Arktis: Eisbedeckung auf Rekordtief

Nie zuvor seit Beginn der Satellitenmessungen in den späten 1970er Jahren war die Eisdecke der Arktis zu dieser Jahreszeit so gering. Sowohl in der Arktis als auch der Antarktis erreicht die Meereisausbildung die geringste je beobachtete Ausdehnung.

Mit Beginn der Polarnacht, in der die Sonne nie über den Horizont steigt, beginnt normalerweise ein rasches Eiswachstum, da die durchgängige Bitterkälte das wärmere Wasser abkühlt. Doch in den letzten beiden Monaten war es in der hohen Arktis konstant zu warm. Die Temperaturen stiegen letzte Woche auf beachtliche 20 Grad Celsius über dem langjährigen Mittel.

Diese außergewöhnliche Wärme ist teilweise auf die ohnehin schrumpfende Eisfläche zurückzuführen, und sie kann wohl zu weiteren Verlusten führen. Ursache sind jedoch nicht nur die hohen Lufttemperaturen, wie Mark Serreze vom Nationalen Schnee und Eis Datencenter der Washington Post erklärte: „Es gibt Zonen im Arktischen Ozean, die sind jetzt gut und gerne vierzehn Grad wärmer als im Durchschnitt. Das ist ganz schön verrückt!”

Zurzeit ist noch nicht absehbar, ob die maximale Eisdecke im diesjährigen Winter ein neues Tief erreichen wird, doch die Langzeittrends sind unmissverständlich. Besonders in der Arktis sehen die Klimatologen im Eis-Rückgang ein Alarmzeichen für die Erwärmung des Planeten. Die Ozeanoberfläche, die mindestens von fünfzehn Prozent Eis bedeckt ist, hatte 2012 ihre kleinste Ausdehnung, doch auch alle folgenden Jahre waren weit unter dem langjährigen Mittel.

Nicht nur die Ausdehnung der Eisoberfläche beunruhigt die Wissenschaftler, sondern auch die abnehmende Dicke und das sinkende Alter des Eises. Laut NASA zeigt ein Vergleich zwischen September 1984 und September 2014 eine Abnahme des alten Eises, also Eis das vier Jahre und älter ist, um 94 Prozent. Praktisch das gesamte ältere und dickere Eis ist geschmolzen oder dünner geworden. Das macht die Region anfälliger für zusätzliches Abschmelzen während des relativ warmen Wetters.

Meereis-Ausdehnung Arktis (Fläche mit mindestens 15% Meereis) Das Schema zeigt den Vergleich der diesjährigen Meereis-Fläche mit dem langjährigen Mittel

Diese Anfälligkeit ist nicht nur eine rein theoretische Möglichkeit. Wie eine kürzliche Analyse des Goddard Institutes der NASA zeigte, verursachten Ende 2015 zum Beispiel ein Sturm und eine Warmfront das Abschmelzen einer Eisfläche von der Größe Floridas, und das zu einer Zeit, in der die Eisbedeckung eigentlich wachsen sollte. Damals waren die „extrem hohen” Temperaturen zehn Grad Celsius über dem Normalen, d.h. halb so warm wie in der jetzigen Warmfront.

Die derzeitigen außergewöhnlich hohen Temperaturabweichungen in der Arktis passen zu der abnormalen Eiseskälte, die zurzeit fast ganz Sibirien in ihren Klauen hält. Diesen Monat wurden von der finnischen Grenze bis zum Japanischen Meer in Russland fast 140 Kälterekorde aufgestellt. In Zentralrussland mussten die Schulen schließen, als die Temperaturen minus 36 Grad erreichten.

Die täglichen Durchschnittstemperaturen 2016 (rot) verglichen mit dem langjährigen Mittel (grün) in Kelvin. (273.15 Kelvin entsprechen 0°C)

Die Rekordhitze in der Arktis hängt mit der Kälte über den Kontinenten zusammen. Die Klimatologin Jennifer Francis von der Rutgers-Universität erklärte der Washington Post: „Die arktische Wärme ist das Resultat aus der für diese Jahreszeit extrem reduzierten Eisdecke, dem wahrscheinlich auch sehr dünnen Eis und viel warmer und feuchter Luft aus niederen Breiten, die durch den ungewöhnlich instabilen Jetstream nach Norden getrieben wird.“

Immer mehr Forschungen beschäftigen sich mit dem Zusammenhang, zwischen der Veränderung im atmosphärischen Zirkulationsmuster und dem Rückgang der arktischen Eisdecke. Der winterliche arktische Polarwirbel, eine zirkulierende Zone niedrigen Luftdrucks, die mehrere Kilometer weit in die Atmosphäre hinaufreicht, ist in den letzten Jahrzehnten parallel zum Abschmelzen des Meereises schwächer geworden. Dieser sich abschwächende und vielleicht auch wandernde Wirbel macht es möglich, dass kältere Luftströme, die normalerweise auf die Polarregion beschränkt sind, weiter nach Süden ziehen. Das aktuelle Wettermuster ist offenbar ein erstes Beispiel für dieses Phänomen.

Nicht nur im Norden, auch in der Antarktis stehen große Veränderungen bevor. In den Jahren bis 2014 wuchs in dieser Region das winterliche Meereis und dehnte sich bis in den südlichen Ozean aus. Während diese Zunahme durch den Rückgang in der Arktis weit übertroffen wurde, brachte dieses Jahr eine extreme Wende. An beiden Polen geht die Eisdecke weiter zurück und nähert sich erstmals einem Rekordminimum.

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