VW leugnet Abgasbetrug in Europa

Der im September letzten Jahres publik gewordene Abgasbetrug und die daraus folgenden Milliardenabschreibungen für Strafen und Entschädigungen haben den Volkswagen-Konzern bereits in seinen Grundfesten erschüttert. Doch die fortdauernde, abgehobene und arrogante Reaktion der Verantwortlichen auf den Skandal treibt den Konzern mit seinen weltweit über 600.000 Beschäftigten immer tiefer in den Abgrund.

Als VW-Konzernchef Matthias Müller Anfang des Jahres in den USA in einem Interview behauptete, man sei sich keiner Schuld bewusst und die kriminelle Abgasmanipulation sei ein kleines „technisches Problem“, galt das als Katastrophe in der „Außen-Kommunikation“. Inzwischen hat VW in den USA zugegeben, nicht nur „geschummelt“, sondern mithilfe der Abschaltautomatik für die Abgasreinigung staatliche Behörden und Kunden betrogen zu haben.

Vor einem Bezirksgericht in Detroit hat sich ein Volkswagen-Ingenieur vor zwei Monaten schuldig bekannt, aktiv an der Abgasmanipulation beteiligt gewesen zu sein. Der 62-Jährige habe zugegeben, bis Mai 2008 am Konzernsitz in Wolfsburg „Teil einer fast zehn Jahre andauernden Verschwörung gewesen zu sein“, schreibt der NDR.

Die Arbeit an der speziellen Betrugs-Software für den US-Markt begann laut Aussagen des Ingenieurs ungefähr im Jahr 2006 in der Entwicklungsabteilung für Dieselmotoren. Er sei „einer von vielen, die bei Volkswagen“ in den Abgas-Betrug verwickelt seien, sagte der Anwalt des Angeklagten.

In den USA zahlt VW mindestens 15 Milliarden Euro an Strafen und Entschädigungen, bei knapp einer halben Million betroffenen Autos. Weltweit sind nach bisherigem Stand 11 Millionen Autos mit der Betrugs-Software verkauft worden, davon rund 8 Millionen in Europa.

Nun behauptet der VW-Konzern, anders als in den USA sei in Europa alles rechtens. Die in die Autos eingebaute Software stelle „keine unzulässige Abschalteinrichtung nach europäischem Recht dar“, zitieren Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR aus gerichtlichen Schriftsätzen des Unternehmens. Von einer Manipulation lasse sich deshalb nicht sprechen.

Doch VW geht noch weiter. Der Konzern bestreitet sogar, dass die Stickoxid-Emissionen von Diesel-Pkw gesundheitsschädlich seien. „Eine seriöse Ermittlung von Krankheitszahlen oder sogar Todesfällen für bestimmte Bevölkerungsgruppen ist nach unserem Kenntnisstand aus wissenschaftlicher Sicht nicht möglich.“

Der Grund für diese offensichtlichen Lügen ist klar. Schadensersatzklagen von Kunden in Europa sollen um jeden Preis verhindert werden. Doch diese Kaltschnäuzigkeit könnte Auswirkungen auf den Zwölf-Marken-Konzern haben, die weit über den befürchteten Schadensersatz hinausgehen, nämlich beim Absatz. Das Image von VW dürfte auf Jahre hinaus zerstört sein.

Ähnlich scheint es sich bei der Premium-Tochter Audi zu entwickeln. Audi hatte lange behauptet, keine Abgase manipuliert zu haben. Das war gelogen. Audi entwickelte Drei-Liter-Diesel-Motoren mit einer Betrugs-Software. Die Sechszylinder kommen unter anderem beim VW Touareg, dem Porsche Cayenne und dem Audi A8 zum Einsatz. Audi verhandelt derzeit in den USA über Strafzahlungen und Entschädigungen der 85.000 US-Kunden. VW hat deshalb erst vor kurzem seine Rückstellungen um rund 400 Millionen auf 18,2 Milliarden Euro erhöht.

Nun ist herausgekommen, dass Audi nicht nur bei Stickoxidemissionen, sondern auch bei den Verbrauchs- und CO2-Werten manipuliert hat, und zwar nicht nur bei Diesel-, sondern auch bei Ottomotoren.

Die Bild am Sonntag berichtete am vergangenen Wochenende, die kalifornische Umweltbehörde CARB habe bei einem Sechszylinder-Motor von Audi und einem bestimmten Automatikgetriebe eine softwaregestützte Manipulation entdeckt. Werde das Lenkrad nach dem Start nicht gedreht, so wie es auf einem Rollenprüfstand üblich sei, werde eine Schaltstrategie aktiviert, die zu geringen Verbrauchs- und CO2-Abgaswerten führe. Werde das Steuer dagegen um mehr als 15 Grad gedreht, wie im normalen Fahrbetrieb üblich, werde das normale Schaltprogramm aktiviert – mit höheren Emissionen.

Der damalige Verantwortliche für diese Motoren, Axel Eiser, soll das „zyklusoptimierte Schaltprogramm“ schon 2013 gekannt haben. Inzwischen ist Eiser zum Leiter der Motoren-Entwicklung im VW-Gesamtkonzern aufgestiegen.

Milliardenforderungen stellen auch VW-Aktionäre. Sie werfen dem VW-Vorstand vor, sie im letzten Jahr zu spät über den Abgas-Betrug informiert zu haben und damit gegen die Vorschriften zu den Ad-hoc-Mitteilungspflichten von Aktiengesellschaften verstoßen zu haben.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte daraufhin im letzten Jahr den kompletten VW-Vorstand verklagt, doch die Staatsanwaltschaft Braunschweig leitete zunächst nur Ermittlungen gegen den damaligen Vorsitzenden Martin Winterkorn und den VW-Markenvorstand Herbert Diess ein. Nun hat die Staatsanwaltschaft bekannt gegeben, dass sie ihre Ermittlungen auf VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch ausgedehnt hat. Er war seinerzeit Finanzvorstand und für die Börsen-Mitteilungen zuständig.

Wenn sich VW für die „Manipulation der Kapitalmärkte“ verantworten muss, könnte dies teuer werden. Anleger haben den Konzern in Zivilprozessen auf mehr als acht Milliarden Euro Schadenersatz verklagt.

Die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch, das SPD-regierte Land Niedersachsen, das einen Aktienanteil von 20 Prozent am Konzern besitzt, und die IG Metall, für die u. a. der Vorsitzende Jörg Hofmann im Aufsichtsrat sitzt, haben sich sofort demonstrativ hinter Pötsch gestellt.

Die Eigentümer-Familien, SPD und Gewerkschaft sowie ihre Vertreter in Vorstand und Betriebsrat ähneln den Repräsentanten eines autokratischen Regimes kurz vor dem Kollaps. Abgeschottet von der Außenwelt leben sie in ihrer eigenen Welt und glauben, nach Belieben schalten und walten zu können. Das wurde schon deutlich, als sich Ende April die Manager 63 Millionen Euro Boni einsteckten, während sich für die Beschäftigten schwere Einschnitte abzeichneten.

Schon damals wurde klar, dass die Anteilseigner und Manager deshalb so arrogant auftreten, weil sie sich auf ihre fürstlich bezahlten Gewerkschafts-Lakaien verlassen können – die IG Metall und ihre Betriebsräte. Seit Jahrzehnten sind die sogenannten Arbeitnehmervertreter Teil der „archaischen Herrschaftsstrukturen bei VW“ (Süddeutsche Zeitung).

In der Nachkriegszeit stand dieses Modell für die „deutsche Sozialpartnerschaft“. Dabei trotzte die IG Metall aufgrund des hohen Organisationsgrads der VW-Arbeiter den Eigentümerfamilien relativ sichere Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen ab. Im Gegenzug sorgten IGM und Betriebsrat für „Ruhe und Ordnung“ in den Werken und eine hochproduktive Belegschaft.

Mit der Globalisierung der Produktion hat sich dieses Verhältnis grundlegend gewandelt. Gewerkschaft und Betriebsräte haben auf die Möglichkeiten, die Produktion international zu verlagern, reagiert, indem sie sich in Co-Manager und Unternehmensberater verwandelt haben. Inzwischen arbeiten sie die Mechanismen aus, mit denen immer neuere Kürzungen gegen die Belegschaften durchgesetzt werden. Jegliche Opposition in den Betrieben wird im Keim erstickt.

Dies zeigt sich auch bei den Verhandlungen über einen Zukunftspakt bei der Kernmarke VW, die seit mehreren Monaten unter Leitung des ehemaligen IGM-Funktionärs und jetzigen VW-Personalchefs Karlheinz Blessing und von Betriebsratschef Bernd Osterloh geführt werden. Die Gespräche liefen „sehr konstruktiv“, sagte VW-Markenchef Diess kürzlich im Handelsblatt.

Was konkret verhandelt wird, verraten weder Vorstand noch Betriebsrat. Doch nach einem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 15. September diskutieren sie den Abbau Zehntausender Stellen in Deutschland. Der Vertrag betrifft vorrangig die sechs westdeutschen VW-Werke (Emden, Wolfsburg, Hannover, Salzgitter, Braunschweig, Kassel) sowie die drei sächsischen Werke in Zwickau, Dresden und Chemnitz.

Offenbar sollen in den nächsten Jahren 20.000 bis 25.000 Stellen vor allem über eine Ausweitung von Altersteilzeit-Regelungen abgebaut werden. Das Auslaufen von vielen Tausend Zeitarbeitsverträgen und der Abbau von 3000 Stellen in der Verwaltung sind da noch nicht einberechnet. Blessing hatte Mitte September auf einer nichtöffentlichen Betriebsversammlung in Wolfsburg gewarnt: „Wir haben ein hartes Fitnessprogramm vor uns. Qualifizierung, neue Aufgaben, neue Arbeitsweisen – alles das kommt auf uns zu. Auch Personalreduzierung beispielsweise durch Altersteilzeit gehört dazu.“

Um den Rückstand in der Entwicklung von Elektro-Fahrzeugen aufzuholen, soll im Rahmen des Pakts auch die Produktion von entsprechenden Modellen und Batterien geregelt werden. VW plant bis 2025 mehr als 30 neue Elektromodelle, von denen pro Jahr zwei bis drei Millionen Stück verkauft werden sollen, also rund jedes vierte Auto nach heutigem Stand.

Für den Umbau rechnet VW mit Investitionskosten in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrags. Sollte dieses Ziel auch nur ansatzweise erreicht werden, sind als erstes die rund 6500 Arbeitsplätze im Motorenwerk in Salzgitter in Gefahr. In den beiden anderen europäischen Motorenwerken arbeiten knapp 2000 Beschäftigte in Chemnitz und über 11.000 in Győr (Ungarn).

Der Betriebsrat wird versuchen, die Arbeiter dieser wie auch anderer Werke gegeneinander auszuspielen, um Kürzungen durchzusetzen.

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