Russland reagiert auf US-Drohungen in Syrien

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sprach am Samstag eine scharfe Warnung an die Adresse Washingtons aus. Sie erklärte, dass jeder direkte US-Angriff auf syrische Regierungsstreitkräfte in einen „umfassenden Krieg“ münden und zu „tektonischen Verschiebungen“ in Syrien und im ganzen Nahen Osten führen könnte.

Die Warnung Russlands wurde fast auf den Tag genau ein Jahr nach Beginn der russischen Luftschläge gegen islamistische Ziele in Syrien ausgesprochen. Moskau intervenierte, um das Assad-Regime zu stützen, denn der einzige Marinestützpunkt Russlands außerhalb der ehemaligen Sowjetunion liegt in Syrien. Die US-Regierung verurteilte die russische Intervention von Anfang an. Dabei tragen die USA selbst die Verantwortung für den Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011, weil sie in Damaskus einen Regimewechsel herbeiführen wollen.

Heute, ein Jahr danach, spricht Sacharowa über einen viel größeren Krieg mit unkalkulierbaren Folgen. Sie beschuldigte Washington, seine politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen, und sagte: „So etwas endet leicht im umfassenden Krieg.“ Dann warnte sie vor den Folgen für die ganze Region und fügte hinzu: „Wenn die USA Damaskus und die syrische Armee direkt angreifen, dann wird das zu beängstigenden tektonischen Verschiebungen nicht nur auf syrischem Territorium führen, sondern in der ganzen Region.“

Diese Bemerkungen zeigen die große Sorge darüber, dass die US-Regierung in der Syrienfrage Russland gegenüber eine immer provokativere und aggressivere Haltung einnimmt. Diese Haltung äußerte sich jüngst in der indirekten Drohung, die CIA werde Terroristen gegen Moskau in Marsch setzen. Hohe Funktionäre in Politik und Militär sind offenbar bereit, einen umfassenden Krieg in Betracht zu ziehen. Gleichzeitig zeigen die russischen Äußerungen, dass der Kreml mit seinem Versuch, die Interessen der russischen Oligarchie zu wahren und ihren einzigen Verbündeten im Nahen Osten zu stützen, diese Kriegsgefahr keineswegs bekämpft. Stattdessen erhöht er nur die Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes zwischen den beiden größten Nuklearmächten.

Die Hauptverantwortung für diese gefährliche Situation liegt jedoch bei den Vereinigten Staaten. Sacharowas Bemerkungen waren zweifellos eine Reaktion auf die immer aggressivere Haltung, die die Obama-Regierung seit einigen Tagen Russland gegenüber einnimmt.

Am 29. September hatte die NewYork Times Russland als „Unrechtsstaat“ bezeichnet; nur einen Tag später veröffentlichte die selbe Zeitung die Niederschrift einer Diskussion am Rande der UN-Vollversammlung, die Außenminister John Kerry mit mehreren mit den USA verbündeten Aktivisten geführt hatte. In diesem Gespräch hatte Kerry gesagt, er selbst und viele andere in der Obama-Regierung hätten sich für ein militärisches Vorgehen eingesetzt und seien sehr frustriert darüber, dass immer noch diplomatische Wege mit Russland und Syrien beschritten würden. „Drei oder vier von uns haben sich in der Regierung für Gewaltanwendung eingesetzt, aber ich habe den Streit verloren“, sagte Kerry seinen Gesprächspartnern und fügte hinzu: „Darüber sind wir nicht weniger frustriert als ihr.“

Nur zwei Tage, ehe diese Bemerkungen von Kerry veröffentlicht wurden, hatte derselbe Kerry damit gedroht, die bilaterale Kooperation mit Russland in der Syrienfrage ganz zu beenden. Gleichzeitig wird Russland im Präsidentschaftswahlkampf laufend als Kriegstreiber hingestellt. Einmal mehr hat sich bestätigt, dass das Waffenstillstandsabkommen, das Kerry vergangenen Monat mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow ausgehandelt hatte, nichts weiter als ein taktisches Manöver war. Nach dem Angriff der USA auf syrische Regierungstruppen war es zusammengebrochen. Mit dem Abkommen wollte Kerry nur Zeit gewinnen, damit Washington seine islamistischen Hilfstruppen neu gruppieren und bewaffnen konnte. Es diente den USA dazu, eine größere Eskalation des Syrienkriegs vorzubereiten.

Sacharowa reagierte mit ihren Bemerkungen auch auf die Worte des Außenministeriumssprechers, John Kirby. Dieser hatte Moskau am 28. September damit gedroht, islamistische Extremisten nicht nur in Syrien, sondern auch in Russland selbst in Marsch zu setzen.

Kirby hatte gesagt: „Extremisten und extremistische Gruppen werden ihre Operationen ausweiten; sie werden sich sicher auch gegen russische Interessen, vielleicht sogar gegen russische Städte richten. Die russischen Truppen werden weitere Opfer beklagen und materielle Verluste erleiden und vielleicht auch weitere Flugzeuge verlieren.“ Angesichts der langjährigen Zusammenarbeit der US-Regierung mit dschihadistischen Terrorgruppen, die bis zurück in die 1980er Jahre reicht, ist die Bedeutung solcher Drohungen unmissverständlich klar.

Über das Wochenende haben russische Flugzeuge weiter die brutale Offensive syrischer Regierungstruppen unterstützt und Aleppo mehrfach aus der Luft angegriffen. Eins der größten Krankenhäuser der Stadt, das die Bezeichung M10 trägt, wurde am Samstag zum dritten Mal innerhalb einer Woche getroffen. Zwei Patienten wurden getötet und viele verletzt. Das Krankenhaus ist nicht mehr funktionsfähig. UN-Zahlen zufolge, sind seit dem Zusammenbruch des Waffenstillstands in Ost-Aleppo mindetsens 320 Zivilisten getötet und hunderte verletzt worden. Angeblich wurden bunkerbrechende Bomben, Streubomben und Phosphorbomben eingesetzt.

Regierungsfreundliche Kräfte gewannen am Sonntag in den Nordbezirken von Aleppo die Oberhand. Das syrische Militärkommando gab bekannt, dass es bereit sei, Rebellen, die die Stadt verlassen, freien Abzug zu gewähren. Wie es heißt, bereiten sich bis zu zehntausend Regierungssoldaten und mit ihnen verbündete Milizen der libanesischen Hisbollah und schiitischer irakischer Kämpfer darauf vor, den Ostteil Aleppos zu erobern.

Das Vorgehen der USA und ihrer westlichen Verbündeten ist vollkommen heuchlerisch. Sie versuchen, die Opfer und die Zerstörung, die die syrischen und russischen Bombardements anrichten, für ihre Zwecke auszunutzen. Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault, sein britischer Amtskollege Boris Johnson und die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, haben Russland „Kriegsverbrechen“ und „Barbarei“ vorgeworfen. Gleichzeitig schließen sie beide Augen vor den Gräueltaten der so genannten moderaten Opposition. Extremistische Milizen haben in den letzten Tagen von der Regierung gehaltetene Teile von Aleppo beschossen und dabei am Freitag achtzehn Menschen getötet. Am Freitag wurden über sechzig und am Samstag noch einmal dreizehn Menschen verletzt. Kein Aufschrei war in den westlichen Medien über diese Zivilisten zu vernehmen, die vermutlich durch Munition getötet wurden, die die USA geliefert hatten.

Der US-Imperialismus ist wesentlich dafür verantwortlich, dass der syrische Konflikt angestachelt wurde. Seit 2011 hat er die al-Qaida-Kräfte systematisch gefördert und finanziert, die das Rückgrat der Rebellentruppen bilden. Mit dem Ziel, in Damaskus einen Regimewechsel herbeizuführen, haben die Obama-Regierung, ihre Verbündeten am Golf und die Türkei den Bürgerkrieg rücksichtslos angeheizt. Sie ließen sich auch nicht abhalten, als die Opferzahlen immer weiter anstiegen und nach Schätzungen schon eine halbe Million überschritten haben. Vergangenen Monat erklärte der Generalstabsvorsitzende General Joseph Dunford ausdrücklich vor dem Kongress, dass die Kontrolle des syrischen Luftraums und die Einrichtung einer Flugverbotszone gleichbedeutend sei mit Krieg gegen Damaskus und Moskau.

Das macht klar, dass Washington vor nichts zurückschreckt, um seine Vorherrschaft über den rohstoffreichen Nahen Osten zu etablieren. Dies ist eine entscheidende Komponente seiner weitergehenden Strategie, die unbestrittene Vorherrschaft über die gesamte eurasische Landmasse zu erringen.

In Syrien hat die US-Regierung ethnische und religiöse Spaltungen geschürt. Um ihre räuberischen Interessen zu fördern, hat sie konkurrierende und direkt feindselige Gruppen gegeneinander aufgehetzt. In Nordsyrien liefern die USA weiter Waffen an kurdische Kämpfer der Volksbefreiungseinheiten (YPG) und der Partei der Demokratischen Union (PYD), die seit Ende August von der Türkei, ebenfalls mit der Unterstützung Washingtons, angegriffen werden.

Aber offenbar nehmen die Spannungen zwischen Ankara und Washington zu. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte Washington letzte Woche für seine letzten Waffenlieferung an die YPG und erklärte, dass die Türkei den Kampf zur Rückeroberung der IS-Hochburg Rakka nur unterstützen werde, wenn die USA die Kurden fallen ließen. Erdogan sagte: „Wenn die USA die Operation gegen Rakka mit der YPG und der Partei der Demokratischen Union durchführen wollen, dann werden wir uns an diesem Kampf nicht beteiligen. Aber wenn sie die YPG und die PYD heraushalten, dann werden wir natürlich mitmachen.“

Hohe türkische Militärvertreter sollen zurzeit in Erwägung ziehen, den Euphrat zu überschreiten, den die USA als Grenze des kurdischen Einflussgebiets betrachten. Andere Berichte spekulieren darüber, dass die Türkei und Russland ein Abkommen über Syrien schließen könnten, wenn der Russische Präsident Wladimir Putin am 11. Oktober die Türkei besucht.

Letzte Woche hat Erdogan erklärt, dass türkische Truppen in Syrien schon eine „sichere Zone“ von 900 Quadratkilometer geschaffen hätten, die schnell auf 5000 erweitert werden könne.

Eins der nächsten Ziele der Türkei ist nun die vom IS kontrollierte Stadt Al-Bab. Der amerikanische Verteidigungsminister Ashton Carter drängte die Türkei, diese Stadt nicht einzunehmen, weil Washington sie den Kurden überlassen möchte. Al-Bab wird als Schlüssel für die Offensive gegen Rakka betrachtet. Das bedeutet, dass jeder, der die Stadt kontrolliert, beträchtlichen Einfluss auf die Operation zur Eroberung der Hauptstadt des IS ausüben könnte.

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