Italien: Wahlschlappe für Renzi

Die italienischen Kommunalwahlen endeten am 5. Juni mit einem Rückschlag für die Demokratische Partei (PD) des Regierungschefs Matteo Renzi. In der Hauptstadt Rom hat nicht der PD-Kandidat Roberto Giachetti, sondern Virginia Raggi von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung die besten Chancen, als neue Bürgermeisterin im Kapitol einzuziehen.

Auch in Mailand, Turin und Neapel wurde kein PD-Kandidat auf Anhieb gewählt. In sechs von sieben großen Städten, in denen neue Bürgermeister gewählt wurden, wird am 19. Juni eine Stichwahl stattfinden, weil kein Kandidat die notwendigen fünfzig Prozent plus eine Stimme erreicht hat. Rund dreizehn Millionen Wahlberechtigte waren an diesem Wahlsonntag in 1274 Kommunen an die Urne gerufen.

Die Wahlen gelten als Stimmungsbarometer für Matteo Renzis Regierungspolitik. Der Premier und PD-Vorsitzende reagiert auf die Wirtschaftskrise mit scharfen Angriffen auf die sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse. Wie sein Amtskollege und sozialdemokratischer Freund Manuel Valls in Frankreich ist auch Renzi in Italien dabei, den Arbeitsmarkt zu deregulieren und die sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit gründlich zu zerstören. Gleichzeitig rüstet die Regierung den Staat auf und bereitet sich auf eine neue Militärintervention in Libyen vor.

Matteo Renzis Arbeitsmarktreform „Jobs Act“, seine Rentenreform, das Stabilitätsgesetz und die Schulreform „Buona Scuola“ provozieren immer wieder wütende Arbeiterproteste und Schüler- und Studentenstreiks. Weil jedoch die Gewerkschaften und pseudolinken Gruppen der Renzi-Regierung den Rücken frei halten, kann sich der soziale Widerstand nicht artikulieren.

So ist das schlechte Ergebnis der PD-Kandidaten und der Vormarsch von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung (MoVimento 5 Stelle, M5S) ein klarer Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Renzi-Regierung. In Rom kam Virginia Raggi (M5S) auf 35,3 Prozent, während der Kandidat der Regierungspartei PD, Roberto Giacchetti, nur 25 Prozent erreichte, gefolgt von den Faschisten der Fratelli d’Italia mit knapp 21 Prozent. Auf Silvio Berlusconis Kandidaten, den Unternehmer und Milliardär Alfio Marchini, entfielen elf Prozent.

Auch die niedrige Wahlbeteiligung ist Ausdruck der Unzufriedenheit: Die Nichtwähler bildeten praktisch überall die stärkste Gruppe. Im nationalen Durchschnitt gingen 62 Prozent der Stimmberechtigten zur Urne, das sind fünf Prozentpunkte weniger als bei der letzten vergleichbaren Wahl. In den Großstädten ging sogar nur gut jeder zweite zur Wahl. In Neapel lag die Beteiligung bei 54 Prozent, in Mailand bei knapp 55 Prozent und in Rom und Turin bei 57 Prozent.

Seit der Einführung der direkten Bürgermeisterwahl im Jahr 1993 galt Rom als Hochburg des Mitte-Links-Lagers. Bis zur Krise von 2008 regierten hier der Grüne Francesco Rutelli und Walter Veltroni von der KPI-Nachfolgepartei Democratici di Sinistra. Im Jahr 2008 löste Berlusconi auf nationaler Ebene die Regierung von Romano Prodi ab, an der neben den Demokraten auch Rifondazione Comunista beteiligt war. Im Jahr der internationalen Finanzkrise gelang es dem Mitte-Rechts-Lager auch in der Hauptstadt, den ehemaligen Faschisten Gianni Alemanno ins Kapitol zu bringen.

Der letzte Sindaco, der Transplantationschirurg Ignazio Marino (PD), löste Alemanno 2013 ab, als Rom in seiner tiefsten Krise steckte. Finanziell drohte die Insolvenz. Gleichzeitig deckte die Staatsanwaltschaft die so genannte „Mafia Capitale“ auf, ein Netz mafiöser Unternehmer, die städtische Beamte und Politiker bestachen, um an größere Aufträge heranzukommen. Nicht nur in der Bauwirtschaft, der Müllabfuhr und dem öffentlichen Nahverkehr, sogar in der Verwaltung der Flüchtlingseinrichtungen wuchsen starke mafiöse Strukturen heran, die bis heute weit über Rom hinausreichen.

Mit Ignazio Marino hatte die PD zwar einen Bürgermeister, der bereit war, mit dem Staatsanwalt gegen die mafiöse Unterwelt zusammenzuarbeiten. Er kam aber nicht weit damit, da er sich gleichzeitig die arbeitende Bevölkerung zum Feind machte. Parallel zum Kahlschlag der Renzi-Regierung auf nationaler Ebene versuchte Marino in der Hauptstadt, die Finanzkrise auf dem Rücken der Einwohner und städtischen Bediensteten zu lösen. Er setzte Stellenstreichungen durch, hob die Gebühren für Straßenhändler und Einwohner an, beschnitt und verteuerte die kulturellen und historischen Einrichtungen und begann, wertvolle Grundstücke zu verkaufen. An der Korruption änderte sich letztlich nichts, genauso so wenig wie am notorischen Verkehrschaos und dem schlechten Zustand der Infrastruktur.

Im Oktober 2015 entzog die nationale Regierung Ignazio Marino ihr Vertrauen. Inmitten wochenlanger Schüler- und Studentenstreiks und Unruhen gegen die Renzi-Reformen wurde Marino zum Rücktritt gezwungen. Der Vorwand lautete, er habe zwei private Rechnungen in Höhe von 20.000 Euro über eine Kreditkarte bezahlt, die der Stadt gehörte.

Bei den jüngsten Kommunalwahlen haben Renzi und die Demokratische Partei versucht, sich in Rom im Hintergrund zu halten und generell Kandidaten aufzustellen, die kaum mit Tradition und Politik der Partei in Verbindung stehen: Roberto Giachetti in Rom stammt ursprünglich aus der Radikalen Partei, die seit den 1970er Jahren für das Recht auf Abtreibung und Scheidung und gegen die katholische Kirche auftrat. In Mailand setzte die PD auf Giuseppe Sala, der nicht als Politiker, sondern als Manager und Organisator der Weltausstellung Expo 2015 auftrat.

Im Endergebnis hat alles nichts genützt, und die PD hat eine Schlappe eingesteckt. In Mailand steht Sala (41,7%) jetzt in der Stichwahl praktisch gleichauf mit Stefano Parisi von Forza Italia (40%), dem Kandidaten Silvio Berlusconis. Auch die Lega Nord unterstützt Parisi, und er hat sogar mehrere Mailänder Arbeiterbezirke für sich gewinnen können, die traditionell immer links gewählt hatten. In Rom konnte Giachetti nur im Zentrum und in den Reichenvierteln punkten; nur jeder vierte Römer stimmte für ihn.

Sogar in der Fiat-Stadt Turin konnte der amtierende PD-Bürgermeister, der ehemalige KPI-Funktionär und Generalsekretär der Linksdemokraten Piero Fassino, die Wahlen nicht im ersten Wahlgang für sich entscheiden. Mit 42 Prozent muss er in der Stichwahl gegen die Unternehmerin Chiara Appendino (31%) von der Fünf-Sterne-Bewegung antreten. Nach der Wahl konstatierte Fassino: „Das Ergebnis bringt die soziale Krise der Großstädte zum Ausdruck: Unbehagen, Unzufriedenheit, Entfremdung.“

In Neapel kommt die PD nicht einmal in die Stichwahl. Der amtierende Bürgermeister De Magistris von der Partei Italia dei Valori erreichte in der ersten Runde 42,6 Prozent gegen den Unternehmer Giovanni Lettieri von Forza Italia (24 Prozent), der für das Mitte-Rechts-Lager antrat. Renzis PD kommt in Neapel schon seit 2011 nicht über den dritten Platz hinaus. Damals gewann De Magistris, der als Staatsanwalt gegen den Korruptionssumpf auftrat, überraschend gegen die PD.

Die Wahlen haben zwei Dinge deutlich gemacht: Die Bevölkerung sucht nach einer Alternative, aber es gibt keine Partei, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung verteidigen würde.

Davon profitiert die Fünf-Sterne-Bewegung. Sie tritt als Bewegung auf, die gegen Korruption kämpft, und stellt junge, erfolgreiche Modernisierer auf, die nicht aus dem traditionellen Parteiensumpf kommen. So wird der zweite Wahlgang in Rom kaum eine Überraschung bringen, und Virginia Raggi dürfte in der Lage sein, als Bürgermeisterin Roms im Kapitol einzuziehen.

Ein „historisches Resultat“ sei dies, konstatierte Beppe Grillo nach der Wahl. Nach dem Tod seines Kompagnons Gianroberto Casaleggio im April hatte Grillo erklärt, er werde der Politik den Rücken kehren und auf die Bühne zurückkehren. Seine Partei M5S sollte unter Führung ihres neuen, fünfköpfigen Gremiums zurechtkommen. Aber jetzt, nach dem Wahlerfolg in Rom, will der einstige Komiker offenbar wieder einsteigen und versuchen, seine Partei aus dem Image einer Protestpartei herauszuführen.

Die nächsten Parlamentswahlen finden in Italien spätestens im Frühling 2017 statt. Der Neuen Zürcher Zeitung sagte Grillo kurz vor den Kommunalwahlen: „In Rom geht es um alles oder nichts. Wenn wir gewinnen, steht einem Sieg auf nationaler Ebene nichts mehr im Weg.“

Die Fünf-Sterne-Bewegung ist aber in keiner Weise eine progressive Alternative. Sie vertritt ein nationalistisches bürgerliches Programm, das die Interessen des kleinen und mittleren Unternehmertums verteidigt und sich gegen Arbeiter und Immigranten richtet (siehe: „Die politische Bedeutung der Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo“). Im Rahmen ihres Feldzugs gegen die „Verschwendung in der Politik“ ist die M5S bereit, Zehntausende Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst zu streichen. Auf EU-Ebene arbeitet sie mit UKIP von Nigel Farage zusammen und teilt deren Europa-feindliche Ansichten. Um von der Krise des Kapitalismus abzulenken, ruft sie sogar nach der Wiedereinführung der Lira.

Im sozialen Bereich fordert Beppe Grillo die Einführung eines „Bürgereinkommens“ (reddito di cittadinanza), das sich an Deutschlands Hartz IV orientiert. Die Fünf-Sterne-Bewegung möchte jedem Italiener und jeder Italienerin ein Almosen in Höhe der Armutsgrenze (780 Euro im Monat) zugestehen, unter der Bedingung, dass die Person sich im Jobcenter registriert und mindestens einen von drei angebotenen Jobs akzeptiert. Andernfalls würde sie jedes Recht auf weitere Leistungen verlieren. Auch Virginia Raggi hat sich für dieses Modell ausgesprochen. Es wäre ein Geschenk für Unternehmer, die sie sich aus einem großen Pool von Billigarbeitskräften bedienen könnten.

Zur Insolvenzkrise der Hauptstadt nahm die M5S die Haltung ein, man solle die städtischen Finanzen überhaupt nicht retten, weil jedes solche Manöver nur „die Kaste“, d.h. die politische Elite, aus der Schusslinie nähme.

Heute bereitet sich Virginia Raggi darauf vor, die Krise auf Kosten der öffentlichen Bediensteten zu lösen, deren Löhne und Bedingungen sie im Namen der Bekämpfung von Verschwendung zerschlagen will.

Dem Fatto quotidiano sagte Raggi im März, die öffentlichen Verkehrsgesellschaften würden „seit Jahren als Bankomat“ missbraucht. „Wir haben heute so viele Beschäftigte, die gar nicht ausgenutzt werden, und denen wir Gehalt für gar nichts zahlen“, erklärte Raggi und verwendete dabei bewusst den Ausdruck „per non fare nulla“ (um nichts zu tun). Es ist eine Anspielung an den Begriff der „Fanulloni“, der schmarotzenden Nichtstuer, einen Kampfbegriff für die Angriffe auf Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst.

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