Perspektive

Vor den US-Wahlen verschärft sich der Klassenkampf

Unmittelbar vor den US-Präsidentschaftswahlen am kommenden Dienstag gibt es in den Vereinigten Staaten auffällig viele Streiks in ganz unterschiedlichen Teilen der Arbeiterklasse.

Der größte Arbeitskampf findet in Philadelphia statt, wo sich fast fünftausend Beschäftigte der Nahverkehrsbetriebe im Ausstand befinden. Der Streik dauert schon die ganze Woche an. Er bringt den sechstgrößten Verkehrsverbund des Landes und die Stadt mit anderthalb Millionen Einwohnern praktisch zum Stillstand.

Der Streik richtet sich gegen die Entscheidung des Verkehrsverbunds Southeastern Pennsylvania Transportation Authority (SEPTA), die Selbstbeteiligung der Beschäftigten an ihren Gesundheitskosten um das Elffache zu erhöhen.

Auch das Symphonieorchester von Pittsburgh ist im Arbeitskampf. Die Musiker streiken schon seit fünf Wochen gegen Lohn- und Rentenkürzungen. Außerdem streiken siebenhundert Chemiearbeiter bei Momentive Performance Materials in New York und Ohio. Sie wehren sich gegen Kürzungen bei den Kranken- und Rentenkassen. In Los Angeles kämpfen derweil dreihundert Schauspieler, die als Sprecher für Videospiele arbeiten, für bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen.

Vierhundert Honeywell-Arbeiter sind in Indiana und New York State seit sieben Monat ausgesperrt, weil sie die Forderung ihres Arbeitgebers nach Zugeständnissen bei der Gesundheitsversorgung abgelehnt hatten. Honeywell International ist ein wichtiger Zulieferer für die Flugzeugproduktion.

Weitere Arbeitsniederlegungen haben die Gewerkschaften abgewürgt. Die Gewerkschaftsfunktionäre versuchen, Streiks wo immer möglich zu verhindern oder, wenn das nicht geht, sie schnellstmöglich zu beenden. Ihr Ziel ist vor allem, die Wahl der Demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton nicht zu gefährden.

Die Gewerkschaften haben in den letzten Wochen zahlreiche Streiks abgebrochen, so den Ausstand an den staatlichen Universitäten von Pennsylvania, den Streik der Krankenschwestern in Minnesota, sowie Arbeitskämpfe der Glasarbeiter bei Libbey in Ohio, der Whiskey-Brauer bei Jim Beam in Kentucky und der Kantinenbeschäftigten an der Harvard-Universität in Massachusetts. Schon in der ersten Jahreshälfte hatten 40 000 Beschäftigte beim Telekom-Konzern Verizon gestreikt.

Tausende weitere Arbeiter könnten in Kürze die Arbeit niederlegen, darunter 95 000 Staatsangestellte in Kalifornien, Flugzeugmechaniker von UPS, die Belegschaft der General-Electric-Werke in Kentucky sowie Busfahrer in Ohio und Illinois.

Der Aufschwung der Arbeitskämpfe in den USA fällt mit einer Zunahme der Klassenkämpfe auf der ganzen Welt zusammen. Im vergangenen Monat streikten zehntausende Autoarbeiter, Eisenbahner und Krankenhausangestellte in Südkorea, und in China kam es zu einer Rekordzahl von Streiks.

Beziehung zwischen Anzahl von Streiks und Vermögenskonzentration (1948-2014)

Die Gewerkschaften haben den Klassenkampf jahrelang künstlich unterdrückt. Unter der Präsidentschaft Obamas haben die Streiks ihren niedrigsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Das hat es den Konzernen ermöglicht, nach dem Finanzkrach von 2008 ihre Fabriken umzustrukturieren und ihre Arbeitskosten zu senken. Ein wichtiger Hebel dafür war die Übertragung der Kranken- und Rentenversicherungskosten auf die Arbeiter und die Verwandlung von Millionen in prekär Beschäftigte.

Der Widerstand gegen die Unternehmensforderung nach größerer Eigenbeteiligung an den Gesundheitskosten spielt in praktisch allen Kämpfen eine große Rolle. Die Verlagerung der Gesundheitskosten von den Unternehmen auf die Arbeiter verlief parallel zur Einführung von „Obamacare”, der zentralen sozialpolitischen „Errungenschaft” der scheidenden Regierung.

Einer Untersuchung der Kaiser Family Foundation zufolge stiegen die Krankenversicherungs-Policen letztes Jahr um 3,4 Prozent und die Eigenbeteiligung um zwölf Prozent. Das hat die durchschnittliche Steigerung der Löhne um drei Prozent mehr als aufgefressen. Zuvor waren die Reallöhne zehn Jahre lang gesunken oder hatten bestenfalls stagniert. Eine andere Studie zeigt, dass in den letzten fünf Jahren der Anteil der Beschäftigten, die eine Krankenversicherung mit hoher Selbstbeteiligung haben, sich mit 29 Prozent oder fünfzig Millionen Arbeiter mehr als verdoppelt hat.

Von 2002 bis 2015 stiegen die Jahreseinkommen der unteren neunzig Prozent der Amerikaner nur um 4,5 Prozent, während die Einkommen des obersten Prozents um 22,7 Prozent anstiegen, wie das Economic Policy Institute schreibt. Unter der Obama-Regierung sind mehr als neunzig Prozent aller Einkommenssteigerungen seit der so genannten „Erholung“ an das oberste Prozent gegangen.

Reales mittleres Haushaltseinkommen in den USA

Der Anteil von Amerikanern, die weniger als 125 Prozent der offiziellen Armutsrate verdienen, ist unter Obama jedes Jahr höher gewesen als unter Bush.

Das ist die Lage von Millionen Arbeitern am Vorabend einer Wahl, in der sich der Immobilienmilliardär Donald Trump und die Multimillionärin und Langzeitpolitikerin Hillary Clinton gegenüberstehen. Keiner dieser beiden reaktionären Verteidiger des kapitalistischen Systems hat ein Programm für die sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung anzubieten.

Der Wahlkampf fand auf dem denkbar niedrigsten Niveau statt. Fragen wie wirtschaftliche Unsicherheit, Armut und das Anwachsen von Militarismus und Krieg, die die breite Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung betreffen, waren komplett ausgeklammert.

Was Arbeiter wirklich denken und fühlen, findet im Rahmen des bestehenden politischen Systems keinen Ausdruck. Deshalb war die herrschende Elite schockiert und erschrocken, als Millionen Arbeiter und Jugendliche für Bernie Sanders stimmten, weil sie das kapitalistische System und die Tyrannei der Wall Street ablehnen. Die dreizehn Millionen Stimmen für Sanders, der sich fälschlicherweise als „demokratischer Sozialist“ präsentierte, waren Ausdruck einer Linksentwicklung im Bewusstsein breiter Schichten der Arbeiterkasse, die sich auch in der aktuellen Streikbewegung zeigt.

Arbeitsanteil am BIP steht auf tiefstem Stand seit dem Zweiten Weltkrieg

Sanders Unterstützung für Clinton, die bevorzugte Kandidatin der Wirtschafts- und Finanzelite, hat seine reaktionäre Rolle als Instrument der herrschenden Elite vollständig entlarvt. Er lenkte die soziale Opposition zurück in die Reihen der Demokratischen Partei. Damit spielte er eine wichtige Rolle dabei, den Weg für Trump freizumachen, sodass dieser das soziale Elend der wirtschaftlichen Verlierer ausnutzen und ihre Unzufriedenheit in eine reaktionäre politische Richtung lenken konnte.

Clinton nutzt Sanders’ Kapitulation und die Unterstützung des liberalen und pseudolinken Milieus aus, um ihre reaktionäre Identitätspolitik zu propagieren. Für die Unterstützung für Trump macht sie den angeblichen Rassismus der „weißen Arbeiterklasse” verantwortlich.

Die größte Entlarvung solcher Lügen ist der Klassenkampf selbst. Die ersten Regungen einer neuen Periode des Klassenkampfs unter Beteiligung von Arbeitern aller Hautfarben und Nationalitäten unterstreichen die grundlegende Tatsache, dass die Gesellschaft „sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen [spaltet]“ (Karl Marx).

Die politische Radikalisierung fand ihren ersten Ausdruck in der Massenunterstützung für Sanders. Sie ist aber nicht verschwunden. Unter einer neuen Regierung, die die US-Kriegspolitik nach außen und die Angriffe auf die Arbeiterklasse im Innern verschärft, wird sie sich weiter vergrößern.

Im Verlauf des Wahlkampfs der Socialist Equality Party (SEP) haben tausende Arbeiter und Jugendliche ihr Interesse am Sozialismus zum Ausdruck gebracht.

Die SEP, die Jerry White als Präsidenten und Niles Niemuth als Vizepräsidenten aufgestellt hat, vertritt als einzige Partei eine Perspektive und ein Programm für die bevorstehenden Klassenauseinandersetzungen. Sie baut eine neue politische Führung auf, die alle Proteste gegen Krieg, soziale Ungleichheit und Diktatur vereint und die Errichtung von Arbeiterregierungen auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms anstrebt.

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