Perspektive

Obamas Vermächtnis: Identitätspolitik im Dienste des Kriegs

Barack Obama beendete am Mittwochabend seine Rede vor dem Nominierungsparteitag der Demokraten in Philadelphia mit den Worten, er sei bereit, „den Stab“ an die Präsidentschaftskandidatin der Partei und seine ehemalige Außenministerin Hillary Clinton „weiterzureichen“. Berichte über seine Rede in den Medien haben wiederholt darauf hingewiesen, dass der US-Präsident Clinton als Erbin und Verwalterin seines „Vermächtnisses“ darstelle.

Aber was ist das Vermächtnis Obamas? Im Wesentlichen hat er es geschafft, die internen Differenzen der Demokratischen Partei über die Frage des Kriegs zu überwinden, die die Partei ein halbes Jahrhundert lang gequält haben. Seine Regierung war für die Demokraten der Wendepunkt für die Rückkehr zu ihren Wurzeln als erste Partei des US-Imperialismus – ein Status, den die Partei über zwei Weltkriege hinweg und während des darauf folgenden Kalten Kriegs gegen die Sowjetunion beibehalten hatte.

Obama wurde 2008 auf der Welle einer breiten Antikriegsstimmung ins Amt getragen. Allerdings wird er die zweifelhafte Ehre haben, der erste Präsident zu sein, der während seiner gesamten zwei Amtszeiten die USA im Kriegszustand hielt.

Er hat die Kriege in Afghanistan und im Irak, die er von der Bush-Regierung geerbt hat, weitergeführt. Derweil hat er einen neuen Krieg begonnen, der die Regierung in Libyen gestürzt und die Gesellschaft dieses Landes zerstört hat. Er hat einen Stellvertreterkrieg für einen Regimewechsel in Syrien angezettelt, bei dem jetzt auch US-Truppen eingesetzt werden, und er hat Angriffe in Somalia, dem Jemen, Pakistan und in weiteren Ländern durchgeführt.

Mit ihrer Strategie des „Pivot to Asia“ und der kontinuierlichen Verstärkung von US- und Nato-Truppen in Osteuropa wurde Washingtons Militärmacht in wachsendem Maße gegen Russland und China gerichtet. Dahinter steht das unnachgiebige Streben nach globaler Vorherrschaft, was die Gefahr eines dritten Weltkriegs heraufbeschwört.

Die Regierung Obama wird auch wegen ihrer enormen Ausweitung des Drohnenkriegs, ihrer gezielten Tötungen und Tötungslisten in Erinnerung bleiben, sowie wegen der brutalen Angriffe auf Bürgerrechte und der Militarisierung der amerikanischen Polizei.

Angesichts all dieser Tatsachen ist es bemerkenswert, dass die Kriegsfrage auf dem Parteitag in Philadelphia kein Diskussionsthema war. Dass über dieses Thema Stillschweigen gewahrt wurde, ist vor allem dem betrügerischen Oppositionskandidaten Bernie Sanders zu verdanken. Er hat während seiner Wahlkampagne die Kriege Obamas öffentlich unterstützt und seine „politische Revolution“ offiziell beendet, indem er kritiklos die Wahl Clintons empfahl. Dabei ist Clinton die auserkorene Kandidatin sowohl der Wall Street als auch des riesigen Militär- und Geheimdienstapparats der USA.

Noch vor den Nominierungsparteitagen der beiden großen Parteien brachten die Medien zahlreiche Vergleiche zwischen diesem Wahljahr und dem von 1968. Es wurde vorausgesagt, dass es auch diesmal zu Gewalt auf den Straßen kommen könne.

Die Wahlkampagne von Trump hat zweifellos die Atmosphäre von Gewalt in der amerikanischen Politik angeheizt. Was jedoch in diesen großenteils oberflächlichen Analogien völlig ignoriert wird, ist die zentrale Frage, die vor 48 Jahren zur Gewalt geführt hat: Damals hat die Massenopposition gegen den Vietnam-Krieg zum Zerreißen der Demokratischen Partei geführt.

Der seinerzeit amtierende Demokratische Präsident Lyndon Johnson war wegen der Ablehnung des Vietnam-Kriegs innerhalb seiner eigenen Partei außerstande, erneut zu kandidieren. Dies führte zunächst zur Kandidatur von Eugene McCarthy und dann von Robert Kennedy, der wegen dieser Frage mit Johnson brach.

Zwar wurde nach der Ermordung Robert Kennedys der Vizepräsident und Kriegsbefürworter Hubert Humphrey nominiert, der dann dem Republikaner Richard Nixon unterlag. Der Vietnam-Krieg hatte jedoch die ideologischen Grundlagen der alten Demokratischen Partei erschüttert. Sie hatten auf einem schmutzigen Deal beruht, der im Kalten Krieg das Fundament des Liberalismus bildete: Lippenbekenntnisse zu sozialen Reformen im Inland verbunden mit der unerschütterlichen Unterstützung des US-Imperialismus im Ausland.

1972 gewann der Antikriegskandidat George McGovern die Vorwahlen, wurde aber von Nixon geschlagen. Dennoch war die Demokratische Partei gezwungen, in ihrem politischen Kalkül noch Jahrzehnte nach dem Ende des Vietnam-Kriegs der Antikriegsstimmung Rechnung zu tragen.

Es war eine tiefe Kluft entstanden zwischen den führenden Persönlichkeiten der Partei innerhalb des Staatsapparats und den Denkfabriken Washingtons, die engagierte Verfechter und Strategen des US-Imperialismus blieben, und der politischen Basis. Zu dieser gehörten auch Akademiker und die oberen Schichten des Kleinbürgertums, in denen weiterhin eine Feindschaft gegen Krieg vorherrschte.

Das führte bei einer Wahl nach der anderen zu Konflikten innerhalb der Partei. Einerseits mussten die Kandidaten als Kriegsgegner posieren, um unter breiten Schichten der Parteibasis ihre Glaubwürdigkeit aufrecht zu erhalten. Andererseits mussten sie auch gegenüber dem wirtschaftlichen und militärischen Establishment glaubwürdig bleiben, indem sie diesem versicherten, sie würden die Außenpolitik ihrer Vorgänger schonungslos weiterführen, sofern sie erst einmal gewählt wären.

Nach der Wahl von George W. Bush kam es zu den massiven Antikriegsdemonstrationen von 2003. Danach versuchten diverse pseudolinke Kräfte, diese Opposition in die Kanäle der Demokratischen Partei zu leiten.

Bei den Präsidentschaftswahlen von 2004 schälte sich Howard Dean frühzeitig als Favorit heraus. Er trat als Repräsentant des „demokratischen Flügels der Demokratischen Partei“ an und appellierte an die Antikriegsstimmung innerhalb der Partei. Selbst als seine Kandidatur vom Partei-Establishment und den Medien vereitelt worden war, sah sich John Kerry, der den Krieg unterstützt hatte, gezwungen, als Kriegsgegner zu posieren. Dabei musste er sich politisch völlig verrenken und Bush den Wahlsieg überlassen.

Und letztlich war der entscheidende Grund, warum Obama 2008 die Vorwahlen gegen Hillary Clinton gewonnen hatte, die Tatsache, dass Clinton 2002 für den US-Krieg im Irak gestimmt hatte.

Bei der Unterstützung für Obamas Kandidatur wurde seine Hautfarbe besonders von den Pseudolinken als eine Art Referenz für progressive Antikriegspolitik dargestellt, obwohl eine genauere Untersuchung seiner politischen Geschichte gezeigt hätte, dass er kein Gegner des Militarismus war. Seine Familie und seine zwischenzeitlichen beruflichen Beziehungen zum Geheimdienstapparat wurden aus den Medienberichten herausgehalten.

Die Wahl Obamas wurde von den Pseudolinken als echte „Veränderung“ bejubelt. Im Laufe seiner Amtszeit hat sich jedoch herausgestellt, dass die Identitätspolitik mit Hilfe eben dieser Kräfte benutzt wurde, um den US-Imperialismus zu unterstützen.

Auf dem Parteitag in Philadelphia stand dieses Rezept ebenfalls ganz im Vordergrund. Die Identitätspolitik – Fragen der Hautfarbe, des Geschlechts und der sexuellen Orientierung als angeblich prägende Merkmale des politischen und sozialen Lebens – wurde direkt mit der unverblümten Zelebrierung des amerikanischen Militarismus vermischt.

Obama drückte dies in seiner Rede mit sorgsam gewählten Worten aus. So erklärte er z.B., dass „unser Militär heute gut dasteht, alle Hautfarben der Menschheit vereint im gemeinsamen Dienst“. Eine Beschreibung, die sich genauso auf eine andere „freiwillige“ imperialistische Kampfeinheit – die französische Fremdenlegion – anwenden lässt.

Weiter erklärte er: „Wenn wir genug Stimmen erreichen, dann wird es Fortschritt geben. Und wenn ihr daran zweifelt, dann... fragt doch den Marinesoldaten, der stolz seinem Land dient, ohne seinen Ehemann zu verheimlichen, den er liebt.“

Das US-Militär war lange Zeit eine Bastion fanatischen Schwulenhasses. 114.000 Armeeangehörige wurden deswegen zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Abschaffung der Politik des „Frag nicht, sag nichts“ im Jahr 2011 unehrenhaft aus dem Dienst entlassen. Dass die Zulassung von Schwulen zum Militär die Disziplin untergraben würde, galt bis dahin als Glaubensgrundsatz der US-Armeeführung.

Ein wesentliches Element bei der Änderung dieser Politik war die Einsicht im herrschenden politischen Establishment und in wichtigen Kreisen des Militärs, dass es politisch nützlich sein könnte, privilegierte Schichten der oberen Mittelklasse, die sich mit der Politik des amerikanischen Liberalismus identifizieren, zur Unterstützung für das Militär zu gewinnen.

Die Botschaft auf dem Parteitag war klar und deutlich: „Das sind eure Truppen. Das sind eure Kriege. Sie werden in eurem Interesse geführt.“

Ähnliche Fragen der Identitätspolitik wurden in Philadelphia von der Regierung Obama benutzt, um eine antirussische Hysterie zu entfachen. So gab es sorgfältig inszenierte Kampagnen rund um Pussy Riot und wegen Putins Äußerungen über Schwule während der Olympischen Winterspiele in Sotschi.

Als Reaktion auf die aufgeheizte Rhetorik auf dem Parteitag schrieb der Kolumnist der Washington Post zu Sicherheitsfragen einen Artikel mit dem Titel „Clinton hat die Demokraten jetzt zur Anti-Russland-Partei gemacht“. Er bemerkt: „Bei ihrem Eifer, Donald Trump als gefährliche Bedrohung der nationalen Sicherheit hinzustellen, hat das Wahlkampfteam von Clinton eine deutlich antirussische Haltung eingenommen. Das vollendet einen totalen Rollentausch der beiden großen amerikanischen Parteien in Bezug auf die Beziehungen zwischen den USA und Russland. Darauf wird Hillary Clinton jetzt verpflichtet sein, wenn sie zur Präsidentin gewählt wird.“

Die antirussische Kampagne wurde als Reaktion auf die Veröffentlichung der Emails des Nationalen Komitees der Demokraten (DNC) durch WikiLeaks deutlich verschärft. Die Emails hatten offengelegt, wie die DNC-Führung gemeinsam mit dem Wahlkampfteam von Clinton versucht hat, die Kampagne ihres Rivalen Bernie Sanders zu sabotieren und die Nominierung zu manipulieren.

Clinton und ihre Anhänger waren bemüht, jede Diskussion über den vernichtenden Inhalt der Emails zu unterdrücken, indem sie deren Veröffentlichung als Frage der „nationalen Sicherheit“ darstellen. Der absurde Vorwurf lautet, der wirkliche Urheber der Veröffentlichungen sei Wladimir Putin, mit dem Ziel, die US-Wahlen zu untergraben.

Man sollte nicht vergessen, dass dieselben Methoden als Reaktion auf vorangegangene Enthüllungen von Verbrechen des US-Imperialismus im Ausland und seine umfassenden Bespitzelungen im Inland benutzt wurden. Chelsea Manning, Julian Assange und Edward Snowden mussten die Konsequenzen in Form von grausamer Verfolgung, Gefängnis und Exil tragen.

Der Widerstand gegen diese rücksichtslose Unterdrückung wie auch gegen den Krieg fand keinen Niederschlag auf dem Parteitag der Demokraten. Unnötig zu betonen, dass Clinton nicht nur beides unterstützt, sondern auch daran beteiligt war.

Besonders bezeichnend ist auch das Verhalten einer ganzen politischen Schicht, die gemeinhin „Neokonservative“ genannt werden. Sie hatten in den 1960er- und 1970er-Jahren mit den Demokraten gebrochen und führende Positionen in den Regierungen von Reagan und Bush eingenommen. Jetzt sind diese Leute zurückgekommen und haben in offenen Briefen und Stellungnahmen ihre Unterstützung für Hillary Clinton erklärt.

Diese politische Entwicklung der Demokratischen Partei ist nicht einfach eine Frage der Machenschaften der Parteiführung und des Staatsapparats. Sie hat ihre soziale Basis darin, dass privilegierte soziale Schichten scharf nach rechts gegangen sind und so eine neue Gefolgschaft für Krieg und Imperialismus bilden. Die systematische Fixierung auf Fragen von Hautfarbe, Geschlecht und sexueller Orientierung – ganz bewusst im Gegensatz zu Klassenfragen – ist die entscheidende ideologische Grundlage für diese reaktionäre Wende.

Der Parteitag in Philadelphia hat eine Partei gezeigt, die sich in entgegengesetzter Richtung zur wachsenden Radikalisierung der amerikanischen Arbeiterklasse bewegt und sich auf eine direkte Konfrontation mit ihr vorbereitet.

In der nächsten Zeit, in der der Klassenkampf sich stark entwickeln wird, wird der Widerstand der amerikanischen Arbeiter gegen den Krieg wieder aufleben.

Die Socialist Equality Party ist die einzige Partei, die einen Wahlkampf führt, um sich auf diese Entwicklung vorzubereiten und ihr einen politisch bewussten Ausdruck zu verleihen. Sie kämpft für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse und den Aufbau einer internationalen Massenbewegung, die sich auf ein revolutionäres sozialistisches Programm gründet. Wir fordern alle unsere Leser dazu auf, die SEP-Kampagne zur Wahl von Jerry White und Niles Niemuth zu unterstützen und die Partei mit aufzubauen.

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