Perspektive

„Der Pate“ Biden in der Türkei

Der Vizepräsident der USA Joseph Biden besuchte am 24. August die Türkei. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Recep Tayyip Erdogan kündigte er an, dass das US-Militär die Türkei bei ihrem Einmarsch in den Norden Syriens direkt unterstützen werde.

Biden erklärte: „Wir unterstützen ausdrücklich das Vorgehen des türkischen Militärs, wir haben den Truppen aus der Luft Deckung gegeben. Wir sind fest der Meinung, dass die türkische Grenze von der Türkei kontrolliert werden sollte.“

Diese Ankündigung stellt eine Kehrtwende Washingtons dar. Im Juli hatte Erdogan einen Militärputsch überlebt, der aller Wahrscheinlichkeit nach die Unterstützung der USA genoss. In den letzten sechs Wochen hatten die US-Regierung und ihre medialen Sprachrohre Erdogan scharf kritisiert, weil er den Putsch nutzte, um gegen regierungskritische Fraktionen innerhalb des türkischen Staates durchzugreifen, die als enge Verbündete Washingtons gelten.

Bidens Kehrtwende zeigte gleichzeitig ihr Doppelspiel mit den kurdischen Kräften, die von den USA bisher als Stellvertretertruppen im Syrienkonflikt gefördert wurden.

Auf der Pressekonferenz entschuldigte sich Biden dafür, die Unterstützung des Weißen Hauses für Erdogan nicht gleich zu Beginn des Putschversuchs deutlich gemacht zu haben. Er erklärte, etwas zusammenhangslos: „Lassen Sie es mich ein letztes Mal erklären: Die amerikanische Bevölkerung steht hinter Ihnen. Wir [nicht verständlich]. Barack Obama war einer der ersten, den Sie angerufen haben. Aber ich möchte mich entschuldigen. Ich wünschte, ich hätte früher hier sein können.“

Bidens Auftritt erinnert an eine bekannte Szene in Francis Ford Coppolas Film Der Pate, in dem ein Mafiakiller seinem Opfer mitfühlend versichert: „Das ist rein geschäftlich, nicht persönlich.“

Der Pate ist tatsächlich ein passender Vergleich für die Diskussion über die Planung und Ausführung der amerikanischen Außenpolitik. Deren globale Operationen werden von einem verschworenen Zirkel von Geheimdienstlern dirigiert, die im Interesse der Wirtschafts- und Finanzelite handeln. Ihre Machenschaften sind verschwörerisch und kriminell. Diese Kräfte stehen außerhalb von und über allen demokratisch kontrollierten Entscheidungsprozessen. Sie stürzen Regierungen und beginnen Kriege, um die schmutzigen wirtschaftlichen und geopolitischen Ziele des amerikanischen Imperialismus durchzusetzen.

Die Außenpolitik der herrschenden Klasse in den Vereinigten Staaten hat die amerikanische Gesellschaft in Armut gestürzt, um ihren riesigen Militärapparat zu finanzieren. Die schrecklichsten Folgen müssen jedoch die Bevölkerungen ertragen, die in den betroffenen Ländern leben. Durch den Krieg, den die USA in Syrien geschürt haben, ist die Bevölkerung des Landes von 23 Millionen auf etwa 17 Millionen gesunken; mehr als eine halbe Million Menschen wurde getötet und mehr als 13 Millionen wurden zu Flüchtlingen.

13 Jahre nach dem Einmarsch in den Irak, der mindestens eine Million Menschenleben gefordert hat, gelten knapp 4,4 Millionen Iraker als Binnenflüchtlinge, eine Viertelmillion ist ganz aus dem Land geflohen.

Außenpolitische Fragen werden nicht im Rahmen von Wahlen entschieden, noch weniger werden sie dort diskutiert. Im Präsidentschaftswahlkampf 2016 findet beispielsweise nirgendwo eine ernsthafte Debatte über den Charakter des amerikanisch-türkischen Bündnisses oder die Folgen eines de facto-Einmarsches der Nato in Syrien statt. Im Kongress gibt es dazu keinerlei Anhörungen oder Abstimmungen. Er spielt keine ernsthafte Rolle und will es auch gar nicht.

Die Bevölkerung hat dabei ohnehin nichts zu sagen.

Eine wichtige Rolle bei der Irreführung und Entmündigung der Bevölkerung spielt die Presse. Die Medien des Mainstream verfolgen die Taktik, „unbedeutendere“ Entwicklungen wie die von den USA unterstützte Invasion Syriens in den sogenannten „Nachrichten“ zu übergehen. Bemerkenswert an der bisherigen Berichterstattung über den türkischen Vorstoß ist dessen völlige Ausblendung. Angesichts dieses verantwortungslosen Schweigens der Medien kann man davon ausgehen, dass weniger als ein Zehntel der amerikanischen Bevölkerung überhaupt davon weiß.

Diese Nachrichtensperre geht einher mit zynischer „Menschenrechts“-Propaganda im Fernsehen über das Leid der syrischen Kinder in Aleppo. Zufällig fällt diese Kampagne mit Rückschlägen der von den USA unterstützten und mit Al Qaida verbündeten „Rebellen“ im Kampf gegen die von Russland unterstützten syrischen Regierungstruppen zusammen. Letztere versuchen derzeit, die islamistischen Milizen aus der strategisch wichtigen Stadt zu vertreiben und dort wieder die alleinige Kontrolle zu übernehmen.

Die führenden Zeitungen, vor allem die New York Times, agitierten in verlogenen Kolumnen für eine aggressivere Intervention der USA im Namen der „Menschenrechte.“ Der Times-Kolumnist Nicholas Kristof verfasste am Donnerstag eine Kolumne mit dem Titel „Anne Frank ist heute eine Syrerin“. Bidens Reise oder das Eindringen der Türkei in Syrien erwähnte er mit keinem Wort. Stattdessen versuchte er, auf die Tränendrüsen seiner Leser zu drücken, um sie davon zu überzeugen, dass das Blutbad in Syrien nicht das Ergebnis eines von den USA unterstützten Stellvertreterkriegs ist, sondern auf Amerikas Unvermögen zurückgeht, in noch aggressiverem Ausmaß militärisch zu intervenieren.

Am gleichen Tag beklagte Roger Cohen, ebenfalls Times-Kolumnist, Amerikas „Rückzug und das Leiden von Aleppo“. Er bezeichnete Obamas Entscheidung, 2013 keinen offenen Krieg zum Sturz der Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu beginnen, als den „schwersten Fehler“ des Präsidenten.

Im letzten Vierteljahrhundert haben Demokratische und Republikanische US-Regierungen buchstäblich pausenlos Kriege geführt. Dabei hat die herrschende Elite immer wieder fadenscheinige humanitäre Vorwände benutzt, um neue blutige Abenteuer zu rechtfertigen.

Diese 25 Jahre waren nur ein Vorgeschmack auf das, was bevorsteht, wenn Washington seinen derzeitigen Kurs fortsetzen kann. Der Beginn einer Nato-Invasion in das syrische Kriegsgebiet macht einen direkten Zusammenstoß mit der Atommacht Russland, die das Regime in Damaskus militärisch unterstützt, immer wahrscheinlicher.

Niemand sollte glauben, dass die kriminelle Clique, die die amerikanische Außenpolitik bestimmt, bei der Aussicht auf einen Krieg mit Hunderten Millionen oder Milliarden Todesopfer mit mehr Bedacht oder Vorsicht vorgeht, als bei solchen mit „nur“ Millionen Todesopfern.

Die Kriege müssen beendet werden. Es ist ein zentrales Ziel des Präsidentschaftswahlkampfs der Socialist Equality Party in den USA, den Widerstand unter Arbeitern und Jugendlichen gegen die kriminelle und rücksichtslose Politik des amerikanischen Imperialismus zu mobilisieren.

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