Perspektive

Mossul und imperialistische „Menschenrechte“

Am 30. November trat der UN-Sicherheitsrat wieder einmal zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, um Syrien und Russland die Schuld am Schicksal der Zivilisten in der umkämpften Stadt Aleppo zuzuweisen.

Am vergangenen Wochenende hatten Truppen der syrischen Regierung mit Unterstützung Russlands eine neue Offensive begonnen und vierzig Prozent des besetzten Ostteils der Stadt zurückerobert. Islamistische Milizen und al-Qaida-Kämpfer halten Aleppo seit 2011 besetzt; seit Beginn des Bürgerkriegs also, den sie mit Unterstützung der USA gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad führen. Tausende Zivilisten sind schon aus der Stadt geflüchtet. Sprecher der syrischen Regierung haben jetzt erklärt, bis zum Jahresende solle ganz Aleppo zurückerobert werden.

UN-Botschafterin Samantha Power, die im Sicherheitsrat auftrat, sprach als Vertreterin der Obama-Regierung. Die Vereinigten Staaten haben den Krieg gegen Assad durch Intrigen mit den islamistischen Milizen aktiv angeheizt. Im Bündnis mit der Türkei, Saudi-Arabien und den Golfmonarchien, wie auch mit den europäischen Regierungen, hat Washington die „Rebellen“ rekrutiert, ausgebildet und finanziert. Sie dienen in der imperialistischen Regimewechseloperation als Stellvertreterkräfte. Das Ergebnis sind bisher über 400 000 Tote, die Vertreibung von mehr als zehn Millionen Menschen und die weitgehende Zerstörung Syriens.

Nun muss Washington damit rechnen, große Teile seiner Stellvertretermilizen in den nächsten Wochen zu verlieren, wodurch die gesamte Operation zum Sturz des Assad-Regimes scheitern könnte. Das ist der Hintergrund von Samantha Powers Rede. Sie forderte einen sofortigen Waffenstillstand und die „Einhaltung des internationalen humanitären Rechts“.

Pathetisch erklärte Power: „Ich möchte die Ratsmitglieder und alle Menschen der Welt bitten, sich einen Moment Zeit zu nehmen und sich Bilder aus Ostaleppo anzuschauen. Eltern tragen qualvoll sterbende Kinder mit sich herum, flüchtende Zivilisten werden buchstäblich niedergemäht und bleiben leblos neben ihren Koffern liegen …“

Ohne Frage ist die von Russland unterstützte Offensive der syrischen Regierung brutal und gnadenlos. Aber die Krokodilstränen des US-Imperialismus sind reine Heuchelei. Er hat in den letzten 25 Jahren selbst große Teile des Nahen Ostens verwüstet. Powers Phrasen und ähnliche Äußerungen im Sicherheitsrat aus dem Munde amerikanischer Verbündeter aus Frankreich, Großbritannien, Spanien und Neuseeland sind umso grotesker im Licht des begonnenen Angriffs auf die irakische Stadt Mossul, den die USA leiten.

Sechshundert Kilometer östlich von Aleppo unterstützen die USA und ihre Verbündeten dort eine Offensive der irakischen Regierung gegen den Islamischen Staat (IS). Dieser ist 2014 aufgrund der Intrigen Washingtons in Syrien und dem Irak eingefallen und hat Mossul erobert. Laut der Aussage des US-Marionettenregimes in Bagdad ist die Stadt heute von zehntausenden irakischen Soldaten, kurdischen Kräften und verschiedenen schiitischen Milizen völlig umzingelt.

Associated Press hat behauptet, die US-Verbündeten würden „unnötige Gewaltmaßnahmen vermeiden, um Zivilisten nicht zu gefährden“. Das ist reine Propaganda. Mit der Beteuerung, die IS-Milizen seien bereit, „bis zum Tod zu kämpfen“, hat das irakische Militär praktisch jede Aussicht auf Verhandlungen ausgeschlossen. Flugblätter wurden abgeworfen, auf denen die über anderthalb Millionen Zivilisten in der Stadt aufgefordert werden, in ihren Häusern zu bleiben. Derweil bombardiert eine „Koalition“ aus amerikanischen, britischen, australischen, kanadischen und jordanischen Flugzeugen mutmaßliche IS-Positionen. Die Hilfsorganisation REACH berichtet in einer Reportage vom 24. November über die humanitäre Lage, und wie sich in den unteren Gebäudestockwerken die Familien aus Furcht vor Bombenangriffen zusammendrängen.

Einheiten irakischer Sondertruppen, die in den meisten Fällen von US-Soldaten begleitet werden, dringen in die östlichen Stadtteile vor und säubern sie in Razzien von Haus zu Haus. Ihre Taktik ist einfach, grobschlächtig und mörderisch, wenn man die Anweisung an Zivilisten bedenkt, in den Häusern zu bleiben. Die Soldaten rufen Flugzeuge, Artillerie oder Panzer zu Hilfe und lassen jedes Gebäude zerstören, in dem sie IS-Kämpfer oder Sprengfallen vermuten. Zivile Opfer wurden schon von vornherein mit der Behauptung gerechtfertigt, der IS missbrauche die Einwohner als „menschliche Schutzschilde“.

Das irakische Militär prahlte diese Woche damit, eintausend IS-Kämpfer getötet zu haben, während der IS seinerseits behauptete, 3700 Regierungssoldaten und kurdische Kräfte getötet zu haben. Von keiner Seite werden halbwegs verlässliche Zahlen über zivile Opfer veröffentlicht, aber diese sind offenbar sehr hoch. Im Krankenhaus Erbil, etwa achtzig Kilometer vor Mossul entfernt, werden täglich 150 militärische und zivile Verwundete eingeliefert. Verwundete Zivilisten können aber das Krankenhaus nur erreichen, wenn sie aus Gebieten stammen, die die Regierungstruppen schon erobert haben. Bisher ist es erst 70 000 Menschen gelungen, aus der Stadt zu flüchten.

Um Mossul zu „retten“, wird diese Stadt mit viertausendjähriger Geschichte buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. Diese Woche haben Bombeneinschläge eine wichtige Wasserleitung im Osten der Stadt zerstört. 650 000 Menschen sind dadurch von der Wasserversorgung abgeschnitten. Auch die Stromversorgung ist schon weitgehend unterbrochen. Die Versorgungslage wird immer problematischer und die Preise für Lebensmittel haben sich praktisch verdoppelt. Die Gesundheitsversorgung der Stadt liegt danieder. Die Universität und zahllose andere öffentliche Gebäude liegen in Schutt und Asche. Am Mittwoch haben Flugzeuge der Koalition vier wichtige Brücken über den Tigris zerbombt, die den Ostteil und den Westteil der Stadt verbanden. Dadurch ist die Bevölkerung im Osten noch stärker von einem möglichen Nachschub an Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern abgeschnitten.

Die Belagerung Mossuls wird wahrscheinlich noch Wochen, wenn nicht Monate, andauern. Der Winter rückt näher, und die Temperaturen sinken unter den Gefrierpunkt. So kommen zu den Bombardierungen noch Kälte, Hunger und Krankheiten hinzu und fordern ihre Opfer, besonders unter Kindern, Alten und Kranken.

In Mossul hat die Obama-Regierung keinen Waffenstillstand verlangt. Sie fordert auch nicht die Einhaltung „humanitärer Grundsätze“. Die Haltung der imperialistischen Mächte zu Kriegsverbrechen hängt immer davon ab, ob sie ihnen nutzt oder nicht. In Aleppo erleiden die USA und die europäischen Mächte Rückschläge, also wird laut angeklagt und nach Maßnahmen gerufen. In Mossul haben die US-Interessen Oberwasser, also werden zivile Tote heruntergespielt oder schlicht geleugnet.

Wann immer ein Vertreter des Imperialismus und der herrschenden Kapitalistenklasse über „Menschenrechte“ schwadroniert, muss die Arbeiterklasse mit Verachtung und Feindschaft reagieren. Imperialistische Verbrechen und neokoloniale Intrigen werden erst aufhören, wenn der Kapitalismus selbst überwunden wird.

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