IWF-Chefin Lagarde kommt trotz Schuldspruch straflos davon

Die IWF-Direktorin Christine Lagarde wurde am 19. Dezember der Vernachlässigung ihrer Sorgfaltspflicht als frühere Finanzministerin schuldig gesprochen. In dem jahrelangen Korruptionsprozess ging es um hohe Zahlungen, die der Staat unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy an den Geschäftsmann Bernard Tapie überwiesen hatte.

Hintergrund ist eine Entschädigungszahlung von 405 Millionen Euro an Tapie aus dem Jahr 2008. Dem Urteil eines Sondergerichts der Republik (CRJ) zufolge hatte „sich Lagarde persönlich in die Entscheidung eingeschaltet und keinerlei Einspruch gegen die Zahlung eingelegt“. Sie habe sich der mangelnden Sorgfalt und der Vernachlässigung von Interessen der Steuerzahler schuldig gemacht. Dennoch verhängte das Gericht keinerlei Strafe gegen Lagarde.

Bernard Tapie, ein berüchtigter Asset Stripper, hatte die Zahlung 2008 erhalten, nachdem er in das Lager von Sarkozy übergelaufen war. In den 1980er und 1990er Jahren war er ein Günstling des Präsidenten François Mitterand (PS) gewesen. Im Jahr 2007 unterstützte er den Präsidentschaftswahlkampf des Gaullisten Sarkozy.

Tapie behauptete damals, er sei 1994 von einer staatlichen Abteilung der Bank Crédit Lyonnais, der Société de Banque Occidentale, betrogen worden, als er das Sportartikelunternehmen Adidas verkaufte. Während eine andere Investorengruppe, zu der auch Robert Louis-Dreyfus gehörte, offenbar von dem Deal profitiert hatte, verlangte Tapie eine staatliche Entschädigung und erhielt das Geld nach Sarkozys Wahl. Doch das Berufungsgericht in Paris urteilte letztes Jahr, die Zahlung sei ungerechtfertigt gewesen, und Tapie müsse das Geld dem Staat zurückerstatten.

Die Verurteilung Lagardes löste beim IWF in Washington am Montagabend nur ein Schulterzucken aus und sie wurde als IWF-Direktorin bestätigt. „Der Vorstand bekräftigt in diesem Zusammenhang sein volles Vertrauen in die Fähigkeit der Direktorin, ihren Pflichten effektiv nachzukommen“, ließ der IWF verlauten. „Der Vorstand freut sich auf die weitere Zusammenarbeit mit der Direktorin bei der Lösung der schwierigen Herausforderungen, vor denen die globale Wirtschaft steht.“

Das Urteil zeigt, dass führende Politiker wie Lagarde, die von den imperialistischen Mächten in Nordamerika und Europa unterstützt werden, praktisch Immunität genießen. Es steht in deutlichem Gegensatz zur Absetzung von Strauss-Kahn im Jahr 2011. Damals nutzten die Vereinigten Staaten und Sarkozy einen Sexskandal von Strauss-Kahn mit einem Zimmermädchen in einem New Yorker Hotel, den sie über Gebühr aufbauschten und gegen ihn instrumentalisierten.

Dagegen unterstützen die Justiz und die aktuelle PS-Regierung Christine Lagarde trotz des riesigen Schadens, den der Skandal um Tapie und Crédit Lyonnais der Öffentlichkeit zugefügt hat. Das ist vor allem der großen Macht geschuldet, über die Lagarde verfügt. Seit Strauss-Kahns Rücktritt im Jahr 2011 ist sie die Direktorin des IWF. Zuvor arbeitete sie als Wirtschaftsanwältin in Chicago.

Es ist erstaunlich, wie offen der Staatsanwalt Jean-Claude Marin sein eigenes Verfahren gegen Lagarde kritisiert. „Im Prozess konnten nicht genügend Bausteine zusammengetragen werden, um eine Bestrafung zu rechtfertigen. Die Anklage war schwach, wenn nicht gar frei erfunden,“ erklärte er.

Während der Verhandlungen beharrte Lagarde mit teilweise abenteuerlichen Begründungen auf ihrer Unschuld. Sie habe sich zum Beispiel trotz ihres Finanzwissens von niederen Chargen hinters Licht führen lassen. Auch habe sie die Verhältnisse im französischen Finanzministerium nicht durchschaut. Ferner behauptete sie, sie habe 22 Notizen nicht gesehen, die ihr von Beamten des Finanzministeriums zur Affäre Tapie-Crédit Lyonnais übermittelt worden waren, und habe auch nichts von den Enthüllungen der Wochenzeitung Canard Enchaîné erfahren.

Offensichtlich konnte Lagarde die CRJ-Richter nicht überzeugen. Sie sprachen die Politikerin entgegen der Empfehlung der Staatsanwaltschaft schuldig. An einem Punkt sagte die Vorsitzende Richterin Martine Ract Madoux sarkastisch: „Sie haben gesagt, Sie haben die Notizen nicht gelesen und sie erst später entdeckt. Sie müssen recht unglücklich gewesen sein, als Sie sie schließlich lasen.“

Lagarde antwortete: „Ein Finanzminister ist häufig unglücklich.“ Sie blieb nicht einmal bis zur Urteilsverkündung in Paris, sondern reiste sofort nach ihrer Aussage wieder nach Washington in die IWF-Zentrale ab.

Der Sondergerichtshof sprach Lagarde zwar schuldig, verhängte aber keine Strafe gegen sie. Damit beugte er sich dem starken Druck, den Politiker und Presseorgane in ganz Europa ausübten. Sie forderten, Lagarde in ihrem Amt als IWF-Direktorin zu belassen. Dieser Posten wird traditionell von einem Europäer bekleidet, und oft von einem Politiker aus Frankreich.

Nach dem Schuldspruch gegen Lagarde lobte die PS-Regierung die Dienste, die Lagarde der Öffentlichkeit geleistet habe. „Christine Lagarde füllt ihr Amt beim IWF vorbildlich aus, und die Regierung hat weiter volles Vertrauen in ihre Fähigkeit, ihre Pflichten zu erfüllen“, erklärte Wirtschaftsminister Michel Sapin.

In einem Kommentar der Financial Times hieß es: „Das letzte, was der IWF jetzt braucht, ist ein Führungsvakuum. Wir wissen, dass es Diskussionen über den Prozess gibt, wie der Direktor ernannt wird, und auch, dass es bei den aufstrebenden Märkten berechtigte Verärgerung über die Art und Weise gibt, wie die Führungsposition regelmäßig mit einem Europäer besetzt wird… Aber jetzt ist nicht der Moment, diese Probleme zu lösen. Der Griechenland-Bailout befindet sich an einem kritischen Punkt, und Donald Trumps Wahl wirft grundlegende Fragen über die Zukunft der internationalen Finanzinstitutionen auf.“

Die Financial Times weist in ihren Bemerkungen auf die großen finanziellen, politischen und geostrategischen Interessen hin, die hinter der Auswahl eines IWF-Direktors stehen. Als eine Institution, die von den USA und Europa gelenkt wird, spielt der IWF eine entscheidende Rolle in den strategischen Angelegenheiten des Weltimperialismus. Er setzt seit Jahrzehnten weitgehende Sparmaßnahmen gegen die arbeitende Bevölkerung durch und baut ganze Volkswirtschaften, die von den Finanzkrisen schwer getroffen sind, im Interesse des Finanzkapitals um.

Der IWF steht im Zentrum erbitterter Auseinandersetzungen, sowohl zwischen den europäischen Mächten, als auch mit den Vereinigten Staaten. Dabei geht es zum Beispiel um die finanziellen Bedingungen von „Bailouts“ und „Haircuts“ in Griechenland und in ganz Südeuropa.

Vor kurzem hat der designierte amerikanische Präsident Donald Trump eine aggressive nationalistische Wirtschaftspolitik gegen China angekündigt. Lagardes Position wird in dieser Situation als immer wichtiger erachtet. Generell hat Chinas wirtschaftliche Bedeutung und die von ganz Asien in den letzten fünfzehn Jahren stark zugenommen. Das hat zu scharfen Auseinandersetzungen über den Einfluss verschiedener Länder im IWF geführt. Asiatische und lateinamerikanische Länder verlangen einen größeren Einfluss.

Schon 2014 forderten chinesische Politiker, Washington müsse sich an seine Zusagen halten und „die Stimme und die Vertretung der Schwellenländer im IWF stärken“.

Wie mehrere IWF-Vertreter im Oktober 2015 in einem Arbeitspapier schrieben, widerspiegeln Konflikte um den Einfluss im IWF die Tatsache, dass der Weltkapitalismus sich „an einem epochalen Wendepunkt des wirtschaftlichen Einflusses befindet, wie seit 200 bis 250 Jahren nicht mehr“.

Sie schrieben: „Von der Gründung des IWF nach dem Zweiten Weltkrieg an bis 2000 betrug das globale BIP der Entwickelten Länder (AE) etwa sechzig bis siebzig Prozent des globalen BIP … Die Geschwindigkeit der Veränderung hat sich seitdem stark beschleunigt. Das wirtschaftliche Gewicht hat sich nach mehr als 200 Jahren stark vom Nordatlantik nach Asien verschoben. Diese dramatische Entwicklung ist in den letzten fünfzehn Jahren offen sichtbar geworden und befeuert seitdem die hitzige Debatte um Einfluss im IWF. Da zu erwarten ist, dass sich diese Veränderungen in den nächsten Jahrzehnten weiter beschleunigen, ist es notwendig, dass sich die Strukturen der globalen Wirtschaftslenkung substantieller weiterentwickeln, als die gegenwärtige schrittweise Anpassung erkennen lässt.“

Unter diesen angespannten internationalen Bedingungen haben die französischen Gerichte eingegriffen, um Madame Lagardes Haut zu retten und die gegenwärtige Führung im Amt zu belassen.

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