Nach Angriff auf Hilfskonvoi in Syrien: USA verschärfen Hetze gegen Russland

Trotz der blutigen Ereignisse der letzten Tage soll der brüchige Waffenstillstand in Syrien fortgesetzt werden. Das haben amerikanische und russische Regierungsvertreter am Rande einer Sitzung der UN-Vollversammlung in New York erklärt. Davor hatten sie an einem Treffen der Internationalen Syrien-Unterstützergruppe (ISSG) teilgenommen.

Am Montag wurden bei einem Angriff auf einen Hilfskonvoi nördlich von Aleppo mindestens zwanzig Menschen getötet und achtzehn der 31 Lastwagen zerstört. Sie waren mit Nahrungsmitteln und anderen humanitären Hilfsgütern beladen. Rasch wies Washington die Schuld der syrischen Regierung von Präsident Baschar al-Assad und seinem wichtigsten internationalen Verbündeten Russland zu.

Beide leugnen jedoch jede Beteiligung an dem Angriff. Auch das US Central Command hat erklärt, amerikanische Kampfflugzeuge seien nicht beteiligt gewesen.

Wenige Tage vor diesem Angriff hatten Kampfflugzeuge der US Air Force und ihrer Verbündeten eine Stellung des syrischen Militärs beim Flughafen Deir ez-Zor, nahe der Grenze zum Irak, angegriffen. Neunzig syrische Soldaten wurden getötet und weitere hundert verwundet. Kurz darauf konnten Kämpfer des Islamischen Staates (IS) die Stellung einnehmen.

Die in Syrien kämpfenden Parteien haben den Waffenstillstand bereits für gescheitert erklärt. Islamistische Kämpfer aus dem Umfeld des ehemaligen syrischen Al Qaida-Ablegers, der Al Nusra-Front, haben eine Großoffensive in Aleppo eröffnet und wurden dabei von Artillerie und Raketenwerfern unterstützt. Die syrische Regierung hat den Waffenstillstand nach dreihundert Verstößen durch die „Rebellen“ für gescheitert erklärt. Sie hat ihre Luftangriffe wieder aufgenommen, um die Angriffe der vom Westen unterstützten Kräfte in Aleppo und anderen Landesteilen abzuwehren.

Nach dem einstündigen ISSG-Treffen in New York, an dem zwanzig Außenminister teilnahmen, erklärte US-Außenminister John Kerry: „Der Waffenstillstand ist nicht tot.“ Er fügte hinzu, man werde Ende der Woche in einem Anschlusstreffen über „besondere Schritte“ diskutieren.

Sein russischer Amtskollege Sergei Lawrow, der gemeinsam mit ihm das Treffen geleitet hatte, äußerte sich nicht öffentlich. Am Dienstagmorgen erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, die Chancen auf eine Wiederbelebung des Waffenstillstands seien „sehr gering“.

Der UN-Sicherheitsrat soll am Mittwoch über den Waffenstillstand diskutieren, allerdings hat Washington jede Abstimmung über das Abkommen verhindert und behauptet, seine Bedingungen dürften nicht öffentlich bekannt werden.

An dem Treffen vom Dienstag nahmen auch der Iran, der die syrische Regierung durch Militärhilfe unterstützt, und Saudi-Arabien teil, das die islamistischen Oppositionsmilizen bewaffnet und finanziert. Der UN-Gesandte Staffan de Mistura erklärte, alle Teilnehmer des Treffens hätten ihre weitere Unterstützung für den Waffenstillstand zugesagt, obwohl dieser immer brüchiger wird. Er sagte: „Die Waffenruhe ist in Gefahr“, fügte aber hinzu, so lange die USA und Russland sie unterstützten, werde sie fortgesetzt. Den Angriff auf den Hilfskonvoi bezeichnete der UN-Diplomat als einschneidendes Ereignis, das einmal mehr zeige, wie bitter nötig es sei, die Gewalt zu beenden.

Eins wurde durch den Angriff und den vorherigen Luftschlag gegen die syrischen Truppen definitiv sabotiert: der geplante Aufbau eines russisch-amerikanischen Koordinationsbüros für Angriffe auf den IS und auf Gruppen, die mit Al Qaida verbündet sind. Ein solches Zentrum hatten Kerry und Lawrow am 9. September beschlossen. Es hätte nach sieben Tagen Waffenruhe eingerichtet werden sollen, nachdem die belagerte Bevölkerung Hilfsgüter erhalten hätte.

Das Abkommen und die damit verknüpften Vorgaben stießen auf den heftigen Widerstand des Pentagon. Verteidigungsminister Ashton Carter sprach sich in mehreren Kabinettstreffen mit Präsident Obama entschieden dagegen aus. Hochrangige Armeekommandanten deuteten an, sie würden das Abkommen nicht umsetzen. Ihre Äußerungen grenzten teilweise an Befehlsverweigerung.

Auch die sogenannten „Rebellen“ und ihr Führungspersonal innerhalb der CIA lehnen das Abkommen ab, da es die „gemäßigte Opposition“ auffordert, sich von dem langjährigen Al Qaida-Ableger (bis vor kurzem die Al-Nusra-Front) zu trennen. Die „gemäßigte Opposition“ besteht aus islamistischen Milizen, die von den USA und ihren Verbündeten bewaffnet und ausgebildet werden. Nichts deutet bisher darauf hin, dass sie eine solche Trennung vollziehen. Angesichts der engen Beziehungen zwischen den Fußtruppen der USA und den Al Qaida-Elementen, die das Rückgrat des bewaffneten Widerstands gegen die Assad-Regierung bilden, scheint eine solche Trennung kaum durchführbar.

Noch wichtiger für den Widerstand des US-Militärs gegen das Waffenstillstandsabkommen ist die Tatsache, dass seine Führung jede militärische Zusammenarbeit mit Russland ablehnt. Das Pentagon bereitet strategisch immer offener eine direkte militärische Konfrontation mit der Atommacht Russland vor.

Die Washingtoner Regierung hat die Verantwortung für den Angriff auf den Hilfskonvoi sofort Russland zugeschoben, hat aber bisher keine Beweise dafür vorgelegt. „Momentan wissen wir noch nicht, ob es die Russen oder das Regime waren. Sie haben in jedem Fall sicherlich die Möglichkeit, sich zurückzuhalten und solche Aktionen nicht selbst auszuführen. Sie haben aber auch die Verantwortung, das Regime daran zu hindern“, hieß es am Montagabend in einer Erklärung des US-Außenministeriums.

Laut CNN hat ein Vertreter der US-Regierung jedoch mittlerweile zugegeben, dass „keine Geheimdienstdaten“ vorliegen, die „ausdrücklich darauf hinweisen, dass syrische Flugzeuge oder Hubschrauber diese Region zu diesem Zeitpunkt hätten angreifen können.“

Der Hilfskonvoi war einer der ersten, die in das von islamistischen Milizen kontrollierte Gebiet geschickt wurden. Er wurde von der syrischen Regierung nach starker Verzögerung bewilligt, hauptsächlich weil Syrien darauf bestand, dass keine türkischen Regierungsvertreter die Hilfslieferungen begleiten dürften. Offensichtlich ergibt es keinen logischen Sinn, dass Damaskus einen Konvoi bombardiert haben soll, den es gerade erst genehmigt hatte. Genauso gut hätte es ihn daran hindern können, in diese Region hineinzufahren.

Die Al Nusra-Front hingegen hatte angekündigt, alle Hilfslieferungen zu blockieren, die Gebiete durchquerten, welche die Regierung kontrolliere. Sie organisierte sogar Demonstrationen in Aleppo, um diese Drohung zu bekräftigen.

Das russische Verteidigungsministerium wies den Vorwurf Washingtons und seiner Verbündeten zurück, Russland oder die syrische Regierung hätten den Hilfskonvoi bombardiert. Ministeriumssprecher Generalmajor Igor Konaschenkow erklärte, bei einer Analyse des Videomaterials über den zerstörten Konvoi seien weder Bombenkrater noch irgendwelche Schäden an den Fahrzeugen zu sehen, die auf einen Luftangriff hindeuteten. Er wies auch darauf hin, dass der Angriff auf die Lastwagen zeitlich mit dem Beginn einer Großoffensive der Al Nusra-Front nahe Aleppo zusammengefallen war.

Das russische Ministerium veröffentlichte außerdem ein Video, auf dem ein Lastwagen der „Rebellen“ mit einem großkalibrigen Granatwerfer zu sehen ist, der den UN-Hilfskonvoi zur Stadt Uram al-Kubra bei Aleppo begleitet. General Konaschenkow erklärte, das Fahrzeug habe den Konvoi offenbar als „Deckung“ benutzt um den Granatwerfer neu zu positionieren.

Er fügte hinzu: „Und am allerwichtigsten: Wohin ist der Granatwerfer nahe dem Endpunkt des Konvois verschwunden, und worauf hat er geschossen, während der Konvoi angehalten hat und entladen wurde?“

Die Vereinten Nationen korrigierten derweil ihre Erklärung vom Vortag, in der sie den Angriff auf den Hilfskonvoi noch als einen Luftangriff bezeichnet hatten, wie es auch das US-Außenministerium getan hatte. Als Reaktion auf das russische Beweismaterial ersetzte die UN das Wort „Luftangriffe“ durch den allgemeineren Begriff „Angriffe“.

Der UN-Sprecher Jens Laerke bezeichnete die frühere Begriffswahl als Fehler und erklärte: „Wir können in unserer Position nicht feststellen, ob es wirklich Luftangriffe waren. Wir können nur sagen, dass der Konvoi angegriffen wurde.“

Unabhängig davon, wer für den Angriff auf den Hilfskonvoi verantwortlich ist, nutzen die USA und ihre Verbündeten ihn offensichtlich für eine Propagandakampagne gegen Russland aus. Sie bereiten sich auf eine militärische Konfrontation gegen Russland vor. Washington hat den Vorfall außerdem benutzt, um jede Diskussion über den Angriff amerikanischer und verbündeter Kampfflugzeuge vom Samstag zum Verstummen zu bringen. Dieser Angriff auf syrische Truppen, die gegen den IS kämpften, wirft die Frage auf, ob die USA den Islamisten vorsätzlich geholfen haben.

General Joseph Dunford vom Marine Corps, der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs, erklärte am Montag in einem recht eigenartigen Kommentar vor der Presse, man solle über den amerikanischen Luftangriff und die Genauigkeit der Zielsuche keine voreiligen Schlüsse ziehen.

Der General erklärte: „Bevor wir versuchen herauszufinden, was 'falsch gelaufen' ist, sollten wir durch eine Untersuchung feststellen, ob tatsächlich etwas falsch gelaufen ist. Wenn man eine Untersuchung anstellt, könnte es sein, dass man aus den Fakten erkennt, dass wir das gleiche nochmal tun würden.“

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