Perspektive

US-Wahl: Was steckt hinter der Kampagne gegen Russland?

Eines der Hauptthemen bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 sind die Unterstellungen, Russland wolle die Wahl durch Cyberangriffe manipulieren.

Die Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, erklärte vergangene Woche während der letzten Debatte mit dem Republikanischen Kandidaten Donald Trump: „Die russische Regierung hat Amerikaner ausspioniert“ und „WikiLeaks Informationen zugespielt, damit diese sie ins Internet stellen.“ Sie erklärte, die Operation sei „von Putin persönlich“ angeordnet worden, um „unsere Wahl zu beeinflussen“ und bezeichnete Trump als „Marionette“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Clinton stellte ihre Vorwürfe als unumstößliche Tatsachen dar. Als angeblichen Beweis nannte sie die Erklärung des Nationalen Geheimdienstdirektors James Clapper. Dieser hatte erklärt, die amerikanischen Geheimdienste seien sicher, dass die russische Regierung Computer der Demokratischen Partei und von Clintons Wahlkampf gehackt und die Informationen an WikiLeaks übergeben hat, damit diese sie veröffentlichen.

Weder die US-Regierung noch irgendeine andere Quelle hat Beweise vorgelegt, die die Vorwürfe gegen Russland bekräftigen würden. Clappers Aussage ist wertlos. Im März 2013 log er unter Eid vor dem Justizausschuss des Senats, als er direkt gefragt wurde, ob die Regierung im großen Stil private Kommunikation überwachen lässt.

Clinton und ihre Unterstützer, u.a. die New York Times, scheinen zu glauben, die amerikanische Bevölkerung hätte die Lügen der amerikanischen Geheimdienste über irakische Massenvernichtungswaffen im Vorfeld des Einmarschs im Irak 2003 vergessen. Die gleichen Medien, die jetzt gegen Russland hetzen, haben auch damals kritiklos die Behauptungen der Geheimdienste weiterverbreitet.

Letzten Endes ist es zweitrangig, ob Russland für die Weitergabe der E-Mails verantwortlich ist, die Clintons Korruptheit und Unaufrichtigkeit enthüllen. Clinton, die Demokratische Partei und die Medien haben diese Geschichte aufgegriffen und zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfs gemacht, weil sie klaren politischen Zielen dient.

Zum einen hat es der Spionagevorwurf gegen Russland Clintons Wahlkampf und der großen Mehrheit der Mainstream-Medien ermöglicht, von dem höchst kompromittierenden und teils belastenden Inhalt der E-Mails abzulenken, die WikiLeaks veröffentlicht hat. Sie haben u.a. ihre unterwürfigen Reden vor der Wall Street enthüllt; ihre Zusammenarbeit mit der Parteiführung mit dem Ziel, den Vorwahlkampf ihres Rivalen Bernie Sanders zu torpedieren; die Versuche, offizielle Ermittlungen wegen des rechtswidrigen Einsatzes eines privaten E-Mail-Kontos für offizielle Angelegenheiten des Außenministeriums zu benutzen; die korrupten Beziehungen zwischen der Clinton Foundation und diversen Organisationen und Regierungen; und vieles mehr.

Es ist ein klassisches Beispiel für den Versuch, die eigentliche Botschaft durch einen Angriff auf ihren Überbringer zu diskreditieren.

Doch es gibt weitaus tiefere Gründe für die Hetze gegen Russland. Washington betrachtet Russland als Hindernis für seine Versuche, die Hegemonie über Eurasien zu erlangen. Die USA schüren die Spannungen mit Russland außerdem, um ihre Verbündeten in Westeuropa auf der Linie der geostrategischen und wirtschaftlichen Pläne des US-Imperialismus zu halten. Ein wichtiger Aspekt des Kalten Krieges bestand darin, dass er die politische Hoheit der USA über Europa gewahrt hat, indem eine äußere Bedrohung für die europäischen imperialistischen Mächte an der Ostflanke des Kontinents kultiviert wurde. Nach der Auflösung der Sowjetunion von 25 Jahren ging diese Rolle auf das kapitalistische Russland über, das noch immer die zweitgrößte Atommacht der Welt ist.

Am Samstag jährte sich zum 54. Mal die Rede von Präsident John F. Kennedy, in der er der amerikanischen Bevölkerung mitteilte, dass die Sowjetunion Atomraketen auf Kuba stationiert und die US-Regierung ein Embargo verhängt hat, um alle russischen Schiffe auf dem Weg nach Kuba abzufangen und zu durchsuchen. Nie zuvor war die Menschheit der atomaren Vernichtung so nahe wie während der Kubakrise.

Durch den rücksichtslosen Kriegskurs der USA steht die Welt heute so nahe am Rande der atomaren Vernichtung wie zuletzt in diesen dreizehn Tagen des Jahres 1962. Der amerikanische Stellvertreterkrieg für einen Regimewechsel in Syrien und andere blutige Interventionen im Nahen Osten sowie die von den USA angeleitete Militarisierung Osteuropas haben Washington und Moskau einmal mehr an den Rand eines Krieges gebracht. Die derzeitige Verteufelung Putins durch die Spitzenkandidatin der Präsidentschaftswahl verschärft diese Gefahr nur noch weiter.

Der Kalte Krieg ging einher mit einer fanatisch antikommunistischen Ideologie, die alle Bereiche der amerikanischen Politik und Gesellschaft erfasste. Die Besessenheit der USA mit der Sowjetunion erklärte sich aus dem Hass und der Angst der herrschenden Klasse Amerikas gegenüber dem Vermächtnis des revolutionären Sozialismus, der sich im Fortbestand der Sowjetunion ausdrückte - wenn auch in einer äußerst verzerrten Form. Doch im Kalten Krieg ging es den USA auch darum, durch die Nato und andere Institutionen sowie die imperialistischen Verbündeten Washingtons die Vormachtstellung der USA zu sichern.

Nach der Auflösung der UdSSR erklärten sich die USA zur weltweit einzigen Supermacht und verkündeten, sie würden keinerlei regionale oder weltweite Herausforderung für ihre Hegemonie tolerieren. Doch die 25 Jahre seit der Auflösung der UdSSR waren für die USA eine Reihe von strategischen Katastrophen, die die Grundlage ihrer globalen Vormachtstellung untergraben haben. Ihre Absicht, den Nahen Osten unter ihrer eigenen Vorherrschaft neu zu gestalten, angefangen mit dem ersten Golfkrieg 1991, hat zwar die staatlichen Strukturen im Nahen Osten ins Chaos gestürzt und die Region in ein Schlachtfeld verwandelt, aber den USA keinen eindeutigen strategischen Vorteil gebracht.

Der Aufstieg Chinas und anderer asiatischer Volkswirtschaften sowie die Entwicklung des wiedervereinigten Deutschlands zum größten Kapitalexporteur der Welt hat die Vormachtstellung der USA in der Weltwirtschaft noch weiter untergraben, während die Wirtschaft des Landes immer mehr von diversen Formen von Parasitismus und Spekulation dominiert wird.

Unter diesen Umständen sind die USA mit wachsenden Spannungen mit ihren engsten Nato-Verbündeten konfrontiert, die aus einer Reihe von Konflikten über Handels-, Steuer- und Militärpolitik entstanden sind. Dazu gehören das Scheitern der Verhandlungen über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) und die Forderung der Europäischen Union, der größte US-Konzern Apple solle dreizehn Milliarden Dollar Steuern nachzahlen.

Die USA forderten daraufhin von der angeschlagenen Deutschen Bank eine Geldstrafe in Höhe von vierzehn Milliarden Dollar für ihre Rolle bei der Finanzkrise von 2008. Ein hochrangiger Vertreter der Bundesregierung bezeichnete diesen Schritt als „handelskriegsähnliches Scharmützel“. Zu diesen wirtschaftlichen Spannungen kommen noch die Versuche, die Europäische Union in ein Militärbündnis zu verwandeln, das die von den USA dominierte Nato entweder ergänzen oder sogar ersetzen soll.

Die ständigen militärischen Provokationen der USA gegen Russland, u.a. der Putsch in der Ukraine 2014, die Kampagne für einen Regimewechsel in Syrien und das Nato-Aufgebot an der russischen Grenze sollen eine Krisenstimmung schaffen, in der die Staaten Westeuropas aus Angst vor einer möglichen militärischen Vergeltung Russlands am militärischen und wirtschaftlichen Bündnis mit den USA festhalten.

Bisher deutet alles darauf hin, dass die nächste Regierung die militärische Eskalation gegenüber Russland verschärfen wird. Die Washington Post schrieb letzten Donnerstag ungewöhnlich offen: „Die Republikaner und Demokraten innerhalb der außenpolitischen Elite schaffen durch eine Flut von Berichten von Funktionären, die in einer möglichen Clinton-Regierung vermutlich wichtige Rollen spielen werden, die Grundlagen für eine selbstbewusstere amerikanische Außenpolitik.“

Die Post schrieb: „Dass die aktuellen Empfehlungen von beiden Seiten kommen, während das Land so polarisiert ist wie nie, ist Ausdruck eines beachtenswerten Konsens in der außenpolitischen Elite [für eine Verschärfung des amerikanischen Kurses gegen Russland und Syrien].“

Diese Entwicklungen stellen die größte Gefahr für die menschliche Zivilisation seit dem Ende des Kalten Krieges dar. Im Verlauf des letzten Monats hat Russland auf die Eskalationsversuche der USA nicht nur mit der offenen Drohung reagiert, amerikanische Kampfflugzeuge abzuschießen, sondern auch mit der Verlegung atomwaffenfähiger Raketen in seine westlichste Enklave Kaliningrad, von wo aus sie die Staaten Osteuropas direkt bedrohen.

Alles deutet darauf hin, dass eine Regierung unter Hillary Clinton eine deutliche Eskalation von Washingtons Konfrontation mit Russland bedeuten würde. Deshalb besteht durchaus die Möglichkeit, dass Washingtons riskante Politik (wie sie mehrere aktuelle politische Analysen schildern) zu einem offenen konventionellen oder einem Atomkrieg mit Russland führt.

Dennoch schweigen die Medien und das gesamte politische Establishment weiterhin über den drohenden Krieg. Nur die World Socialist Web Site und die Socialist Equality Party sprechen die Kriegsgefahr an. Wir rufen unsere Leser auf, an der Konferenz „Sozialismus versus Kapitalismus und Krieg“ am 5. November teilzunehmen und sich am Aufbau einer Bewegung der Arbeiterklasse gegen Krieg und das kapitalistische System, das ihn hervorbringt, zu beteiligen.

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