuschweißen, der eine Abteilung der mächtigsten und militantesten Gewerkschaftsbewegung wurde, die die Welt jemals gekannt hat.

Der amerikanische Kapitalismus nahm hunderttausende der Schwarzen aus dem Süden, nutzte ihre Unwissenheit aus, und ihre Armut, und ihre Ängste, und ihre individuelle Hilflosigkeit, und trieb sie in die Stahlhütten als Streikbrecher des Stahlstreiks von 1919. Und in der kurzen Zeitspanne einer Generation gelang es demselben Kapitalismus, durch Schinderei, Misshandlung und Ausbeutung dieser unschuldigen und unwissenden schwarzen Streikbrecher, sie und ihre Söhne in eine der militantesten und verlässlichsten Abteilungen im großen siegreichen Streik von 1946 zu verwandeln.

Derselbe Kapitalismus nahm zehntausende und hunderttausende vorurteilsbeladene Hinterwäldler aus dem Süden, viele von ihnen Mitglieder des Ku Klux Klan; und mit der Absicht, sie mitsamt ihrer Unwissenheit und ihren Vorurteilen als Schutzwall gegen die Gewerkschaften aufzubieten, steckte er sie in die Auto- und Kautschukfabriken in Detroit, Akron und anderen Industriezentren. Dort ließ er sie schwitzen, demütigte sie, trieb sie an und beutete sie aus, bis er schließlich neue Menschen aus ihnen gemacht hatte. In dieser harten Schule lernten die importierten Südstaatler, die Abzeichen des KKK gegen das Gewerkschaftsabzeichen des CIO auszutauschen und dem Flammenkreuz der Klanmitglieder das wärmende Lagerfeuer der Streikposten vor dem Fabrikeingang vorzuziehen.“ [aus dem Englischen]

Es gab rassistische weiße Arbeiter in dieser Periode, doch der Kampf, den Martin Luther King, Jr. führte, und die Aufhebung der Rassentrennung wären ohne die Radikalisierung schwarzer und weißer Arbeiter in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht möglich gewesen. Weiße Arbeiter und Jugendliche spielten in der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre eine wichtige Rolle, nicht in einem Konkurrenzkampf rassischer Gruppen um begrenzte Ressourcen, sondern im Kampf für wirkliche Gleichheit.

Auch wenn Covert von ihrem Beobachterposten in New York City es nicht sehen kann, so haben amerikanische Arbeiter, schwarze wie weiße, im Jahr 2016 doch allen Grund zu klagen.

Covert richtet ihre Giftpfeile zwar gegen die Unterstützer Trumps, aber ihre Argumente greifen zwangsläufig alle an, die meinen, dass sich die Lebensverhältnisse heute verschlechtern. Diese Meinung hat sich vornehmlich in der Unterstützung von Millionen von Arbeitern und Studenten für den Demokratischen Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders niedergeschlagen, der sich selbst als Sozialist ausgibt, der gegen die „Milliardärsklasse“ kämpft.

Amerika „wieder groß“ zu machen, bedeutet für den Milliardär und Republikaner Trump, dem amerikanischen Kapitalismus durch die Einführung stärkerer Grenzkontrollen, die Verhängung von hohen Strafzöllen und enorme militärische Aufrüstung wieder die Position der alleinigen Vorherrschaft in der Welt zu verschaffen.

Soweit Arbeiter positiv auf Trump oder, in anderer Form, positiv auf Sanders reagieren, dann weil sie spüren, dass es eine Zeit gab, in der sie einen sicheren Job finden und dadurch eine vernünftige Gesundheitsversorgung haben konnten, die Möglichkeit, eine Familie zu ernähren und im Alter von der Rente zu leben. Diese Zeit ist lange vorbei.

Die Wut der Arbeiter wird verständlich, wenn man sich nur einmal die verheerenden Auswirkungen von Jahrzehnten der Deindustrialisierung ansieht. Millionen von anständig bezahlten Arbeitern haben dadurch ihren Job verloren. Oder die sich rasant verschlimmernde soziale Katastrophe, die Städte und Gemeinden im ganzen Land heimsucht, ein Ergebnis von Jahrzehnten der Sparpolitik und sozialer Konterrevolution. Das ist die direkte Folge der Unterdrückung des Klassenkampfes durch die nationalistischen Gewerkschaften.

Ein Ergebnis davon ist, dass die Lebenserwartung weißer Arbeiter durch erhöhten Medikamentenkonsum, Alkoholismus und höhere Selbstmordraten sinkt. Auch wenn eine relativ schmale Schicht von Minderheiten und Frauen zu Macht und Reichtum gelangt sind, haben sich die sozialen und ökonomischen Bedingungen für Arbeiter in den letzten fünf Jahrzehnten deutlich verschlechtert, unabhängig von Hautfarbe und Geschlecht.

Die permanente Förderung von Rassen- und Geschlechterpolitik ist inzwischen zum Markenzeichen der Demokratischen Partei geworden. Das geht einher mit der Verteidigung und Förderung einer privilegierten Schicht der oberen Mittelklasse, die von Programmen der positiven Diskriminierung in den letzten Jahrzehnten profitiert haben. Schwarzen Arbeitern wird einzureden versucht, dass es in ihrem Interesse ist, wenn sie Schichten der herrschenden Klasse unterstützen, die ebenfalls schwarz sind. Das Ergebnis einer solchen Politik sehen wir am Aufstieg Obamas, der den größten Vermögenstransfer zugunsten der Reichen in der Geschichte Amerikas zu verantworten hat. Frauen aus der Arbeiterklasse sollen Hillary Clinton unterstützen, die Kandidatin der Wall Street und des militärisch-geheimdienstlichen Apparates, nur weil sie eine Frau ist. Und Weiße aus der Arbeiterklasse … nun, für sie kann keine Strafe zu hart sein.

Die Rechtsentwicklung der Demokratischen Partei und der oberen Mittelklasse, die ihre politische Basis bildet, ermöglichen es einer Figur wie dem Milliardär Donald Trump, sich als Anti-Establishment-Kandidaten zu präsentieren, der sich für die Interessen gewöhnlicher Leute einsetzt.

Coverts Lesart der Geschichte Amerikas im Sinne dieser vom Rassenstandpunkt dominierten Perspektive dient nicht nur dazu, Arbeitern ihre eigene Geschichte zu verdunkeln, sondern auch, sie gegeneinander aufzuhetzen. Die Vorstellung, Arbeiter hätten unterschiedliche Interessen auf Grundlage ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts, ist eine politische Fiktion, die weder einer Untersuchung der Lebenswirklichkeit in den Vereinigten Staaten noch der großen Geschichte des Klassenkampfes der amerikanischen Arbeiter standhalten kann. Die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten, bleibt auch weiterhin mit dem Kampf verbunden, die von der herrschenden Klasse genährten Spaltungen zu überwinden. Egal ob sie vom rechten Flügel vorangetrieben wird oder von der so genannten Linken.

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