Perspektive

Das Massaker von Oaxaca und der Klassenkampf in Mexiko

Am 19. Juni eröffneten schwerbewaffnete Bundespolizisten in dem südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca das Feuer auf 500 streikende Lehrer, die gemeinsam mit ihren Unterstützern eine Fernstraße in der verarmten Stadt Nochixtlan besetzt hatten. Mindestens dreizehn Streikende wurden im Kugelhagel getötet, Dutzende weitere wurden verwundet.

Das Massaker zeigt, dass die mexikanische herrschende Klasse bereit ist, Widerstand gegen ihre Angriffe auf die mexikanischen Arbeiter mit brutaler Gewalt zu unterdrücken.

Die Todesopfer waren hauptsächlich junge Lehrer, die mit ihrem Protest das öffentliche Bildungswesen verteidigen wollten. In ganz Mexiko, vor allem im bettelarmen Südwesten, demonstrieren Lehrer gegen Präsident Enrique Peña Nietos Vorhaben, das Bildungssystem zu privatisieren und autoritäre Methoden zur Prüfung und Einstellung von Lehrern einzuführen.

Nach dem Massaker am letzten Sonntag hat sich der Widerstand gegen staatliche Unterdrückung und die rechten „Reformen“ im Rahmen des „Pakts für Mexiko“ verschärft. Tausende von Arbeitern, Jugendlichen und Bauern nahmen an Trauerveranstaltungen für die Todesopfer in Nochixtlan teil. Die Einwohner haben seither die Barrikaden wieder aufgebaut, die während der Polizeioperation zerstört wurden.

Am Mittwoch traten 200.000 Ärzte und Pflegekräfte in einen Sympathiestreik mit den Lehrern und gegen den Plan, das staatliche Sozial- und Gesundheitssystem zu privatisieren. Studenten der größten mexikanischen Universitäten boykottierten ihre Vorlesungen, um gegen das Massaker am Sonntag und gegen die Erhöhung der Studiengebühren zu demonstrieren.

Die Eltern der 43 Lehramtsstudenten, die im September 2014 im Auftrag der mexikanischen Regierung entführt und ermordet wurden, reisen weiter zu Protestveranstaltungen durchs Land, seit die Regierung Peña Nieto das einzige unabhängige Ermittlungsverfahren eingestellt hat.

Mit dem „Pakt für Mexiko“ will die mexikanische Oligarchie eine massive Umverteilung des Reichtums von der mexikanischen Arbeiterklasse zu den Banken und Konzernen durchsetzen. Dabei wird sie vom US-Imperialismus unterstützt.

Einen Tag nach dem Vorfall in Oaxaca traf sich die amerikanische Botschafterin in Mexiko Roberta Jacobson mit Peña Nieto, um ihm ihre Unterstützung für seine Reformen auszusprechen. Jacobson äußerte in einer unaufrichtigen oberflächlichen Erklärung ihr Beileid für das Massaker von Nochixtlan, betonte aber, die „Chancen für bilaterale Zusammenarbeit“ zwischen den USA und Mexiko seien „noch nie besser gewesen“. „Nur durch Bündnisse im Bildungsbereich können wir Arbeitskräfte für das einundzwanzigste Jahrhundert ausbilden“, sagte sie.

Vermutlich wurden die Bundespolizisten, die in Nochixtlan das Feuer eröffneten, in den USA ausgebildet und von der Obama-Regierung bewaffnet. Die USA haben im Rahmen der Merida-Initiative seit 2008 mehr als 2,3 Milliarden Dollar in die Bewaffnung und Ausbildung der mexikanischen Polizei und Streitkräfte investiert und sie mit tödlichen Waffen, Drohnen, Überwachungsgeräten und Flugzeugen ausgerüstet.

Darüber hinaus hat das US Northern Command hunderte Millionen Dollar in eigenständige Ausbildungsprogramme investiert, die im Gegensatz zur Merida-Initiative keinen menschenrechtlichen Einschränkungen unterliegen. Alleine im Jahr 2015 wurden fast 5.000 mexikanische Polizisten und Militärs in amerikanischen Militärbasen ausgebildet.

Die Bildungsreformen im Rahmen des Pakts für Mexiko beruhen auf ähnlichen Programmen, die bereits in den USA und auf der ganzen Welt umgesetzt wurden. In Städten wie Detroit und Chicago hat die Obama-Regierung in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften Renten- und Gehaltskürzungen, die Schließung von Schulen und undemokratische Prüfungsverfahren für Millionen von Lehrern durchgesetzt.

Das Wiederaufleben des Klassenkampfs und vor allem der Kampf der Lehrer ist kein rein mexikanisches, sondern ein internationales Phänomen. In Detroit organisierten tausende von Lehrern „Krankheitsstreiks“, um gegen den heruntergekommenen Zustand der städtischen Schulen zu protestieren. In Chicago, Los Angeles, Seattle und Atlanta fanden ähnliche Streiks und Proteste statt. In Brasilien hat der Widerstand gegen die rektionären Reformen von Interimspräsident Michel Temer in den letzten Wochen eine Streikwelle von Lehrern und Professoren in fünf Bundesstaaten ausgelöst.

Die mexikanische herrschende Klasse reagiert auf das Anwachsen von sozialem Widerstand und auf das Wiederaufleben des Klassenkampfs nicht nur mit staatlicher Gewalt. Zusätzlich hat sie auch diverse Gruppen aufgebaut, die sich als „links“ oder sogar „sozialistisch“ bezeichnen. Diese sollen die sozialen Proteste in harmlose Kanäle lenken und verhindern, dass sich der Widerstand der Arbeiterklasse in eine unabhängige revolutionäre Richtung entwickelt.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der ehemalige Bürgermeister von Mexiko-Stadt und frühere Präsidentschaftskandidat der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) Andrés Manuel López Obrador. Mittlerweile ist er Vorsitzender der Bewegung der Nationalen Erneuerung (MORENA), die er 2014 nach seinem Bruch mit der angeblich „linken“ PRD gegründet hatte. López Obrador will bei der Präsidentschaftswahl 2018 mit dem Versprechen antreten, Mexiko „durch Wahlen zu verändern.“

Nachdem sich letzte Woche die Anzeichen für eine Beschleunigung der Streik- und Protestbewegung mehrten, forderte López Obrador am letzten Sonntag in einem Video einen nationalen Protestmarsch gegen die „politische Mafia“ und „heuchlerischen Konservativen“. In dem Video erklärt López Obrador, die Demonstration werde sich gegen Korruption richten und fragt: „Warum entscheiden wir uns nicht für Humanismus? Warum streben wir nicht Versöhnung und Frieden an?“ Für den Streik der Lehrer fordert er einen „Dialog“ mit einem Staat, der jeden Kompromiss ablehnt.

MORENA wird auf eine ähnliche Rolle vorbereitet, wie sie Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien spielen. Bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung in Mexiko-Stadt am 5. Juni hatte die Partei die Mehrheit der Sitze erzielt. Sie gilt nach den schweren Verlusten der PRD allgemein als die wichtigste „linke Massenpartei“. Die PRD wurde durch ihre Zustimmung zum „Pakt für Mexiko“, ihre Rolle bei dem Massaker von Ayotzinapa und dessen Vertuschung sowie ihr Wahlbündnis mit der rechten Partei der Nationalen Aktion endgültig als rechte Partei entlarvt.

MORENA ist genau wie Syriza in Griechenland und Podemos inSpanien eine nationalistische, pro-kapitalistische und antisozialistische Partei. Mit ihren radikalen Phrasen will sie die mexikanische Arbeiterklasse an den mörderischen mexikanischen Staat binden. Sollte MORENA an die Macht kommen, wird sie die gleiche Rolle spielen wie Syriza in Griechenland. Sie wird gemeinsam mit dem US-Imperialismus den „Pakt für Mexiko“ durchsetzen und den Widerstand der Arbeiterklasse notfalls mit Gewalt unterdrücken.

Die mexikanische Arbeiterklasse kann die Probleme der mexikanischen Gesellschaft nicht lösen, wenn sie sich an bürgerliche Parteien wie MORENA bindet und auf nationaler Grundlage handelt. Ihr Kampf kann nur erfolgreich sein, wenn sie ihn gemeinsam mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern in den USA und weltweit führt.

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