Bundesregierung plant „Abwehrzentrum gegen Desinformation“

Seit Wochen läuft in der deutschen und der internationalen Öffentlichkeit eine Kampagne gegen sogenannte Fake News. Glaubt man führenden Politikern und Journalisten, dann ist der Vertrauensverlust der etablierten Parteien und Medien auf Falschmeldungen in sozialen Netzwerken und deren Manipulation durch den russischen Geheimdienst zurückzuführen. Wie der Spiegel unter Berufung auf ein internes Papier des Bundesinnenministeriums berichtete, will die Bundesregierung dagegen nun ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ einrichten – eine Art Zensur- und Propagandabehörde.

Das „Abwehrzentrum“ soll im Bundespresseamt unter Steffen Seibert angesiedelt werden, der vor sechs Jahren von der Leitung des heute-journals, einer der wichtigsten deutschen Nachrichtensendungen, nahtlos ins Amt des Regierungssprechers wechselte. Es soll die „politischen Abwehrkräfte“ der Bevölkerung stärken und die Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook, Google und Twitter zwingen, Inhalte zu zensieren.

„Die Akzeptanz eines postfaktischen Zeitalters käme einer politischen Kapitulation gleich“, heißt es laut Spiegel in dem internen Papier. Es müsse dafür gesorgt werden, dass „authentische politische Kommunikation“ auch „für das 21. Jahrhundert prägend“ bleibe. Deshalb müssten weitreichende Maßnahmen formuliert werden, um Desinformationskampagnen, Fake News und der Manipulation der öffentlichen Meinung beizukommen.

Zahlreiche Politiker unterstützen den Feldzug gegen angebliche Falschnachrichten im Internet und fordern ihrerseits schärfere Gesetze.

So verurteilte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gegenüber der Osnabrücker Zeitung die mit den digitalen Medien verbundenen „Gefahren der gezielten Manipulation durch Einzelne mit missionarischem Ehrgeiz …“. Er behauptete, es gebe „einen Nachsteuerungsbedarf beim Gesetzgeber wie in der Rechtsprechung angesichts zunehmender Entgleisungen in den sozialen Medien“. Laut Lammert hat es „verheerende Folgen“, wenn Beschimpfungen, Verleumdungen und Bedrohungen im Netz straffrei bleiben.

Die Fraktionschefs von SPD und Union im Bundestag, Thomas Oppermann und Volker Kauder, wollen die sozialen Netzwerke zur strengen Selbstzensur zwingen. Ein neues Gesetz soll Plattformen wie Facebook und Twitter verpflichten, im Raum Deutschland eine Rechtsschutzstelle einzurichten, die rund um die Uhr erreichbar ist und von der die Opfer von Falschmeldungen verlangen können, dass Einträge innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden. Andernfalls sollen Bußgelder in Höhe von bis zu einer halben Million Euro drohen.

Wie Unionsfraktionschef Kauder betonte, sind sich SPD und CDU über ein solches Gesetz einig. Es soll schon Anfang dieses Jahres erlassen werden. Berichten zufolge überlegt Kauder außerdem, Beleidigungen im Netz wegen der großen Verbreitung härter als üblich zu bestrafen.

Auch Jean-Claude Juncker, der Chef der EU-Kommission, und Martin Schulz (SPD), der Präsident des Europäischen Parlaments, haben sich zu Wort gemeldet und an Unternehmen wie Facebook und Google appelliert, „konsequent gegen Falschmeldungen im Internet vorzugehen“.

Tatsächlich haben die Pläne für ein Orwell‘sches „Wahrheitsministerium“ nichts mit der Sorge um Falschmeldungen zu tun. In Wirklichkeit fürchten die etablierten Parteien, die staatlichen Medien und die privaten Medienkonzerne, dass sie ihr Meinungsmonopol verlieren. Das Internet hat Millionen Menschen erstmals die Möglichkeit verschafft, Zugang zu Informationen zu erlangen, die nicht durch die offiziellen Medien selektiert und gefiltert werden. Das hat die Medien und politischen Parteien in Angst und Panik versetzt.

Der Spiegel, der seine jüngste Print-Ausgabe dem Thema widmet, spricht dies recht offen und unverblümt aus. Bereits im Vorspann des Leitartikels „Die große Erosion“ fragt der Autor ängstlich: „Kann es sein, dass eine Revolution bevorsteht?“

Der Text schildert dann das wachsende Misstrauen in Regierung, Parteien und Medien: Es gebe in Deutschland heute eine wachsende Zahl von Menschen, „die glauben, dass die Regierung und/oder andere Mächte allerlei Geheimpläne verfolgten“. Viele Mitbürger glaubten, dass die Medien „grundsätzlich ihre Berichte und Kommentare auf Anordnung von irgendwo ‚ganz oben‘ produzierten“.

„Es hat gerade alles etwas von vorrevolutionärer Stimmung“, lautet das Fazit des mehrseitigen Artikels. Momentan seien die Parteien „die größten Verlierer dieser Zeit, weil der politischen Klasse selbst angst und bange wird, wenn ‚Volkes Stimme‘ laut wird. Viele Menschen, womöglich bald eine kritische Masse, werden vom System nicht mehr richtig erreicht, wodurch das System wiederum Legitimität verliert.“

Dies, und nicht angebliche Fake News, ist der Grund für den Ruf nach Zensur. Die herrschende Klasse reagiert auf wachsende soziale Spannungen und politische Unzufriedenheit, wie sie es in der Geschichte immer getan hat: Mit Polizei, Staatsanwalt und Unterdrückung der Meinungsfreiheit.

Noch sind in Deutschland Schulen nach Carl von Ossietzky benannt – aber dass er in der Weimarer Republik im Gefängnis saß und unter den Nazis an den Folgen starb, weil er in der Weltbühne über die illegale Aufrüstung der Reichswehr schrieb, ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Gäbe es die Weltbühne heute noch, stände sie ohne Zweifel ganz oben auf der offiziellen Liste der Fake News.

Natürlich zirkulieren im Internet auch falsche und gefälschte Nachrichten und die sozialen Medien werden auch von rechten und rassistischen Bewegungen benutzt. Doch wenn es um die Fabrikation von Fake News geht, um Militarismus und Fremdenhass zu schüren, können die sozialen Medien den offiziellen nicht das Wasser reichen. Das Misstrauen in die Medien, über das der Spiegel, Lammert, Oppermann und andere jetzt so heftig klagen, beruht auf jahrzehntelanger Erfahrung mit ihnen.

Nicht zufällig ist dieses Misstrauen im Osten des Landes besonders stark. Man erinnere sich nur an das Versprechen auf „blühende Landschaften“, das 1990 die Auflösung der DDR begleitete. Stattdessen kamen industrieller Niedergang, Arbeitslosigkeit, Niedriglohnjobs und sozialer Zerfall. Trotzdem werden die Medien nicht müde, den angeblichen Aufschwung im Osten zu beschwören.

Oder man nehme die Berichte über irakische Massenvernichtungswaffen, die 2003 auch von den deutschen Medien verbreitetet wurden, um die militärische Eroberung eines fast wehrlosen Landes zu rechtfertigen. Inzwischen ist klar, dass sie auf Fälschungen und Lügen beruhten. Nur wer die Mehrheit der Bevölkerung für blöd hält, kann sich einbilden, dass ihr das entgangen sei und dass sie keine Schlussfolgerungen daraus gezogen habe.

Während der Ukrainekrise vor drei Jahren nahm die Produktion von Fake News durch die offiziellen deutschen Medien eine neue Dimension an. Obwohl die Beteiligung rechter und faschistischer Milizen am vom Westen unterstützten Putsch gegen den prorussischen Präsidenten Janukowitsch offensichtlich war, schrieben sämtliche Medien über eine „demokratische Revolution“. Selbst der Programmbeirat der ARD musste damals einräumen, die Ukraine-Berichterstattung des Ersten habe „den Eindruck der Voreingenommenheit erweckt“ und Inhalte verbreitet, die „tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen“ gerichtet seien.

Auch das ist Millionen Menschen nicht entgangen – vor allem, nachdem sich der mit dem Segen Berlins und Washingtons installierte neue Präsident Poroschenko als korrupter und asozialer entpuppt hat als alle seine Vorgänger.

Die deutschen Medien entsprachen nie dem Bild der Unabhängigkeit und der objektiven Berichterstattung, dass sie gerne von sich selbst entwerfen.

In den öffentlichen Medien steigt nur auf, wer das richtige Parteibuch besitzt oder eine eng begrenzte Bandbreite der Kritik nicht überschreitet. Das musste unter anderen der Moderator des ARD-Magazins „Report“ Franz Alt erleben. Weil das CDU-Mitglied aus christlicher Überzeugung die Nachrüstung der Bundeswehr kritisierte, erhielt es 1983 vor laufender Kamera ein Auftrittsverbot. „Wegen der engagierten Stellungnahmen von Franz Alt für die Sache der Friedensbewegung und gegen den Nato-Doppelbeschluß“ sei „die satzungsgemäß festgelegte Unabhängigkeit gegenwärtig nicht gewährleistet“, begründete der Chefredakteur des Südwestfunks damals den Rausschmiss.

Seither ist die Lage nicht besser geworden. So wird der Bayrische Rundfunk seit 22 Jahren von Sigmund Gottlieb geleitet, der ebenso gut Pressesprecher der CSU sein könnte. Zum öffentlichen Skandal wie bei Alt kommt es allerdings kaum, da die meisten Journalisten die Schere der Zensur inzwischen verinnerlicht haben.

Was die privaten Medien betrifft, so legen die millionenschweren Eigentümer die Bandbreite der politischen Linie fest. Gäbe es einen Preis für Fake News, stünde er ohne Zweifel dem Hause Springer zu, in dessen Boulevard-Blatt Bild hochbezahlte Journalisten seit Jahrzehnten Nachrichten produzieren, um das kulturelle und politische Niveau der Massen zu senken. Auf dem Presseball des Springer-Verlags drängt sich jedes Jahr die gesamte Berliner Prominenz, seine Hauptaktionärin Friede Springer ist eng mit Bundeskanzlerin Angela Merkel befreundet, und Merkels Ehemann Joachim Sauer sitzt im Kuratorium der Friede Springer Stiftung und kassiert dafür nach Angaben des Spiegel 10.000 Euro pro Jahr.

Auch in den sogenannten „seriösen“ Zeitungen wie Zeit, Süddeutsche und Frankfurter Allgemeine schreiben Propagandisten, die – wie Stefan Kornelius, Jochen Bittner und Josef Joffe – enge Verbindungen zu politischen Thinktanks, der Regierung und dem Militär pflegen und für deren Ziele werben. So berichtete Jochen Bittner 2014 in der Zeit über das Strategiepapier „Neue Macht – Neue Verantwortung“, das die Rückkehr des deutschen Militarismus vorbereitete, ohne dem Leser mitzuteilen, dass er selbst an seiner Ausarbeitung beteiligt war.

Wie schon die Falschdarstellung der Ereignisse in der Ukraine geht auch die derzeitige Kampagne gegen Fake News eng mit Kriegsvorbereitungen gegen Russland einher. Die Behauptung, russische Hackerangriffe seien für den Wahlsieg Donald Trumps in den USA und den Aufstieg rechter Parteien in Europa verantwortlich, zieht sich wie ein roter Faden durch die Medien, obwohl es dafür keine Beweise gibt. So meldete die Tagesschau am 26. Dezember: „Vor allem in Deutschland suchen die Parteien derzeit nach Möglichkeiten, gegen Meinungsmanipulationen im Internet vorzugehen. Sie sorgen sich, dass sich Russland auf diese Weise [wie in den USA] in den Bundestagswahlkampf einmischen könnte.“

Auch dagegen gibt es in der Bevölkerung tiefes Misstrauen – nicht aus Sympathie für den russischen Präsidenten Putin, sondern weil viele wissen oder spüren, dass die Kriegsvorbereitungen imperialistischen Interessen dienen und dass sie zu den ersten Opfern einer militärischen Konfrontation mit Russland zählen werden.

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