Perspektive

Syrien-Memo des US-Außenamts bereitet den Boden für Krieg gegen Russland

US-Außenminister John Kerry traf sich am Dienstagmorgen mit mehreren Diplomaten des Außenministeriums, die in einem internen „Dissens“-Papier US-Luftangriffe gegen die syrische Regierung gefordert hatten. Angeblich ist es ihr Anliegen, den Krieg zu beenden, der in den letzten fünf Jahren über eine Viertelmillion Todesopfer gefordert und mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung in die Flucht getrieben hat.

Das Papier wurde den Medien bereits zugespielt, bevor die Tinte trocken war. Kerry, der sich zu diesem Zeitpunkt gerade in Europa befand, bezeichnete es als „wichtige Erklärung“. Laut der New York Times traf er sich mit zehn der 51 Funktionäre aus der mittleren Führungsebene, die das Memo unterzeichnet hatten, zu „einer überraschend herzlichen Aussprache“ über dessen Inhalt.

Die positive Atmosphäre verwundert nicht. In Wirklichkeit hat sich Kerry selbst bei der Obama-Regierung seit Jahren für das Vorgehen eingesetzt, das in dem Memo vorgeschlagen wird. Demnach soll die Regierung ihren Krieg für einen Regimewechsel viel direkter als bisher gegen die syrische Regierung von Baschar al-Assad richten. Bisher stützt sie sich hauptsächlich auf Stellvertretertruppen, die Al Qaida nahestehen und die von der CIA trainiert und finanziert werden.

Im Jahr 2013 war Kerry als neuer Außenminister ein besonders militanter Befürworter einer direkten US-Militärintervention zum Sturz der Assad-Regierung. Damals hatte die Obama-Regierung den Einsatz von Chemiewaffen als „rote Linie“ definiert. Im August des Jahres arbeitete Kerry die Pläne für einen Krieg aus, wobei ihm die verlogene Behauptung, Assads Soldaten hätten in einem Vorort von Damaskus Chemiewaffen eingesetzt, als Vorwand diente.

Angesichts des überwältigenden Widerstandes der Bevölkerung gegen einen weiteren Krieg im Nahen Osten rückte Obama schließlich von der Drohung mit einer direkten Militärintervention ab. Dazu trugen auch schwere Meinungsverschiedenheiten in der amerikanischen Militärführung, dem Außenministerium und der CIA über die Zweckmäßigkeit eines solchen Schritts bei.

Stattdessen unterstützte die Regierung einen von Moskau ausgehandelten Plan zur Abrüstung der syrischen Chemiewaffen. Im Jahr 2014 benutzte sie den Vorwand, gegen den Islamischen Staat im Irak und Syrien (ISIS) zu kämpfen, um völkerrechtswidrige Luftangriffe in Syrien zu fliegen und hunderte Spezialeinheiten ins Land zu schicken. Davor hatte die Washingtoner Regierung den Islamischen Staat stillschweigend unterstützt. Doch 2014 überrannte dieser einen Großteil des Nordiraks und fügte den von den USA bewaffneten und ausgebildeten irakischen Soldaten eine vernichtende Niederlage zu.

Die Intervention in Syrien war von Anfang an eine Farce. Das entlarvte Russland ein Jahr später mit seiner eigenen Militärintervention. Zusammen mit syrischen Regierungstruppen konnten die russischen Streitkräfte dem IS und der al Nusra-Front (dem syrischen Ableger von Al Qaida) schwere Niederlagen beibringen. Al Nusra wird bis heute von Washington unterstützt.

Das ist der Hintergrund des „Dissens“-Papiers, das im Außenministerium kursiert. Die sogenannten Rebellen, die die US-Regierung unterstützt, sind nicht nur in einem desolaten Zustand, sondern sie bekämpfen sich auch untereinander mit den Waffen, die sie von der CIA und dem Pentagon erhalten haben.

Der Waffenstillstand, den die Abweichler aus dem Außenministerium durch eine militärische Eskalation untermauern wollen, wird von Washington bereits benutzt, um weitere Waffen an die islamistischen Milizen zu liefern. Deren Einheiten werden neu formiert und gegen die von Russland unterstützte Offensive der syrischen Armee gerichtet. Allerdings konnte die amerikanische Regierung bisher keine Wende zu Gunsten der pro-westlichen Seite herbeiführen.

Deshalb fordern die Funktionäre des Außenministeriums jetzt eine „militärisch entschiedenere Rolle der USA in Syrien“ und einen „vernünftigen Einsatz von Abstands- und luftgestützten Waffen“, um „einen stärker zielgerichteten und entschlosseneren diplomatischen Prozess unter US-Führung“ zu erreichen.

Mit anderen Worten fordern sie eine weitere „Shock and Awe“-Operation, einen Hagel von amerikanischen Tomahawk-Raketen und Präzisionsbomben auf Damaskus, wie schon in Kabul, Bagdad und Tripolis, der alle Probleme lösen soll.

Dieses Argument entspricht vollständig der Ideologie der Kriegsverbrecher in der Bush-Regierung, die auf der Grundlage von Lügen den Krieg und die Zerstörung im Irak angezettelt hatten. Dies wird in einen „humanitären“ Appell verpackt.

„Es ist ohne Frage ein Gebot moralischer Vernunft, jetzt Schritte zu ergreifen, um nach fünf Jahren brutalen Kriegs den Tod und das Leiden in Syrien zu beenden“, heißt es dort. Die „fünf Jahre brutalen Kriegs“ sind allerdings das direkte Ergebnis der massiven Regimewechsel-Operation, die die amerikanische Regierung selbst eingeleitet hat.

Diesem Argument entspricht die heuchlerisch „antiimperialistische“ Kampagne gewisser pseudolinker Organisationen. So sind zum Beispiel die amerikanische International Socialist Organization (ISO), die Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Frankreich und die Linkspartei in Deutschland so weit gegangen, diesen CIA-gestützten Krieg für einen Regimewechsel zu einer „Revolution“ hochzujubeln.

Die Abweichler aus dem Außenministerium sind zutiefst frustriert, und zwar nicht nur über das Scheitern von Obamas Syrienpolitik, sondern über die Erfolglosigkeit der gesamten Nahoststrategie des US-Imperialismus im letzten Vierteljahrhundert.

Nach der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie in Moskau begann Washington eine endlose Reihe von Kriegen. Das Ziel war es, durch Militarismus und neokoloniale Eroberungszüge die historische Krise und den Niedergang des amerikanischen Kapitalismus wettzumachen. Diese Strategie wurde mit primitiver krimineller Aggression gerechtfertigt, die das Wall Street Journal während des ersten Golfkriegs 1991 in der Parole „Gewalt funktioniert“ zusammenfasste.

Allerdings stellte sich heraus, dass das nicht stimmt. Die Kriege des letzten Vierteljahrhunderts haben die Region in eine Katastrophe gestürzt. Millionen Menschen wurden getötet oder verstümmelt, Dutzende Millionen zu Flüchtlingen gemacht und das ganze Gesellschaftsgefüge der Region zerstört.

Die Verfasser des Memos wollen auf diese Katastrophe mit einer weiteren militärischen Eskalation reagieren. Aber diesmal könnten sie einen globalen Atomkrieg auslösen.

In dem Dokument heißt es: „Wir befürworten nicht den schlüpfrigen Pfad, der am Ende in eine militärische Konfrontation mit Russland mündet.“ Und weiter: „Wir sind uns über das große Risiko bewusst, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und Russland weiter verschlechtern würden und dass militärische Schritte… eine ganze Anzahl Nebeneffekte haben könnten.“

Zu diesen „Nebeneffekten“ gehört die Tötung von russischen oder iranischen Soldaten, die an der Seite der syrischen Regierungstruppen stehen, ein möglicher Abschuss amerikanischer oder russischer Flugzeuge und eine Eskalation der gegenseitigen Feindseligkeiten.

Dahin führt der „schlüpfrige Pfad“, den die Abweichler aus dem Außenministerium „nicht befürworten“. Eine solche Entwicklung ist kein Zufall. Der amerikanische Stellvertreterkrieg zum Regimewechsel zielte von Anfang an darauf ab, Moskau und Teheran ihres wichtigsten Verbündeten in der arabischen Welt zu berauben und so eine direkte Konfrontation mit beiden Staaten vorzubereiten.

Die Forderung nach einer direkten US-Militärintervention gegen Damaskus kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Beziehungen zwischen Washington und Moskau so angespannt sind, wie zuletzt auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Die ständigen Nato-Militärübungen an der russischen Westgrenze und die Stationierung von Raketenabwehrsystemen in Osteuropa dienen der Vorbereitung auf einen „gewinnbaren“ Atomkrieg gegen Moskau. Sie verdeutlichen die wachsende Gefahr einer Konfrontation zwischen den beiden größten Atommächten der Welt.

Die Obama-Regierung hat die Vorschläge aus dem Dokument des Außenministeriums zurückgewiesen. Vor der Wahl im November hat die herrschende Elite kein Interesse an einer weiteren größeren Militärintervention. Das amerikanische Establishment hat es immer vermieden, der Bevölkerung auch nur die kleinste Möglichkeit zu geben, ihre Haltung zum Krieg zu äußern.

Doch die nächste Regierung, welche Partei sie auch immer stellen wird, wird eine gefährliche militärische Eskalation einleiten. Die voraussichtlichen Kandidaten beider Parteien, Hillary Clinton und Donald Trump, haben sich bereits für eine Verschärfung der Luftangriffe, eine Flugverbotszone und andere Aggressionen ausgesprochen.

Die tieferen Wurzeln des Kriegskurses liegen jedoch in der stetigen Verschärfung der Krise des amerikanischen Kapitalismus, die mit unlösbaren Spannungen in der amerikanischen Gesellschaft einhergeht.

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